Zweite Szene


[1035] Solinas Wohnung.

Voriges Zimmer.


JULIO tritt auf. Das Gered all, das Fragen all, das Blickestehlen all, die Vergöttrung, die Anbetung – wenn das fortdauert, mein Blut noch weiter zu vergiften, sie mir's fort abschlägt, mein zu sein – – – Ich fühl's, ich fühl's, mein Gang ist getan. Hier das Ende all der hohen Gedanken, die meine Brust aufschwellten. Nichts übrig, als der Dolch, der mir so nah am Herzen liegt. Immer tiefer! tiefer! tiefer! – ich will ihn herausreißen,[1035] und sollt ich mich verbluten. So fahrt denn wohl! ihr Götterflügel! und ihr mächtige Eingebungen! Fahrt wohl! ich dank euch ab. Komm kaltes Blut! stumpfer, matter Sinn! Verdräng den unbändigen Geist! Und hier schwör ich, rächen will ich's an ihm, so wahr ich in dem Augenblick noch Julio bin. Und dich rächen ermordeter Ämilius! – Ich will ihr zeigen, was ich bin, sie soll fühlen, daß ich schied.

PIRRO kommt. Gnädiger Herr!

JULIO. Ha!

PIRRO. Es ist ein blinder Mann draußen mit einem Jungen, der mit Gewalt will vorgelassen sein.

JULIO. Jetzt nicht.

PIRRO. Er bittet gar sehr der Alte.

JULIO. Blind sagst du?

PIRRO. An beiden Augen.

JULIO. Laß ihn kommen. Blind! der ist elend. Und doch möcht ich meine Augen mit seinen blinden eintauschen, das nicht mehr zu sehn. Tauber, stumpfer Sinn, blinde Augen, das wär nun meine Sache!

AMANTE führt den Paulo an einem Stock auf.

PAULO. Führ mich vor den Herrn!

JULIO. Gestalten des Tods und des Elends wer seid ihr? Ha wie der Anblick dieser Unglücklichen mich beugt!

AMANTE stellt Paulo vor Julio.

PAULO. Steh ich vor dem Herrn Staatsrat?

JULIO beiseite. Paulo und Amante! Und so verfallen und verstellt daß ich kaum meinen Augen trau. Ach und Sie sind's! Alter! was bringen Sie mir?

PAULO bückt sich. Ich hab ein wunderbares Gemäld.

JULIO. Das ich jetzt nicht sehen kann.

AMANTE stellt sich mit stillem gesenkten Blick vor Julio.

JULIO. Was ist diesem Jungen, Vater! Ich sah nie Leiden so tief und innerlich.

PAULO. Ein lieber, stiller Junge, der den Tod unablässig bittet, ihn zu seiner verstorbenen Liebe zu bringen. Er leitet meine finstre Tritte, ich alter Mann würde nicht fortkönnen ohne ihn.

JULIO. Wie gern sagte ich Gesellschaft für mich. – Wie sind Sie um Ihre Augen gekommen?

PAULO. Mein Kind hat sie mitgenommen.

JULIO erstarrt.[1036]

PAULO. Ich hatt ein gutes Kind – Wollen Sie mein Gemälde nicht sehn?

JULIO. Ich bin würklich jetzt nicht in der Fassung.

PAULO. Gib 's Gemälde Sohn! Sie kaufen's gewiß.

AMANTE stellt das Gemälde auf.

JULIO. Laura! – Paulo! Paulo!

PAULO. Sie kennen mich, Sie sind's. Ich preise dich, Gott, daß du meinen Augen das Licht nahmst, den Mörder meiner einzigen Liebe nicht zu sehn.

JULIO. So tot und heilig wie hier – meine Laura!

PAULO. Das ist unbarmherzig zu fragen. – Julio, sie starb, da du sie verließt. Und in den Freuden deines neuen Lebens kam nicht einmal das Gerücht zu dir? Kein Erinnern, kein Andenken, dir schlug das Herz nicht da sie verschied. Nur dir rief sie, weinte, rief – »Wo ist er? Ach komme er, daß ich ihn segne, liebe und sterbe.«

JULIO. Still Paulo! Deine Rache ist zu streng, das vor mein Gesicht zu bringen. Wendet sich nach dem Gemälde. Du bist's Laura! nun ein heiliger Engel! Dein Besuch macht's aus mit dir. Ich hatte dich oft vergessen. Aber wer dich nun vergißt, wer dich vergessen könnte! – Du lachst mich an! – Ha! und wie du den Schleier von den weinenden Augen nahmst, und sagtest – »Julio ich sterbe.« – Ich ging. O nicht mir diesen Blick, meine Liebe! – – So sanft, so gut, und so betrogen!

