Erste Szene


[1031] Palast.


PRINZ GALBINO tritt auf. Mir alles Zauber, unbegreiflich noch. Ich weiß nicht, wie's war, mag's nicht wissen, um die Zaubergemälde in der Verwirrung zu fühlen. Was tu ich? Hin zu ihr? Das wär's. Julio! Julio! – Geduld! und ich sage, nicht Geduld! Ich will deiner loswerden, dieser und aller. Und der Erinnerung –

BEDIENTER kommt. G.H. Graf Drullo, und der Herr Hofmarschall –

GALBINO. Laß sie kommen! Was das düster ist im ganzen Palast!

DRULLO UND LUDOVICO treten auf.

GALBINO. Nu was gafft ihr mich an? Was wundert euch?

DRULLO. Ich hab Sie nie so gesehen.

LUDOVICO. Ich sah in meinem Leben niemand so reiten.

GALBINO. Ha, mir galt's!

DRULLO. In Ihrem Gesicht malt sich's.

GALBINO. O ihr klugen Leute, daß ihr das sehn könnt! Könnt ihr mir helfen? Geht nur! ich möcht ewig nicht anders sein. Ihr versteht mich auch nicht. Mir fehlt ein junges, volles Herz dem ich's vertrauen könnte. Wenn sich eure Brust nicht hebt bei der Erzählung – ich möcht's euch einhauchen können. Halt Reiterin! Habt ihr noch keine Donna reiten sehn?

DRULLO. Hier nun wohl nicht.

GALBINO. Wie das ging? wie das war? wie war's denn? – Nur so was von Vorstellung. Wenn ich nur einmal aus dem Taumel wär, oder ewig drinnen lebte. Jedes Büschchen vor mir stünde, wo sie anstreifte, ich wollte es herzen. Wenn ich jeden Baum sähe, unter dessen hängenden Ästen sie sich beugte, den Waldgesang, alles, und sie!

DRULLO. Ich rate fast –

GALBINO. Nicht doch. Kein Wort! was wißt ihr? O daß es vorbei ist! was das dumm ist. Dort alles so herrlich, und so dämmerig jetzt, so gar ärgerlich. Mir fängt's an unerträglich zu werden. Begierden und Wünsche! wär der Augenblick noch, und ich könnte dann der raschlaufenden Zeit die Flügel abschneiden und ewigen Halt machen. Was wir nur sind? Für was wir sind? Da hab ich einen Augenblick, wo ich das volle Dasein[1031] fühl, eh man's wahrnimmt – husch weg! Das rauscht so unaufhaltsam dahin! Alles, und jetzt nichts! Könnt ich's vergessen! Ich muß über den Wunsch lachen.

DRULLO. Ich versteh kein Wort.


Ludovico geht nach der Galerie.


GALBINO. Nun denken Sie sich ... Wo fang ich an? – Recht! Ich ritt nach der Villa. Julio fuhr –

DRULLO. Und die Pisanerin mit?

GALBINO. Müssen Sie denn gleich auffangen, was ich nicht sagen mag?

DRULLO. Nu Prinz, wie Sie wollen.

GALBINO. Jetzt wie ich will.

DRULLO. So wunderlich träumte ich Ihre Liebe nicht.

GALBINO. Drullo ich weiß nicht, was das ist! Was für böse Laune mich plagt. Ich kann lachen, weinen, und giftig sein. Wenn ich euch alles sagen sollte, wenn ihr Männer wärt von Entschluß und Tat, mir die Hände reichtet, und mir das vor den Augen entferntet, mir das Bittre, Stechende, und Gehässige vom Herzen nähmet – Jetzt fällt mir wieder so allerlei ein! Und Drullo! sieh! Komm lieber Drullo, laß dich umarmen! es muß weg, wenn ich zu Ruhe kommen soll. – Ach ich dachte, die Liebe machte einen ganz anders. Das ist eine so hämische, würgende Bitterkeit, die mit dem süßen Gefühl wechselt, und sich untermischt – es läßt sich nicht sagen. Auf mir ruht Sauls böser Geist, und hat mich mit seinen garstigen, schwarzen Flügeln überdeckt; er treibt sein Spiel nach Gefallen mit mir; schwellt bald meine Adern, rennt bald im Taumel mit mir dahin, gibt mir dies und jens ein; lächelt und sieht grimmig, und nichts in der weiten Welt, wo ich mich anhalten kann! – Ach wer wird mich besänftigen und einschläfern durch liebliche, berauschende Harmonie?

