Erste Szene


[1080] Civitad Valladolid in Castilla Veja.

Don Bastiano in einem düstern Zimmer. In bissigem Gefühl auf und ab gehend.


BASTIANO. O Welt! ich mein, ich müßte den Knoten kriegen, womit dieses große All befestiget ist, und auflösen, daß es Ende nähme. Ich säh nichts lieber, als Ende der Dinge. Was will das[1080] Träumen, das Sehnen, Streben und Wünschen? Wie, Mensch! hast du nichts und zerbeißest deine innere Konsistenz? Was sind des Menschen Kräfte? Wo reichen des Menschen Kräfte? O so treibe und halte zusammen! Geh denn aus dir, Bastiano! und bring den Gedanken zur Wirklichkeit! Faß deine Welt, Bastiano! Was nutzt sie dir so? Kennst du dich, und weißt, was dir gegeben ist für Tausenden? O Grimm! Grimm! du könntest eine Welt aufzehren, und zehrst dich auf! O König! O Grisaldo! Laß mich sie im Geiste peitschen und zernichten. He! wie schändest du dich, Bastiano!

DON FERNANDO sein Vater, tritt furchtsam auf. Hast du einen guten Augenblick, Bastianchen?

BASTIANO. Ich leb in der Hölle, Alter! die Teufel reiten mich, und ich die Teufel in die Wette. Herrliche Augenblicke, im innern Feuer badend!

FERNANDO. Geh doch einmal aus deinem Loch. Du sitzest schon wieder Monate verschlossen. Was kann da herauskommen als Unbändigkeit und grasse Gedanken.

BASTIANO. Mein Labsal, Alter!

FERNANDO. Ich bitt dich, steig herunter aus deiner finstern Kammer, komm ans Licht, und laß deinen Humor von Wein und Musik besiegen. Pack den Teufel, der in dir haust, du bist stark, Bastian!

BASTIANO. Bastiano ist in sich selbst gefahren.

FERNANDO. Ich kann's nicht mehr ansehen.

BASTIANO. Was wollt ihr Menschen von mir? Was bin ich euch schuldig, daß ihr mich verfolgt? Ich hab noch keinen meiner eignen Wünsche befriedigen können. Wie häng ich an euch? Ihr seid mir nichts, ich bin mir nichts, und mich knüpft kein Band, und soll nie. Schert mich nicht! Ich hab Verzicht aufs Menschengeschlecht getan, das wißt ihr.

FERNANDO. Schrecklicher! Dein Teufel würgt mich.

BASTIANO. Ich bin allein in der Welt, bin für mich in der Welt. Geh alles zugrund! Ach verderben! verderben sehn! O meine Galle schüttle dich – Verderben! – Was quält ihr Menschen einander! Was quält ihr mich, der euch Ruhe laß!

FERNANDO. Ich bin ein schlechter, einfältiger Mensch, Bastiano, und begreif nichts. Kann nicht wissen, ob der Mensch so weit von seinen Brüdern absteht, und abstehen darf. Aber ich bin dein Vater, und fühl nur, daß mir's das Herz zerreißt, zu sehen, daß du dich mit Schimären zernichtest.[1081]

BASTIANO. Brav! Schimären! Beim Teufel, ich weiß nicht, wie Ihr dazu kommen seid, mein Vater zu sein. Ha! Alter! meine Gebeine zerfließen in einem Bewußtsein, wofür deine Seele keine Empfängnis hat, und bin nichts. Stürze zu Boden hier, und sporn zu Boden mich. Du allgewaltiges Feuer, daß du mit solchem Toben in mir kochst, jede Nerven springen machst, und jeden Pulsschlag in einen Dolchstich verwandelst! Wenn ich nachts hier herumgeh in meinen Ideen, an meinen Finger beiß, und seh! und seh!

FERNANDO. Was willst du denn? Sprich! Gut und Geld ist da, so viel einer im kastilischen Reich nur haben mag. Nimm Besitz von all denen Gütern, die ich hab. Laß mich dich ruhig sehn, du bist nach dem König der Reichste!

