Erste Szene

[1144] Zimmer im Gasthofe.

Wild. La Feu. Blasius. Treten auf in Reisekleidern.


WILD. Heida! nun einmal in Tumult und Lärmen, daß die Sinnen herumfahren wie Dachfahnen beim Sturm. Das wilde Geräusch hat mir schon so viel Wohlsein entgegengebrüllt, daß mir's würklich ein wenig anfängt besser zu werden. So viel Hundert Meilen gereiset um dich in vergessenden Lärmen zu bringen – Tolles Herz! du sollst mir's danken! Ha! tobe und spanne dich dann aus, labe dich im Wirrwarr! – Wie ist's euch?

BLASIUS. Geh zum Teufel! Kommt meine Donna nach?

LA FEU. Mach dir Illusion Narr! sollt mir nicht fehlen, sie von meinem Nagel in mich zu schlürfen, wie einen Tropfen Wasser. Es lebe die Illusion! – Ei! ei, Zauber meiner Phantasie, wandle in den Rosengärten von Phyllis' Hand geführt –

WILD. Stärk dich Apoll närrischer Junge!

LA FEU. Es soll mir nicht fehlen, das schwarze verrauchte Haus gegenüber, mitsamt dem alten Turm, in ein Feenschloß zu[1144] verwandeln. Zauber, Zauber Phantasie! – Lauschend. Welch lieblich, geistige Symphonien treffen mein Ohr? – – Beim Amor! ich will mich in ein alt Weib verlieben, in einem alten, baufälligen Haus wohnen, meinen zarten Leib in stinkenden Mistlaken baden, bloß um meine Phantasie zu scheren. Ist keine alte Hexe da mit der ich scharmieren könnte? Ihre Runzeln sollen mir zu Wellenlinien der Schönheit werden; ihre herausstehende schwarze Zähne, zu marmornen Säulen an Dianens Tempel; ihre herabhangende lederne Zitzen, Helenens Busen übertreffen. Einen so aufzutrocknen, wie mich! – He meine phantastische Göttin! – Wild, ich kann dir sagen, ich hab mich brav gehalten die Tour her. Hab Dinge gesehen, gefühlt, die kein Mund geschmeckt, keine Nase gerochen, kein Aug gesehen, kein Geist erschwungen –

WILD. Besonders wenn ich dir die Augen zuband. Ha! Ha!

LA FEU. Zum Orkus! du Ungestüm! – Aber sag mir nun auch einmal, wo sind wir in der würklichen Welt jetzt. In London doch?

WILD. Freilich. Merktest du denn nicht daß wir uns einschifften? Du warst ja seekrank.

LA FEU. Weiß von allem nichts, bin an allem unschuldig. – Lebt denn mein Vater noch? Schick doch einmal zu ihm Wild, und laß ihm sagen, sein Sohn lebe noch. Käme soeben von den Pyrenäischen Gebürgen aus Friesland. Weiter nichts.

WILD. Aus Friesland? –

LA FEU. In welchem Viertel der Stadt sind wir dann?

WILD. In einem Feenschloß La Feu! Siehst du nicht den goldnen Himmel? die Amors und Amouretten? die Damen und Zwergchen?

LA FEU. Bind mir die Augen zu! Wild bindet ihm zu. Wild! Esel! Wild! Ochse! nicht zu hart! Wild bindet ihn los. He! Blasius, lieber bissiger, kranker Blasius, wo sind wir?

BLASIUS. Was weiß ich.

WILD. Um euch auf einmal aus dem Traum zu helfen, so wißt; daß ich euch aus Rußland nach Spanien führte, weil ich glaubte, der König fange mit dem Mogol Krieg an. Wie aber die spanische Nation träge ist, so war's auch hier. Ich packte euch also wieder auf, und nun seid ihr mitten im Krieg in Amerika. Ha laßt mich's nur recht fühlen auf amerikanischen Boden zu stehn, wo alles neu, alles bedeutend ist. Ich trat ans Land – Oh! daß ich keine Freude rein fühlen kann![1145]

LA FEU. Krieg und Mord! o meine Gebeine! o meine Schutzgeister! – So gib mir doch ein Feenmärchen! o weh mir!

BLASIUS. Daß dich der Donner erschlüg, toller Wild! was hast du wieder gemacht? Ist Donna Isabella noch? He! willst du reden! meine Donna!

WILD. Ha! Ha! Ha! du wirst ja einmal ordentlich aufgebracht.

BLASIUS. Aufgebracht? Einmal aufgebracht? Du sollst mir's mit deinem Leben bezahlen, Wild! Was? bin wenigstens ein freier Mensch. Geht Freundschaft so weit, daß du in deinen Rasereien einen durch die Welt schleppst wie Kuppelhunde? Uns in die Kutsche zu binden, die Pistole vor die Stirn zu halten, immer fort, klitsch! klatsch! In der Kutsche essen, trinken, uns für Rasende auszugeben. In Krieg und Getümmel von meiner Passion weg, das einzige was mir übrigblieb –

WILD. Du liebst ja nichts Blasius.

