Dritte Szene


[1016] Palast.

Ein Zimmer.

Prinz Galbino tritt auf. Hofmarschall Pasquino.


PASQUINO. Ich bitte, gnädiger Herr!

GALBINO. Ach die Langeweile! die Langeweile, die mich verfolgt! mir auf dem Nacken hängt ohne Weichen! Leeres! unzulängliches Leben! das ich in allen Winklen, in der herrlichsten Gegend erblick! das ist Leben! seid ihr denn alle aufgetrocknet? Elend! Elend! welch dummes, kaltes Leben! weiß der Himmel, wie ich mich nach einer Stunde vollen Herzens und wallenden Bluts sehne!

PASQUINO. (Ich komm nicht zum Wort.) So arge Langeweile, mein Prinz? behüte Gott!

GALBINO. Wundert Sie's, Pasquino? Sie sehen so ernsthaft, wenn ich sag, es ist ein dummes, schales Leben, wenn all unsre Sinne und Begierden darniederliegen – Wie nehmen Sie's, mein ernster Pasquino?

PASQUINO. Kein Übel leichter zu heben. Nehmen Sie nicht ungnädig, wenn ich sage, ich war fünf Jahr um den seligen Herzog, und hörte ihn nie diese Klage führen.

GALBINO. Das machte der selige Herr hatte so sein Wesen.

PASQUINO. Freilich hatte er das. Denn man ließ den lieben Herrn nie in Ruh. Und ihm war damit ausgeholfen. Tätigkeit war[1016] seine Hauptfreude. Dabei war er nun so gefällig, daß er jedermann Recht widerfahren lassen wollte, und es am liebsten selbst tat. Er hatte so sein Wesen damit.

GALBINO. Wie ich Ihre Aufrichtigkeit schätz, mein Treuer!

PASQUINO. Das ist nun ihr Wesen.

GALBINO. So! daß ich keinen einzigen guten Kopf am Hofe hab! kein erfindrisches Genie! Da hab ich mich eine Zeitlang mit den Gelahrten abgegeben, die stürzten mich vollends hinein. Mit den Poeten, dem Sang und Klang der Musik will's auch nicht mehr fort. Das wird einem alles zum Ekel. Ich versucht's mit dem Bauen, und überall die garstige Langeweile.

PASQUINO. Das all zu hörn! Laut. Aber es ist ja noch Trauer an Hof, ohndies nicht Zeit zu rauschenden, zeitfressenden Lustbarkeiten.

GALBINO. Gut, daß Sie mich erinnern. Ich denk, wir heben die Trauer nun auch auf.

PASQUINO. An sich unbedeutend. Aber das Volk! es sieht dieses alles anders, findt Mangel der Liebe und Achtung. O und wie wünsch ich Ihre Administration so geliebt zu sehn –

GALBINO. Administration!

PASQUINO. Finden Sie was?

GALBINO. Nein gar nichts. Aber daß ich just vom Volk abhängen soll in allem Sklav seiner Einfalt und Vorurteilen sein soll – – Wie befindet sich die Herzogin?

PASQUINO. Sehr wohl, wenn man das Wohlsein nennen will. Wie wird Ihnen?

GALBINO. Ach das Leere!

PASQUINO. Ich bitte, mein Prinz!

GALBINO. Red! Du weißt, du hast meine Gnade.

PASQUINO. Ihre Gemahlin ist sehr krank.

GALBINO. Ich lieb sie von Herzen.

PASQUINO. Und doch fürchtet sie – Was ist eine Kamilla, mein Prinz!

GALBINO. Gar nichts in Vergleich. Eine süße, bezaubernde Schwätzerin, die sich in Busen schleicht, und Sie haben kein Herz mehr, als für sie. Ach was sind das Schlangen, Pasquino! Sie glauben nicht, wie die ein Fäserchen nach dem andern an sich reißen, ein Band um einen herumschlingen.

PASQUINO. Das ist's eben.

GALBINO. Nun ja. Aber das zu zerreißen, wenn man sich auf Leben und Tod ergeben hat.[1017]

PASQUINO. Wer wird das?

