Fünftes Buch
1.

[182] Die scheußliche Anbetung des Papstes, sein schaudervolles Ende, der schreckliche Anblick des Teufels, den Faust bisher nur unter seiner erhabenen Gestalt gesehen hatte, machten einen so starken Eindruck auf ihn, daß er von der Villa nach Rom eilte, aufpacken ließ und mit betäubtem Sinn und klopfendem Herzen davonritt. Sein Gefühl war durch alles, was er gesehen und beobachtet hatte, so stumpf geworden, daß er, der so kühn war, dem Ewigen in seinem Innern zu trotzen, es kaum wagte, dem Teufel, den er noch sklavisch beherrschte, in die Augen zu sehen. Menschenhaß, Menschenverachtung, Zweifel, Gleichgültigkeit gegen alles, was um ihn geschah, Murren über die Unzulänglichkeit und Beschränktheit seiner physischen und moralischen Kräfte waren die Ernte seiner Erfahrung, der Gewinn seines Lebens; aber noch weidete er sich an dem Gedanken, daß ihn das, was er gesehen, zu diesen widrigen Empfindungen berechtigte und daß entweder keine Verbindung auf Erden zwischen dem Menschen und seinem Schöpfer sei oder doch der Faden, der ihn mit demselben verbände, so verworren und zweideutig durch dieses Labyrinth des Lebens liefe, daß ihn das Auge des Menschen nicht entdecken, viel weniger eine gute Absicht dabei wahrnehmen könnte. Noch schmeichelte er sich in seinem Wahne, seine Verirrungen seien in der ungeheuern Masse der Greuel der Erde wie ein Tropfen Wassers, der in Ozean fällt. Der Teufel erlaubte ihm gerne, sich in diesem Traume zu wiegen, damit der Schlag, den er voraussah, ihn so treffen möchte, daß er der Verzweiflung nicht entfliehen könnte. So glich nun Faust dem welterfahrnen Manne, der seinen Leidenschaften den Zügel gelassen, solange seine Kräfte dauerten, der das Gefühl der Natur in seinem Herzen aufgerieben, alles ohne Bedenken der Folgen für sich und andre genossen hat und nun in Stumpfheit des Geistes und des Herzens bitter in die Welt zurückblickt, das ganze Menschengeschlecht[182] nach der schwarzen Erfahrung beurteilt, die er gemacht hat, ohne nur einmal zu bedenken, daß diese Erfahrung ihren Anstrich von unserm Innern erhält und sich hauptsächlich nach unserm eignen Wert bestimmt. Nur das feige, schlechte Herz wird schlechter durch Erfahrung, der Edle sieht die Laster und Verirrungen der Menschen bloß als Dissonanzen an, die die Harmonie seiner Brust in ein helleres Licht setzen und ihm sein eignes Glück fühlbarer machen. Faust, der alle häusliche und innige Verbindung zerrissen hatte, in dem Lauf seines fernern Lebens keine mehr aufzufassen strebte, durch seine Zerrüttung und Denkart nun keiner mehr fähig war, blickte düster in die Welt und auf die Menschen, bis er, von allgemeinen Betrachtungen auf sich geleitet, mit Schrecken vor seinem eignen Bilde zurückfuhr. Er fing an zu überrechnen, was er durch sein gefährliches Wagstück gewonnen hätte, und da er dieses gegen seine ehemaligen Wünsche, Aussichten und Hoffnungen hielt, so sah er bald, daß die völlige Ausgleichung so ausfallen müßte, daß er sie nicht ertragen würde. Der Stolz, die Rolle, die er so kühn unternommen, seiner ehemaligen Kraft würdig auszuspielen, trat hervor, und der Gedanke, sich der Zahl derer entrissen zu haben, die eine unbesorgte Hand der Gewalt, der Geißel der Mächtigen, den Unterdrückern und Betrügern der Menschen unterworfen, alles genossen zu haben, noch genießen zu können, das Werk seiner eignen freien Wahl zu sein, das Leere der Wissenschaften eingesehen zu haben, schwellten auf einmal von neuem seine Segel. Er lachte der Erscheinung seiner kranken Phantasie, entwarf einen neuen Lebensplan, schmeichelte sich, durch Forschen und Nachdenken über Gott, die Welt und die Menschen die Rätsel endlich zu enthüllen, von welchen er glaubte, sie seien dem Menschen nur darum in den Weg geworfen, seinen moralischen Zustand so unglücklich zu machen als seinen physischen. »Wer diesen Knoten gelöst oder sich überzeugt hat, daß er nicht zu losen sei«, sagte er in seinem Herzen, »der macht sich zum Meister seines Geschicks.« Und so wäre er gewiß aus seinem scholastischen Jahrhundert in unser hell philosophisches hinüber gesprungen, wenn ihm der Teufel Zeit dazu gelassen hätte.[183]

Wenigstens war er auf dem Wege, ein Philosoph wie Voltaire9 zu werden, der nur überall das Böse sah, es hämisch hervorzog und alles Gute verzerrte, wo er es fand. Oder mit einem edlern Philosophen zu reden: der überall den Teufel sah, ohne an ihn zu glauben.