BASTIANO schließt seine Gold- und Prachtschränke auf. Hier steh ich vor Gold und Pracht. Spricht's zu mir? Gibt's einer meiner Ideen Zufriedenheit? Dreck! Tragt's in Pisuerga. Ich bin Bastiano wie vor, und Bastianos Geist hält's hiermit nicht.

FERNANDO. Was begehrst du? Du hast alle Ansprüche auf Ehrenstellen durch deine eigne Schuld verloren. In Krieg magst du nicht, weil du niemand vor dir leiden kannst. Lernen wolltest du auch nie was, weißt und kannst nichts, womit du andere ausstechen könntest. Ich muß von der Leber weg reden, Don!

BASTIANO. Vorwürfe? Was nennt Ihr lernen? Ich hab mit Vorsatz nichts gelernt, um vor meinen eignen Augen ganz zu werden. Ha! Und was wollt Ihr? Ihr! der schwächste Mensch in Kastilien, der Ihr auf vieles Gold trotzt. Ihr stundet auf dem Punkt, Kastiliens König zu werden, und Weiber betrogen Euch, und gaben Euch Küsse. Ich muß von der Leber weg reden, Don! Ihr zittertet in Unvermögen vor der Krone, ließt sie Euch aus den Händen stehlen, damit ich sie suchen soll mit Gift und Verderben. Ich will sie nun, weil sie schwer zu haben ist. Wie seid Ihr dazu kommen, mein Vater zu sein? Ich seh so vieles ein, und kann das nicht einsehen.

FERNANDO bedeckt seine Augen. Fluch Gottes! du triffst mich ganz, dachte meinen Kindern eine Wohltat zu. Sinkt zurück.

BASTIANO. Ich hab Euch die Qual noch nicht den tausendsten Teil vergolten, die Ihr mir bereitet habt. Ich will's Euch entlassen, so laßt mich nun!

FERNANDO. Du hast mein Leben gefangen, Schrecklicher! fang mit mir an was du willst. Ich werde Giftmischer auf dein Geheiß,[1082] um dich nur einen Tag mit mir zufrieden zu sehn; um nur einen Tag zu fühlen, daß ich einen Sohn hab.

BASTIANO. Ich brauch Eurer nicht, und keines.

FERNANDO. O Bastiano! Meine Haare sind vor der Zeit grau worden um dich.

BASTIANO. Und mein Gesicht schrecket wie der Nachtgeist. Mein innres Wesen vergiftet und zerrüttet. – Ich kann mit Euch über nichts reden.

FERNANDO. Du kannst der Infantin deine Hand bieten.

BASTIANO. Ja was durch Weiber! Ich hab nichts für Weiber. Wie springt Ihr ab von mir! Durch Weiber?

FERNANDO. Du hattest doch sonst – Mensch wie betrügst du dich!

BASTIANO. Ich bitt Euch, laßt mich nun so. Ich merk's Euch an, Ihr wollt wieder in Vernünfteln fallen, das ich gar nicht ausstehen kann.

CURIO tritt verwildert auf.

BASTIANO fährt fort. Da kommt noch einer von der Rasse, aus Maximen und Sentiments zusammengesetzt. Zu Curio. Seid Ihr kalt, Curio? Seid Ihr vernünftig? Seid Ihr im Humor aus einem Buch zu reden?


Fernando betrübt ab.


CURIO. Kalt, Bastiano? Und hab der Infantin Handschuh, bin mit der Infantin spazierengefahren. Hab der Infantin ins Aug gesehen, und bin närrisch worden, und halt mich an den Wänden wie ein Trunkener.

BASTIANO. O die lustigste Art Narren, weil wir sie so gut verstehen, und ihre Kappe längst getragen haben. Ja die Infantin! – Ob ich schon den empfindenden Teil von Menschen nicht leiden kann, ist mir's doch lieb, daß Ihr einmal von Euren Büchern loskommt, und einen nicht mehr mit Eurem Wissen plackt. Alles südheiße Leidenschaft! jetzt können wir sprechen. Es gibt Leute, die das am Menschen ungern sehen. Ich denk, Curio! Ihr sollt nun bald für mich taugen.