DRULLO. Das soll Donna Solina. Ihre Reize mehr, als Saiten, und Stimme klang. Ich denk, in ihrer Gegenwart muß man Himmel, Erde, und sich selbst vergessen.

GALBINO. Still! ich mag sie von keinem loben hören.

DRULLO. Immer das Entgegengesetzte.

GALBINO. Hören Sie, wie's ging. Ich muß reden, und sollt ich's meiner Gemahlin erzählen. Auf der Villa trafen wir zusammen. Ich floh nach dem Garten. Da saßen nun alle die hohläugigten Gespenster von Weibern um die Königin der Liebe herum, die in Pracht, Größe, und Reizen schwamm. Mit[1032] einem Fingerwink schien sie alle die kleinen gehorsamen Weiberseelen zu beherrschen. Keine wagte zu reden, und öffnete sie auch die Lippen, sah sie erst nach der Göttin, biß sich dann in die Zunge und schwieg. Es war lächerlich anzusehen, wie die großen Dames ihr kleines Nichts fühlten und alle schwiegen, weil sie fühlten, man höre, sähe nichts, als ihre stolze Nachbarin. Meine ganze Seele haftete auf ihr. Und in dem Augenblick vergaß ich alles, was mich drängte und quälte. Da war kein Teilchen, keine Bewegung, so klein und unbedeutend sie sich denken läßt, das nicht vermögend gewesen wäre, einen zu bestricken. Ach wie wühlten meine Augen in dem Pracht! und mit welchem Gefühl! Oft vergaß ich mich, und meine Augen glitschten über den Busen zu den ihrigen hinauf, und dann – sieh! das war doch, als wenn plötzlich ein Wetterstrahl euch durch Augen und Seel fährt. Ihr verliert euer Bewußtsein, und eure Sinnen scheinen durch die plötzliche Feuerhelle eine Zeitlang stumpf geworden zu sein, es kostet euch Mühe, zu euch zu kommen. So war mir's und noch. Sie merkte es wohl. Denn wenn ich Zerschlagener nur den Augendeckel ein wenig in die Höhe zog, starrte sie mich an ... O was bin ich? Was bin ich?

DRULLO. Das ist wunderbar. Prinz! ich sag Ihnen, Sie sollen ihr in die Augen sehn, und daß – –

GALBINO. Ich versteh. Wär mir damit geholfen! wenn ich nicht wollte, daß sie das an mir fände ... Unterbrech mich nicht und hör. Es dauerte lang, bis sich die andre Weiber in die Alleen zu zerstreuen geruheten, sie ging mit. Und ich wär ihr nach, und hätt ihr – – Aber da lag mir Julio mit seiner großen Miene auf der Seele, und bannte mich, wie ein Kind.

DRULLO. Prinz! ich schwör, er sollte mich nicht bannen, und schwör Rache dafür!

GALBINO. O des Starken! Und ich sollte dadurch alles verderben? Ich kann Ihnen sagen, von diesem Augenblick haß ich ihn ärger – Ich seh Ihnen an, daß Sie mich verstehen. Und hier haben Sie meine Hand! in diesem Händedruck liegt ein Befehl –

DRULLO. Wo mir mit dran liegt ihn zu vollziehn.

GALBINO. Hören Sie aus! Ich schlich mich nach und nach weg. Die Donna? Wo ist sie? Wo ist die Donna? Und all die Affen, ich weiß nicht. O war ich rasend! Durch alle Gänge, durch alle Säle. Stoß auf meinen Kammerdiener, der mir[1033] sagte: Die Gräfin, die mit dem Staatsrat Julio herausgefahren wäre (der Kerl hatte meine Gnade verloren) sei in Hof gekommen, den Neapolitaner gesattelt stehn gesehn und gefragt, wem's Pferd zuhöre? Dem Prinzen. Geht beiseit, und sie mit ihrer Dame d'Honneur aufs Pferd zu. Er warnte sie, das Pferd sei wild, und da ihre Antwort: »Wenn der Geist wild ist, trägt einen ein wildes Pferd leichter, als man sich selbst.« Ludovico kommt langsam zurück. Ludovico! sind Sie denn Stein!

