Zweite Szene


[1014] Solinas Wohnung.

Solina und Julio.


JULIO. Bin ich wert, dir unter die Augen zu treten?

SOLINA. Edler Julio! von ganzem Herzen dein. Du hast dich zu meinem Erstaunen gezeigt; so fahr fort! Ich erklär dich von nun an für einen Menschen, der meine Achtung verdient. Laß dir das mächtiger Sporn sein, den Gang kühn und edel zu vollenden, den du betreten hast. Hinan zum Ziel! dort reich ich dir die Hand, sing dir das Lied, das Göttlichen nur tönt. Und denn Julio!

JULIO. Meine Schöpferin!

SOLINA. Dann bin ich dein.

JULIO. Und ich, was du willst.

SOLINA. Nicht mehr, als dein Vermögen zureicht.

JULIO. Da seh ich keine Schranken. Ach! und wenn ich so in den heißen, großen Augenblicken mich gehoben fühl, wo alles in mir lebt; alles zusammenfaß; es sich vor mir reiht, was ich tun könnte, und werde; meine Brust sich erweitert, und meine Augen mit unbeschreiblichen Blick in künftige Schöpfungen schauen, der Geist vorschießt zu haschen, und zu ereilen – Für so einen Augenblick gäb ich alles Leben hin. Solina! ich kam weit, und was das beste ist, was mich innerlich zufriedenstellt, keiner kann sagen, du hast's durch schlechte Mittel erlangt.

SOLINA. Sonst wär's auch aus mit uns. Wenn du das sein willst, was ich mir von dir denk, muß keiner mehr sein als du, und du doch der Rechtschaffenste, der Geliebteste im Lande.

JULIO. Schwer! aber sorge nicht. Ich muß Schritte gehn, wie sie einer nur tun kann. Von nun an der Anfang. Der Gedanke soll so mein sein, so fest, unerschütterlich in meiner Seele stehn, bis ich's bin; und die Ruhe der Leidenden hergestellt, Kummer[1014] in Freude verwandelt hab, und die Störer derselben erliegen. Schlaf! Ruhe! Freude weg! Mir nur Liebe! und dies! Solina, ich bin den Augenblick mehr, als Mensch. O gäb's eine Sprache, worin ich dir sagen könnte was der Mensch ist, wie groß er ist, der das denkt und dich. Es ist aus red ich.

SOLINA. Brauch ich deine trockne, nichtige Worte? Julio, seh ich dir in die Augen – nichts weiter, kein Wort mehr! Mich durchglüht's. Was braucht's Reden? Du stundest da, ich hätt dich umfassen, und anbeten mögen.

JULIO. Tut's nicht die Liebe Pisanerin? Du! Du! allein vermagst's! Hast mir Kraft gegeben, die Flügel gegeben, eine Welt zu umfassen.

SOLINA. So gleicht der Liebende dem von den Göttern Inspirierten und Geliebten. Tut Sachen, die andern Wunder sind. Geführt von dieser Göttin der Erde, wirst du wachsen, dich auf neuen, nie zu ermüdenden Schwingen erheben, und außer dem Gesichtskreis aller, derer Herz die wahre Hoheit der Göttin nie erkannte, schweben. Und Julio, es gibt ihrer wenige. Ha! sie nährt und weckt auf in den verborgensten Sinnen, und Winkel des Herzens und des Geistes; führt, leitet und lohnt den, der ins Innre ihres Heiligtums gedrungen ist. Julio! und alles spricht an dir, mit mir geschah's.

JULIO. Liebe! Liebe! sie führt aus.

PIRRO bringt einen Brief. Ein Kurier, gnädiger Herr. In zwei Stunden reitet er ab. Ab.

JULIO. Das Siegel des Königs.

SOLINA. Brich auf!

JULIO. Ein Brief vom König selbst.

SOLINA. Lies!

JULIO. Ich sollte kommen, und ihm dienen. Er glaubte an seinem Hof wär der Platz für mich. Das Betragen und die Betreibung meiner letzten Geschäften haben ihn so für mich eingenommen, daß er mich sehr ungern missen würde.

SOLINA. Laß sehen! Liest. Das dank ich ihm. Julio, wenn das keine Flamme in dir anzündet!

JULIO. So laß uns hier enden, laß uns herstellen! –

SOLINA. Alles gut soweit! Ich fahr zur Herzogin. Ich brenne, diese große, leidende Seele zu sehn. Unablässig stellt sich ihr Bild vor mich mit Zügen, die meine ganze Seele an sich ziehen. Ich will hin.

JULIO. Du mußt, und ich wollte, du wärst vor aller Welt unsichtbar.[1015] Es muß zu Ende. Ich kann nichts dafür, daß ich an diesem Gedanken häng und zuck. Das Fragen, und Forschen des Prinzen – O mir ist's, wenn er so seinen gelben gedrückten Mund in ein überredendes Lächlen bilden will, als müßt ich mein Leben durch den Verlust des seinigen retten. Es muß zu Ende.

SOLINA. Und laß ihn fragen, erkundigen, und all seine Spionen nach mir aussenden. Ich will hin, durch sie alle durch! und sie um mich niederblitzen.

JULIO. Da fürcht ich nichts. Es ist klein von mir – Und doch Solina! In deiner Gegenwart bin ich alles zwiefach. Denk ich dich dort, schwindet meine Stärke, und mich deucht, ich kann nur in deiner Gegenwart groß denken und unternehmend sein. Ich fühl daß nur hier mein Mut und Stärke haftet. Auf ihre Stirne zeigend.


Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 1014-1016.
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