2.

Faust lag in einem süßen Morgenschlummer auf der Grenze Italiens, als sich ein sehr bedeutender Traum vor seinem Geist mit lebhaften Farben malte, den eine schaudervolle Erscheinung beschloß. Er sah den Genius der Menschheit, der ihm einst erschienen, auf einer großen blühenden Insel, die ein stürmisches Meer umfloß, unruhig auf und nieder wandern und sehr ängstlich nach den empörten Fluten blicken. Das tobende Meer war mit unzähligen Kähnen bedeckt, in welchen Greise, Männer, Jünglinge, Knaben, Kinder, Weiber und Jungfrauen von allen Völkern der Erde saßen, die mit allen Kräften gegen den Sturm arbeiteten, um die Insel zu erreichen. Sowie die Glücklichen nach und nach landeten, luden sie verschiedne Baumaterialien aus, die sie in verworrnen Haufen hinwarfen. Nachdem eine unzählbare Menge das Land betreten hatte, entwarf der Genius auf der erhabensten Stelle der Insel den Grundriß zu einem großen Bau, und jeder der Menge, alt und jung, schwach und stark, nahm von den verworrnen Haufen ein schickliches Stück und trug es nach der Anweisung derer, die der Genius erlesen hatte, an den gehörigen Ort. Alles arbeitete mit Freuden, Mut und Unverdrossenheit, und schon erhub sich das Gebäude hoch über der Erde, als sie auf einmal von großen Scharen überfallen wurden, die aus einem dunklen Hinterhalt in drei Haufen auf sie[184] drangen. An der Spitze eines jeden stund ein besonderer Heerführer. Der erste trug eine schimmernde Krone auf seinem Haupte, auf seinem ehernen Schilde glänzte das Wort Gewalt, in seiner Rechten hielt er einen Zepter, der wie der Stab Merkurs mit einer Schlange und einer Geißel umwunden war. Vor ihm her ging eine Hyäne, die ein Buch im blutigen Rachen trug, auf dessen Rücken geschrieben stund: Mein Wille! Sein Heer war mit Schwertern, Speeren und andern zerstörenden Werkzeugen des Krieges bewaffnet. Der zweite Heerführer war eine erhabene Matrone, deren sanfte Züge und edle Gestalt unter einem Priestergewand versteckt waren. Auf ihrer Rechten ging ein hagres Gespenst mit blitzenden Augen, der Aber glauben, mit einem Bogen, der aus Knochen der Toten gebildet und zusammengesetzt war, und mit einem Köcher voll giftiger Pfeile bewaffnet. Auf ihrer Linken schwebte eine wilde, phantastisch gekleidete Gestalt, die Schwärmerei, die eine brennende Fackel führte; beide drohten unter scheußlichen Verzerrungen des Gesichts und führten als gefangne Sklavin die edle Matrone an Ketten. Vor ihnen her ging die Herrschsucht, auf ihrem Haupte eine dreifache Krone, in der Hand einen Bischofsstab, und auf ihrer Brust schimmerten die Worte: Religion! Der Aberglauben und die Schwärmerei erwarteten mit Ungeduld das Zeichen von dieser, dem Drang ihrer Wut, die sie kaum halten konnten, folgen zu dürfen. Ihr Heer war ein verworrner, tobender, bunt gekleideter Haufen, und jeder desselben führte einen Dolch und eine brennende Fackel. Der dritte Heerführer ging mit stolzen und kühnen Schritten einher, er war in das bescheidne Gewand des Weisen gekleidet und hielt, wie jeder seines Haufens, einen Becher in der Hand, der mit einem schwindelnden und berauschenden Getränke gefüllt war. Diese zwei letzten Haufen tobten und schrien so entsetzlich, daß das Tosen und Gebrause der Wellen, das Geheul des Sturms nicht mehr zu hören war.