DRULLO. Weiter Prinz!

GALBINO. Er entfernte sich, doch so daß er alles sehn konnte. Sie gab dem Pferd gute Worte, streichelte seinen Nacken – Drullo, was mir das Pferd wert ist! –

DRULLO. Nun Prinz!

GALBINO. Schwung sich in ihrem Reitkleid auf, und wie der Blitz nach dem Wäldchen. Donner! ich hatte Flügel. Und nun denkt euch alle Zaubergemälde Ariosts von Angelika und all seinen irrenden Prinzessinnen zusammen, ihr habt nichts. Ha wie ihr seidnes Oberkleid durch die Winde segelte! Die Federbüsche auf dem Hut wehten, und die Göttin! Ich war auf jedes Lüftchen eifersüchtig, das so frei und los um sie spielte, Wangen und Busen küßte, und hebend durchs Gewand wühlte. Ich schlich mich durchs Gebüsch, geführt von himmlischer Melodie. Ich hielt nicht länger, durch und ihr in Zügel. Halt Reiterin!

DRULLO. Riefen Sie?

GALBINO. Noch einmal fallt mir nicht in die Rede. Die kleine Anwandlung des Schreckens bei ihr, die sich gleich wieder in Größe, und etwas Verdruß ausbildete, brachte mich völlig außer Fassung. Ich stammelte von Stallmeister – wie ich so glücklich wäre, ihr Pferd zu führen, wie entzückt ich wäre – ihr Blick unveränderlich.

DRULLO. Kein Wort?

GALBINO. Ich vermocht's nicht, eine Antwort zu kriegen. Die einzige große Güte, die mich hinriß, war, daß sie ein Ästchen brach, es teilte, auf ihren Hut steckte, und mir das andre reichte. Ich küßte es, und den Saum ihres Kleides. Ach mir war so wohl und grimmig bitter – und auf einmal der Gedanke mit meinem Hirschfänger das Pferd zu durchbohren, ins Gebüsch mit ihr – o ich! Das raste in mir! Durchtobte mir das Mark! ich hielt's nicht länger aus. Und eben da lenkt sie um. Jupiter Julio vor uns. Alles rutschte vor mir hin, wie ein Zauberschloß,[1034] wo alles durch einen Knall verschwindet. Schwarz fiel's nieder, und finster in mir und um mich! Und blutig steht's hier, und so soll's enden.

DRULLO. Julio nahm's.

GALBINO. Das acht ich nicht. Weg! weg und laßt mich.

DRULLO. Prinz die Geschichte ist alles wert. Wird Julio eifersüchtig, und setzt Zweifel in sie, haben Sie gewonnen. Ich will hin. Und hat ihn nicht das bloße Hofgeschwätz von Mätresse wütig gemacht?

GALBINO. Ha! gehn Sie! Ich brauch viele Stunde um zu mir zu kommen. Ludovico!


Ab.


DRULLO allein. Ha! ha! ha! Prinz Galbino Sie hätten's nicht besser machen können, und all ihr Verstellen, wird sie hier nicht helfen. Geht nur zusammen, ich ahnde euch, und euer Vorhaben. Wenn ich dem Spiel dieser Männer zuseh, und dem Spiel dieser Weiber, die sie doch am Ende noch berückten, wenn ich nicht wachte – – Man hat ja wohl eher gesehen, daß einer den Spaß so weit trieb, nachdem er die Leute auf die Spitze ihres Hoffens und Wünschens gebracht hatte, ihnen eine Scheidewand vorstellte, und sie so ganz höflich nach der Reih abfertigte. – Sie mein Prinz tun dies! und Sie Herr Hofmarschall dies! und Sie Herr Julio werden gehetzt, und zum Unsinn getrieben – so wären nun die Rollen ausgeteilt. Dann will ich wie ein Gott aus den Wolken hervortreten – Ha Donna Solina! was für Begierden regen sich in mir! Auf Sie wird gespielt, und Sie will ich davontragen, und Könige und Fürsten zu meinen Sklaven machen. Hm und des Poeten Blicke noch verkehrter machen! Kälte! und Feuer im Herzen!


Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 1031-1035.
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