Zweite Szene


[1091] Palast.

Lilla und Infantin treten auf mit Blumenkränzen.


LILLA. Er kommt! Alles ruft, er kommt! Alle Herzen schlagen, er kommt! Und ich rufe, er kommt! singe und springe, er kommt!

INFANTIN. Süße Lilla! er kommt! Husch! der Sieger kommt, das war brav geschrien. Sind denn alle Kastilier in ihn verliebt?

LILLA. Hör die Weiberstimmen! Ha! Hi! Ich hör sie deutlich unter den Männern hervor. Klag ihn der Zauberei an, Infantin! Ich will mich brüsten, und sein Richter sitzen. Grisaldo! Wollen wir eins mitrufen? Lange lebe Grisaldo, unser Held und Sieger!

INFANTIN. Sei lustig, Kind! Gib mir meine Kindereien, gib mir ein wildes unbesonnenes Stündchen. – Ich zerreiß die Blumenkränze, Lilla! Ich zerreiß.

LILLA. Geschwind dann!

INFANTIN. Die Blumen dauren mich, sie blühten nie so schön.

LILLA. Dauren sie dich? Und das Tränchen, das auf die Rose fiel, hi! hi!

INFANTIN. Die Freude des Volks, Liebe!

LILLA. Liebe, sei ausgelassen, sei alles, nur dies nicht! Hör, ich hab ein Gedicht von Curio auf deine Augen gelesen, ein hübsches, gefühltes Gesängchen. Er verglich sich dem Eber, der das Fangeisen in der Brust hat, und sich durch seine Wildheit tiefer hineinstürzt. Von deinen Augen spricht er wie ein Blinder, und von dir! Es wirbelt ihm. Ich hab schon einen Streich für ihn in Kopf. – Komm jetzt geschwind in Garten, und laß uns durchs Gitter lauschen. Aber dein Gesicht wenigstens auf die Hälfte zu mir gekehrt, wenn er vorbeizieht. Und keine[1091] Scheidewand zwischen meinen und deinen Augen, darum bitte ich. Wollen wir sie übergurglen? Ich denk, unsre Stimmchen sollen sich durchs Rauhe stehlen, und Reiter und Pferd festhalten. Und deine Augen! O weh! sein Panzer wird ihn wenig schützen.

INFANTIN. Ob er sich nicht verändert hat, so aussieht, so gefällig und gut ist?

LILLA. Noch so schön ist. Ob er verliebt in mich ist, oder werden wird. Ob er nicht melancholisch wegen seiner Heidin –

INFANTIN. Fort! Fort! Du quälst.

LILLA. Leichtes Blut und gute Laune – Laufen ab.


König. Curio. Bastiano. Truffaldino.


KÖNIG. Wollen sie mir Valladolid niederschreien?

TRUFFALDINO. Legt eine Auflage drauf, sie murren nicht. Meine Weisheit aufs Spiel! Sie greifen sich an, geben ihr halbes Vermögen, um schreien zu dürfen, Glück unserm Grisaldo!

KÖNIG. O weh! Ich darf mein Zimmer kaum verlassen.

CURIO. Ist das ein König, der einzieht, und dessen Ankunft so brünstig erwartet wird? Kommt denn nur mit ihm Heil und Glück in Kastilien, und war Zeit über Mangel oder Tyrannei, als er weg war?

TRUFFALDINO. Fahr hundertmal mit dem König, liebe Dons! und keiner grüßt von Herzen Seine Majestät, keine Seele segnet mit Treue seinen König. Und jetzt nur fließen die Augen für Freudentränen über, die zeither verstopft waren? Harte, undankbare, höchst undankbare Herzen, die ihr euch da nur öffnet, stumm und kalt gegen euren gütigen König bleibt! Ist es denn so weit kommen, gütige Sterne, daß ein König unbeobachtet einhergeht, und ein andrer Mensch begrüßt wird, daß es in der Luft zittert, den Vögeln unter den Fittichen weg die Luft mit Gebrüll entwendet wird! O allweise Sterne! Wie tretet ihr zurück! Wird das ewige harmonische Band, womit ihr befestigt seid durch einen bösen Dämon, der auf Grisaldos Seite getreten ist, aufgeknüpft? Anders kann's nicht sein. So haltet dann zusammen, ewige Sterne, und kämpfet gegen den Drachen.