CURIO. Wie meint Ihr? Wie ist's Euch jetzo, Bastiano?

BASTIANO. Sind deine Sinne geöffnet? Und kannst du erklären und fassen den Inhalt meiner Mienen und Augen?

CURIO. Weiß Gott! die Infantin ist schön, und hat auf mich gewirkt, daß mir tausend Sinnen aufgegangen sind, und all diese Sinne streben sie zu haben. Wie ist's Euch nun? Habt Ihr ausgekocht? Ich muß mit meiner Gitarre unter der Infantin Fenster diese Nacht – Habt Ihr ausgekocht?[1083]

BASTIANO. Curio! ich wär der glücklichste Mensch auf der Welt, wenn ich mich im stillen anbauen möchte, und entfernt leben könnte.

CURIO. Ja Ihr und ich. Wo kein Getreibs ist, ist kein Leben. Wirbel und Leidenschaft!

BASTIANO. Du kennst meinen Humor; weißt meine allgemeine Verachtung der Menschen, daß ich sie ganz missen kann. Mein Plan über jeden Menschen, der mir vorkam, war immer, all das beste Mark seines Geistes in mich zu saugen, denn einen andern vorzunehmen. Ich fand wenige, wo ich viel gewann, und doch war dies noch das einzige, was ich an ihnen zu suchen hatte. Du weißt, daß ich alle Empfindungen, alle Sinne, die dem Menschen zuteil wurden, so lang durchgeritten hab, bis keine Nerve mehr spannte, klang und drang. Weißt, wie ich mich allem Genuß überließ, um's satt zu werden, um mir Ekel zu holen. Es gelung mir. Ha! ich dachte mit dem Aufreiben all meiner Gefühlsfasern, würd ich dieses zu Herrschen treibende Feuer mit verkälten und verlöschen, weil ich zu deutlich sah, wie sehr ich anders gezwungen würde, mich mit unleidlichen Menschen zu behängen, mich mit Empfindungen zu schmücken, die ich mit Fleiß versengte, die ich nie hatte, nie haben wollte. Mein Herz hatte nun alle jugendliche Geschmeidigkeit verloren, alle Weichheit, versagte allem Eindruck, daß ich auffuhr in Freuden, und mir Glück wünschte.

CURIO. Und nun! Ihr sinkt auf einmal in Euch hinein, und jagt sich's auf Eurer Stirne – Bastiano, ich versteh Euch!

BASTIANO. Ja du und all ihr Menschen! Curio! Ich glaubte nicht, daß ich durch Wegräumung all der kleinen, den Menschen heruntersetzenden Leidenschaften, dem Gott, der in mir auf den glücklichen Augenblick lauerte, noch mehr Kraft zuströmen ließe. Er trat hervor, noch eins so feurig, noch eins so unternehmend, graß und wild in Wollen und Fordern. Schüttelte mich zusammen, daß ich nach Luft rang, mich zu halten. Zehrte mich ab, brennend auf Herz, Nier, Leber und Geist, daß ich meinte zu versiegen, wie einer, dem in Buhlersbrunst ein Spiel der Einbildung, der Gedanke des Genusses, für die wegwischende wirkliche Gestalt des Mädchens bleibt.

CURIO. O Bastiano! so ist mir's.

BASTIANO. Dieses blieb mir also, und dabei der Haß gegen Menschen, und besonders gegen diesen Grisaldo. Ich blieb hängen[1084] in der menschlichen Gesellschaft wider meinen Willen. Mich wirft's Tag und Nacht herum. Ich muß ihm Gnüge leisten, oder dieses Lebens Ende machen, das mir zur Marter wird. Allem Genuß verstopft, nur dieser alleinigen Empfindung lebend, dieses Lands König zu sein, all meine Ideen auszuführen, die mit mir so verwebt, mit meiner Existenz so verschwistert sind, daß ich bloß darin wurzle, bloß daraus Saft und Leben saug. Ich kann nicht eine aufgeben, ohne zugrund zu gehn, und täglich fühl ich sie mehren, täglich die alten feuriger, stärker und fester werden. – Wo nun dieses alles Ende und Zweck? Wo Gnüge? Ich hab keine Leidenschaft und hab sie alle.