Als sie den Arbeitern nah waren, mischten sich die drei Haufen auf Befehl ihrer Führer untereinander und fielen diese mit ihren zerstörenden Waffen in grimmiger Wut an. Die Mutigsten der Arbeiter warfen ihre Werkzeuge weg, griffen zu den Schwertern,[185] mit denen sie begürtet waren, um die Feinde zurückzuschlagen. Die andern verdoppelten indessen ihren Eifer, das angefangne Werk zu vollenden. Der Genius deckte seine mutige Streiter und fleißige Arbeiter mit einem großen glänzenden Schilde, den ihm eine Hand aus den Wolken reichte; er konnte aber die unzählbare Menge nicht bergen. Mit tiefem Schmerze sah er viele Tausende der Seinigen unter den vergifteten Pfeilen und den mördrischen Waffen hinsinken. Viele ließen sich von den Vorspieglungen und Lockungen derer betören, die ihnen die bezauberten Becher als Erquickung darreichten, taumelten dann in wildem Rausche herum und zerstörten die mühsame Arbeit ihrer Hände. Die mit den Fackeln Bewaffneten machten sich mit ihren Dolchen einen Weg, warfen ihre Fackeln in das angefangne Gebäude, schon loderte die Flamme und drohte das herrliche Werk in die Asche zu legen. Der Genius sah mit schmerzvollem Blick auf die Gefallnen und Verirrten, sprach den übrigen Mut zu, flößte ihnen durch seine Standhaftigkeit und Erhabenheit Kraft, Geduld und Ausharren ein. Sie löschten die Flammen, stellten das Zerrüttete her und arbeiteten unter Verfolgung und Tod mit solchem Eifer, daß trotz der Wut und dem Haß ihrer Feinde ein großer, herrlicher, edler Tempel emporstieg. Der Sturm legte sich, und helle sanfte Heiterkeit ergoß sich über die ganze Insel. Hierauf heilte der Genius die Verwundeten, tröstete die Müden, pries die tapfern Streiter und führte sie unter Siegesgesängen in den Tempel ein. Ihre Feinde stunden betäubt vor dem Riesenwerk und zogen sich, nachdem sie vergebens versucht hatten, dessen Feste zu erschüttern, ergrimmt zurück. Faust befand sich nun selbst auf der Insel. Das Feld um den erhabenen Tempel war mit Leichen der Erschlagenen von allen Altern, beider Geschlechter bedeckt, und diejenigen, die aus den Zauberbechern getrunken hatten, gingen kalt unter den Toten herum, vernünftelten, spotteten und kritisierten über die Bauart des Tempels, maßen seine Höhe und Breite, um seine Verhältnisse zu berechnen, und bestimmten sie um so zuverlässiger, je weiter sie von der Wahrheit entfernt waren. Faust ging an ihnen vorüber, und als er dem Tempel nahte, las er über seinem Eingang folgende[186] Worte: Sterblicher! wenn du tapfer gestritten, treu ausgehalten hast, so tritt herein und lerne deine edle Bestimmung kennen!

Sein Herz glühte bei diesen Worten, und er hoffte auf einmal das ihn quälende Dunkel zu durchbrechen. Kühn drang er nach dem Tempel, stieg die hohen Stufen hinauf, sah, wie eine schimmernde, rosenfarbene Dämmerung ihn füllte, hörte die sanfte Stimme des Genius, er wollte hineintreten, die eherne Pforte fuhr mit einem dumpfen Schall vor ihm zu, und er bebte zurück. Nun dünkte ihn, daß der Tempel, der vorher auf ebenem Boden gestanden, auf drei großen Säulen ruhte, woran er die Symbole der Geduld, Hoffnung und des Glaubens erkannte. Seine Begierde, in die Geheimnisse des Tempels zu dringen, nahm durch die Unmöglichkeit noch mehr zu; auf einmal fühlte er sich Flügel, erhub sich und fuhr mit solchem Ungestüme gegen die eherne Pforte, daß er zurückgeschleudert in den tiefsten Abgrund sank und in dem Augenblick zitternd aus dem Schlaf auffuhr, als er den Boden zu berühren glaubte. Er schlug betäubt die Augen auf, eine blasse, in ein weißes Totentuch gehüllte Gestalt, in der er seinen Vater erkannte, riß die Bettvorhänge auseinander und sprach mit klagender Stimme:

»Faust! Faust! Nie hat ein Vater einen unglücklichern Sohn gezeugt, in diesem Gefühl bin ich nun eben gestorben. Ewig, ach ewig liegt die Kluft der Verdammnis zwischen mir und dir!«




3.