KÖNIG. Truffaldino! Du hast zu wahr geredt. Ich bin krank, und war stark. Die Ordnung, womit dieses All regiert wird, ist auf einmal zerstört, ein König trauert. O mein Herz!

CURIO. Ich fürchte, sie bieten ihm die Krone an.

KÖNIG. Verdammte Zunge! Weil ich Stiche in der Seite hab, und[1092] mein Geist gelitten hat? Curio! wie werd ich des Menschen los? Er erdrückt mich, und die Krone zittert auf meinem Haupt.

BASTIANO. Hütet Euch, König, ihm hart zu begegnen. Ein Wink von ihm, und alle Kastilier vergessen Eid und Pflicht, stehn mit gezogenen Degen vereinigt hinter ihm.

KÖNIG. Ich kann zu keinem Entschluß kommen. Truffaldino! Geh mit deiner Weisheit zu Rat. Verläßt mich alles? Ich weiß nicht. Ihr wollt meine Freunde sein, so handelt. Er ist mir über den Kopf gestiegen. Ich liebe ihn, und liebte ihn. Ihr gabt mir Euren bösen Humor, Bastiano! zu meiner Krankheit. Ist denn allenthalben Frieden jetzt?

CURIO. Solang der General will. Aber wie leicht ist's ihm, zu ändern. Bei der Ruhe schläft seine Macht. Bastiano hat den besten Plan gefunden.

KÖNIG. So kommt und entdeckt mir's. Die Menschen plagen mich mehr als meine Leiden. Das Geschrei tötet mich schier.


Ab.


TRUFFALDINO. Kommt, Dons! und seht einen König Angstschweiß von der Stirne wischen, und dann glaubet an mich, Dons. Ich könnt Euch ein Buch voll moralisieren darüber, Bastiano! und grobe Anmerkungen für Euch daraus ziehen. So mitleidig Ihr diesen König anseht, so war er wahrlich ein edler Mensch, nur – nur –

BASTIANO stößt ihn fort. Hol dich der Teufel!


Alle ab.

Leute auf und ab laufend.

Grisaldo und Malvizino treten auf.


MALVIZINO. Ha! hier ist's still wie's Grab, und man läßt uns zu Atem kommen. Immer das Äußerste. Ihr sollt so alles recht durchkriechen, Grisaldo. Das Volk schrie Euch bald nieder in ausgelaßner Freude, riß Euch bald vom Pferd mit Händeheben, hier flohen sie zurück, als führen Donner aus Euren Augen. Die Majestät ist langsam in Kastilien.

GRISALDO. Laß sie alle! Ich hab heut so viel Lieb genossen, so viel Lieb gefunden unter diesem Volk, daß ich fürchte, es nicht so in reichem Maß erwidern zu können. Du glaubst nicht, was das ist, Malvizino, Liebe suchen und Liebe finden.

MALVIZINO. Ja, wo dann? Unbelebte Dinge schienen Euch zu bewillkommen. Seht Euch um hier!

TRUFFALDINO tritt auf.

MALVIZINO. Da kommt ein Affe![1093]

TRUFFALDINO. Großer, siegreicher Grisaldo! Mein König entbietet Euch seinen Gruß und allen edlen Streitern!

MALVIZINO. Sein König? Was sich doch die Sprache ändert!

GRISALDO. Ich danke dem König. Wo find ich? Befiehlt der König, daß ich ihm in seinem Zimmer aufwarte?

TRUFFALDINO. Ich weiß nicht.

MALVIZINO. Kennst du diesen Mann? Bursche! – Halt dich, Degen! Wer bist du?

