Zweite Szene

[1148] Lord Berkleys Zimmer.

Lord Berkley. Miss Caroline.

Caroline auf einem Klavier in süßer melancholischer Schwermut phantasierend.


BERKLEY ein Kartenhaus auf kindische phantastische Art bauend. So ganz zum Kind zu werden! Alles golden, alles herrlich und gut! Dieses Schloß bewohnen, Zimmer, Saal, Keller und Stall! – All des bunten, verworrnen, undeutlichen Zeugs! – Ich find an nichts Freude mehr. Glückliche Augenblicke der Kindheit, die ihr rückkehrt! Find an nichts Freude mehr, als an diesem Kartenschloß. Bedeutend Sinnbild meines verworrnen Lebens! Ein Stoß, ein harter Tritt, ein leichtes Windchen, wirft dich zusammen; aber der feste unermüdete Mut des Kindes, der dich wiederaufbaut! Ha! so will ich mich mit ganzer Seel 'nein verschließen, und denken und fühlen nichts anders, als wie[1148] herrlich es ist in dir zu weben und zu sein. – Lord Bushy! ja mein Seel! ich räumte dir ein Zimmer ein. So unfreundlich du gegen mich warst, sollst du Berkleys bestes Zimmer bewohnen. Ha! es kehrt sich doch immer in mir herum, störrischer Bushy! sooft ich rückdenk. Einen von Haus und Hof vertreiben, bloß weil Berkley fetter stund als Bushy – es ist schändlich. Und doch dies Zimmer, ausgemalt mit meiner Geschichte, steht dir zu Dienst. – Ja wer das zusammenfassen könnte, da mein Herz so klein zu ist – Ha! Ha! Lord Berkley! dir ist wohl, da du wieder zum Kind wirst! – Tochter!

CAROLINE. Mein Vater!

BERKLEY. Kind! Du glaubst nicht wie wohl einem werden kann. Sieh! Soeben bau ich Bushys Zimmer. Wie gefällt dir's?

CAROLINE. Recht wohl Mylord! Wahrhaftig, ich wollte seine Magd werden und ihm dienen, Ihrer Ruhe wegen.

BERKLEY. Wo er sich herumtreiben mag, der feindliche Bushy! – Von Haus und Hof! Von Weib und Gut! – Bushy es kann nicht sein! – Und da mein süßes Kind um alles zu bringen. – Nein, Mylord, wir können nicht zusammen wohnen.


Zerschlägt das Kartenhaus.


CAROLINE. Mein Vater!

BERKLEY. Wie, Miß? Schäme dich! bist du Berkleys Tochter! Bushy dienen? Bushys Magd? keiner Königin nicht. Ha! das könnte mir in tiefen Schlaf einfallen und mich toll machen. Bushys Magd Miß! Wollen Miß nicht widerrufen? Bushys Magd?

CAROLINE. Nein, Lord! Nur nenne mich Tochter! Oh, das Wort Miß, ist ein herber Schall für Berkleys Tochter aus Vater Berkleys Mund.


Seine Hand küssend.


BERKLEY. Hm! gute Jenny! – Lebe unsre Lord- und Mißschaft! – Aber ich kann nicht mit ihm zusammen wohnen. Wahrhaftig, ich käm in Versuchung ihn im Schlaf zu erwürgen. – Oh, gib mir kindische Ideen! Ich find an nichts Freude mehr. All meine Lieblingssachen, meine Kupfer, meine Gemälde, meine Blumen, alles ist mir gleichgültig geworden.

CAROLINE. Wenn Sie's mit der Musik versuchten – vielleicht daß dies –

BERKLEY. Nu! laß doch sehen! –

CAROLINE spielt ihm vor.

BERKLEY. Nein! Nein! o ich bin doch immer der weiche, närrische Kerl, aus dem ein reiner Ton machen kann, was er will. Und[1149] kurios ist's Kind, es gibt Töne, die mir ein ganzes, trauriges Gemälde durch einen Klang, aus meinem widrigen Leben vor die Augen stellen; und wiederum welche, die meine Nerven so freudig treffen, daß wie der Ton zum Ohr kommt, eine der Freudenszenen aus meinem Leben dasteht. Zum Beispiel, soeben begegnete mir deine Mutter in dem Park zu Yorkshire, und hüpfte so recht freudig aus der dichten Allee, wo seitwärts der Bach sich schlängelt und murmelt, wie du dich erinnern wirst. Ich hört es genau, und so das Fliegengesums im Sommer um einen. Ich wollt sie soeben herzen, und ihr was Lustiges erzählen, als du andre Saiten griffst. –

CAROLINE. Bester Vater! o meine Mutter!


Die Augen gen Himmel.


BERKLEY. Ja, so mit nassem Aug hinauf, ich weiß wie das ist. So sah sie oft, und ihr Aug, das redete wie das deinige. O Kind! Und wie du nun die Töne wandeltest, freilich war's Bushy und Hubert. Du siehst also daß das nicht geht. Ich weiß nicht wie's ist, daß ich just in mir so ganz anders aufgespannt bin.

CAROLINE. Ich weiß was Musik tut, was sie diesem Herzen gibt und nimmt. Sich so in eine Zauberidee hineinspielen, und wenn man sich denn umsieht ob er da ist – der! der! aller Töne Inhalt und Widerklang – der! – Herz! mein Herz!


Erschrocken, ihre Augen verbergend.