Dieses bedeutende Gesicht und die schaudervolle Erscheinung durchbebten die Seele Fausts, er sprang auf, öffnete das Fenster, um freie Luft zu atmen, die ungeheuren Alpen lagen vor ihm, die aufgehende Sonne vergoldete nun eben ihre Spitzen, und dieses Bild schien ihm eine Dolmetschung seines Gefühls. Er versank in tiefe Betrachtungen, das Luftgebäude seines Stolzes fiel zusammen, und die schlummernden Empfindungen seiner Jugend schossen hervor, um seine Qual zu vermehren. Der Gedanke, sein Leben dem Wahn geopfert, die Kraft seines Geists nicht genützt, in dem Strudel der Wollust, in dem Geräusche der[187] Welt verbraust zu haben, drang durch seine Seele. Er bebte vor der Enthüllung des nächtlichen Gesichts zurück, schon arbeitete sein Geist an der Deutung der Bilder, als sein Herz ihn ins Dunkel zurücktrieb:

»Woher kamen nun diese Ungeheuer, die die fleißigen Arbeiter überfielen? Wer berechtigte sie zu dem Frevel, sie in ihrer Arbeit zu stören und sie unter ihrem edlen Tagwerk zu ermorden? Wer ließ es zu? Wollte, konnte er's nicht hindern, der es zuließ? Wenn ich die Bilder des Gesichts recht verstehe, so deuten sie auf die Grundstützen der in Gesellschaft gesammelten Menschen, und jede derselben behauptet ihren Ursprung vom Himmel. Ist ihr Vorgeben Betrug, warum leidet der schmähliche Strafe, welcher sie antastet? deuten sie auf Mißbrauch – wie dann? So ist alles Mißbrauch unter der Sonne, so soll es so sein, und mein Unwille ist gerecht. Ist es nicht das Werk eines Höhern, den wir nicht befragen können, der uns nichts enthüllt hat? Warum erlagen so viele Tausende der Wut dieser Ungeheuer? Konnte, wollte sie der Genius nicht alle bergen? Sind einige vorherbestimmt, als Opfer für die andern zu fallen? Wer steht mir dafür, daß ich nicht einer von denen bin und sein muß, den das Los der Verwerfung bei der Entstehung getroffen? Mußten es diese mit ihrem Leben erkaufen, damit jene im Triumph einzögen und der Ruhe genössen? Was haben die Unglücklichen verschuldet? Was die verschuldet, die lechzend nach dem Becher griffen, ihren glühenden Durst zu stillen?«

So trieb er sich lange auf dem Meere der Zweifel herum, als ihm durch die Erscheinung seines Vaters seine seit so langer Zeit vergeßne Familie einfiel. Er faßte den Entschluß, zu den Verlaßnen zurückzukehren, in die bürgerliche Ordnung wiederum einzutreten, sein Gewerbe zu treiben und sich von der lästigen Gesellschaft des Teufels zu befreien. So machte er sich nun auf den Weg zu seiner Heimat, wie viele, die unbestimmtes jugendliches Brausen für Genie halten, mit großen Ansprüchen in die Welt treten, das wenige Feuer ihrer Seele schnell verdampfen und mit den schalen Überbleibseln sich nach kurzem auf eben dem Punkte befinden, von dem sie ausgelaufen, sich und der[188] Welt zur Last. Faust kochte dieses alles im stillen aus, er ritt stumm, düster und mürrisch an der Seite des Teufels. Dieser überließ ihn gerne seinen Betrachtungen, lachte seines Entschlusses und verkürzte sich die Zeit mit der süßen Hoffnung, bald wieder den süßen Dampf der Hölle zu riechen. Er freute sich schon im voraus darauf, wie er des Satans spotten wollte, der ihm Fausten als einen Kerl besondrer Kraft empfohlen hätte, den er doch vor der Entwicklung seines Schicksals so mürbe sah. Er stellte sich den Kühnen in dem Augenblick vor, da er ihm zum erstenmal erscheinen mußte, und nun sah er ihn gebeugt wie einen büßenden Mönch neben sich her reiten. Sein Haß gegen ihn nahm zu, und er jauchzte in seinem schwarzen Inneren, als er Worms in der Ebene vor sich liegen sah.




4.

Sie ritten beide die Landstraße hinan, und als sie noch einige Steinwürfe von der Stadt entfernt waren, sahen sie einen Galgen nah an derselben, an welchem ein schlanker, wohlgestalteter Jüngling hing. Faust blickte hinauf. Der frische Abendwind, der durch seine blonde, über sein Gesicht gefallene Haare blies und ihn hin und her schaukelte, entdeckte Fausten seine jugendliche Bildung. Er brach bei diesem Anblick in Tränen aus und rief mit bebender Stimme:

»Armer Jüngling, in der ersten Blüte des Lebens schon hier am verfluchten Holze? Was kannst du verbrochen haben, daß dich das Gericht der Menschen so früh verurteilt hat?«

TEUFEL mit ernstem und feierlichem Tone: Faust, dieses ist dein Werk!

