Letzte Szene


[1059] Staatsgefängnis.

Julio. Solina.


JULIO. Ich fühl's Solina, daß dieser Ort und Ruhe mit mir endet. O wär ich in vollem Feuer dem Ziel hinan, als ein rechtschaffner Kerl gestürzt, auch ohne es erreicht zu haben, und erreicht hätt ich's. Alles mit mir niedergerissen, und sich mein Geist über meiner Asche erhoben, fortgelebt zu künftigen Welten, dem seltnen Edlen das Bild des Erreichens; dem sein Herz geklopft hätte unablässig wie mir, da ich in meiner ersten Jugend vor den Großen auf den Knien lag und mein Geist sich überwuchs.

SOLINA. Und jetzt wo du alles sein könntest!

JULIO. Ha! da hängt's vor mir wie ein Teppich. Wie vor den Augen eines abgesetzten, kühnen Königs der seinen Nachbarn und Untertanen zu große Schritte machte. So ist's mit mir. Dieses Herz will unablässig getrieben sein. Wie soll ich mit dieser kalten, marternden Ruhe auskommen? Solina, was das ein Geschenk ist, Größe des Geistes, unternehmendes Herz, und unter solchen Menschen zu leben, durch sie hieher geworfen zu sein.

SOLINA. Und seinen Leidenschaften es abgewinnen.

JULIO. Daß wir aussehen wie gemeine Menschen.

SOLINA. Sagst du das?

JULIO. Ich schlag mir aufs Herz daß es schallt. Pack mich an daß das Blut nachläuft. Wie soll ich mit mir auskommen? Wenn ich ihrer denk!

SOLINA. Das sollst du nicht. Sie sind nicht wert daß wir uns einen Augenblick ihrer erinnern. Schreib fort wo du stehnbliebst.

JULIO. Was ist das? Leute handlen zu lassen und selbst untätig sein? Ist's nicht so als wenn man einen tapferen kriegshungrigen Soldaten einkerkerte die Taten seiner Nebenbuhler zu beschreiben. Solina, für uns ist Ruhe nicht gemacht.

SOLINA. Für keinen, Julio, als die Elenden, denen Wachen und Schlaf eins ist. Gott ist ewig tätig, hat sich währende Erhaltung, ewiges Treiben, Schaffen und Hauchen vorbehalten. Und wir die wir von ihm beseelt sind, begabt zu handlen, und würksam zu sein, uns doch das Blut durch die Adern schleicht, wie einem Ohnmächtigen – Julio! wenn ich dich anseh![1059]

JULIO. Und du gewahr wirst, wie all die bedeutende Züge meines Gesichts schwinden, samt dem Geist –

SOLINA. Und mein Gesicht sich so matt verwandelt, daß man's in ein Kloster aufstellen könnte –

JULIO. Nein so weit nicht. Daß läßt sich bei dir nicht tilgen. Du bist immer noch Solina! Dein Blick dringt noch durch und zwingt Seelen die Verbeugung ab. Wenn ich dich seh in deiner Göttlichkeit strahlen! seh zu was du bestimmt bist! was bestimmt? was du bist. Daß wir nun dahin gebracht sind, den Kampf mit uns selbst zu kämpfen und uns zugrund zu richten. Sich ausblasen sehen wie ein schwaches Lichtchen.

SOLINA. Ich bin Solina nicht, wenn du so sprichst. Widerrufe!

JULIO. Donna! Faßt sie an der Hand. Liebe, nimm Abschied von mir. Erwart das Ende nicht. Du siehst sie wollen mich martern durch Aufschub. Laß mich!

SOLINA. Dich lassen? Dich so lassen? Sagt dein Herz so?

JULIO. Ich bitt dich tu's. Ich vermut daß ich hier vergehen muß. Du hast lang genug mit mir in diesem Kerker gelitten. Deine Seele will und muß frei sein.

SOLINA. Ich verlaß dich nicht. Meine Liebe teilt mit dir. Weißt du wer meiner wartet?

JULIO. Ich fürchte keinen.

SOLINA. Brich ab! Wir sind frei, wir sind hier frei. Du leidest zwiefach ohne mich.