CURIO. Mut und Gewißheit ist in Eurer Seele, warum nicht ausführen? Bastiano! in meinem Herzen sieht's anders als auf meiner Stirne. Und jetzt wo ich einen Sporn habe – meint Ihr nicht?

BASTIANO. Curio! dieser Grisaldo vermag die Welt auf seinen Schultern zu tragen. Ich begreif ihn nicht. Mit solchem Sinn, solcher Treue – was nutzt ihm seine Stärke? – Ich bin sein Feind, er allein bindet mich zusammen, ohne Hand anzulegen, daß ich nicht trau zu zucken, und das muß gelöst werden durch sein Verderben. Sag deiner Leidenschaft auf, wenn du anders denkst.

CURIO. Gehn wir nicht zusammen? Kann er uns nicht durch einen Wink auf ewig hinstrecken?

BASTIANO. Genug! Und was ist's mit ihm? Das Lob, der Preis, der Ruhm dieses Menschen von seiner Stärke, Großmut, Edelmut, ist mir ganz gehässig. Ich kann nichts dran finden, wie ich denn überhaupt nichts an Menschen zu finden weiß. Sind diese Dinge nicht ganz zufällig bei ihnen, und besonders an ihm? Denn nimm noch seine Liebe zu den Weibern, Tag für Tag mit ewigem Wechsel – Pfui für dem all! – Aber wohl uns, daß dieses die Harpune ist, wo der Walfisch sich dran verblutet.

CURIO. Bastiano! Ich weiß und fühl dies nun all. Aber ich bin trunken heute, und laß mich's sein. Wir wollen diesen Staat verkehren, daß kein Stein auf dem andern bleibe. Und Granada, Aragonien und Leon wären noch Beute für uns. Was steht uns entgegen? Glauben, fester Sinn und Beharren, Bastiano, versetzt Berge.

BASTIANO. Sieh mich an deinem Hals! Noch kann ich nicht sagen,[1085] ich liebe dich, aber es kann kommen. Ich kann dich leiden, du magst vielleicht der einzige werden. Ich kann keinen Freund haben, und mag keinen haben.

CURIO. Was ist das? Und müßtest du dich nicht wandlen?

BASTIANO. Grisaldo blieb lange, er ist auf dem Weg, und wird erwartet von freudigen Herzen. Kehrt zurück von Weibern am Siegeswagen geschleppt wie immer. Curio, habt Ihr dem König den Brief an den aragonischen Hof, den ich Euch schreiben hieß, vorgelesen, und tat's auf den kranken, schwachen Menschen die gehörige Wirkung?

CURIO. Gewiß! Ich goß über Grisaldos Taten allen Pomp und Überfluß, den ich nur in meinem Sprachvorrat hatte. Lange, poetische Worte, die dem König zu Nase stiegen wie böser Dunst. Ich las zum Exempel: Grisaldo wird als der Vater und Erhalter des kastilischen Volks angesehen, der's vom nahen Untergang errettete, jedes Herz betet für ihn, und stellte gleich gegenüber: der König hat vor einigen Tagen zur Ader gelassen, hatte Stechen auf der Brust, Husten und hütete das Zimmer. Ist aber wieder zur Freude des Volks ziemlich hergestellt. Da wollte er lächeln. Es durchkreuzte sich aber in seinem Gesicht ein Meer von unfaßlichen Empfindungen, die endlich alle zusammen in ein starkes Niesen ausbrachen. Da kriegte er ein Gotthelf, und er konnte nicht sagen, »ich danke«.

BASTIANO. Du ließt's dabei nicht?

