Fünfte Szene


[1027] Voriges Zimmer Galbinos.

Graf Drullo, Ludovico treten auf.


LUDOVICO. Es wird nicht so gehn. Sie setzen's so leicht nicht durch.

DRULLO. Ich sag Ihnen, ich will den Anschein des letzten Manns in der Farce haben, und alles zusammen in halbem Schlummer führen.

LUDOVICO. Julio hat würklich viel vor sich.

DRULLO. Das ist ein überspannter Mensch von einem Poeten, wie ich immer sagte, der neue Welten in sich schafft, und die würklichen vergißt. Mit Leuten seiner Art wird man nur zu bald fertig. Was will er hier mit diesen Empfindungen, mit diesen Gesinnungen? Was nutzen ihm all seine Talente? Lieber Bruder! Poesie und Edelmut leben entweder verborgen, oder gehn gar nach Brot. Kommen sie an Hof, oder in die Welt, müssen sie sich nach dem Ton derselben wandlen, oder sie werden mit ihren Besitzern zugrunde geritten. Sie werden sehen, das ist sein Schicksal, und es muß es sein. Ich hab wohl Poeten prellen sehn, aber nie, daß andre von ihnen geprellt wurden. Und am Ende, was will's mit dem Menschen? Man muß ihn erkennen lehren. Was die Weiber anbelangt – je nun, Weiber sind doch immer bloß Weiber. Und wenn sie Zwist und Uneinigkeit zwischen den heißen Köpfen angefangen haben, so kommt der kalte Zuschauer, und hilft den Überflüssigen zu Ende.

LUDOVICO. Wir werden denn sehen.

DRULLO. Wenn mich was in der Welt ärgern könnte, so wär's die Miene und der Ton der Beantwortung, mit welcher Sie eine Sache anhören, und erwidern. Wahrhaftig, man sollte schwören, Sie hätten die Stellung Ihrer Muskeln, die Lage Ihrer Züge von der Zeit an unverändert beibehalten, worin Sie als Knabe Ihrem Schulmeister einen bösen Streich mit dieser Ruhe ableugneten.[1027]

LUDOVICO. Hm!

DRULLO. Wenn Sie den Weg nur die Hälft gemacht hätten, den ich mit festem, sichrem Sinn, ganz durchlief, Sie würden über dies Puppenspiel, das hier Leidenschaften, Narrheiten und Heuchelei aufführen, lächlen wie ich. Wir hatten zwar nie Mangel dran. Und wohl uns! Wie sollten wir uns anhängen und durchgreifen, wenn Leute, die den Platz nun einmal vor uns haben, nicht so beherrscht würden. Aber bei uns war's doch immer so gewöhnlich, daß man gewisse Temperamente traf, und den andern nicht völlig bei der Entstehung Zweck und Ende absehen ließ. Ich war in Spanien, Portugal und Amerika, trieb Sachen durch, die keiner begreifen konnte, wie sie möglich zu machen wären. Und für meine Galle war das immer das Zuträglichste, daß ich im Verborgenen, und sozusagen, unsichtbar die Hauptrolle spielte. Alle die Kerls, die mir brauchbar schienen, nach meinem Willen, Phantasie, Einfall, auch oft bloß des Spaßes halben (um zu sehen was ein einzler vermag, der den wahren Stein der Weisen gefunden hat) anblies, herumzujagen, anzublasen und vorzubereiten. Von welchen allen ein jeder sich einbilden mußte, er arbeitete für sich. Und dann trat ich hervor, und hatte, was ich wollte.

LUDOVICO. Ruhm war also nie Ihr Zweck.

DRULLO. Was schiert mich das? Ich dachte immer, du arbeitest in dieser scheinbaren Kälte, zu deiner innren Befriedigung und Behaglichkeit. Und das deucht mich das Beste. Mir ist ein Mensch unausstehlich, der bloß damit umgeht, andern von sich zu reden zu geben, und darin seine Existenz sucht. Ich meine, der Mensch ist glücklich, wenn er für seine innere Behaglichkeit arbeitet, und der Weg dazu schien mir immer Seligkeit.

LUDOVICO. Hm!

DRULLO. Ihre heutige Hms zusammen, mein lieber Ludovico?

LUDOVICO. Wie?

DRULLO. Können Sie zu keinem Entschluß kom men? Und doch scheint Ihr Vorhaben wichtig zu sein.

GALBINO tritt auf. Ich hab sie gesehen, hab sie nah gesehen.

DRULLO. Nun, mein Prinz, wie finden Sie's? Nicht wahr, ich sagte weniger, als Ihre Augen sahen?

GALBINO. Was Sie abgeschmackte Fragen tun.