TRUFFALDINO. Des Königs Nativitätssteller und Gesellschafter.

MALVIZINO. Pack dich zum Teufel, oder ich schick dich deiner Kunst zur Schande, vor deiner Stunde übern Styx. Schändlich! Schändlich! Schändlich!

GRISALDO. Laß den Menschen gehn.

TRUFFALDINO zieht sich zurück. Seine Ader über der Stirne und übrige Lineamente verkündigen raschen Zorn. Er gefällt mir nicht. – Laut. Ich will dem König Eure Ankunft melden.

MALVIZINO. Meld du dem Teufel! Ist die Majestät taub? Die Stadt zitterte, als Ihr ins Tor trat't. O Grisaldo! Du vergehst dich sündlich gegen dich. Solch einen Kerl dir zu schicken, den sich mein Degen schämte niederzustoßen. Komm fort, die Maurer und afrikanischen Heiden meinen's besser.

GRISALDO. Kann ich ihn denn nicht leichter missen, als er mich? O Malvizino! wie's den Augenblick ganz anders auf mich wirkt!

MALVIZINO. Ja, was! all gut großmütig sein, aber solche Hunde – wenn Ihr nicht wärt, ich stünd längst unter Heiden – da laufen die Affen auf und ab, das Meerwunder zu besehen – Was wollen die Füchse?

GRISALDO. Sei ruhig, der König kommt.

MALVIZINO. In schöner Gesellschaft. Das gibt was für meine Rauhigkeit und Grimm, merk ich an den Gesichtern. Wie die Drahtpuppen messen sie die Schritte. Hol mich der Teufel!

GRISALDO. Schweig oder geh!


König. Bastiano. Curio. Truffaldino in der Ferne schüchtern immer auf Malvizino sehend.


GRISALDO. Gott segne Eure Majestät!

KÖNIG. Heil Euch, tapfrer General. Wir sind geneigt, den Verlauf Eurer letzten Expedition, wovon wir wunderliche, obzwar zerstreute Nachrichten, gesammlet haben, aus Eurem eignen Munde zu hören. Die Zeit ist uns teuer, so faßt Euch kurz.[1094]

MALVIZINO für sich. So!

GRISALDO. Wunderliche Nachrichten, mein König, können nun wohl eingelaufen sein. Soviel aber weiß ich, daß alles nach dem ordentlichen Lauf der Dinge gegangen ist, wie's so immer bei Euren tapfren Soldaten zu geschehen pflegt. Den maurischen König haben Eure Völker, in zwei für den Feind Kastiliens sehr blutigen Siegen zur Unterwerfung und jährlichen Tribut gebracht, wovon gegenwärtig bereits das erste Jahr ausgeliefert ist. Des Königs Untertanen haben von diesem Feind der Christen weiter nichts zu besorgen, können ruhig in ihren Mauren schlafen, und die Freude und Vorteile genießen, die der liebliche Friede darreicht. Dies ist der Inhalt eines jährlichen, gefährlichen Krieges aufs kürzste dargestellt.

KÖNIG. Wir sind Euch dankbar, und erkennen Eure Dienste. Aber, General! verhehlen kann ich nicht, daß, wie man mir zuverlässig gesagt hat, mehr hätte geschehen können. Besonders da Ihr den König so sehr in die Enge getrieben hattet.

MALVIZINO. So! Der König meint's doch nicht übel, und die Leute.

GRISALDO. Wie König! Die Leute haben Euch gesagt? Hört der König Leute an, die weder am Platz waren, noch etwas vom Kriegshandwerk verstehen? Und nehm der König nicht übel, wenn ich sage, ich war zum Krieg ausgeschickt und nicht zum Morden. Der Feind, der sich unterwirft, hört auf Feind zu sein, er sei Christ oder Sarazen.

MALVIZINO. Wir hätten das Königreich im Sack herbringen sollen. Stoß um dich, Grisaldo! und pack auf.