JULIO. Liebe! was das ein Gedanke ist so zu vergehn.

SOLINA. Hast du nicht eine Tat getan die dich krönt mit Lob der guten Menschheit? Was wollen die Sklaven?

JULIO. Erwart's nicht!

SOLINA. Wir sind groß genug das all nicht zu achten.

ABGEORDNETER tritt auf. Signor lesen Sie des Prinzen Willen!

JULIO. In zwei Stunden – Auf ein Schiff – Nach Amerika – Drullo – Eine Galeere doch? Ha, ha, ha! Empfehlen Sie mich dem Prinzen mein Herr, ich werde mich fertig halten.

ABGEORDNETER. Donna! der Prinz hofft Sie würden mir folgen.

SOLINA. Und ich hoff der Prinz wird die Gnad haben, mich in einer Stunde abholen zu lassen.


Abgeordneter ab.


JULIO liest noch einmal. Ha! ha! ha! herrlich ausgedacht, und sklavisch, ganz ihrer würdig. Nun Donna! laß mich allein!

SOLINA. Was sagst du?[1060]

JULIO. Lies nur! unsre Banden sind getrennt. Gott sei gedankt, daß du's mit solcher Standhaftigkeit liest. Ewiger Sklav! nicht weiter! – Laß mich Liebe!

SOLINA. Julio! Mein Julio!

JULIO. Denke nichts. Geh in Frieden. Ich hab mich aufgeopfert, durch meinen Eifer, durch meine Wärme. Ha ich möchte mit dem letzten Römer rufen: Unglückliche Tugend wie ward ich in deinem Dienst betrogen. Ich glaubte du wärest ein würkliches Wesen, und in diesem Glauben verband ich mich mit dir; aber heute seh ich, daß du nur ein eitler Name, ein Schatten, Raub, und Sklavin des Glücks bist. – Donna! laß mich dich noch einmal umarmen, und sie anbeten. Rette mich von diesem Zweifel, und dann geh – Geht auf und nieder. Ich hab noch zwei Stunden nach dem Ausspruch, laß mich nun! laß mich! –

SOLINA. Willst du's abwarten?

JULIO. Abwarten? Donna schau mir durch die Augen in die Seel! fühl was ich denk.

SOLINA. Ha Julio! daß du das bist! daß ich dich hier habe! Sieh mich an, und fühl wie einig wir sind.

JULIO. Bei der Hoheit des Menschen! wir sind die einzige Geschöpfe auf Gottes Boden.

SOLINA. Julio und eben deswegen die Erde unter unsre Füße. Wir sind würdig Gottes allmächtigen Atem in uns zu ziehen. Julio! mein Julio!

JULIO faßt sie an der Hand. Was läuft dir durch die Adern? Du weinst – meine Solina!

SOLINA. Für Freude, daß ich dich würdig seh mit mir zu sterben. Armer, lieber Narr! Du glaubtest ich könnte dich lassen!

JULIO. Meine Donna!

SOLINA. Unaussprechlich ist's was mir durch die Seele fährt. Julio ich steh über der Schöpfung – Gott im Himmel sei Dank! daß du mir die Stunde des Muts geschenkt hast, mich rein zu erhalten, und dir meine Seele unbefleckt zu überliefern.

JULIO kniet sich vor sie. Und du unaussprechliches Wesen, das du den Augenblick den Göttern mehr verwandt bist als den Menschen, hier nimm meinen letzten, heißen Dank, daß du deine Augen auf mich gerichtet hast, meine Seele verstundest, und so mit mir endest. Du durftest kaum meinen Geist berühren und er begriff den deinen. In mir und dir bildete sich kein Gedanken, kein Wollen, das nicht gleich einstimmig in uns[1061] beiden geboren ward ... Laß uns ewig so sein, laß mich dir wert sein in dieser Stunde!

SOLINA. Steh auf! Steh auf! Laß dich umfassen! laß dich lieben! Laß dich mit diesem Kuß entzünden! Denke des ersten! Denke was unsre Liebe war! Küßt ihn. Rein war sie, wie keine Liebe hier.