CURIO. Las weiter: Der Maurer König soll dem Grisaldo seine Prinzessin mit Bedingungen vorgeschlagen haben. Zu des Königs Ohren ist noch nichts gelangt; und der König schoß jüngst auf der Jagd einen Hasen, aus dessen Eingeweide Truffaldino neuen Krieg wahrsagen wollte. Das brachte ihn zum Losbrechen, wie ich's wollte. Ich weiß die Lügen nicht all, die mir dem Mund herausflogen, aber es tat seine Wirkung. Nur muß man immer ins Kleine gehn, und gegeneinander halten. Es ist wunderbar, wie der König so ganz heruntergesunken ist. Er, der sonst so lebendig und feurig war! Aber die Krankheit mit – Der General wird kalt genug empfangen werden.

BASTIANO. Ein wildes, garstiges, wirr, gehässig und gefräßig Ungeheuer gouverniert diese Welt hier. Kein wirbelnder Wirrwarr läßt sich nicht träumen. So einen Menschen auf den Thron zu lassen! auf den Thron zu setzen! Einen andern, der unbegrenzten Willen und Geist hat, unten an die letzte Sprosse[1086] der Leiter dieser Welt zu stellen! Ich will dich verbessern, hämisches, dummes Ungefähr! Ich will dich zurechte weisen, und du sollst durch meine Augen sehn.

CURIO. Bastiano! Hier hast du meine Hand! Bester! Ich hab dich nun vor mir stehen in deinem Sinn, Meinen und Willen. Der Gedanke an dich soll die Zeit meiner Ruhe ausfüllen. Laß uns schaffen und hetzen. Bei all dem wenigen, das ich über das viele sage, sei überzeugt, es fiel auf keinen dürren Boden. Ich kann nicht rasten, Tod oder Leben liegt in diesem Gefühl, was weiß ich. Wenn ich an meinen Stand denke, zu der Infantin hinaufsehe und sinke –

BASTIANO. Was heißt das wieder? Laßt es nicht mehr als eine vorübergehende Grille sein. Wir sind da, die Schäden einzurichten, woran die Welt durch garstige Übereinkommungen krank liegt.

TRUFFALDINO tritt auf.

BASTIANO. Sieh dich um, und hör einen König!

CURIO. Ich muß zu meiner Gitarre.

BASTIANO. Zeit genug! Näher Regulus! Mach mir Gaudium, Regulus!

TRUFFALDINO. Guten Abend, Dons! Habt Respekt für mich, Dons! Ich bin ein König, ich, ein indirekter König, Dons! Hier ist eine königliche Hand zu küssen. Ihr, Don Bastiano! Und Ihr, Don Curio! Meine Gnade gedeih Euch!

BASTIANO. Tritt in Hintern, zur Tür hinaus!

TRUFFALDINO. He das! Sieh, Bastianchen! Hättest du was gelesen! Beim Apoll! Etwas gelernt muß man haben, um fortzukommen. Unwissenheit gedeihet nur dem Magen, Dons! und feistet den Bauch.

BASTIANO. Gib acht, Curio! Der König spricht.

CURIO. Man möchte des Teufels werden.

TRUFFALDINO. Künste und Wissenschaften bleiben doch immer die Führerinnen, die Erhalterinnen des Himmels, der Erde und der Welt, Dons! Ich bin ein deutlich, eklatantes Beispiel, ich! Ich bin des Königs Rechte, des Königs Linke, des Königs Aug, des Königs Ohr, des Königs All, Dons! Mach ihn lachen und weinen durch meine Wissenschaft. Das ganze Land fürchtet den König, der König fürchtet mich, was muß Truffaldino sein Dons, fürcht sich ein König vor ihm und seiner Kunst, und in einem König alle Kastilier? Löst mir das Rätsel auf, Dons! Bastami![1087]

BASTIANO. Willst du fortreden, und mir Freude machen, Regulus? Du kriegst Wein!