GRISALDO. Wir haben gearbeitet Tag und Nacht. Ich war mit dem kleinen Haufen gegen die Maurer berechnet, in den gefährlichsten Lagen. Und, König! Die Maurer haben Herz im Leibe, und sind heißen Ursprungs. Über menschliche Kräften steigende Schwierigkeiten stunden uns entgegen. Natur und wilde Tapferkeit für Gut und Blut kämpfte mit Kastiliens Unverdroßnen. Und doch erfochten sie mit unbedeutendem Verlust zwei Siege, und doch bringen sie Beute und Gold.

KÖNIG. Ihr werdet heiß, General!

GRISALDO. Weit davon, König!

KÖNIG. Ich glaube Euch! Da nun Friede ist, denke ich, die Ruhe wird Euch lieb sein.

MALVIZINO. So!

GRISALDO. Ich versteh Euch, und es ist mir lieb, Euch so sprechen[1095] zu hören. Ihr seid sicher von Feinden rundum. Eurer Untertanen Leben und Besitz ist gesichert. Ich beurlaube mich hiermit, und allen Segen dem König!

KÖNIG. So stolz, General!

GRISALDO. Wie's ein braver Mensch sein muß, und mehr nicht. Ihr habt Leute um Euch, die tun können, was ich tat, sobald sie wollen. Hier ist der Degen, den Ihr mir mit eigner Hand umgürtetet, als Ihr mich das erstemal gegen Eure Feinde schicktet. Nehmt ihn nun zurück. In meines Vaters Gewehrkammer wartet ein versuchter auf mich, allenfalls gegen meine Feinde, und zum Schutz meiner Freunde.

KÖNIG. Wie meint Ihr dies? Ihr habt weder in Granada, noch Kastilien Feinde, alles liebt Euch. Ihr allein habt das besondere Talent, keinen Menschen an Euch vorbeizulassen, ohne ihn zu gewinnen. Sogar Euer bloßer Ruf gewinnt Euch die Herzen.

GRISALDO. Vielleicht hab ich noch keinen Anlaß gegeben, mich zu hassen.

MALVIZINO. Hier ist mein Degen! Zu Grisaldo. In fünf Minuten sollen sie ihm alle Gänge im Palast mit Degen und Lanzen verlegen.

GRISALDO. Bist du mein böser Geist? Willst du mich vom Gipfel herunterreißen, den ich errungen hab?

KÖNIG. Zieret unsre Tafel heut, General!

GRISALDO. Meine Zeit ist kurz, ich will weiter.

KÖNIG. Doch nicht zurück nach Granada?

GRISALDO. Ich bin unbestimmt, und die Frage ist so –

KÖNIG. Wir werden Euch hier behalten, General!


Ab.


GRISALDO. Willkommen, Don Bastiano!

BASTIANO. Sehr willkommen, General! haben Euch lange erwartet mit Ungeduld.

GRISALDO. Nicht weniger willkommen, Don Curio!

CURIO. Sehr willkommen, General! Unsere Freude allesamt ist groß, Euch einmal wiederzuhaben.

GRISALDO. Ich bin nun leichter worden um die Hüfte.

BASTIANO. Man hat fürchterliche, fast unglaubliche Dinge von Euch erzählt. Wie Ihr unter die Maurer allein gesprungen, als es nicht gehen wollte. Wie sie Euch umringt hätten, und Ihr Euch durchgehauen – und von einer gefährlichen Wunde –

GRISALDO. Das vergißt sich, Bastiano! und ist so eine Aderlässe. Wir wollen itzt manchen Schnaken im stillen verarbeiten, denk ich. Ich hab viele maurische Pferde mitgebracht, und[1096] wenn Euch mein Geschenk nicht mißfällt, stehen ihrer zu Dienste. Es ist eine gute Art Pferde, das glaubt. Wie, Don Bastiano! seid Ihr krank gewesen? Euer Gesicht hat einen Rest von verbissenen Leiden übrigbehalten, deucht mich.

BASTIANO. Verliebt, General, weiter nichts. O die Weiber! sie zerfressen einem Herz und Hirn, und lachen dazu.