GALBINO. Niemand. Wär meine Gemahlin gesund –

PASQUINO. Ich weiß nur einen Arzt, der sind Sie.

GALBINO. So! Aber sagen Sie mir doch wie treibt Julio seine Geschäften?

PASQUINO. O das So, das So!

GALBINO. Gefällt Ihnen nicht? Mir ist vieles nicht recht, und doch muß ich's so lassen. Antworten Sie mir auf meine Fragen.

PASQUINO. Nun in Wahrheit, ich hab nie einen jungen Mann gesehen, der so viel versprach und leistete. Prinz, ein feurig, unternehmend Herz, festen Sinn, schnelle Würksamkeit, einen Geist, der dem Platz, den Sie ihm gegeben haben, gewachsen ist, und sich zu größern geschickt macht. Vielfassend, weitsehend, unternommen und getan. Er treibt auf alles, was er durchgesehen hat, mit einer Zuverlässigkeit – und was das größte ist, treues Gefühl und Rechtschaffenheit.

GALBINO. Ich erstaune. Ich hab Sie nie einem Menschen eine Apologie halten hören. Sie waren sonst sehr argwöhnisch. Aber mich deucht, er ist das alles nur seit einer kurzen Zeit. Darüber, daß er seine Sachen so gut bei dem König machte, kann ich mich nicht genug wundern. Er machte Dinge wirklich, die ich nie geträumt hätte.

PASQUINO. Ich hatte alle Hoffnung. Als er ging, sagte er: »Bring ich's nicht zustand, mag mir der Prinz meinen Abschied geben, und ich werde Schreiber.«

GALBINO. Sehr schön! Pasquino! ich will nun, daß Sie sich auf Ihre Güter begeben. Ich hab Ihnen eine Pension angewiesen, wovon ich hoffe, Sie werden sich gnügen lassen.

PASQUINO. Ich danke untertänigst – Aber gnädiger Herr!

GALBINO. Ich kenn deinen Eifer zu dienen, aber alles muß Ende haben. Und ich denke so, Pasquino hat deinem Vetter und dir treu gedienet, er wird nun auch die Ruhe schmecken wollen. Würklich mein lieber Pasquino, ich habe den Glauben, man muß sich's einmal gut sein lassen im Leben, wenn's auch noch so spät kommt, ist's nicht auszuschlagen. So gehn Sie nun, meiner Gnade versichert. Nicht wahr, Sie kamen ja, um Abschied zu nehmen?

PASQUINO. Aufrichtig zu reden, nein! Ich hatte sogar den Glauben, ich würde nie überflüssig sein.

GALBINO. Das eben nicht. Aber ich halt's für gut. Und untersuchen mag ich weiter nicht, lassen Sie sich das genug sein. Ich[1018] seh, Sie machen sich zu einer Rede geschickt. Lieber Pasquino, ich hab viele, vielleicht zu viele Proben, von Ihrer hinreißenden Beredsamkeit. Auch möchte die jetzige recht gut sein, und zum Abschied voller guter Vermahnungen. Aber, eben hab ich keine Zeit, drauf zu antworten. Auch möcht ich nicht so geschickt sein, aus dem Stegreif lange und angenehm zu reden. Übrigens leben Sie wohl. Glauben Sie, ich verlör zu viel dabei, so schicken Sie mir Ihren Seneca, und zeichnen Sie mir das Kapitel, welches die Materie enthält, wovon Sie reden wollten. Adieu lieber Pasquino!

PASQUINO ab.

GALBINO. Hätt ich die Verlegenheit des alten Narren gemalt, was gäb ich drum? Klingelt Bediente. Ruft mir den Hofmeister! – Ein gewisser Kaiser behielt seinen Seneca bei sich, um ihn zu necken, und ich schick meinen friedlich fort. Aber er soll mir nicht lange der Güter und Pension genießen. Wie er sich mit Julio verplatzte! es ist eine Freude, so einen alten Kerl auf den Sand zu setzen. – – – Ha! Sieht sich schüchtern um. Die verfluchte Schwäche! Will das nicht einen Augenblick weg? – Näher ans Herz Solina! und wärst du nicht im Treiben, der Starrkopf von toten Vetter mordete mich in Träumen. Und wenn er mir noch einmal erscheint, den Todesbecher in der Hand, mir ihn reichend, sollen seine Gebeine in Fluß, und müßt ich sie mit eignen Händen hineintragen.