BLASIUS. Nein, ich lieb nichts. Ich hab's so weit gebracht, nichts zu lieben, und im Augenblick alles zu lieben, und im Augenblick alles zu vergessen. Ich betrüg alle Weiber, dafür betrügen und betrogen mich alle Weiber. Sie haben mich geschunden und zusammengedrückt, daß Gott erbarm! Ich hab alle Figuren angenommen. Dort war ich Stutzer, dort Wildfang, dort tölpisch, dort empfindsam, dort Engelländer, und meine größte Conquête machte ich, da ich nichts war. Das war bei Donna Isabella. Um wieder zurückzukommen – deine Pistolen sind geladen –

WILD. Du bist ein Narr, Blasius, und verstehst keinen Spaß.

BLASIUS. Schöner Spaß dies! Greif zu! Ich bin dein Feind den Augenblick.

WILD. Mit dir mich schießen! Sieh, Blasius! ich wünschte jetzt in der Welt nichts als mich herumzuschlagen, um meinem Herzen einen Lieblingsschmaus zu geben. Aber mit dir? Ha! Ha! Hält ihm die Pistole vor. Sieh ins Mundloch und sag, ob dir's nicht größer vorkommt als ein Tor in London? Sei gescheit Freund! Ich brauch und lieb euch, und ihr mich vielleicht auch. Der Teufel konnte keine größre Narren und Unglücksvögel zusammenführen, als uns. Deswegen müssen wir zusammen bleiben, und auch des Spaßes halben. Unser Unglück kommt aus unserer eigenen Stimmung des Herzens, die Welt hat dabei getan, aber weniger als wir.

BLASIUS. Toller Kerl! ich bin ja ewig am Bratspieß.[1146]

LA FEU. Mich haben sie lebendig geschunden, und mit Pfeffer eingepökelt. – Die Hunde!

WILD. Wir sind nun mitten im Krieg hier, die einzige Glückseligkeit die ich kenne, im Krieg zu sein. Genießt der Szenen, tut was ihr wollt.

LA FEU. Ich bin nicht für'n Krieg.

BLASIUS. Ich bin für nichts.

WILD. Gott mach euch noch matter! – Es ist mir wieder so taub vorm Sinn. So gar dumpf. Ich will mich über eine Trommel spannen lassen, um eine neue Ausdehnung zu kriegen. Mir ist so weh wieder. O könnte ich in dem Raum dieser Pistole existieren, bis mich eine Hand in die Luft knallte. O Unbestimmtheit! wie weit, wie schief führst du den Menschen!

BLASIUS. Was soll's aber hier am Ende noch werden?

WILD. Daß ihr nichts seht! Um aus der gräßlichen Unbehaglichkeit und Unbestimmtheit zu kommen, mußt ich fliehen. Ich meinte die Erde wankte unter mir, so ungewiß waren meine Tritte. Alle gute Menschen, die sich für mich interessierten, hab ich durch meine Gegenwart geplagt, weil sie mir nicht helfen konnten. –

BLASIUS. Sag lieber nicht wollten.

WILD. Ja, sie wollten. Ich mußte überall die Flucht ergreifen. Bin alles gewesen. Ward Handlanger um was zu sein. Lebte auf den Alpen, weidete die Ziegen, lag Tag und Nacht unter dem unendlichen Gewölbe des Himmels, von den Winden gekühlt und von innern Feuer gebrannt. Nirgends Ruh, nirgends Rast. Die Edelsten aus Engelland irren verloren in der Welt. Ach! und ich finde die Herrliche nicht, die einzige, die da steht. – Seht, so strotze ich voll Kraft und Gesundheit, und kann mich nicht aufreiben. Ich will die Kampagne hier mitmachen, als Volontär, da kann sich meine Seele ausrecken, und tun sie mir den Dienst, und schießen mich nieder; gut dann! Ihr nehmet meine Barschaft, und zieht.

BLASIUS. Hol mich der Teufel! Dich soll keiner totschießen, edler Wild.

LA FEU. Sie könnten's doch tun.

WILD. Können sie's besser mit mir meinen? – Stellt euch vor, als wir uns einschifften, sah ich in der Ferne den Schiffskapitän auf seinem Schiff.

BLASIUS. Der die feindliche Antipathie auf dich hat. Ich mein du hättst ihn in Holland totgeschossen.[1147]

WILD. Dreimal schon mit ihm auf Leben und Tod gestanden, und noch läßt er mir keine Ruhe, und nie beleidigte ich den Menschen. Ich gab ihm eine Kugel, und er mir einen Stoß. Es ist grausam wie er mich haßt ohne Ursach. Und ich muß gestehen, ich lieb ihn. Es ist ein braver, rauher Mann. Weiß der Himmel, was er mit uns vorhat. Laßt mich eine Stunde allein!

DER WIRT. Die Zimmer sind bereit Mylords. Sonst was gefällig?

WILD. Wo sind meine Leute?

WIRT. Haben gessen und schlafen.

WILD. Sie lassen sich wohl sein.

WIRT. Und Sie befehlen nichts?

WILD. Den stärksten Punsch, Herr Wirt.

LA FEU. Der fehlt dir noch, Wild.

WILD. Ist der General hier?

WIRT. Ja, Mylord!

WILD. Was für Fremde sind im Hause? Doch ich mag's nicht wissen.


Geht ab.


BLASIUS. Mich schläfert.

LA FEU. Mich hungert.

BLASIUS. Mach dir Illusion, Narr! – Alle Welt Teufel von meiner Donna weg! Alle gehen ab.


Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 1144-1148.
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