Vierte Szene


[1022] Zimmer der Herzogin.

Herzogin, und Rosaline auf einem Lehnstuhl.


ROSALINE. Ich bin so matt, so gar krank, und Sie martern mich vollends tot.

HERZOGIN. Das glaub ich; du härmst dich, du kümmerst dich.

ROSALINE. Hab ich nicht Ursach, so elend, und verworfen?

HERZOGIN. Nein, du sollst nicht. Mich nährt der Gift und stärkt mich. Ach und kommt er mir vor die Augen, dein Gemahl, den ich nachts im Traum bald zerreiß, bald vergift, den hämischen Würger.

ROSALINE. Geben Sie mir die Medizin, die Stunde ist vorbei. Und[1022] ach! von Ihren Händen, Liebe! ich glaub immer die Würkung ist sichrer.

HERZOGIN. Armes Lamm! wie gern ich deine Wärterin bin. Gießt in einen Löffel. Nimm den Tod! Dein Gemahl schwelgt heute bei seinen Mätressen. Die schöne Kost, die er dir zubereitet hat; China und bittre Tropfen, die die Zähne aus der Wurzel fressen. O wir Weiber! wir armes Spielzeug!

ROSALINE. Halten Sie ein! Ach ich bin zu schwach, das alles anzuhören.

HERZOGIN. Das tu ich nicht. Deine Geister will ich so scharf gegen ihn machen, deine Galle so bitter, bis dir's ist, wie mir, wenn du ihn nennen hörst.

ROSALINE. Ich bitte – o mein Kopf!

HERZOGIN. Halt dich Weib! – Du hattest keinen Gemahl, keinen Edlen, Trefflichen, dem er nach dem Leben stunde, den er höllisch zu Tod neckte durch verborgene Schliche mit seinen Helfern. Ha! und laß dir's sagen! laß dich's brennen durch die Seele – Wie sich alles drängt an mir, zu rächen! zu rächen! Leise. Er vergiftete den Köstlichen.

ROSALINE. Nein! Nein!

HERZOGIN. Ich will's erfahren, ich weiß es. Aber du sollst's laut bekennen hören. Ich will ihn und seine Helfer fassen im Zorn. Ich will zu dem Grab meines Lieben wandern, mehr Grimm und heißen Durst nach ihrem Blut bei seiner Asche in meine Adern heulen und klagen. Und wenn mir's denn wild vor den Augen tanzt, Gestalten des Tods sich stellen vor mich, will ich sie erhaschen und ihnen mit dem Leben das Geheimnis abzwingen. Wenn du dann an meiner Stelle wärst, und ihm nicht mit Lächlen Gift in die Adern gössest, wollt ich dich auf deinem Krankenbett ersticken – Dich – Ach du Gebeugte! Du Gekränkte! sieh nicht so weich! so kümmerlich und abgefallen! schwäche meine Seele nicht!

ROSALINE. Leid ich nicht über Kraft, meine Mutter? Bin ich nicht schon die größte Schmerzendulderin? Er nahm mich zur Gemahlin, und weiß der Himmel! ich lieb ihn treu, mein krankes, zerstoßenes Herz schlägt für ihn. Und er verläßt mich, setzt mich gefangen in eine Krankenstube, hängt sich an Elende, ich verzehr mich hier, die Krankheit frißt meine Jugend auf, hab von ihm nichts zu erwarten, als den Tod. Mutter, ist das nicht Fülle der Leiden?

HERZOGIN. Steig denn auf! Laß dir Rache Kraft geben! Laß uns[1023] ihn zerreißen, wo wir ihn ertappen, wie rechtschaffne Weiber. Laß uns in seinem unreinen Blut baden, ihn an den Haaren schleppen! Das soll Gelächter sein und Freude. Komm wir feiren deinen Hochzeittag! Laß dich küssen und dir römischen Geist einhauchen! Wo ist er? wo hast du ihn gelassen? Steig auf!

ROSALINE. Herr Gott! Herr Gott! und Sie sehen nicht, daß ich nicht aus der Stelle kann? Legen Sie mir das Kissen untern Kopf, ich will ja gern und willig sterben. Ach meine Mutter!


