Erster Auftritt

[989] Ein düsteres Zimmer.

Ferdinandos Leichnam liegt auf einem Bette, Amalia und Camilla netzen ihn mit Tränen, zu seinem Haupt stehend. Der Alte Guelfo steht in einiger Entfernung. Stiller, heftiger Ausdruck des Schmerzes.


ALTER GUELFO nach einer langen Pause. Wollt ihr Leichen auf Leichen häufen? Weiber! Weiber! weg! erbarmt euch!

AMALIA. Leichen auf Leichen, Vater! Ich will mit meinem Ferdinando gehen, das soll mir niemand wehren. Ich will mich an seine blutigen Locken hängen, er wird mich mitnehmen. Nimm mir diese runde Locken! nimm mir sie, Alter! Meine Hände sind an den Toten gewachsen. Meiner erbarmt er sich; nimm mir ihn!

ALTER GUELFO. So häuft Leichen auf Leichen, und ich stehe im öden Haus verwaist, meine Kronen heruntergerissen! Mein graues Haar in sein Blut getaucht, steh ich allein! – Ha! so überschwemmt ihn mit euren Tränen, daß ich den Holden nie mehr erkenne! – Weiber! Weiber! laßt den seligen Geist zur Ruh!

CAMILLA. Bring mich hier weg, Vater! Meine Hände sind warm, meine Liebe heiß, und meine Tränen – steh auf, mein Ferdinando![989] Oh! wir Weiber wollen sein Leben erwärmen! – Und sieh, seine blasse Wangen leben! Weile nicht, mein Bräutigam! Weile nicht! die Braut harrt deiner.

AMALIA. Faß ihn fest, und letz ihn! – Ha! wenn ich ihm über die Stirne streich, wenn ich seine blutigen Locken um meine Hände winde, zuckt er nicht, und sein großes Aug öffnet sich?

CAMILLA. Horch! ich küßte seine Lippen – horch! ruft's nicht?

AMALIA. Schlägt sein Herz nicht? Die Mutter erwärmt's. Horch!

ALTER GUELFO. Wehe! Wehe! Verflucht die Hand, die's tat! Verflucht die Hand, die dem Greis den Sohn, der Braut den Bräutigam erschlug! Wehe! Wehe! Ich stehe da verwaist! Niemand erbarmt sich meiner, da mein Bester erschlagen liegt.

AMALIA. Der Liebe liegt nicht erschlagen. Braut, faß ihn! Unsre Liebe wird den Kalten erwecken. Er hat uns noch kein Lebewohl gesagt – so geht Ferdinando nicht.

ALTER GUELFO. Wehe! Wehe! Laßt den seligen Geist zum Himmel, daß er den Mörder anklage, rufe Rache und Weh! –

AMALIA. Du willst mich von ihm reißen, mich, die ich ihn gebar? – Ich gebar sie mit Angst; als ich sie schreien hörte, schwand alles. Ich hub die Knäblein auf, dankte, benedeite sie mit meinen Tränen. Laß mich nun diesen benedeien! meinen Sohn wiederrufen!

ALTER GUELFO. Ich will mich niederlegen, und sterben. Gott! Du hast mich zerschlagen! Du ließt den Einzigen erschlagen, ließt ihn vom Bruder erschlagen! Heiliger, rette mich! rette diese aus naher Verzweiflung! Vom Bruder erschlagen liegt er!

AMALIA. Vom Bruder nicht erschlagen! Gott! nein! – Ha! Du willst sagen, er tat's! Du willst, daß ich die Stunde verfluche, in welcher ich zwei rüstige Knaben gebar?

ALTER GUELFO. Du sollst die Stunde der Geburt verfluchen, die den Mörder brachte. Von ihm erschlagen liegt er! Kein Mensch auf Erden schlägt solche Todeswunden als Guelfo.

AMALIA. Nein! nicht! Mein Einziger und jetzt mein Einziger tat's nicht! Hat er nicht seine Mutter lieb? und sollt ihr den Geliebten erschlagen?

ALTER GUELFO. Decke die Decke des Todes über ihn! Er schlug ihn an der Stätte, wo er seinen Geist aufsteigen sah. – Riß der Hund des Erschlagenen nicht ein Stück aus dem Gewand des Mörders? Ist seine wütende Spur nicht in Boden eingedrückt? – Decke die Decke des Todes über den Holden! Und nun laß deinen Guelfo kommen, dem Toten vor der Stirne stehen, das[990] Bekenntnis ablegen, den Mord abschwören, die blutige Locke in der Hand, die Todeswunde betasten, aus welcher das friedliche Leben quoll, aus welcher des Vaters Leben quoll! Laß ihn kommen, und das tun!

AMALIA. Er soll nicht kommen, den Erschlagenen zu sehen. – Braut, bist du dem Bräutigam gefolgt? läßt die Mutter?

CAMILLA. Mutter, leite mich zu ihm, daß sich an seinem Haupt meine Seele löse!

ALTER GUELFO deckt den Leichnam zu. Guelfo! Rache und Weh!

AMALIA. Heil! Heil meinem Guelfo! meinem einzigen Kinde von drei Lieben! Warum willst du mir diesen wegreißen? diesen hat der Tod gefressen; du willst grausamer sein, und mir beide aufzehren? Ha! was soll der Dolch, der aus deinem Busen blinkt? Ich will dir ihn entreißen, und diesem folgen!

ALTER GUELFO. Weib! Weib! Nahm sich der Herr meiner nicht an, ich stieß mir ihn durchs Herz – ließ dich allein verzweiflen! Ich leb wegen deiner, Weib! Mein Herz ist mehr zerstoßen, weil ich nicht dicke Tränen weinen kann, wie ihr.


Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 989-991.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Zwillinge
Die Zwillinge