Erste Szene


[1103] Nacht.

Palast.

Infantin und Lilla.


INFANTIN. Kind! geschwind! es ist alles bereitet.

LILLA. Curio trabt schon im Garten auf und ab, nach den vier Winden reichend, zu den Sternen seufzend. Ich hab ihn geplagt, ihn mit Steinchen geworfen, er merkte nichts, und warf sich ins Dickichte. Und doch hört man ihn stöhnen und ächzen, herumfahren, wie einen Beseßnen.

INFANTIN. Der unausstehliche Narr! Was ist die Glocke?

LILLA. Bald Mitternacht. Die Stunde, wo er sich erfrecht, vor deinem Zimmer zu seufzen, und deinen holden Schlaf zu stören. Hast du deine Cöcilia abgerichtet?

INFANTIN. Ich hab sie eben ihre Rolle machen lassen. Schade, daß ich sie nicht herauslassen darf, sie machte ihn unsinnig.

LILLA. Laß sie doch! Laß sie in deiner Person mit ihm reden.

INFANTIN. Er wird noch kecker und rühmt sich's. An das Zimmer. Cöcilia! schlaf sanft! – Jetzt einen Liebestraum! Laut! Süß! – Recht gut, Cöcilia! Diese Stimme macht ihn zu Eis, oder bringt ihn dahin, in seinem eignen Feuer zu ersticken.

LILLA. Wir wollen uns indessen hinter die Wand stellen, und ihn behorchen. Und denn das übrige. Er muß gezüchtiget werden für seine unsinnige Frechheit. Wahrhaftig in ganz Kastilien findet man keine Impertinenz mehr, er hat sie alle aufgesammelt. Ich wollt, ich könnte alle Gespenster Kastiliens herbeiwinken, ihn zu kneipen. Wenn ich dich nur wieder dahin brächte, daß du herzlichen Anteil an all den Possen nähmst. Liebe, dieses allein erleichtert unser Herz in etwas auf ein Stündchen, von der schweren empfindenden Bürde.

INFANTIN. Lilla, sie ist mir leicht – Aber der Mensch dauert mich fast –

LILLA. Wie, ein Mensch, den du nicht leiden kannst? Und wenn du ihn leiden könntest, der so verwegen ist, alle Nacht vor deinem Schlafzimmer zu lauschen, mit der Sonne erst wieder wegschleicht, und dich in Gerede bringt. Es ist ein schweres Verbrechen gegen dich, und eine entsetzliche Beleidigung gegen die Infantin. Was fahren uns Kinder nicht manchmal im[1103] Schlaf Sachen aus dem Mund, die unser Herz allein wieder zurücknehmen muß. Fort!


Verstecken sich.


CURIO in der Ferne. Ha mein Herz!

LILLA. Hörst du ihn schleichen, und mit jedem Tritt tief geholte Seufzer?

INFANTIN. Er spricht! Hör!

CURIO. Ich hätt's ihr nicht sagen sollen, ich hätt's ihr besser, feuriger sagen sollen. Ich hätt ihr nichts sagen sollen, sie erschleichen sollen, mir lieber die Zung aus dem Hals, das Herz aus dem Leib reißen sollen. Hätt sie nicht sehen sollen! Ach sie sehen! sie sehen! und nicht sagen! ihre schneeweiße, warme Hand halten, ihr ins Auge sehen, und nicht fassen, nicht fortschleppen sollen in der Brunst die beste Beute, nicht genießen die beste Beute!

LILLA. Flegel! Hörst du den impertinenten Kerl?

INFANTIN. Kneip ihn dafür!

CURIO. Welt! verfluchte Welt! Natur! o meine Begierde reizen und unterdrücken! Schwarze, finstre Nacht, meine Seele gleicht dir! Lieblicher, reiner Himmel! meine Seele gleicht dir!

LILLA. Laß mich ihm mit einem Steinchen auf seine arrogante Nase werfen.

INFANTIN. Still nur!

CURIO. Ach ihr Phantomen! Ihr Wollustbilder! Ihr Phantasien! Ihr Schreck- und Liebesbilder, ihr zerarbeitet, zehrt mich auf, ich hab nichts, euer Schatten täuscht mich nicht, euer Dasein peinigt mich. Ha! strebt sich's auf! Ihre Hand! Ihre weiche Hand! Wollt mit dem Satan einen ewigen Bund machen, sie zu haben, wollt dem schwarzen Teufel meine Seele und Leib geben für eine heiße, liebevolle Umarmung.

INFANTIN. Erschrecklich!

LILLA. Zittre nicht! Hundert Streiche mehr!

CURIO. Ich vagier, vagier im Strudel. Ich vagier, ich bin irr. Wo ist meine Seele? Wo mein Geist? Wo mein Leib? Vagabundus! Vagabunda! Pst! Oh! Oh! Im dürren Sand waden, in Sonnenhitze mir das Cerebellum verbrennen, meine Sinne, mein Wissen, meine Gelehrsamkeit versengen. Meine Hitze mit der Sonne kämpfend! Mich abarbeiten, bis ich sink. In Ohnmacht sink, in Liebesschwäche, in Raserei sink, und so mein Geist in girrender stechender Wollust von meinen Lippen, ihrem Busen zuflattert. Brunst! Wildheit! Ich werde schwach.

INFANTIN. Ich kann nichts mehr hören.[1104]

LILLA. Bleib nur! Was er beginnt. Wollen wir ihn in den Froschgraben tragen lassen? in die Froschpfütze? Sag ja!

CURIO. Unermeßliche, unergründliche Gierden lösen mich auf, lösen mir das Fleisch vom Leibe, saugen mit rauher Zunge das Mark aus meinen Knochen, machen mich den Gespenstern gleich, die um mich sind.

LILLA. Esel! Impertinenter Kerl! Kastiliens schönste Kinder sind hier.

CURIO. Ich dorre ja sichtbar. Vagier herum, ewige heiße Tränen in meinen Augen. Kein Blick von ihr, kein Mitleiden. Ich litt Verdammung um die kleinste Gunstbezeugung, und nennte sie Seligkeit. Wollust! Wollust! Ich muß sie schlafen hören, muß sie atmen hören, und wenn alle Teufel vor ihrer Türe Wache hielten. Ich muß ihren sanften Atem, ihren süßen Hauch in diese verbrannte Brust aufsammlen, muß ihn aus dem Schlüsselloch in mich ziehen. Muß sehen, wie der Mond in ihrem Zimmer spielt, und mit ihren Reizen buhlt. Muß Schatten genießen, muß rasend werden.


Naht sich der Tür, Cöcilia schläft inwendig.


LILLA. Hörst du die Frechheit, fühlst du die Beleidigung?

INFANTIN. Laß ihn züchtigen. Ich halt die Ohren zu.

CURIO. Ach du Allmächtige! wie sanft und ruhig dieser Hauch aus ihrer reizenden Brust steigt, in meinem Herzen laut und wild wiederschlägt. Infantin, kannst du so ruhig sein, und hier! – sie träumt und spricht – Ach du Allmächtige! Ihre Hand der Gardine heraus – hier steh ich vor dem Thron der Welt, meine Nerven schlagen zusammen, daß mich's zur Ohnmacht drückt. Ergreift die Schlinke. Gott, Teufel, Welt, alle böse und gute Geister in der Schöpfung sollen mich nicht abhalten, diese Tür zu erbrechen, um diese Göttin, den Inbegriff der Welt schlafen zu sehn, sie mit diesen Augen zu fressen. Tod ist Tod! Ich bin doch einmal geliefert. Will drücken. Packst du mich am Herz! Mut! – Nimmst du mir das Licht meines Verstandes? Dunkel! Ich vergeh! Sinkt nieder.


Lilla gibt ein Zeichen. Es kommen vermummte Personen, pfetzen und kneipen ihn, streichen ihn mit Ruten, kratzen sein Gesicht. Lilla ist eifrig.


LILLA. Peitsch, Infantin! Kratz ihn! Zerreißt sein Gesicht, und schreibt ihm hübsche Figuren mit euren Nägeln hinein. Zur Infantin. Brav, Kind! gib ihm! O kratz ihm einen Strich ins Gesicht, ich küß dich hundertmal.[1105]

CURIO scheint zu sich zu kommen.

LILLA. Auseinander, gute Nachtgeister! die ihr Kastiliens Mädchen bewachet, und die Frechheit straft!


Sie verschwinden.


CURIO sucht sich aufzurichten. Was war's? Blutig! Geängstet! Gekneipt! Gepeitschet! Lag ich unter Hexen, unter garstigen Hexen? Feigherziger Teufel, der du mich da anpackst, wenn meine Sinnen dunkel sind. Jetzt bin ich da, dir Trotz zu bieten. Ach die Wollust, da zu stehen, hat mich mehr zugrund gerichtet. Ich hab für nichts mehr Empfindungen, als für sie, und die lauft zum End mit meinem Leben. O weh! O weh! Wie zerschlagen! O weh! Schleicht weg.

LILLA. Ha! Hi! Er ist kühler worden. In die Froschpfütze mit dem garstigen Menschen! Ich bitte dich, meine Geister sollen ihm nachziehen.

INFANTIN. Es ist genug, das nächstemal.

LILLA. Ich wollt, daß es Morgen wär, ich kann den Tag kaum erwarten, was das Freude sein wird, mit dem zerhauenen Gesicht. Tu geheimnisvoll, als wenn du was wüßtest, und laß dir beichten. Besteh auf Geistern der weiblichen Sittlichkeit, man kann ihm alles anhängen. O zum Fressen war's! Aber der Kerl hat mich mit seinen unverschämten Reden mehr geärgert als gefreut, drum hieb ich so unbarmherzig zu.

INFANTIN. Ich zitterte, er ist unsinnig, häßlich unsinnig.

LILLA. Horch, Musik! Da kommt eine neue Komposition von Narrheit. Gewiß ist's der Don aus Navarra, der in uns beide verliebt ist, und nur wartet, welche ihm zuerst lächle, um sich für die zu bestimmen. Ein plumper Narr, der fein zu sein glaubt. Was machen wir mit ihm?

INFANTIN. Komm nur! Cöcilia!

LILLA. Gute Nacht, Grisaldo!

INFANTIN. Gute, liebe Nacht, Grisaldo!


Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 1103-1106.
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