GRISALDO. Geben dem Herzen unendliche Fülle, wenn wir nicht mehr von ihnen verlangen, als sie sein können.

BASTIANO. Immer Euer Fall.

GRISALDO. Jedes seiner, Bastiano! Wenn wir nur wollen. Und Ihr, Don Curio?

CURIO. Die Sonne ist heiß in Kastilien.

GRISALDO. Desto höher schießt die Pflanze.

CURIO. Aber wenn ihr der Tau des Himmels ausbleibt, General! brennt sie hin.

GRISALDO. Das Herz hat verborgene Stärke, wenn wir uns nur sondieren wollen und anschlagen, es hält immer zurück.

CURIO. Ich versteh Euch nicht.

GRISALDO. So ist mir's leid um Euch.

BASTIANO. Ihr werdet itzt Langeweile haben im Frieden, General!

GRISALDO. Ich hab an mir zu bauen, mit mir zu kriegen.

BASTIANO. Wo Weiber sind, ist nie Frieden.

GRISALDO. Mut! Bastiano! Ihr scheint jetzt bei gutem Humor zu sein.

BASTIANO. Wer um Euch ist.

GRISALDO. Ich merk's, und dank Euch.

BASTIANO. Da kommen Florens schönste Kinder.


Infantin und Lilla mit Blumenkränzen umgeben den Grisaldo.


LILLA. Geben alles, was wir haben.

INFANTIN. Nimm, tapfrer Held! von unsern Händen –

LILLA. Wie du stockst? – Umkränzen ihn. Wollten Kränzen winden, kühner Held, um Schild und Helm. Wollen Kränzen winden, Ketten winden, winden und winden, verschlingen in Ketten – Infantin, so winde!

GRISALDO. Reizendes Mädchen? Vermag ich's? Kann ich Euch danken? Die Güte, die Unschuld – Aus diesen Händen, Infantin!

INFANTIN. Wollten den Sieger, den Starken –

LILLA. Besiegen – frisch vom Herzen!

GRISALDO. Habt mich besiegt, habt mich gebunden.[1097]

LILLA. Wo Euer Degen?

GRISALDO. Hab ihn abgelegt – liebliches Kind!

LILLA. So seid Ihr unser. Rede Kind! Kommt mit, und Ihr sollt die Blumen aus ihren Beeten neidisch hervorblicken sehen, daß ihre Bestimmung nicht diese war. So krönen Mädchen den Helden. Kommt nur, o wir wollen Euch fragen und erzählen –

INFANTIN. Kommt und erzählt uns im Wäldchen Schlachten und Gefahren. Wir wollen Euch begleiten mit Angst und Zittern, uns dann wieder freuen –

LILLA. Daß wir Euch haben.

GRISALDO. Dieser Schmuck hebt mein Herz. Eure Liebe gibt mir Stärke. Reizende Infantin! Liebliche, kleine Lilla!

LILLA zum Malvizino. Wirft ihm einen Kranz über den Helm. Seh ich Euch einmal lächeln? Komm Malvizino!


Alle ab.

Bastiano und Curio bleiben.


BASTIANO streicht sich die Stirne. Was ist's, Bastiano? Bist du gezüchtiget, Bastiano, und liegst zusammen? – Wie, Curio! haben sie Eurer Liebe ein Fest gegeben?

CURIO. Curio! Curio! he Curio! Bist du zerrissen? Bist du? Bist du?

BASTIANO. Seid Ihr irr?

CURIO. Öffne dein Herz, Curio! Lös die Liebe in Gift und Haß auf! Habt Ihr gesehen, Bastiano? Gesehen? Dies? Dies?

BASTIANO. Was gesehen?

