Zweite Szene


[1073] Civitad Valladolid in Castilla Veja. Saal im Palast. Einbrechende Dämmerung.

Rat Curio tritt wankend auf.


CURIO. Ach du Allmächtige! Ich wollt daß es gedonnert und gewittert hätte vom frühsten Morgen bis zur Mitternacht. Aber bei diesem Wetter mit ihr spazierenzugehn, wo Himmel und die ganze Natur sich frech beeiferten ihrem Reiz zu entsprechen, und sich keck mit ihrer Pracht in Kampf einzulassen. – Ach du Allmächtige! du! wenn sie einem ansieht, daß man verkehrt steht, und weggetragen wird, wie vom Sturmwind ein dürres Blättchen, und flattert, flattert überlassen all den Elementen. Infantin! warum nicht den Staub küssen, wo du aufgetreten bist mit deinen Silberfüßchen – mit – Oh! Oh! Oh! ich liege gestreckt auf dem Boden, winde mich wie die verwundete Schlange. Allmächtige! daß ich noch um dich wankte, daß ich noch in der Phantasie – – Stürzt vor sich. ich schlief am besten hier, ich schlief am besten den ewigen Schlaf, oder in deinen weißen Armen. Infantin!


Infantin und Lilla in der Ferne, haben ihn belauscht,

und lachen zusammen.
[1073]

INFANTIN tritt näher, Lilla hält sich ferne. O Curio! Curio! gelehrter Curio! ich fürcht, Ihr könnt diese Nacht nicht an Eurem dicken Buch schreiben. Was ist Euch? Ihr seht mich an wie die Eule die Sonne.

CURIO. Recht wie die Eule die Sonne. Ich bin blind, ohne Sehkraft, und doch wirkt Ihr so gewaltig auf mich. Eure Reize schwimmen vor mir – O Allmächtige. Ihr habt mich geblendet, und habt mir dieses Herz gelassen, habt mir diesen Spiegel gelassen –

INFANTIN. Nun nimm sich der Himmel deiner und all meiner närrischen Liebhaber an! Du bist wahrlich der Hingerichteste. Zu ihm. Seit wenn ist Euch denn so worden, Curio! Ich begreif Euch nicht.

CURIO faßt ihre Hand. Ach das ist eine Hand! dies ein Reiz! das eine Seligkeit – ja wer diese Hand hätte, diese Reize sein nennte; diese! diese! Infantin! – O Nebel! Nebel! nimm von neuem meinen Geist gefangen, überdünste meine Augen Gelehrsamkeit; oder gib! gib! ich habe alles gefunden: Fragtet Ihr nicht?

INFANTIN. Ich will die Infantin vergessen und mir einen Spaß machen. Soll ich mit seinem Leiden spielen. Zu ihm. Kennt Ihr Kastiliens Infantin?

CURIO. Reizende Liebesgöttin! Ihr tragt ihr Bild! Dieses sind die schimmernde Augen, die Tiger und Löwen in Staub legen. Dieses sind die Locken, die Götter vom Himmel ziehen. Und dieses ihre Wangen, wofür das Morgenrot erschrickt, sich hinter die Wolken versteckt, um nicht vergessen zu werden.

INFANTIN dazwischen. Hoher, poetischer Narr, dein Fall ist desto tiefer. Lilla lachend und durch Zeichen mit der Infantin redend.

CURIO immer fortfahrend. Dieser Hals, wer kann's begreifen? wessen Seele spricht's? – Ich kenne die Infantin, weiß nicht was Kennen heißt; aber wenn das Kennen ist, daß mir das Herz die Brust zerschlägt, das – o ich bin närrisch worden, ich bin rasend worden, bin gescheit worden, bin wieder närrisch worden, bin bezaubert, und fühl mich an: Ist das Fleisch und Bein? O Infantin! Infantin! wenn ich was von Euch hätte, ein Band, einen Pantoffel, oder so was, ich ging in die Hölle. Ich trug der Infantin Sonnenschirm, ich bin mit der Infantin spazierengefahren, bin mit der Infantin im Hain gesessen, und bin ein Gott worden.[1074]

INFANTIN. Und habt der Infantin Handschuh gestohlen, und die Infantin zürnt Euch.

CURIO. So schlage nieder, mächtiger Donner!


Sinkt bei ihr nieder.


INFANTIN. Der wird seine Staatsgeschäfte gut besorgen. Ich muß den Menschen kurieren, das Ding wird mir zu ernst, und doch des Spaß und meiner Lilla wegen. – Curio!

CURIO. Ich lebe, Ihr vergebt mir?

INFANTIN. Ich vergebe Euch. – Habt Ihr schon vergessen?

CURIO erschrocken. O Himmel!

INFANTIN. Ihr verspracht mir Liebeslieder von Poeten, die keine Mädchen hätten, und doch schön wären; die die Welt betrogen mit ihren gemachten Liedern. Verspracht mir Mondscheinslieder, am heißen Mittag in den Hundstagen gereimt, denen man die saure Müh anfühlt. Verspracht mir melancholische Lieder auf den Tod einer eingebildeten Geliebten, die der dürftige Poet nach Gefallen erweckte, je nachdem's ihm aus der Feder fiel. War's nicht so, daß er sie jetzt traurig ins Grab senken sah, es mit Zypressen bestreute und kläglich wimmerte? Bald wieder sie unter den Bäumen wandeln sah, sich mit ihr in die Mondscheinslaube setzte, und Tränen vergoß, daß der Mond so schön sei?

CURIO. Ja deren gibt's viel. Ach Ihr habt Poeten gemacht, alle Welt wird Poet für Euch.

INFANTIN. Sie haben meine Person usurpiert, und der König soll ihnen das Handwerk legen.

CURIO. Ach ich habe gelebt!


Sieht sie verwildert an.


INFANTIN. Um ein Narr zu werden. Wenn Ihr wieder gescheit seid, so kommt zu mir. Ihr sprecht viel und seid gelehrt.

CURIO es zuckt an ihm. Wo fasse ich? Wo halte ich? So vor ihr – und nicht – nicht – nicht – O Allmacht! und nicht –

INFANTIN. Schreibt ein Buch, ein Liebesbuch, schreibt Eure Liebe aus. Die Gelehrten sollen's beurteilen und die Weibsleute. Wenn Ihr denn noch verliebt seid –

CURIO. O meine Augen! o meine Sinnen! Ihre Hand fassend und weinend. Infantin! Ach Gnade und Mitleid.

INFANTIN. Ist ein Geschenk. Gebt Eure Liebe von Euch und macht Verse. Eure Geliebte nimmt's gut auf, dafür steh ich. Es ist doch immer besser als Kalenderlektüre. So behüt Euch der Himmel! Verschlaft den Rausch und schickt der Infantin die Handschuh, und sie schickt Euch einen Prinzessenpantoffel.[1075] Und eine Ode auf einen Pantoffel ist ein hübsches Stück Arbeit. Addio!


Zu Lilla.


CURIO. War's Spott? Lacht sie über meine Pein? Wo halt ich? Wo faß ich? – Ach! ich mein, ich wollte dem Adler zur Sonne nach, hätte Flügel und Sehnkraft – O weh! o weh! sie lähmt mich, sie zaubert mich, ich kann nicht von der Stelle. Ich will zu Bastiano. Taumelt. Der ist grimmig vielleicht und leidet mich denn. Ha du Allmacht! du Infantin, du! – ja deine Handschuh! ja Curio! du bist's, und bist's nicht. Wankt ab.


Infantin und Lilla treten hervor.


LILLA. Hi! hi! Ich meine, ich müßte sterben für Lachen. Kind! Kind!

INFANTIN. In des Menschen Seele geht eine neugefühlte Welt auf, die er nicht fassen nicht begreifen kann, und in dem neuen Gefühl taumelt er betrunken.

LILLA. Lach nur! o Infantin! sein Gehirn! du hast ihm das Gehirn verwüstet, den ganzen Menschen verwüstet! Was werden wir Freude an ihm haben! Sahst du ihn recht, wie er dahintaumelte? Hättest du mich nur werfen lassen, ich holte eben Nüsse bei Cöcilien: O Curio! Curio! O Infantin! O Allmacht! Jetzt wird er dich mit seinen Romanenprinzessinnen vergleichen, denn vergleichen ist ihre Sache. Was fangen wir für Possen an? Du siehst ja so ernst!

INFANTIN. Liebchen, das Spiel freut mich nicht mehr.

LILLA. Geh doch, werde lieber empfindsam und melancholisch. Kommt die Nacht kein Ständchen? Mich sollte doch wundern, wenn Curio nicht auch mit einer Gitarre und einem weinerlichen Liedchen unter deinem Fenster herummaunzte. Wie necken wir ihn? Kind! Kind! liebes Kind!

INFANTIN. Ich weiß nicht, ich versteh mich nicht mehr. Den Augenblick treibt mich's zur Ausgelassenheit, und wenn ich auf dem Punkt steh – was wollt ich mit diesem Curio umgesprungen sein zu anderer Zeit – Ha! Ha! hi! komm Kind!

LILLA. Und denk, der Grisaldo soll recht verliebt sein in die Heidin Almerine, die soll eine gar schöne Prinzessin sein? Eine Heidin? Wie die nur schön sein kann, und wie man sich in die nur verlieben kann? Und er liebt sie doch gewiß.

INFANTIN. Heiliger Gott!

LILLA. Heiliger Gott!

INFANTIN. Was ist's?[1076]

LILLA. Ein Echo, das von Herzen ging. Es sind ja viel schöne Donne in Kastilien.

INFANTIN. Lilla, laß uns Kindereien treiben. Wie empfangen wir den General? Ich denk wir flechten ihm Blumenkränze und Blumenketten über Schild und Helm –

LILLA. Über Herz und Seel. Red aus, Kind! Flora steh uns bei! Wir meinen's beide gut.


Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 1073-1077.
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