PAULO. Gefällt sie Ihnen so blaß und tot?

JULIO. Alter Vater still! Es würde dir gnügen, wenn du sehen könntest, was in mir vorgeht. Du hast dich gerächt. Nach dem Gemälde sehend. Hier hast du mich! sei Vater, und nimm alle Rache, ich halte dir still.

PAULO. Bewahre Gott! das Mädchen das Sie sahen, lehrte mich, Rache zu vergessen. Ich schenk sie Ihnen, wandle nach ihrem Grabe, und erzähl's ihr.

JULIO. Bleib hier!

PAULO. Bei dem Mörder meines Kinds?

JULIO. Du hast recht. Nimm dein Gemälde mit, ich hab genug gesehn.

PAULO. Julio! ihr letztes Wort war: »Vater keine Rache an dem süßen Betrüger!« Ihr letztes Wort du! und ihrem Vater kein Lebewohl. »O Julio!« rief sie einige Stunden vor ihrem Tod, »dort seh ich dich, dort liebe ich dich, wie reine Engel lieben, komme dir entgegen mit Gesang und Liebe. Dann wirst du[1037] deine Laura nicht mehr verlassen, und sie dich nie. Vater keine Rache! Daß mich Julio dort liebe! O Julio! ich lasse dich nie, ob du mich schon verläßt. Tod wie süß bist du, da du so freundlich bist, und meines Julios Bild nicht von meinen Augen scheuchst –«

JULIO. Paulo nicht weiter! Und bittet ihr Aug nicht noch vor mich? Keine Rache an mir! – und ich will das nicht Rache nennen, Paulo!

PAULO. Ich hielt's. Um meinem Schmerz Luft zu machen, malt ich sie, und ward blind.

JULIO. Du fluchst mir nicht, so ist's ärger. Meine Seele war verzweiflend, eh du kamst, und nun – Geh Alter! Dein Anblick ist zu erbärmlich und unglücklich. Ich tat das all! Geh! geh! um Gottes willen verlaß mich!

PAULO. Das Gemälde bleibt hier. Amante deinen Stock! – Julio! wir sehn uns wieder, denn werden meine Augen aufgetan sein.

JULIO. Du bist – o könnt ich sagen, du bist grausam! Faßt ihn an der Hand. Würdest du mir nicht vergeben, wenn du alles wüßtest!

PAULO. Sind das Ihre Tränen die meine Hand netzen?

JULIO. Paulo! ich wag's nicht zu bitten. Und Vater, du darfst nicht.

PAULO. Mach mich nicht weicher, mein Herz ist's zu sehr geworden. Gott steh dir bei!


Mit Amante ab.


JULIO nach einigem Schweigen. Nun ja! du bleibst hier, du bleibst bei mir, um mich die ganze Qual fühlen zu lassen. Du warst ein heilig, unschuldig Mädchen, und ich betrog dich. Du bleibst hier! Ich kann jetzt noch nicht weinen, du hast mich zu stark angegriffen. Aber diese Nacht, und alle Nächte will ich vor dir heulen und beten. Verzeihung nicht. Ach du würdest sie gewähren, du verziehst mir! – Du Engel! wär ich kein Sünder, ich wollte meine Tränen auf deine Augen weinen, mich tot an deinem Halse klagen, und Verzeihung erringen. Ach du würdest noch einmal erblassen, noch einmal sterben, wenn ich dich anhauchte. – Dein Vater will's vor Gott finden, meine Laura! Du Engel betest für mich! – Diese Nacht, meine Liebe! Stellt 's Gemälde um.

SOLINA tritt auf. Nu Signor! Sie werden jeden Tag artiger! nehmen zum Erstaunen zu in neuen Eigenschaften. Geht das immer so fort, daß man Sie aufsuchen muß! Wissen Sie mein Zimmer nicht mehr? Fast glaub ich, eine neue Laurette hat[1038] mir den Gefallen getan, ein Fädchen um ihr Herz zu knüpfen. Hab ich's getroffen?

JULIO. O gewiß! Einen Faden, der mich ins Grab ziehen wird.

SOLINA. Das wär bitter. Was hattest du für Besuch?

JULIO. Einen blinden Mann, den ich in guten Um ständen kannte, dem ich viel zugut getan hab, das er mir heut vergalt. Was hattest denn du für Staatsbesuch?