FAUST: Mein Werk?

TEUFEL: Dein Werk! Sieh ihn genau an – es ist dein ältester Sohn!

Faust blickte hinauf, erkannte ihn und sank vom Pferde.

TEUFEL: Schon jetzt vernichtet? So wirst du mich bald um die Früchte meiner Mühe bringen, die ich nur in deinem Jammer ernten kann. Winsle und stöhne, die Stunde naht, worin ich dir[189] den dicken Schleier von den Augen reißen muß. Höre! ich will mit einem Atemzug das verworrne Labyrinth weghauchen, in welchem du dich nicht finden konntest, dir Licht über die Wege der moralischen Welt geben und dir zeigen, wie gewaltsam du sie durchkreuzt hast. Ich, ein Teufel, will dir zeigen, mit welchem Rechte und Gewinn ein Wurm wie du sich zum Richter und Rächer des Bösen aufwirft und in die Räder dieser so ungeheuren und fest gestimmten Maschine greift. Langsam will ich dir alles zuzählen, damit das Gewicht eines jeden deines Frevels, einer jeden deiner Torheiten schwer auf deine Seele falle. Erinnerst du dich des Jünglings, den ich auf deinen Befehl bei unserm Auszug aus Mainz vom Ersaufen erretten mußte? Ich warnte dich, du wolltest dem Zug deines Herzens gehorchen, vernimm nun die Folgen. Hättest du jenen Bösewicht ertrinken lassen, so würde dein Sohn nicht an diesem schändlichen Holze sein Leben verloren haben. Er, um deswillen du durch die Führung des Schicksals verwegen griffst, nahte sich bald nach deiner Entfernung deinem jungen verlaßnen Weibe. Der Glanz des Goldes, das wir ihr so reichlich hinterlassen hatten, reizte ihn mehr als ihre Jugend und Schönheit. Es war ihm ein leichtes, das Herz der von dir Vernachlässigten zu gewinnen, und er machte sich in kurzem so zum Meister davon, daß sie ihm ihre Führung und alles, was sie besaß, überließ. Dein Vater wollte sich seiner Wirtschaft widersetzen, der junge Mann schlug und mißhandelte ihn, er suchte seine Zuflucht in dem Hospitale der Armen, wo er vor einigen Tagen vor Kummer über dich und deine Familie gestorben ist. Da ihn dein Sohn darauf mit heftigen Vorwürfen anfiel und ihm drohte, trieb er auch ihn aus dem Hause. Dieser irrte in der Wildnis herum, schämte sich zu betteln, kämpfte lange mit dem Hunger, stahl endlich in einer Kirche dieser Stadt einige Groschen von einem Opferteller, ihn zu stillen, tat es aber so unvorsichtig, daß man ihn bemerkte, und der hochweise Magistrat ließ ihn aus Rücksicht seiner Jugend nur hängen, ob er ihnen gleich unter Tränen sagte, er habe in vier Tagen nichts als Gras verschlungen. Deine Tochter ist in Frankfurt, nährt sich mit Prostituierung ihrer Jugend jedem, der sie dazu auffordert;[190] dein zweiter Sohn dient bei einem Prälaten, der die Jünglinge dazu braucht, wozu mich der Papst einst brauchen wollte und wofür er eine so billige Taxe im Sündentarif festsetzte. Der junge, von mir gerettete Mann raubte endlich deinem Weibe das letzte; dein Freund, den wir vom Bettelstab retteten, versagte deinem alten Vater seine Hülfe, stieß deine Kinder, die zu ihm flüchteten und um Brot flehten, weg, und nun will ich dir deine Familie zeigen, damit du mit Augen siehst, was du aus ihnen gemacht hast. Dann will ich dich wieder hierher reißen, Rechnung mit dir halten, und du sollst eines Todes sterben, wie ihn kein Sterblicher gelitten hat. Ich will deine bebende Seele herumzerren, bis du dastehest, ein erstarrtes Bild der Verzweiflung.


5.

Der Teufel ergriff den Jammernden, flog mit ihm nach Mainz, zeigte ihm sein Weib und seine zwei jüngsten Kinder, mit Lumpen bedeckt, vor dem Franziskanerkloster sitzen, um die ekelhaften Überbleibsel des Nachtessens dieser Mönche abzuwarten. Als die Mutter Fausten erblickte, schrie sie: »Ach Gott, Faust, euer Vater!« deckte ihre Augen mit ihren Händen zu und sank in Ohnmacht. Die Kinder liefen zu ihm, hingen sich an ihn und schrien um Brot.