Küßt ihre Hand.


HERZOGIN. Wenn ich deine Mutter wäre! Gott im Himmel das nicht auf einmal! Deine Mutter ist ja tot, meine Tochter!

ROSALINE. Ach!

HERZOGIN. Das soll ich ansehen!

ROSALINE. Herzensmutter, ruhig!

HERZOGIN. Was? Unter meinem Herzen wimmert der vor der Geburt bestohlne Waise. Ruft, wo ich mich hinwende: »Mutter! Mutter!« Ach wo ich hinblick, seh ich das unschuldige Würmchen lebendig. Es hängt sich an mich, zappelt, umfaßt mich mit seinen kleinen Händchen: »Mutter Hülfe! Hülfe gegen bestellte Mörder. Ach rette deinen Einzigen!« Und er wird begleitet und umgeben von dem Geist seines Vaters dich schützen und rächen. Und dann seh ich ihn, kühn, stark und erwachsen, mit der Miene seines Vaters, hervortreten, sich aufschwingen und zernichten. – Weine nicht, mein Junge! laß dich den Gift deiner Mutter nicht töten. Trink ihn all in dein kleines Herz, und komm mit zwiefachem Grimm geboren ans Licht. Und bis du kommst, will ich herrschen, und ich bin geboren, zu herrschen, und ich will, ich will!

ROSALINE. Möchten Ihre Geister ruhig werden, und mein Leben bald aus sein.

HERZOGIN. Flüche auf Flüche will ich häufen, und über meine Ohnmacht lachen. Du zartes Täubchen! Du feines, sittsames Weib! Die du im Käficht sitzest, und siehst, wie er andre liebkost, und im Pomp aufführt, du dich hier windest und doch seine Partie nimmst. Stirb denn! er hält dir einen prächtigen Leichenzug, ich setz dir einen Leichenstein mit deiner Geschichte, und fecht's allein aus.

ROSALINE. Lassen Sie mich dulden!

HERZOGIN. Tag und Nacht will ich dir's wiederholen, mein Geschrei soll dir den Schlaf wegheulen, bis du mit mir ihm fluchst und gegen ihn betest.[1024]

ROSALINE. Nimmer! Nimmer!

HERZOGIN. Nimmer töricht Weib? Ist er dein Gemahl? Ist er's? Dein Gemahl und wer genießt deine Rechte? Häuf allen Greuel der Wollust, und dann hat er Ursach! Aber so, wie du bist, keusch und rein, und so taubenartig, so heilig, so gut, dafür täglich Todeskampf leidest wegen seiner, doch von Dulden sprichst – – Was ist dir?

ROSALINE wird ohnmächtig. Ach wie schwach!

HERZOGIN reißt ihr die Kleider auf. Du armes Lamm! komm zu dir! um Gottes willen komm zu dir! Hör! hör! – ach so schlag die Augen auf! Verlaß mich nicht! Fällt ihr um den Hals. Blick mich an! laß mich nicht in Verzweiflung!

ROSALINE. Mutter!

HERZOGIN. Gott belohn dich! halt dich aufrecht! Komm zu Bett! Weib! Weib bleib mir am Leben!

DAME D'HONNEUR. Die Gräfin Solina bittet vorgelassen zu werden.

HERZOGIN. Sie soll kommen! Geschwind! Helft meiner Lieben zu Bett! Küßt Rosaline. Ich komme zu dir, meine Tochter! Denk, was du mir bist.

ROSALINE ab.

HERZOGIN nach der Tür. Führt Donna Solina auf. Ich bitt, Sie sind hier nicht an Hof! Sieht sie starr an. Dein Julio log nicht. Ha Donna! laß dich auf diese Stirne küssen! und sieh ich versteh dich. Kein Wort, meine Liebe! Wer ein solches Gesicht hat, bedarf keiner Worte. – Umfaßt sie. Ich halt eine Römerin in meinen Armen, eine starkmütige Römerin, und mir ist wohl. Dein Blick senkte sich scharf in meinen Geist, und reicht mir Hülfe. Ich seh dich Retterin! und hier stehst du begriffen. Unsre Seelen gehen einen Gang. Ha! ich hab ein Wesen gefunden, in das ich alles legen kann, und das mich versteht.