SOLINA. Graf Drullo.

JULIO. Den Herzenskomissionär des Fürsten?

SOLINA. Julio!

JULIO. Solina!

SOLINA. Dir stehn Tränen in den Augen, und siehst weich und wild? Was verzerrst du das Gesicht?

JULIO. Ha Donna! was ich gejagt werde, was ich mitgespielt werde – mein Verstand ist hin!

SOLINA. Ich hab etwas an dir gemerkt, das dich vor meinen Augen völlig heruntersetzt. Und wenn sich das Wesen nicht ändert, du den schwachen Alltagsmenschen so fortspielst, so leg dir den Gedanken in deine feige Seele –

JULIO. Nichts hör ich. Ich hab genug gehört.

SOLINA. Ha! so bin ich ganz Solina! Solina, wo warst du? deine Augen? dein Geist, daß du dich von einem Schwachen blenden ließt? – Ich wollte einem abgenutzten, philosophischen Herzen mehr Vertrauen, Unternehmen und Stärke eingehaucht haben, als dir fieberhaften, eingebildeten Schwärmer. Ich seh's Solina, es ist keiner für dich, du pflanzest es keinem ein. Alle Männer einem falschen Instrument gleich. Zieh Saiten auf, wie du willst, sie antworten dem angeschlagenen Ton nicht. Im Innern liegt's. Schnarr! Schnarr! da fällt's zusammen, was vor so harmonisch klang. Ha! der Junge spielte eine Komödie mit mir! Er hat den Plutarch im Fieber gelesen, nun glaubt er sich inspiriert. O du großer Mensch! Komm! leg die Maske ab! Verleugne dich nicht weiter! Wo ist der Julio, der mich sonst so gut verstund?

JULIO. Wenn man dich hört, dich anstarrt – Laß mich meiner Seel einen Eid schwören, es ist so! es ist so!

SOLINA. Was schwärmst du?

JULIO. Donna! ich wollte es nicht achten, wär's einer, vor dem sich Julio beugen müßte, und sein Übergewicht fühlte. Aber Pisanerin so ein Affe, der gegen mich ist, was deine Rosaura gegen dich. – Ein solches Weib? so groß! so göttlich! Einzig,[1039] und so fallen! kaum kann ich's denken, und doch entsetzlich wahr. Führt sie an den Spiegel. Ich bitt dich Solina! sieh in den Spiegel! sieh das Weib an! sieh die große Seele in diesem Weiberkopf! So ein Zug! so klein, und unsichtbar möcht ich sagen, du ihn wegschenktest, machte eine andre zur Juno.

SOLINA. Hast du ausdeklamiert?

JULIO. Nichts weiter!

SOLINA. Julio, ich hab nun genug gehört, dich zu unterscheiden. Du hast mich verkannt, das vertrag ich nicht. Denke des Ämilius, und was du zu tun hattest. Von heut dem Tag endet sich alles. Ich will nichts mehr von dir hören. Mich zu verdienen mußt du von neuem anfangen, und daran zweifle ich. Du hörst ich red leise und sanft mit dir. So trennen wir uns. Du bleibst der Phantast, und ich Donna Solina.

JULIO. Sagst du das?

SOLINA. Nichts weiter.

JULIO. Sieh hier das tote, treue Mädchen, dessen Seele an mir hing, und die ich verstieß. Stellt das Gemälde um. Dies Opfer bracht ich dir Solina, um heut verdammt zu sein auf ewig. Es ist Laura, über die du so oft lachtest. Ich wiederhole nichts. Der blinde Mann war ihr Vater.

SOLINA. Die Liebe zu dir war ihr Tod?

JULIO. Soll ich's noch einmal sagen?

SOLINA. Weg von mir! Alle Weiber sollten sich gegen dich verschwören, und dich martern. So ein Geschöpf! ein wahres Bild der Madonna an Güte und Unschuld. Du senkst das Haupt! Verzeih du Engel! ich tat dir Unrecht, ich versündigte mich an dir. Hätt ich dich gekannt, ich wollte diese heilige Lippen in ihrer Blüte geküßt haben; wollte dich schwesterlich an meine Brust gedrückt haben –

JULIO. Störe sie nicht!

SOLINA. Ich tät's? Julio, ich mag dir nicht antworten. Aber wagst du's anzusehen, oder gar anzurühren, ohne zu zittern und zu beben? Lächelt dir das unschuldige Mädchen nicht Verdammung in die Seele – – Julio! Julio![1040]

Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 1035-1041.
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