FAUST: Teufel, gebiete über mein Schicksal, laß es schrecklicher sein, als es das Herz des Menschen tragen und fassen kann, nur gib diesen Elenden und errette sie vor Schande und Hunger!

TEUFEL: Ich habe für dich die Schätze der Erde geplündert, du hast sie der Wollust und dem Vergnügen aufgeopfert, ohne dieser Elenden zu gedenken. Fühle nun deine Torheit, dieses ist dein Werk; du hast das Gewebe zu ihrem Schicksal gesponnen, und deine hungrige, bettlerische und elende Brut wird den von dir ausgesäten Jammer durch Kinder und Kindeskinder fortpflanzen. Du zeugtest Kinder, warum wolltest du nicht ihr Vater sein? Warum hast du da das Glück gesucht, wo es nie ein Sterblicher gefunden hat? Blicke sie noch einmal an, und dann fort, in der Hölle siehst du sie einst wieder, wo sie dich für[191] die Erbschaft verfluchen werden, die sie dir nur zu danken haben.

Er riß ihn von den Jammernden, sein Weib wollte soeben seine Knie umfassen und um Erbarmung flehen – Faust wollte sich zu der Unglücklichen neigen, der Teufel faßte ihn und stellte ihn abermals unter den Galgen bei Worms.


6.

Die Nacht senkte sich schwarz auf die Erde. Faust stund vor dem grausenden Anblick seines unglücklichen Sohns. Wahnsinn glühte in seinem Gehirne, und er rief im wilden Tone der Verzweiflung:

»Teufel, laß mich diesen Unglücklichen begraben, entreiße mir dann das Leben, und ich will in die Hölle hinunterfahren, wo ich keinen Menschen im Fleische mehr sehen werde. Ich habe sie kennengelernt, mir ekelt vor ihnen, vor ihrer Bestimmung, vor der Welt und dem Leben. Die gute Tat zog unaussprechliches Weh auf mein Haupt, und ich hoffe, die bösen allein sind zum Glück ausgeschlagen. So muß es sein in dem tollen Sinn des Wirrwarrs auf Erden. Fördere mich hinunter, ich will ein Bewohner der Hölle werden, ich bin des Lichts müde, gegen welches ihre Dunkelheit vielleicht Tag ist.«