CURIO. Frag! Frag! Ach du Hingeworfener, der du bist! Mit diesen Händen um seine Wangen, über seine Augen, und hier ist Leben dafür, volles jugendliches Leben, und mir doch nicht? Ach du Hingerißner! Bin ich? Hab ich noch so viele Kraft um mich nach Rache umzusehen? Hast du gesehen, Bastiano? O mein Cerebellum! Hab ich noch so viele Sinne beisammen, um Rache zu sinnen, um rechte glühende, giftige Rache zu sinnen? So viel Herz übrig, sie alle aufnehmen zu können? War's denn so, Bastiano! Wie ich's hier im Wirbel denk?

BASTIANO. Du blutst am Mund, Curio!

CURIO. Ich hab mir die Zähne ausgebissen, hab mir die Zunge durchgebissen, und das Blut steigt aus meiner tollen Brust auf. Infantin! Hier ist Tod! Hier ist Leben! Bin ich denn zerschmettert, gelähmt an allen Gliedern, und zittre in meinen Gebeinen? Infantin?[1098]

BASTIANO. Donner und Wetter! Bin Herr und Meister über mich, und steh hier still, wo ich Dinge seh, die meinen Geist schwärzen? So faßt Euch, und wißt, daß Ihr damit nichts gewinnt, und helft der Maschine in Gang.

CURIO. Verstehst du mich? Sie hat einen Druck kriegt, der jahrelang so heftig nicht kommen wäre. Hilf mir auf die Beine! Hilf mir grade stehen! Ich bin gelähmt, im Rück gelähmt. O Infantin! Infantin! Ich will auf den Balkon kriechen, und hervorgucken wie eine Schlange.


Ab.


BASTIANO allein. Was das? Was das für Flammen, die mein Gehirn fassen? Was für Stechen? Was für Klopfen, unbändiges Rasen in den Adern, als müßt ich aufreißen, und fließen sehn. – Ha! mich deucht, die Infantin hat mit dem Spiel eine Saite meines Herzens angetast. Bist du das? Willst du zart werden? Willst du lieblich aufsteigen? Hinunter! und doch! – Der Gedanke, daß sie ihm günstig sei, stieg der so widrig auf? Und ist ein Weib, und spottest der Weiber? Ist dein Herz nicht wie vor, nur brennender, und dein Blut dringt mehr hervor, und deine Aussichten erweitern sich, und dein Geist greift durch dunkle Zukunft nach Hellung! Ist dieses Bild, der Lichtschein, der durch die Finsternis meiner Seele leiten und führen soll? Nimm Platz von mir Fackel der Welt, ich will dich ausblasen, anblasen, dein, und nicht dein sein, nachdem mir's gefällt. Wie, Curio? Ist das eine Frage, die dich ziemt, Bastiano? O wenn Bastiano noch solchen Triebfedern Raum gibt, so bestellet euer Haus, ihr seid nicht sicher, daß euch eine Höhle für ihn schütze. Wie ich gierig, gieriger werd, und meine Zunge dorrt, nach all dem. Schäm dich, Bastiano, daß dir das Stärke geben sollte, und greifst durch Himmel und Erde mit grimmiger Faust. Werd ich jung? Fall ich zurück? Ist das Liebeszauber? Keine Empfindung davon, ich borge nichts. Komm, Phantast! Ich will dich ausstreichen aus der Seele, neue Farben auftragen, die die Bilder reizender, wollüstiger und anziehender machen, du gefällst mir, Bastiano, so ziemlich kalt, ich bitt dich, bleib dir getreu, oder ich jag dich aus dem morschen Bau mit Dolchstichen hinüber.


König mit Truffaldino.


KÖNIG im Heraustreten. Was ist aus mir worden? Da lieg ich, da bin ich zusammengefahren in mich vor Schrecken. Was sonst mein Leben erhöhte, schreckt jetzt mein Leben. Muß ich seine Füße umfassen, es sei. Muß ich weichen, es sei. Geht weg![1099] Ihr tratet all dieses Herz, ihr sogt all an diesem sich ausdehnenden Herzen zu umfassen, und kein Lichtstrahl von euch zu mir. Von ihm hatte ich Leben und Kraft, er nahm nicht, er gab. Hab ihn zurückgescheucht von mir – o mein edler Teil! Meine Gesundheit! Sieh mich denn du unendliches Gefühl, das du throntest in meiner Brust, und nun zusammengebrochen dein Thron, nun verschwunden ist dein Glanz, und nicht mehr schallet dein Lobgesang in heiligem Zucken, sieh mich zusammengebunden, sieh mein verstorbenes, krankes Herz! – Geht weg! Ich will mich einschließen, beten und fasten. Oh! Ich weiß, ihr Leute lacht über mich, ich weiß, daß ihr dieses nicht begreift – man muß mit diesen Sinnen geboren sein, um empfangen zu können, was sonst gute jetzt gebangte Sinnen sprechen. – Und um aufs andre zu kommen, da habt Ihr's, Bastiano!

BASTIANO. Was, König? Was? Ziemt dies Zittern einem König? Hat die Majestät die mit eines Königs Seele eingeboren ist, Euch ganz verlassen!

KÖNIG. Ha! Wie Ihr mich versteht! – Liebe von deinem Sitz einen Strahl! Beugt seine Knie. Sieh, wie ich jetzt bange, jetzt vergeh, und kein Herz da ist, wo ich anliegen kann, wo meins harmonisch hinüber schlüge! Es ist gelöst Gott im Himmel! es ist gelöst! Ich hab gelöst, du weißt, wie ich's gelöst habe. – Bastiano, laß mich zittern! Da ist's ja nun, und ich selbst kann nicht fort. Mein Geist ist ausgebrannt, die Stätte ist leer. In meinen Gebeinen ist's ausgelöscht. Wo ist Curio?

BASTIANO. So expliziert Euch doch!

KÖNIG. Die Aragonier! Die Aragonier!

BASTIANO. König!

KÖNIG. Sind ins Land gefallen. Stafetten! wollen sich rächen, und ich kann nicht fort. Ich habe den Grisaldo aufs neue beleidigt, und Grisaldos Name vermag mehr als meine Macht. In Siguenca eingefallen. Nehmt meinen Purpur, meine Krone, und gebt mir Kleider, die einem Bittenden ziemen.

BASTIANO. Das wird zu machen sein. Kennt Ihr Grisaldo nicht? Und dem ist gedient mit.

KÖNIG. Mir ist bang vor seinem Angesicht. Ich muß ihm den Degen geben gegen mich. Hätt ich ihn ruhig gelassen.

BASTIANO. Ha denn er! Er ist Euch begegnet darnach, und schon vergessen die Geschichte mit Olinden –[1100]

KÖNIG verhüllt sein Gesicht im Mantel. Unmensch, grausamer Unmensch, mußt du mich so antasten?

BASTIANO. Das war sein Plan, Euch in diese Art von Gefühl zu versetzen. –

KÖNIG. Bastiano! nur zu meinem Trost denn. Sag nur, er seie schuldig.

BASTIANO. Wie es auch ist.


Curio kommt.


KÖNIG. Curio! Curio! Die Aragonier sind da. In Siguenca.

CURIO. So muß der General fort.

KÖNIG. Laßt mich allein mit ihm.

BASTIANO. Euch ihm in dieser Lage auszusetzen, geht nicht. Er ist keck und übermütig.

KÖNIG. O mir!

GRISALDO tritt auf. Was wünscht der König von mir?

KÖNIG. Grisaldo. Faßt ihn an der Hand. Grisaldo! Nehmt Euren Degen, die Aragonier sind in Siguenca eingefallen.

GRISALDO. So muß man sie wieder hinausjagen.

KÖNIG. O Grisaldo! ich möchte –

GRISALDO. All Eure Wünschen – was ich kann –

KÖNIG. Schlagt die Aragonier, und kehret wieder.

GRISALDO. Ich breche diese Stunde noch auf. Alle Soldaten sind noch hier. Die Aragonier sollen fühlen, daß sie übeltun, sich von neuem gegen die Kastilier aufzulehnen. Gott erhalte den König! Lebt wohl!

BASTIANO. Wenn das nicht sein Werk ist, so scheide mein Leben von mir.

KÖNIG. Laßt mich allein. Ab.


Bastiano und Curio.


CURIO. O Bastiano! – wie ist das nun?

BASTIANO. Laß mich gehen und überdenken.

CURIO. Die Infantin, Bastiano! oder die Hölle.

BASTIANO. Mir! Mir Unersättlichen!

CURIO. So erklär dich!

BASTIANO. Komm fort in dunkle Gänge. Dieser König hat sich auf ewig vor meinen Augen prostituiert. Ha! ich will ihm die Krone von seinem Haupt reißen, und auf seinem Herzen wild tanzen. Haben wir kein Herz und Gefühl für dich, heiße anhängliche Seele? Sind das königliche Gedanken und Empfindungen? Es ist aus! Stampft wild. es ist aus! Wo sind des Menschen Kräfte? Wie steigen des Menschen Kräfte? Wie sinken[1101] des Menschen Kräfte? Gegenwart und Zukunft, und wo durchbrechen, wo die Kette fassen, und zusammenbinden, und dann sagen: Nun ist's! Versteh ich mich? Komm fort, Träumer! He! Schüttelt ihn.

CURIO. Die Infantin! Über dem Himmel und hier der Wurm! Bastiano! reiße mich aus diesem tauben Sinn! Ha! was spritzen deine Augen Funken?

BASTIANO. Kastilien! Aragonien! Leon! Deine schneeweiße Hand! Deine Lilienhand! Dein weißer gehobner Busen! Dein elfenbeinerner Hals! Deine spielende, schlimme Augen! Deine blonde schöne Bogen oben über! Die Röte deiner Wangen! Deine Haaren den Nacken herunter – bist du auf meinen Lippen, Seele? Willst du ausspannen, Geist? Und ich atme und ziehe dich zurück, und geißle dich Unbändigen, schrei und tobe! Bastiano, über dir!

CURIO. Deine Augen geißlen mich zusammen, meine Seele blutet, Infantin!

BASTIANO. Narr! Narr! Narr! – Tritt auf, du volles, liebes Bild! He! Streckt die Arme auseinander. Feuer! Himmel! Hölle! Bastiano! Schließ dich Welten auf, und umfaß!

CURIO. Züchtige mich, Grisaldo! Du hast mich auf Dornen gestreckt, ich will mich auf Rosen betten.

BASTIANO. Ha, so hätt ich dich an meinem Busen! so hätt ich dich in meinen Ärmen, gefaßt in meinen Händen – Es ist da! – So schwind ich mit dir in Feuerwirblen – Narr! Narr! Curio! Siehst du, wie ich's hab? wie ich's halte? Deine Hände weg, ich leide keinen Eingriff.

CURIO. Bastiano! ich halte nichts.

BASTIANO. Ha! Ha! Du hältst nichts!

CURIO. Ich zittre und bebe der Zukunft entgegen.

BASTIANO. Ich hab und halte, und bin gewiß. Staub, kehr zu deinen Büchern, was stehst du Menschen im Licht!

CURIO. Erhöhe mich!

BASTIANO. Ha! Ha! Geduld! Ich denk du hättest diese Tugend lernen sollen, Wurm! Komm und lerne. Gehst du bald![1102]

Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 1091-1103.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Nachtstücke

Nachtstücke

E.T.A. Hoffmanns zweiter Erzählzyklus versucht 1817 durch den Hinweis auf den »Verfasser der Fantasiestücke in Callots Manier« an den großen Erfolg des ersten anzuknüpfen. Die Nachtstücke thematisieren vor allem die dunkle Seite der Seele, das Unheimliche und das Grauenvolle. Diese acht Erzählungen sind enthalten: Der Sandmann, Ignaz Denner, Die Jesuiterkirche in G., Das Sanctus, Das öde Haus, Das Majorat, Das Gelübde, Das steinerne Herz

244 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon