Erste Szene


[1122] Valladolid.

Bastianos Haus.

Grisaldo und Lilla.


LILLA. Worin besteht deine Stärke, Grisaldo?

GRISALDO. In meinen Augen und Herz, Lilla.

LILLA. Das fühl ich. Und wie in deinen Augen?

GRISALDO. Zu dringen in die Herzen und Seelen, zu lesen in den Gesichtern und Mienen, Gedanken und Gefühl gegen oder wider mich. Zu schauen in weiter Ferne Gefahr, und vorkehren Mittel, sie zu vernichten.

LILLA. Und was siehst du denn in meinen Augen?[1122]

GRISALDO. Mehr Scherz und Mutwillen als Liebe, Lilla!

LILLA. Unglücklicher Wahrsager! Träf es ein, ich wollte dir mit tausend Küssen den Lohn abtragen. Meine Augen lügen.

GRISALDO. Und keinen auf Abschlag?

LILLA. Du vergifts und heilest nicht.

GRISALDO. Darüber hat noch kein Mädchen geklagt.

LILLA. Denk doch – Ich will nicht – Grisaldo! Häßlicher! Du sollst mir nicht so in die Augen sehen!


Hält die Augen zu.


GRISALDO. Kleine Lilla, so eigensinnig?

LILLA. Wie die Liebe! – Und wie besteht die Stärke in deinem Herzen?

GRISALDO. In Liebe und Bescheidenheit.

LILLA. Mächtiger, wer widersteht dir? Wie ein Mädchen, ein schwaches, kleines Ding von einem Weibchen, das nur mit Blumen und Lämmer spielt –

GRISALDO. Schwach! Und hast mich hingebracht –

LILLA hält ihm den Mund zu. Still! Still! und laß mich nichts hören. Wenn du in diesen Ton kommst, so reißt's hier. Mein Herz ist viel zu offen, zu angespannt jetzt. Grisaldo, du hast eine mächtige Zerstörung in mir angerichtet. All mein Mutwillen, meine schadlos haltende Ausgelassenheit – und nichts – nichts da –

GRISALDO. Wie nichts? Nichts dafür?

LILLA. Nichts! Nichts!

GRISALDO. Wie teuer ist dies Wort? dies kleine Wörtchen, daß dir noch nichts übers Herz kommen ist – Liebe?

LILLA. Ein Herz – halt! – Ja desto mehr ist's wert, Grisaldo, desto mehr umfaßt's. Wenn ich diese Isabella unter den Bäumen traurig wandern sah, ihre Brust zerspringend, und ihr fast gelöschtes Aug gen Himmel – Laß mich, Herzenbezwinger! Laß mich meinen Schäfchen! meinen Wiesen! meinen Fluren –

GRISALDO. Lilla, es ist Sehnen nach ihren Verwandten.

LILLA. Von denen sie ausgestoßen ist, Grisaldo? Belüg uns, o wir Mädchen lassen uns gern belügen – aber wenn sich Lilla belügen läßt – Macht einen Knicks. Wenn sich Lilla fangen läßt – Lauft ab.

GRISALDO. Wie weit? Wie weit?

LILLA. Übermütiger, ins Boskett.


Grisaldo ihr nach.

Bastiano und Curio treten auf.
[1123]

BASTIANO. Bravo! Bravo! Sahst du ihn springen, und sie fassen. Er rannte uns fast nieder. Gottlob! Daß doch jeder Mensch sein Schwaches hat, wo man ihm beikommen kann. Er schläft in Liebe, ist betrunken in Liebe. Die Weiber, Curio! Die Weiber haben ihn taub und unempfindlich gegen alles gemacht. Ha, ich bin jetzt in Atem, in vollem Atem. Jetzt dem Ziel nah, und strecke mich schon aus nach dem Preis. O ihr Götter! Die Weiber! Die garstige Weiber! Wie ich's längst dachte, gefangen der Starke, Feßlen her! und geblendet den Polyphem! Laß ihn das Meer treten, und Kastiliens Gebürge niederbrüllen. Ulysses schwimmt davon. Ich möchte des Teufels werden über diese Lilla. Es ist nichts anzufangen mit ihr. Sie ist behext von ihm. Drückte sich eher den Dolch in die Brust. Curio! Curio! Schläfst du? Sind deine Sinnen tot?

CURIO. Ha! Ich weiß nicht. Es liegt wie Blei auf meinem Geist.

BASTIANO. Ich will dich in Tiegel bringen, und einheizen, ob ich dein Edles von den Schlacken sondern kann. Wie jetzt, da wir dem schönen Ziel so nah sind. Ich dachte doch immer, daß mit dir nichts anzufangen wäre. Wie willst du zum Besitz der Infantin gelangen in dieser tauben Schlafsucht?

CURIO. O ich wache, ich wache schon.

BASTIANO. Du hast's nötig. Der heiße Prinz Zifaldo hat seine Augen auf sie geworfen, und diese Leute, Curio, schlafen nicht.

CURIO. Ich vergifte ihn.

BASTIANO. Sieh auf Grisaldo.

CURIO. Ich vergifte ihn, und wenn die Welt in ihm bestünde.

BASTIANO. Jetzt fühl ich, daß du wach bist. Curio! Curio! Noch einige kleine Schritte und du liegst in ihren Armen. Ach in ihren weißen, zarten Armen! Wie muß sich's ruhen da! Wie muß es sein von ihr in Liebe umhalset!

CURIO. Nur diese Minute!

BASTIANO. Kriegst du Krämpfe? Das ist Willen, das ist Feuer! Ich hab ausgerichtet, Curio, viel ausgerichtet.

CURIO. Wie Bastiano?

BASTIANO. Durch Weiber läßt sich alles ausrichten. Das seh ich immer mehr ein. Hast du Isabellen wahrgenommen?

CURIO. Wer sollte nicht, da sie um die Infantin ist.

BASTIANO. Du weißt, wie sie mit ihm herkam in Liebestaumel, in sichrer Liebe. Nimm noch dazu, daß sie sich mit ihm aufbrennen wollte, aus bloßer närrischer Liebe.

CURIO. Was denn dies hier?[1124]

BASTIANO. Ha nun seh ich, wo dir's fehlt! Esel! Siebenfacher Esel! Keine Sinne, kein Absehn –

CURIO. Ich bin ausgelöscht. Hilf mir fort! Bin stumpf worden, Bastiano, bin verwildert. –

BASTIANO. Von ihren Verwandten, von ihrer Nation veracht, darf sie nicht mehr nach Aragonien zurückkehren, wegen des schlechten Streichs, den sie ihnen machte, den Grisaldo nicht in die andre Welt schicken zu wollen. Sie hätte uns viel erspart. Jetzt in stechender Eifersucht lebend, wo sich tausend wilde Entschlüsse in ihrer gekränkten Seele auf und ab wiegen. Wie wenig kostet's einen gelten zu machen. Und ich kann dir nun sagen, ich bin nah dran.

CURIO. Aber ihr edles Herz, ihre Treue.

BASTIANO. Eben darum. Verkannt, vergessen, unbelohnt. Wie wirkt das aufs Weib? Ein edles Herz, eben gut. Keine Feigheit, brausender, unüberlegter Mut, eben gut. Curio! Ein edles Herz sinnt Rache. Ein großes Herz, wie sie hat, sinnt Rache. Alles muß sie aufbringen, zu rächen. Was muß das ein Weib sein, eine Liebe sein, um sein Volk zu befriedigen, um seine Treue dabei nicht zu brechen, sich lieber in den Armen des Geliebten von den Flammen fressen zu lassen?

CURIO. Aber sie geht lieber mit zugrund.

BASTIANO. Pinsel! Pinsel! Tausendfacher Pinsel! Fragt der edle Grisaldo darnach, wenn er eine Hauptfestung bestürmt, ob hundert um ihn herum niedersinken? Er avanciert fort, wenn er nur seinen Zweck erreicht. Und ein Weib! Nur ein Weib! Hast du noch nicht bemerkt, daß dies der Gang der Welt ist, und bist ein Gelehrter.

CURIO. Bin nichts mehr.

BASTIANO. Macht's die Natur nicht ebenso? Das verwüstende Ungewitter frißt hier Tausende, und bereitet den andern Überfluß. Wirst du nicht gewahr, von Liebe Verblendeter, daß wir dadurch die Köpfe aus der Schlinge ziehen. Daß alle Gefahr für uns wegfällt. Laß sie seine Soldaten in Stücken hauen, wir brüsten uns, und fluchen mit.

CURIO. Er besucht sie doch immer noch.

BASTIANO. Teufel, was quälst du mich? Wie sollten wir ihn denn hinbringen? Merkst du denn nicht, daß ein edles, sich fühlendes Herz keinen Schein von Teilung leiden kann, und sie muß sie wirklich leiden. Wie wenn die Infantin um hundert Männer herumliebelte, käme denn zu dir –[1125]

CURIO. Tausendfachen Tod lieber.

BASTIANO. Und ein Weib, das wenn es von einem Wunsch, von einer Leidenschaft bemeistert ist, nichts anders sieht, nichts anders hört, als dies, nach nichts anders strebt, als nach dem, dem einzigen Gedanken, der ihre ganze Seele, ihr ganzes Wesen füllt. Die alles aufbietet, an der kein Faser lebt, keine Nerve schlägt, keine Empfindung sich regt, die nicht all von diesem einzigen Gefühl geboren würde. Denn übertreffen sie uns weit, Curio! – Und wenn das noch ist, daß die maurische Prinzessin sich hier verborgen aufhält, so hab ich's, so hab ich's. Die Köpfe aus der Schlinge, das ist's, worauf man zu sehen hat.

CURIO. Nun dann! – Was hattest du diese Nacht? Auf meinem Herumvagieren sah ich viele Leute zu dir gehen.

BASTIANO. Ritter und Dons, all auf unsrer Seite. Es kostet einem Curio. – Husch Prinz Zifaldo.


Prinz Zifaldo tritt auf.


CURIO. Mein Nebenbuhler.

PRINZ ZIFALDO. Ich komm da soeben – ich hab gestern ein Mädchen, ein schönes Mädchen gesehen, wie eine Huri schön. Man sagte mir, Bastiano, es sei Eure Schwester, und so will ich diese Nacht bei ihr schlafen. Wo ist sie?

BASTIANO. He mein heißer Prinz!

PRINZ ZIFALDO. Was macht der Mensch da für ein Gesicht? Ich seh bei euch so viele traurige, in sich nagende Gesichter – was fehlt euch Menschen denn, daß ihr keine Freude zu finden wißt? Und Ihr selbst, Bastiano, habt ein Gesicht – was fehlt Euch? Wenn wir Frieden haben, wir jagen, wir kämpfen, haben unsre Weiber, da ist kein Tag ohne Genuß und Freude – Aber eure Verfassung, und daß ihr alle groß sein wollt – was weiß ich, was euch fehlt. – Bastiano, habt Ihr noch nichts von meiner Schwester entdeckt? Mein Vater wird zum Narren über sie.

BASTIANO. Nichts! Nichts!

PRINZ ZIFALDO. Ein verfluchtes Land, wo man kein Mädchen auffinden kann, das so kenntlich ist. Wär's in Granada, und wenn sie in eine Fuchshöhle kröche, ich wollt sie aufspüren. Da hat er's mit seinem General, mir liegt am Ende wenig dran.

BASTIANO. Sie wird sich vermummt haben.

PRINZ ZIFALDO. So führt mich zu Eurer Schwester! Was soll ich hier mit euch kalten Leuten? Ich hab weiter nichts mit euch zu[1126] treiben. Wo ist's Mädchen? Schön, ganz nach unserer Weise, in Wuchs, in Gang, in Munterkeit –

BASTIANO. Der General ist bei ihr.

PRINZ ZIFALDO. Mit welchem bösen Geist steht der Mensch im Verständnis, daß er mir alle Mädchen raubt, daß er mir alles raubt, wornach ich strebe? Ich will ihm noch das Herz aus dem Leibe fressen. Überall der General, und alles für den General.

BASTIANO. Nur Geduld, Prinz!

PRINZ ZIFALDO. Da wißt Ihr Euch viel drum um Eure Geduld. Ihr könnt Euch übrigens auf mich in allem verlassen. Hört, so will ich diese Nacht zu Eurer Schwester kommen, sagt's ihr nur.

BASTIANO. Aber das geht so hier nicht wie in Afrika.

PRINZ ZIFALDO. Seid Ihr auch von denen, die immer übers andre Wort sagen, es schickt sich nicht. Es ist doch ein verfluchtes Land, wo Ihr innen wohnt. Ich kann euch nicht begreifen. Was für Zeremonie, was für Gewohnheit, was für Steifes, für Falten in den Gesichtern? Wie soll ich hier durchkommen mit meinem heißen maurischen Blut? Das geht in unserm Lande nicht, ist die ewige Antwort. Ich will ja lieber unter wilden Tieren leben, da darf ich doch zugreifen, was ich unter mich bringen kann. Das ist eine Anständigkeit, Sittlichkeit, womit hier alles überschmiert ist, es scheint, ihr habt Offenheit und Natur mit Fleiß aus und von euch gejagt. Und sind denn die Weiber nicht für uns gemacht etwa? Ich werf mich der Infantin um den Hals, weil sie mir gefällt, sie schreit, als bleckte der Tod aus mir. Versteckt sich die ganze Zeit für mir – Und ich will bei ihr schlafen, ich schwör's beim Propheten, diese Nacht noch. Ich lieb sie ja, ist das euern Weibern kein Dank?

BASTIANO. Antwort doch, Curio! – Ich müßte zu weit ausholen, mein Prinz, um Euch zu beweisen, und Ihr hört auch nicht –

PRINZ ZIFALDO. Ja da ist zu beweisen! – wo ich nur eine seh, die mir gefällt, spring ich ihr nach, lauft sie wie vor wildem Feuer. Ich mein's ja gut mit ihnen. Und sie sollten doch einen Unterschied fühlen zwischen mir und euch bleichen, abgehärmten, traurigen Gesichtern, die mit ihrem Blut, Herz und Geist beständigen Krieg zu haben scheinen. In Granada ist das anders, da ist jeder zufrieden mit seinem Stande, und sucht dem Feind so viel Abbruch zu tun, als möglich. Und dann sind unsre Weiber nichts, und hier sind sie alles. Tret ich unter[1127] meine Mädchen, so neigen sie sich, und laufen mir in die Arme, und jede streitet mich zur Beute zu haben. Das ist ihr Streben, aber hier strebt ihr.

BASTIANO. Ja, ja das mag auch ganz hübsch unter euch sein. Aber wir –

PRINZ ZIFALDO. O laßt mich! – Ich will diese rehfüßige Infantin aufsuchen bis in ihr innerstes Gemach. Wie? Der General hat meine Schwester liebgehabt, und sie ist die schönste Prinzessin in Afrika, und ich sollte nicht bei dieser schlafen? Ist das Erwiderung des Gastrechts? Und euer König, der weder jagt, noch trinkt, noch kriegt, noch Weiber hat? O mir! wie engt's einem hier! Wenn ich dieses Land ein Jahr unter meiner Herrschaft hätte, beim Prophet! Es sollte anders sein. Aber so seid ihr! Immer Dunst, immer heuchlerischer Glanz, und in den Winklen seid ihr Schweine, und nennt uns doch Barbaren.

CURIO für sich. Das ist impertinent.

PRINZ ZIFALDO. Zur Infantin! Ich müßte ja meinem Vater sagen, ich hab geschlafen hier.

BASTIANO. Prinz, habt Ihr noch nicht die Isabella von Aragonien gesehen? Das wär was für Euch!

PRINZ ZIFALDO. Aber sie seufzt ja beständig.

BASTIANO. Da ist der General schuld.

PRINZ ZIFALDO. Schon wieder.

BASTIANO. An Euch wär's, sie zu Freude zu bringen. Es ist was Leichtes bei so einem Mädchen der Übergang.

PRINZ ZIFALDO. Wenn sie mir in Wurf kommt. Mittlerweile zur Infantin!

CURIO. Ich muß ihm nach. Ich kann's nicht mehr aushalten hier.

BASTIANO allein. Schurke! Schurke von einem Curio! Wer arbeitet, erwirbt. Ich will dich zum Teufel jagen am Ende. Muß gehen und Isabellen aufsuchen. Das wär der Weg. So auf den Punkt stehen, das treibt den Geist. Ich kann nicht atmen, wenn ich's denk. O was das in einem treibt und springt, ich mein, ich müßt aus mir springen und Kühle suchen. Häng dich auf, Bastiano, wenn's Säue gibt. Ich will einen seidenen Strick bei mir führen, pfui Bastiano, wo dein Vertrauen?[1128]


Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 1122-1129.
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