TEUFEL: Nicht zu rasch! – Faust, ich sagte dir einst, du solltest das Stundenglas deiner Zeit selbst zerschlagen, du hast es in diesem Augenblick getan, und die Stunde der Rache ist da, nach der ich so lange geseufzt habe. Hier entreiße ich dir deine mächtige Zauberrute und feßle dich in den engen Bezirk, den ich nun um dich ziehe. Hier sollst du mich anhören, heulen und zittern, ich ziehe die Schrecken aus dem Dunkel hervor, enthülle die Folgen deiner Taten und ermorde dich mit langsamer Verzweiflung. So jauchze ich, so siege ich über dich! Tor, du sagst, du hättest den Menschen kennengelernt? Wo? Wie und wenn? Hast du auch einmal seine Natur erwogen? durchforscht und abgesondert, was er zu seinem Wesen Fremdes hinzugesetzt, daran verpfuscht und verstimmt hat? Hast du genau[192] unterschieden, was aus seinem Herzen und was aus seiner durch Kunst verdorbenen Einbildungskraft fließt? Hast du die Bedürfnisse und Laster, die aus seiner Natur entspringen, mit denen verglichen, die er der Kunst und seinem verdorbenen Willen allein verdankt? Hast du ihn in seinem natürlichen Zustand beobachtet, wo jede seiner unverstellten Äußerungen das Gepräge seiner innern Stimmung an sich trägt? Du hast die Maske der Gesellschaft für seine natürliche Bildung genommen und nur den Menschen kennengelernt, den seine Lage, sein Stand, Reichtum, seine Macht und seine Wissenschaften der Verderbnis geweiht haben, der seine Natur an eurem Götzen, dem Wahn, zerschlagen hat. An die Höfe, in die Paläste hast du dich gedrängt, wo man der Menschen lacht, indem man sie mißbraucht, wo man sie mit Füßen tritt, während man das verpraßt, was man ihnen geraubt hat. Die Herrscher der Welt, die Tyrannen mit ihren Henkersknechten, wollüstige Weiber, Pfaffen, die eure Religion als Werkzeug der Unterdrückung nutzen, die hast du gesehen, und nicht den, der unter dem schweren Joche seufzt, des Lebens Last geduldig trägt und sich mit Hoffnung der Zukunft tröstet. Stolz bist du die Hütte des Armen und Bescheidnen vorübergegangen, der die Namen eurer erkünstelten Laster nicht kennt, im Schweiß seines Angesichts sein Brot erwirbt, es mit Weib und Kindern treulich teilt und sich in der letzten Stunde des Lebens freut, sein mühsames Tagwerk geendet zu haben. Hättest du da angeklopft, so würdest du freilich euer schales Ideal von heroischer, überfeiner Tugend, die eine Tochter eurer Laster und eures Stolzes ist, nicht gefunden haben; aber den Menschen in stiller Bescheidenheit, großmütiger Entsagung10, der unbemerkt mehr Kraft der Seele und Tugend ausübt als eure im blutigen Felde und im trugvollen Kabinette berühmte Helden. Ohne letztere, Faust, ohne eure Pfaffen und Philosophen, würden sich bald die Tore der Hölle zuschließen. Kannst du sagen, daß du den Menschen kennest, da du ihn nur auf dem Tummelplatz der Laster und deiner Lüste gesucht hast? Kennst du dich selbst? Laß mich tiefer reißen, ich will mit Sturm in die Glut blasen, die[193] du in deinem Busen gesammelt hast. Wenn ich tausend menschliche Zungen hätte und dich Jahre in diesem Kreise gefesselt hielte, so könnte ich dir doch nicht alle die Folgen deiner Taten und Verwegenheiten entwickeln. Durch Jahrhunderte läuft das Gewebe des Unglücks deiner Hand, und künftige Geschlechter verfluchen einst ihr Dasein, weil du in wahnsinnigen Stunden deinen Kitzel befriedigt oder dich zum Richter und Rächer menschlicher Handlungen aufgeworfen hast. Sieh, Kühner, so bedeutend wird euer Würken, das euch Blinden so beschränkt scheint! Wer von euch kann sagen: die Zeit vertilgt die Spur meines Daseins? Weißt du, was Zeit und Dasein sind und sagen wollen? Schwellt der Tropfen, der in das Weltmeer fällt, nicht die Woge um einen Tropfen? Und du, der nicht weiß, was Anfang, Mittel und Ende sind, hast mit verwegner Hand die Kette des Geschicks gefaßt und an den Gliedern derselben genagt, ob sie gleich die Ewigkeit geschmiedet hat! Nun ziehe ich den Vorhang hinweg und schleudre das Gespenst Verzweiflung in dein Gehirn.

Faust drückte seine Hände vor seine Augen, der Wurm der Qual sog an seinem Herzen.

TEUFEL: Vernimm nun deines Lebens Gewinn und ernte ein, was du gesäet hast, erinnre dich dabei, daß ich keinen deiner Frevel ausführte, ohne dich vor den Folgen zu warnen. Gezwungen von dir, unterbrach ich den Lauf der Dinge, und ich, der Teufel, stehe schuldlos vor dir, denn alles sind Taten deines eignen Herzens.

Denkst du noch der Nonne Klara, der wollüstigen Nacht, die du mit ihr zugebracht? Wie solltest du nicht, da sie dich so sehr ergötzte? Höre die Folgen derselben! Kurz nach unsrer Entfernung starb der Erzbischof, ihr Freund und Beschützer, und sie mußte nach ihrer Niederkunft mit ihrem Kinde als ein Gegenstand des Abscheus im peinlichen Kerker den verzweifelnden Hungertod sterben. In der Wut fiel sie über den Neugebornen her, sättigte sich an deinem und ihrem Blute und verlängerte ihre scheußliche Marter, so lange der unnatürliche Fraß dauerte. Was hatte sie verbrochen, sie, die ihr Verbrechen nicht begriff, den[194] Urheber ihrer Schande und ihres schrecklichen Todes weder kannte noch ahndete? Fühle nun die Folgen einer einzigen Sekunde der Wollust und bebe! Hast du nicht den Wahnsinn bekräftigt, der sie verdammte? Mußte die Hölle nicht den Vorwurf deines Frevels tragen? Sie ermordeten deine Brut als die Brut des Satans, und du hast durch diese Tat die Begriffe dieses Volks auf Jahrhunderte verwildert. Stöhne nur, ich ziehe der Schrecken mehr herauf.