JULIO. So sei unsre Liebe noch einmal unbefangen. Das ist weggewischt was mich nicht schlafen ließ, was mich nicht wachen ließ. Ohnegleichen liebte ich dich von der ersten Sekunde. Aber seither! in der wärmsten Umfassung, in den heißten Begegnungen unsrer Seelen, da fiel das auf mich –

SOLINA. Dank! daß das all so war. Drum warst du Julio! Was wollten wir auch zusammen machen. Diese Empfindungen mußten dem Geist aufhelfen, und so zu ewigem Gefühl werden.

JULIO. Daß wir's sind! daß wir uns alles sind! daß darauf nichts ankommt es auch für andern zu sein und zu scheinen.

SOLINA. So mein ich's. Das allein ist daurende Unsterblichkeit in mir und dir. Das machte mich dein von Anfang. Ich sah Julio, daß eigne Größe dein Teil war, wenn du nur wolltest. Und daß nicht Neid, Eifersucht, schale Eitelkeit dich hinriß nachzuklettern. Bewußtsein Ich kann's, ich bin's, dies verschaffte dir Solinas Liebe und das Glück mit ihr zu enden. Getrennt kann keins von uns leben!

JULIO. Wie könnte eins ohne das andre diesen Geist herumtragen? Laß uns enden! laß uns ihnen den Rücken wenden und uns mit der Quelle unsers Wesens vereinigen. Ha wie alles an mir strebt aufzufliegen, und abzuwerfen! wie meine Seele zittert auf den Lippen voll des heißen Verlangens!

SOLINA. Ah so faß denn noch einmal alles in deinem Herzen zusammen und laß das Entzücken an meinem Halse zu hangen noch einmal durch deine Adern dringen – Fühle die Gottheit wie ich!

JULIO. Ich fühl alles so, vom Herzen bricht mir das Wort. Ich hab ausgeredet.

SOLINA. Ohne aufzuhören, denn jetzt bist du erst.

JULIO. Alles, große Liebe!

SOLINA. Alle meine Anstalten sind gemacht, meine Sachen an meinen Bruder geschickt, so bereitet war ich. Hast du noch was?

JULIO. Ich hab Pirro zur Herzogin geschickt, wenn sie ihn haben[1062] weggelassen. Gott segne sie, und helfe ihr aus. – Ich war bereitet Donna!

SOLINA. Da könnte man sich noch einmal freuen; aber Ende muß sein. Zieht einen Dolch hervor. Diesen Freund kennst du? Schreckt er dich?

JULIO. Laß mich ihn küssen.


Küßt ihn.


SOLINA. Und mich. Küßt ihn gleichfalls. Ganz mein Julio!

JULIO. Ganz dein!

SOLINA. Denke an Laura!

JULIO. Ihr Geist umschwebt uns.

SOLINA. Umfaß mich! Umfaß mich! Zieh ihn aus meinem Herzen, wenn ich meiner Seele Flügel gegeben habe. Noch eins! wenn du den Dolch aus meiner Brust ziehst, ihn mit meinem Blut geschmückt in die deinige stößt, und ich werde im Ermatten des Tods, Zuckung und Kampf mit der Liebe zum Leben auf deinem Gesichte gewahr, will ich noch einmal dem Tode trotzen, und Erröten in deinem schönsten Augenblick auf deine Wangen ziehen. Umfaß! Umfaß mich! du siehst stark! Lebe wohl! dein Geist umschlinge den meinen.


Umfassen sich.


JULIO. Kein Lebewohl, wir bleiben beisammen. Ich halte dich wie ich dich jetzt umfaß. Umschlungen unsre Seelen! Bin ich gefangen?

SOLINA. Umschling mich, unsre Seelen sind eine. Stößt sich den Dolch in die Brust, reicht ihn dem Julio. Mein Julio! er schmerzt nicht!

JULIO besieht ihn. Heilig! Reines Blut. Durchstößt sich. Wohl! Wohl mir! Ich trink Leben aus deinen Augen.


Sinken zusammen.


SOLINA. Schön! Herrlich!

Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 1059-1063.
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