DRULLO. Ich wollte nur hören, ob meine Beschreibung eingetroffen, ob Julios Braut das wäre –[1028]

GALBINO. Das wäre – Was denn nun?

DRULLO. Was alle sagen. Ob Sie Julio nicht für glücklich halten.

GALBINO. Julio, und abermal Julio.

DRULLO. Ich glaub, daß keine Solina in ganz Italien mehr ist.

GALBINO. Wohl möglich, Herr Graf.

DRULLO. Daß sie aber nun an diesem Julio allein den Spiegel ihrer Seele findt, wie sie sich ausdrückt, alle andern so klein ansieht –

GALBINO. Es ist närrisch, Drullo. Aber ich sag Ihnen, ist Ihrer einer würdig, so ist er's. Denn Julio –

DRULLO. Ist mehr als wir alle, meinen Sie.

GALBINO. So!

DRULLO. Wenn wir's uns einbilden. Wir! Ich red von uns gewöhnlichen Menschen.

GALBINO. Was hat Ihnen Julio getan?

DRULLO. Nichts, ich bin so sehr sein Freund, wie Sie, mein Prinz.

GALBINO. Ich versteh's. Drullo ist's gewiß, ungezweifelt ist, daß Julio –

DRULLO. Ihr Bräutigam ist. Nichts Gewissers!

GALBINO. Ich hätt's nie geglaubt, daß so was möglich wäre.

DRULLO. Was, mein Prinz?

GALBINO. Eine Donna Solina.

DRULLO. Drum glaubten Sie mir auch nicht, sahen's für ein Ideal an, in meinem Gehirn geboren.

GALBINO. Ich wollt, es wäre anders. Und doch wünscht ich mir solche Stunden. Drullo! was das für ein Weib ist! und was das für Gespenster sind, denen wir die Hände lecken, die wir mit Schmeicheleien ersticken, und knechtisch anbeten. Da seht nur, wie verblendet wir sind, wie arm an wahrem unterscheidendem Gefühl. Sie mußte erst kommen, uns zu zeigen, was das Weib ist.

DRULLO. Was ich dachte, was ich fürchtete, seh ich nun all. Sie hat Sie hingenommen. Und bat ich Sie nicht, Sie sollten sie meiden?

GALBINO. Ich trau mir's nicht ganz zu gestehen. Sie hat einen Blick – Den Teufel man fürcht sich zu sagen, ich liebe. Stolz und mit schwesterlicher Vertraulichkeit traten sie zusammen in Garten. Graf, verstehn Sie mich! Sie und die Herzogin. O wie mich das lächerte! und wie grimmig die Liebe in mir[1029] ward. – Sie gingen nach dem Wasserfall, kehrten zurück, und ich nahm in der Ferne wahr, daß Kornelia ihr ihr Leiden weinte. Denn sie wischte Tränen von der Herzogin Augen, und drückte sie an die ihrigen, mit einer Stellung, mit einer Teilnehmung – O hier wohnt Haß und Liebe! Sieh Drullo! und jetzt wirst du mich begreifen. Ich lauschte sie, als sie nach der Chaise gehn wollte, und redete sie an. O ich glaubte mein Blick wär fest. Ich sag Ihnen, sie sind selten die Donna Solina. Und was das verflucht ist, just was mich rasend macht, liegt mir im Weg.

DRULLO. Ihnen?

GALBINO. Drullo, wenn's eine Kamilla wäre, eine von den gewöhnlichen Mädchen, da ließ ich's gelten. Da geht ihr einige Tage um sie herum, erlangt so viel, daß euch kein Wunsch mehr übrigbleibt. Aber eine Solina, und ein Bräutigam der einen Jupiter vorstellt, und gut vorstellt, da ist's was anders.

DRULLO. Nicht weit davon Ixions Geschichte.

GALBINO. Ich glaub fast, dem ging's so, der sich ihr auf diese Art nahte. Ich kann's, kann's nicht begreifen, wo sie das Aug, den Blick, das alles herhat. Aus ihren Augen strahlt ein so heiliges, reines Feuer, solche übermenschliche Macht – Ich biß die Zähne zusammen für Gift, daß meine Sinnen so stumpf waren. Sie ist mir zu groß, ich mag's nicht zu denken wagen.

DRULLO. Ihr Jupiter!

GALBINO. Ich verbitt mir! –

DRULLO. Julio geht aus dem Cabinet. Kommen Sie wir wollen ihn hetzen. Ich hab einen Einfall, gelingt der nicht, gelingt keiner.


Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 1027-1030.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Wieland, Christoph Martin

Alceste. Ein Singspiel in fünf Aufzügen

Alceste. Ein Singspiel in fünf Aufzügen

Libretto zu der Oper von Anton Schweitzer, die 1773 in Weimar uraufgeführt wurde.

38 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon