Dritte Szene


[1077] Bergschloß Xeneralifa. Eine Grotte, dunkles Gebüsch und dichte Bäume.

Der Mondschein schimmert durch.

Grisaldo und Almerine am Eingang der Grotte einander umschlingend.


ALMERINE. Lieblicher! sieh den Sternhimmel! fühl den Sang, das Wehen der anmutigen Winde durch meine Büsche, und tritt nah mit deinem Herzen all diesen lebenden Dingen um dich – Überall ewige, dauernde, erhaltende Liebe. Ist's nicht so?

GRISALDO. Almerine, es ist so, und ich bin so, insofern ich kann. Ich hab dir eröffnet, wie ich bin, sein muß, es gnügte dir, und ich ward dir lieber.

ALMERINE. Nun ja! um deinetwillen lieb ich dich, und bring mich nicht in Anschlag.

GRISALDO. Liebe!

ALMERINE. Und doch! – Schönster Sterblicher, kannst du Xeneralifens Grotte vergessen? Ich seh dich ferne über Berg und Wald. Ferne? Was ist das nun? – Tritt herein und ahnde! Hör das leise Murmlen meiner Quelle, das liebliche Rascheln meiner Bäume! Ahndest du nicht die Seufzer, die den lieblichen Einklang in Trauertöne wandeln? O all meine Blumen! Wie oft kamst du herein am Morgen, sie blinkten dir entgegen im Tau des Himmels, und ich betaute deine Wangen mit willkommnen Liebestränen – Und sie nun beladen mit Tränen der Verlaßnen.

GRISALDO. Willst du mich ganz verstimmen, heute noch? Solltest du?

ALMERINE. Kastilier! Du hast meinen Blick stolz gemacht, hast ihn zur Sonne gewöhnt. Ich trank aus diesen schwarzen, großen, jagenden Augen stolzen Geist, und ach! trank so willig[1077] mit offnem Aug und Herz die süße, verzehrende, flammende Liebesstrahlen, daß es zitterte in mir, ich mich halten mußte an dich, um nicht zu vergehen in der Allgewalt.

GRISALDO. Und ich konnte dir nichts mitteilen von diesem Mut, der mich belebt, nichts von diesem Dulden? Ich hab das all in meiner Brust, und mußt mich reißen lassen von deinem Hals weg, hielt's unmöglich, und mußte reiten, wachen, schaffen und streiten Tag und Nacht, in Hoffnung, es kehre noch so eine Stunde.

ALMERINE. Ja, ich glaubte, ich hätte es. Wie sucht ich nicht alles von dir zu stehlen, und es in dieses Herz zu verpflanzen, daß es veredelt würde. Ich weiß nicht, Kastilier, wir maurische Mädchen lieben so ganz anders, so ganz ohne Vorbehalt. O unser Blut und Herz! das hält alles so treu und heiß! das all ist anders! – So an dir hängen, so um dich sein, so in dir leben – daß doch mein ganzes Leben von dir abhängt? Daß ich doch so nichts für mich übrig hielt? So alles, so sich ganz hingeben, und sich freuen, und immer mehr Liebe haben. Ach! daß wir zittern, leben, sterben, hoffen, sind in Kraft und Mut, in uns schaffen tausend reizende Liebeswelten, wie nur euer Blick will. Wie oft stund ich da über der Sonne, hatte die leuchtende Sterne, verlor mich im Zauber, floß in Liebe hin. Sieh meine Seele? Hab ich sie? Und wiegt sie sich nicht in diesen Augen? Und ich? Daß das meine Sinnen so gefangen hat, mein Herz so überdrückt, meine Sprache so beklemmt – Scheiden? Und jetzt noch in mich ziehen deinen Atem, und alles um dich so mein ist, und alles so mit dir verschwinden soll – Scheiden?

GRISALDO. Siehst mich hier eingewurzelt vor dir! Meine Seele glühend, fahrend in dein Aug! Brennend meine Lefzen! Stotternd meine Zunge! Vergehend und wirbelnd meine Sinnen! – Almerine! Und ich muß fort! Muß aufopfern dies und das! Muß hingeben alle Welt, alles, was lieb ist in der Welt! Muß hingeben mich! darf nichts denken, nichts fühlen, nichts wissen –

ALMERINE. O du! umfasse mich in all deiner Stärke! Gib mir Kraft, Liebe und Leben zu tragen! – der aufgejagte Hirsch soll mich nicht überlaufen.

GRISALDO. Wie meinst du das?

ALMERINE. Versteh es nicht! Und sollst es nicht verstehen. Wie könnt ich dir erklären die Entschlüsse, die Gedanken und[1078] Wünsche, die die Liebe in eines Mädchen Busen schafft? Sind sie nicht all so eigen, so süß wirrend, so feurig, schnell und tätig, und peinigend wie die Liebe selbst? – Nun dann, ich denke, du mußt mich verlassen, du sagst, du mußt, und nur was Grisaldo sagt, hört seine Almerine.

GRISALDO. Wenn ich Grisaldo bleiben soll. Und was wär ich, wenn ich mit meinem Degen, meinem Geist und mich in die Waffenkammer gefangen legte?

ALMERINE. Ich an diesem Liebesort allein? Wenn ich hier saß ohne dich, auffuhr aus diesen einsamen Büschen, in wachsender, herzüberquellender Liebe, mit all den heißen Blicken zum Himmel, zu haschen den schnellen Lichtstrahl, mich wand, hinauf, ich ihn hatte, mich vereinigte mit ihm, und so dich umzitterte – Und da war noch Hoffnung. Du kamst und sprangst leicht über schroffen Felsen, diese Augen überglänzten die Sterne in Liebeslicht. Ich war unvermögend in deinen Armen, wußte nicht, ist's Tod, ist's Leben der Augenblick. Sinkt an seine Brust. Wachte auf, hatte dich, und ich habe dich! Dich Unbenannter! Dich! und halte dich mir!

GRISALDO in seinem Geiste kämpfend.

ALMERINE. Rede, Grisaldo! Deine Stimme wird bleiben. Alles ist mir gut hier, und behält den Laut deiner Stimme, den Gang deines Atems. Werden mir's wieder geben, wenn du weg bist. Es wird sein, alles wird nichts sein, du wirst allem mangeln. Ich stehe hier dann am sprudelnden Quell, verliere mich in der Tiefe, ziehe heraus aus dem Dunkel dein Bild, deine Gestalt, Liebe – Schönlockigter! Herrlicher! Lieber!

GRISALDO. Weib! ich stehe auf dem Punkte zu scheitern. Und drängt sich auf in meinem Herzen voriger Mut, und verliert sich vor der Liebe. Ich steh auf dem hohen Gipfel meiner Selbstständigkeit, und ziehst mich herunter. Ha! So soll ich hier enden? An deinem Busen enden? Reize des Weibes! daß ihr allein mich so hinstreckt! Mich vergessen macht, daß ich bin, warum ich bin, und meine Stärke mit mir in unzerreißbaren Fesseln schlagt. Almerine! Du warst das Weib nicht, das mich zugrund richten sollte, du bist's noch nicht. Kehre wieder! Sei nicht die Klagende! Auf dein Geist und hilf mir mit auf! Ich stehe vor dir und treibe auf in mir alle Erhaltung.

ALMERINE. Du hast mich angehaucht mit ewiger, nie versiegender Liebe. Hast mir geschenkt das Licht deiner Augen, ich verlor mich drin, und suche mich. Wie wenn du scheidest? – Scheiden? [1079] Ihre aufgebundene Haare fallen über ihre Schultern hinab; nimmt Grisaldos Helm ab, seine Haare fallen gleichfalls hinab, sie faßt sie, verwirret und verschlinget sie mit den ihrigen in Knoten. Hab ich dich, Unaufzuhaltender! Und bist mein! Wind dich los, Stärkster der Menschen! Zerreiße die Liebesketten, du Mächtiger! Heere fliehen vor dir, trenne!

GRISALDO nach seinem Degen greifend.

ALMERINE. So, Grisaldo! Trenne! Zerreiße!

GRISALDO. Zauberin! brich mich zusammen! brich meiner Stärke die Spitze ab! Ich atme schwach, schwächer, bin schon nichts mehr. Wirft den Degen weg. Ich wankte und bin ein Knabe worden vor dir, hier hast du den Knaben. Mein Leben, meine Bestimmung hört hier auf. Ich bestund in der Stärke, womit mich Gott für allen Menschen ausrüstete, die Seinen zu schützen. Zauberin, brauche nun all deine Macht! Ich durfte mich keinem Weibe ganz geben, und gab mich dir. Bin verschlungen in den Ringeln der Liebe, und zehre den Grisaldo auf. Laß mich los, ich steige auf Xeneralifens Spitze, schreie in Granadas Ebene, Grisaldo ist gefallen. Steiget herauf, ihr Maurer, er zerreißt eure Ketten nicht mehr, Grisaldo liegt in stärkern Ketten. O mein Vaterland! o mein König!

ALMERINE windt sich schluchzend los. Nimmt seinen Degen, überreicht ihn ihm, und heitert sich auf. Sieger meines Volks! Sieger über mich und meinen Schmerz! Nimm deinen Degen! Das Weib soll den Helden erhitzen und nicht schwächen. Du scheidest! Grisaldo, kann die Liebe mit dir von mir scheiden? Du bist und wirst sein wie meine Liebe. Dieses Herz ist gestärkt auf ewig in Liebe, so fern du bist.

GRISALDO an ihrem Hals. Grisaldos Geliebte unter deinem Geschlecht!

Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 1077-1080.
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