LUDOVICO tritt auf. Was befehlen Sie gnädiger Herr?

GALBINO. Alle Aufmerksamkeit, deren Sie fähig sind. Alle Ihre Sinnen zusammen! Denken Sie nichts Fremdes. Und – Sind Sie gegenwärtig?

LUDOVICO. Wie soll ich anders, da ich die Gnade hab –

GALBINO. Mann! laß mich deine Hand fühlen! Faßt ihn an der Hand. Nach einigem Schweigen. Geht dein Puls immer so träg, langsam und ordentlich, daß du ihn im Fall der Not brauchen könntest, die Zeit der Stunden an den immer gewissen und sichern Schlägen abzuzählen?

LUDOVICO. Selten anders, gnädiger Herr!

GALBINO. Schwillt dir die Ader oft auf, die sich hier deine verschobene Stirne herunterschlängelt?

LUDOVICO. Selten; ich müßte denn beleidigt sein; oder heftig nach etwas streben.

GALBINO. Hast du deinen verzogenen, zickzack laufenden, harthaarigten[1019] Augenbraunen hier Halt gemacht, und abscheren lassen; oder sind sie so schraff von Natur gewachsen?

LUDOVICO. Man hat Vorurteil dagegen, ich tat's.

GALBINO. Hast allen Versuch an deinem Haupthaar gemacht, ihm andre Farbe zu geben?

LUDOVICO. Es half nichts.

GALBINO. Warst auch immer so tot und düster in dich vergraben, auch immer so bleichgelb im Gesicht?

LUDOVICO. Immer.

GALBINO. Du hast mit Sylla viel gemein.

LUDOVICO. Sylla war ein großer Mensch.

GALBINO. Es kommt auf den Mann an, der ihn beurteilt. Freilich. – Ich hätt noch mancherlei. Ich les was Großes in deinen Augäpfeln von ausgefallner Farbe. Es liegt was drinnen von vieler Bedeutung. Aber Hofmeister! was Widriges, was Verdrießliches – Du scheinst unzufrieden mit der Welt? Was denkst du von der Welt?

LUDOVICO. Nicht zum besten g.H. Sie wissen, ich hab eine strenge Moral. So viel Erfahrung und Weltphilosophie, die ich meistens auf unsern Reisen sammlete, um einzusehn, wie sich menschliche Handlungen verhalten. Mein Prinz! wer den besten Firnis hat –

GALBINO. Der verklebt dem andern die Augen. So mein ich's auch. Der Bombast ist wenig auf dieser Waagschal. Die gepriesene, gute, große Handlungen der Menschen sind einem aus der Imagination des Dichters, mit allem zaubergeschmückten Feenschloß gleich. Du staunst, siehst, hörst, was er will, bis sich nach und nach der Zauberteppich in die Höhe hebt, das heißt, bis du zu dir kommst. Der Dichter tat was der Mensch mit seinen glänzenden Handlungen. Er machte dich eine Zeitlang fürs Würkliche blind, und zog seinen Profit draus. Große Handlungen sind die Irrlichter der Welt. Eine wohlüberdacht, die Absicht tief versteckt, und ohne sie je merken zu lassen, ausgeführt, du ziehst Frommen, Klugen und Weisen Glanzwolken vors Gesicht. Den meisten schwindt der Nebel nie, und du bist angebetet.

LUDOVICO. Welche Weisheit! und wie sehr recht!

GALBINO. Man macht sein Glück, und wie man's macht.

LUDOVICO. Es arbeitet doch alles zum guten Zweck, hier, wie in der physischen Welt.

GALBINO. Keine Handlung hält die Untersuchung aus.[1020]

LUDOVICO. Dem groß und wert, der's nicht tut.

GALBINO. Fühlst du fürs andre Geschlecht? Hast du starke Leidenschaft? Kannst ohne sie nicht leben?

LUDOVICO. Völlig. Ich bin drüber weg.