SOLINA. Nehmen Sie mich, so wie ich bin, ganz hin. In diesem Augenblick macht sich alles in mir auf, was ich hab von Entschluß und Tat. Mein Herz war an ihr Schicksal gebunden, eh ich sie sah. Und nun, was in der Welt, das ich nicht unternehm?

HERZOGIN. Herrlich! Herrlich! Und wie in dem Augenblick aller Schmerz versiegt! wie verloschner Mut zurückkehrt! wie sich alles in mir versöhnt, da ich ein Wesen gefunden hab, dem ich's klagen kann, und das mit mir Rache sinnt. Und hilft nicht[1025] schon dieser Wechsel der Blicke! und dieses Teilnehmen – laß dich lieben! laß dich umfassen, Schwester! Schwester!

SOLINA. Ich hör die Gemahlin des großen Ämilius! und ich will sie sehen, geschmückt mit der Herrschaft, daß sich ihr Geist entfalte.

HERZOGIN. Ämilius! Ämilius! Komm Donna! Führt sie vors Portrait. Sieh diesen gepriesenen Ämilius! Und zu dir! zu dir allein wird sein Bildnis reden.

SOLINA. Ich begreife seinen Wink. Mir ist's, als spräche sein großer Geist herunter: »Ich werd mit euch sein, und vor euch in Schrecken setzen.«

HERZOGIN. Unser Bund ist vor seinen Augen gemacht. Ämilius! mein Teurer, sieh herab auf uns zwei Weiber! – Wende diesen Blick nicht von mir, der immer ganz mein war! Laß mich weinen, Donna! laß mich weinen!

SOLINA. Und warum nicht weinen vor dem Herrlichen?

HERZOGIN. Freundliche Seele! Ich sehe fremde Tränen um meinen Ämilius. Ach daß noch ein Zug im lieben Gemälde ist, daß meine Träne und Küsse es noch nicht getilgt haben! – Sieh Liebe! diese Stirne! diese Augen! dieses Feuer, das die Feinde matt schlug! So, wie er da steht, kam er aus der Schlacht, wo er einen gefahrvollen Sieg erfocht. Er jagte herauf mit Blut und Staub bedeckt, und ich drückte ihn an mein Herz, mein Ämilius! Und wie ich den ganzen Tag und immer in den Ideen lebte, die die Seligkeit der Mütter und Weiber unsrer Voreltern ausmachten. Ich ließ nicht ab, und er mußte sich mir noch selbigen Tag, in der Kleidung und der von der Schlacht verursachten Unordnung malen lassen. Er tat's. So siehst du ihn jetzt. Und sieh diesen Mann! den dreißigjährigen Held! Dann laß dir's sagen! Neig dich zu mir! Ich will ein Wort in deine Ohren lispern, das dich erschüttern wird, so stark du bist: diesen Mann haben sie vergiftet. Ein fremder Hof hatte sein Interesse dabei, denn er ward fürchterlich – Ich seh, wie sich's empört in dir. Still! Ich will dich an einen Ort führen wo Geräusch und Getön ist. Im Gebüsch ist ein Wasserfall, wo ich meine Klage hintrag. Kein Lauscher vernimmt's, du wirst mich begreifen.

SOLINA. Ämilius! Ämilius!

HERZOGIN. Still! Still! Zeigt ihr ein verstecktes Portrait. Und dieser hat ihn ermorden lassen. Dieser Galbino! Siehst du nicht den Tiberius? Nachts häng ich ihn hieher! um unablässig[1026] meinen Haß zu stärken. Komm! und dann will ich dich zu einem kranken Lamm führen, das er geliefert hat, und das stündlich mit dem Tod kämpft. Komm an Wasserfall, wir wollen ihn überhallen. Weiber! und schnelle Rache! Ab.


Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 1022-1027.
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