TRUFFALDINO. Ha! Wer hätte sich träumen sollen, daß ich Truffaldino, der ich in meiner Jugend für einen Pfennig den Meßjungen so oft machte, als man pfiff. Daß ich Truffaldino, der ich lesen kann in vielen Büchern, lesen kann in den Sternen, hören kann, was kriechende Tiere zischen, singende Vögel reden, daß ich Truffaldino in meinem vierzigsten Jahre indirekter Beherrscher des kastilischen Volks würde. Ich, eines Sarazenen Bastard, getauft und gerettet aus dem blinden Heidentum, angespien in der Jugend von jung und alt. So glaubet an die Wissenschaften und verehret mich, Dons!

BASTIANO. Die Peitsche Regulus! Weiter! Mehr Zunder meiner Galle!

TRUFFALDINO. Ich beherrsche den König, leg ihn zu meinen Füßen, heb ihn auf mit Trost. Bring ihn in Jammer durch einen Sternputzen, zu Freuden durch einen wohl ausgelegten Traum, bring ihn dahin, zu tun, was ich will. Wer ist dieses Landes König, als ich Truffaldino! Der ich meine Wissenschaft zur Zauberei erhob? Ziehet Lehren daraus, unwissende Dons! Ziehet Lehren daraus! Wissenschaft und Kunst hebet den Menschen ad astra, Unwissenheit gedeihet nur dem Magen und feistet den Bauch.

BASTIANO. Bravo, Lümmel! Was macht des Königs Person?

TRUFFALDINO. Wohl distinguiert für einen Unwissenden, Don! Denn hier steht des Königs Seele. Seine Person ist melancholisch schon seit drei Tagen.

CURIO. Teufel und Welt, wie spielst du uns mit?

BASTIANO. Was ist er? Melancholisch? Was heißt das? Ohne Kraft, Geist und Schwingung ist er, und verbirgt seine Untätigkeit und Unvermögen unter dem Schall eines nichtsbedeutenden Worts, wie alle Schwachen. Melancholisch? Ich find den Inhalt dieses Lauts nicht. Was will der melancholische Mensch? Was gar der melancholische König? Seine Untertanen haben Wirksamkeit und Feuer. Wollen Wirksamkeit und Feuer sehen. Wollen, daß man in sie wirke. Laß die melancholischen Leute ins Kloster gehen, auf Gräber weinen, wie schale Poeten, die die Welt nicht verstehen. Aber wie ein König? Was ist das, ein König? Was eine Nation, der es freisteht, zu wählen? Was nun! Ist ein König das? Mich unterhält das Fragen. Curio! Ihr seid gelehrt: Ist ein König die letzte Person im Staat?[1088]

CURIO. Dieser wenigstens, Bastiano! Sonst immer der erste und letzte, wie Ihr wollt.

TRUFFALDINO. Da laufen die Zungen. Wir haben den kränklichen Herrn in Ketten geschlagen, wohlwissende Dons! Haben ihm alle Wirksamkeit abgeschnitten. Definiert nicht lange, oder ich will in plumper Grobheit eure Grandezza durchdemonstrieren, daß euch kein Lumpen übrigbleiben soll, eure Scham zu verbergen. Ich bin grob und versteh mich drauf.

BASTIANO. Halt 's Maul, Affe! Wenn stirbt der Könige Schicksal?

TRUFFALDINO. Hände und Füße abgehauen, den Geist untergeduckt, da liegt der Torso, Dons! nagt ihm nun das Herz aus dem Leib. Eine beßre Frage, Dons!

BASTIANO. Wenn sterb ich?

TRUFFALDINO. Wenn Grisaldo Eurer ernstlich denkt.

BASTIANO. Ihr seid keck und frech. Stockschläge!

TRUFFALDINO. Treibt Ihr Esel? Don!

BASTIANO. Hund!

TRUFFALDINO. Nehmt Eure Waden in Obacht, wenn Ihr welche habt, Don!

BASTIANO. In Hundsstall!

TRUFFALDINO. Und du sollst nicht schlafen für meinem Bellen. Bastianchen baue dein Gärtchen, und greife nicht um dich, deine Ärme reichen nicht zu.

BASTIANO. Trinkt und eßt mit mir.