BERKLEY. Hm! Hm! Herz mein Herz! – Setz dich zu mir und hilf mein Schloß wiederaufbauen. Siehst du! ich hab's weit gebracht gottlob! zerschlagen und wiederaufbauen! Ha! Ha! – Nu lustig! Nimm du den rechten Flügel und ich den linken. Und wenn der Palast steht, so wollen wir die bleierne Soldaten nehmen, und du kommandierst ein Bataillon und ich eins. Wir schlagen uns herum wie Bushy und Hubert, dann machen wir Komplott, greifen das Schloß an, werfen den alten Berkley nackend mit seiner kleinen Jenny und guten Weib heraus. Stecken's an – Feuer und Flammen – he Miß!

CAROLINE ihre Augen wischend, seine Stirne küssend. Unglückliches Gedächtnis! daß der Himmel ruhige Vergessenheit auf dein graues Haupt träufelte, alter Berkley! Vater uns mangelt nichts, uns ist wohl. Was ist Bushy, daß der edle Berkley in seinem sechzigsten Jahr seiner denken sollte.

BERKLEY. Ich denk seiner nicht, närrisch Kind! Was kann ich dafür daß mir's immer noch so bitter aufquillt. Ich fühl's nur so.[1150]

CAROLINE. Das eben.

BERKLEY. Ich will dir's vorposaunen wie er mit deinem Vater umging. – Laß mich mit dem Blick! Nun ja, ich wollt ich hätt ihn, er sollte ruhig und friedlich sein Haupt in meinen Schoß legen. Aber hier müßtest du stehen und keinen Schritt weichen, sonst wenn er so vor mir stünde – o Gott! du hast uns wunderbar gebaut, wunderbar unsre Nerven gespannt, wunderbar unser Herz gestimmt!

CAROLINE. Hatte Bushy nicht einen Sohn?

BERKLEY. Freilich. Ich möchte fast sagen einen braven rüstigen, wilden Knaben, wenn's Bushys Sohn nicht wäre.

CAROLINE. Hieß er nicht Carl? hatte blaue Augen, braune Haare, und war größer als alle Knaben seines Alters? Es war ein hübscher, wilder rotwangigter Junge. Er machte immer meinen Ritter und stritt für mich.

BERKLEY wild. Bushy! Bushy!

CAROLINE. Vater! o mein Vater! Ihre böse Stunde kommt.


Schmiegt sich an ihn.


BERKLEY. Geh weg! hatte ich nicht einen Sohn, einen braven, ungestümen, eigensinnigen Jungen, den ich in der schrecklichen Nacht verlor? Leben gegen Leben wo ich Carl Bushy ertapp! Wär mein Harry da, ich wollte seine Faust eisern machen, sein Herz grimmig, seine Zähne gierig, er sollte mir Welt auf Welt ab traben, bis er Berkley an Bushy gerochen hätte.

CAROLINE. Mylord! schone deiner Tochter.

BERKLEY verworren. Nun da! Laß mich doch was sinnen – ja was – willst du mit, Kind! – Ha ich will auf die Parade. Ich denk der Feind soll in einigen Tagen angreifen, und dann rücken wir aus. Ha! Ha! Ich bin ein grauer, alter Kerl, gib mir nur Kindheit und närrisch Zeug! Ha! Ha! Es ist toll Miß, und gut, daß heiß, heiß bleibt, und Haß, Haß, wie's einem braven Menschen zukommt. Das Alter ist so kalt nicht, das sollen sie mir fühlen. Pack da mein Schloß zusammen, damit mir nichts verdorben wird. Adieu Miß, die Trommel geht. Ab.

CAROLINE ihm nachrufend. Nur gute Stunden, lieber Vater!

BERKLEY kommt hastig zurück. Das weiß Gott, Miß, es war um Mitternacht, stockfinster, und er überfiel uns. Und wie ich morgens aus starrer Taubheit erwachte, mein Weib und keins[1151] meiner Kinder hatte, und ich schrie, winselte, und ächzte in Tönen – in Tönen – he! und so die Hände hub, zum trüben Himmel: »Gib mir meine Kinder! Mach Bushy kinderlos, daß er fühle, was das ist kinderlos!« da fand ich dich naß, kalt und erstarrt, hingst an meinen Hals, und schlugen deine zarte Hände und Beine zusammen. Miß Berkley! Ich stund da so trüb und tot in endlosem Schmerz, in endloser Freud eins meiner Kinder gerettet zu haben. Und du strichst mit zitternder Hand über meiner Stirne den kalten Schweiß hinweg. He! das war ein Augenblick Miß! Fällt ihr um den Hals, herzt sie, bleibt stumm und unbeweglich. Erwachend. Ja Miß! sieh! es greift mich so an! – Und da ein Bote: Tot deine Lady! Und da ein Bote: Verschwunden dein Harry! – Ja Miß! und dieses Haus sollte Bushy haben! Nein, bei Gott nein! Adieu Kind! weine nicht.

CAROLINE. Nicht weinen? dein Kind nicht weinen? Lord Berkley geh jetzt nicht weg! Hier wird's so eng mein Vater!


Die Hand aufs Herz.


BERKLEY. Nein! Nein! Ich will dir die Tante und Nichte schicken. Berkley ist ein guter Soldat, und wenn er seine Späße getrieben hat, ist's ihm gut. Adieu!

CAROLINE allein. Wie wird das all noch werden? o seine Schmerzen nehmen Ausbrüche die mich zittern machen. Krieg da! und meine Tränen und Bitten vermögen nichts. Wohin denn ich? – Ich fürchte – ach des Leidens so viel und noch fürchten. Und ewig dieses Herzens Verlangen? Nach dem Klavier. Nimm mich in deinen Schutz! Nur du verstehst mich, dein Einklang, der Widerhall meiner geheimen Empfindungen ist mir Trost und Erstattung. Ach jeder Ton, Er! Er! Spielt einige Passagen, endet plötzlich und fährt zusammen. Ja Er! In schwermütigen Träumereien versinkend.


Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 1148-1152.
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