GALBINO. Von Jugend auf, oder tat's deine Philosophie?

LUDOVICO. Die tat's mit. Ich bin kalt, und war nur ein einzigmal im Fall.

GALBINO. Hast du viel poetisches Gefühl? Begeistrung? Feuer und Phantasie? Schweifende, glühende Träume?

LUDOVICO. Nein! ich bin immer in mir.

GALBINO. Du hast vorhin von einem Fall gesagt. Ich bitt dich, erklär dich!

LUDOVICO. Ich bin durch einen verdrießlichen Zufall in Rom entmannt worden. Schrieb drauf ein Buch gegen die Lüste der Welt, das noch von Welt- und Geistlichen angeführt und gelesen wird.

GALBINO. So bist du der Mann, den ich such. Du hängst von keinen Lüsten und Begierden ab, nur Vernunft führt dich, kannst also für eine Sache allein wachen.

LUDOVICO. Gnädiger Herr!

GALBINO. Die Welt muß wenig Reiz für dich haben?

LUDOVICO. Desto mehr der Ruhm.

GALBINO. Gewiß! In Wahrheit? Sag der Ruhm!

LUDOVICO. Der ist mein Idol.

GALBINO. Das sagt mir die Art, mit welcher du's aussprichst. Du könntest einen großen Platz behaupten. Du wirst gehört haben, an Hof ist eine gewisse bedeutende Dame, ihr Namen ist – weißt du? – Ja wie ich sage – Die Witwe Kornelia. Sonst auch die Herzogin. Pasquino hat Ruhe halben seine Amt niedergelegt. Und zur Belohnung deines treuen mir erwiesenen zweijährigen Unterrichts, erklär ich dich heute noch zum Hofmarschall. Ludovico macht viele Verbeugungen. Und sieh, diese Kornelia ist eine rachbegierige, herrschsüchtige, stolze Art von einer Agrippine. Sieh sie scharf an! Und die Adlernase! Der Feuerblick! – Du weißt diese Dinge sind von keiner guten Bedeutung in einem Weibergesicht. Auch sieht sie so wild, und rast zu gewissen Zeiten, und heult wunderliche Dinge den Sternen vor.

LUDOVICO. Das sah ich.

GALBINO. Und – o es ist was Erstaunendes, Titel zu führen – Lies die Überschrift dieser Supplik.[1021]

LUDOVICO. Untertänigste Bitte an unsern gnädigen Herrn, Administrator, und –

GALBINO. Buchstabier das Wort! zergliedre es! Aber nicht, daß ich's hör. Es ist närrisch, wie man gegen gewisse Wörter Antipathie hat. Bei meines Vetters Leben war ein vortrefflicher Mensch hier, der ward wütend, wenn er den Minister nennen hörte. Der arme Schelm war nichts und fühlte, daß er's ebensogut sein könnte.

LUDOVICO. Es geht oft so.

GALBINO. Du bist Freund und Vetter von Julio?

LUDOVICO. Vetter wohl. Freund wie von den Weibern.

GALBINO. Du sprichst frei, das lieb ich an dir. Es ist eine Donna, eine gewisse Solina – doch du liebst die Weiber nicht. – Es ist ein leeres Leben! Adieu! Wir reden mehr. Adieu!


Ab.


LUDOVICO. War das nicht die nämliche Melodie, als der Vetter zu lästig war? Es waren der Worte sehr viel, und wenn ich sie übersetzte, sagt es ein kleines Wort, wobei wohl manchem heißen Kopf die Haare zu Berg stünden. Mord! he! Es ist ein Schall, wie jeder andrer. Kommt nur auf die Idee an, die man sich dabei macht. Über das nur ein Weib. Wollen's überlegen. Vetter Julio! hm! und Donna Solina! hm! und Hofmarschall! hm! und Mord! hm! Das klung doch all einander so ziemlich gleich, und ward mir bei keinem anders. Minister! hm! Noch nicht? Graf Drullo! hm! Warum geh ich vor? – Wie manchmal wichtige Dinge aus kleinen Zufällen entstehen. Kornelia ist ein sehr schönes Weib! hm!


Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 1016-1022.
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