TRUFFALDINO. Ich rieche Euch, die Hunde haben gute Spur. Und der Don, der mich machte, war ein guter Fuchsjäger. Ich hab manch Stückchen von ihm geerbt, meine Mutte war eine feine Diebin, Don!

BASTIANO. Am Tisch mehreres. Bleibt Ihr? Curio!

CURIO. Unter freiem Himmel. Sobald Grisaldo kommt, sind wir beisammen. Lebt wohl.


Ab.


TRUFFALDINO. Armer Don Curio!


Lilla kommt singend und springend.


BASTIANO. Freude des Lebens, im Frühlingsflor mich zu peinigen.

LILLA singt.

Bitter lieblich

Ist das Leben,

Wo unerfahren

Wir Mädchen sind.

Ach! wie der Wind,

So husch, so schwind.[1089]

Tanzen so eilig,

Gauklen so freudig,

In Liebesstrick.

Und rufen Pih!


Ha! ha! Herr Bruder Bastiano! Mir ist's wohl, und mir ist's nicht wohl, nachdem Ihr's nehmen wollt. Was scheuchst du meine kindische Freuden, Störrischer? Zittre zusammen vor dir, wie vorm Tod. Bon jour! Herr Truffaldino! haben Euch die Sterne nichts Schönes von Lilla vorgesungen?

TRUFFALDINO. Die Sterne verschwinden, schöne Donna! Euer Anblick ergötzt.

LILLA. Wohl bekomm's, weiser Mann! – Bastianchen, ein Mann! ein Männchen zum Necken, zum Spielen, zum Quälen. Gib mir einen Mann, wilder Bastiano! Du siehst ja doch gern quälen. Ich will dir Freude machen, ich will ihn durch wilde Streiche, durch kleine Spitzbübereien in den Arm des Todes jagen, und dann siehst du ihn mit so einem kleinen, kleinen Lächlen aus des Todes Rachen wieder herauswinken.

BASTIANO. Soll ich dir den Mund zuhalten? Truffaldino, ich komm nach. Der ab. Du schwätzest einen zu Tod.

LILLA. Ein für allemal, es gefällt mir vieles so nicht recht mehr. Ich zittre, in eine schöne Gegend zu treten. Zittre vorm Hain und Vögelgesang. Ach! es wird einem doch dabei so öde, so eng ums Herz, man strebt sich, sehnt sich nach etwas, das man nicht hat, das außer einem ist, und das nimmer weicht, doch da ist. Man möcht sich halten an etwas, aber leer, wüst und trocken. Alle Schelmenstreiche, alle weibliche Spielereien und Eitelkeiten langen da nicht zu. Ich jag mich mit den Mädchen herum, husch! steh ich dir unter einem einsamen Busch, seh über mich, um mich – was fehlt dir, Lilla?

BASTIANO. Verflucht meine Mühe, und zum Teufel mit den Weibern! Lilla! Du bist bisher das einzige Geschöpf gewesen, mit dem ich mich abgeben mochte in guten Stunden, und fruchtet's? All meine Lehren, meine Warnungen in Wind! – Laß mir dein Herz mit den Männern aus dem Spiel, und vollführ mir meinen Plan, oder gib den Bruder auf. Du glaubst, du könntest so mit Neckereien über die Männer hüpfen, wie du über die Wiese tanzest. Dein Herz ist zu weich und kindisch, und wirfst dich selbst im ausgestellten Netze. Mit deinem Reiz will ich Kastilien erobern, kleine Lilla! Ha! Laß einen empfindsamen Buben kommen, und dir das Herz aus dem Leibe[1090] mit Balladen trillern, ich werf dich ins Kloster, und schinde den Hund.

LILLA. Wilder! Geh! Ich will alles tun, was du willst. Ich mein ihn ja, wenn ich von Männern red.

BASTIANO. Dein Herz soll nichts dabei zu tun haben.

LILLA. Wie macht man dies, Bastianchen?

BASTIANO. Das will ich dich lehren.


Ab.


LILLA. Wenn dir's nicht zuvorgekommen ist. Läuft ab.


Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 1080-1091.
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