Es ist wahr, mit dem Fürstbischof ist dir's besser gelungen. Er ließ den Hans Ruprecht begraben und versetzte seine Familie in Wohlstand. Auch verlor er durch meine Vorspieglung sein Fett und ward einer der gelindesten und gütigsten Fürsten, erschlaffte aber die Bande der bürgerlichen Ordnung so durch seine Nachsicht, daß seine Untertanen bald ein Haufen Halunken, Säufer, Faulenzer, Räuber und liederlichen Gesindels ward. Um sie wiederum zu Menschen zu machen, mußte nun der jetzige Bischof ihr Henker werden, hundert Familien zerstören und hinrichten, damit die andern, durch das Beispiel erschreckt, in die bürgerliche Ordnung einträten. Drei Schlemmer und Fresser hätten diesem Volke nicht so weh getan, als ihm diejenigen nun tun, denen dieser Fürst gezwungen das Schwert der Gerechtigkeit und die Gewalt der Rache vertrauen muß.

Der Doktor Robertus, der berühmte Freiheitsrächer, der Mann nach deinem Sinne, war von frühster Jugend ein Feind des Ministers, den er wegen seiner Talente haßte. Neid und Eifersucht waren die Quellen seines unabhängigen Geistes, und hätte jener wie er gedacht, so würde er mit Freuden die Grundsätze des strengsten Despotismus angenommen haben, denn nur dazu war sein hartes und wildes Herz geschaffen. Der rechtschaffne Mann war der Minister, dieser ein Unhold, der die Welt in Brand gesteckt hätte, es teils getan hat, um seinen grenzenlosen Ehrgeiz zu befriedigen. Ich mußte ihn nach deinem Willen retten, ihn mit einer großen Summe Gelds versehen, vernimm nun, wozu er sie gebraucht hat, und freue dich der Folgen. Er nutzte seine Freiheit, das Gold und den Wahn, den sein Verschwinden durch mich im Volke veranlaßte, so gut, daß es ihm bald gelang,[195] einen fürchterlichen Aufstand zu erregen. Er bewaffnete die Bauern, diese ermordeten die Edelleute, verwüsteten das ganze Land, der edle Minister fiel ein Opfer seiner Rache, und dein Freiheitsrächer Robertus ist der Stifter des unglücklichen Bauernkriegs, der sich nach und nach in ganz Teutschland ausbreiten und es verheeren wird. Mord, Totschlag, Plündrung, Kirchenraub wüten nun, und dein edler Held steht an der Spitze eines tollen Haufens und droht aus Teutschland einen Kirchhof des Menschengeschlechts zu machen. Ernte den Jammer ein, den du veranlaßt hast, der Satan selbst hätte nicht besser für die Zerstörung der Menschen, die wir hassen, arbeiten können als du, da du diesen Wahnsinnigen der Gerechtigkeit entrissen hast.

Kehre mit mir an den Hof jenes teutschen Fürsten zurück, wo du den Rächer der Tugend und Gerechtigkeit so rasch und kühn gespielt hast. Dieser Fürst und sein Günstling waren Heuchler eurer Tugenden, aber ihr Würken beförderte das Glück des Volks, weil sie beide Verstand genug hatten, zu fühlen, der Vorteil der Untertanen sei Gewinn für den Fürsten. Weiß der Durstige und kümmert's ihn, ob die Quelle, die ihn tränkt, aus dem Bauche eines Berges springt, der mit Gift angefüllt ist? Genug für ihn, wenn er nur ohne Schaden sein heißes Blut abkühlt. Dieser Heuchler mißfiel dir, weil er deiner hohen Meinung, die du mir gerne aus gewissen Ursachen aufdrängen wolltest, nicht entsprach, und ich mußte ihn auf deinen Befehl erwürgen. Sein unmündiger Sohn folgte ihm in der Regierung. Seine Vormünder drückten und preßten das unter dem Heuchler einst glückliche Volk, verdarben das Herz und den Geist des künftigen Regenten, entnervten früh seinen Körper durch Wollust, beherrschen ihn nun, da er mündig ist, und sind seine und des Volks Tyrannen. Hätt ich nicht auf deinen Befehl den Vater erwürgen müssen, so würde er seinen Sohn nach seinen Grundsätzen erzogen, seine Fähigkeiten entwickelt und ihn zum Manne gebildet haben, der würdig sei, an der Spitze eines Volks zu stehen. Die Hunderttausende, die nun unter dem Druck des feigen, tückischen Wollüstlings seufzen und deren Jammer sich auf deinem Haupte sammelt, würden die Glücklichsten in Teutschland sein. Wohl[196] uns, du hast ein ganzes Volk elend gemacht, da du dich zum Rächer eines Einzigen aufwarfst. Ernte ihre Tränen, ihre Verzweiflung, die blutigen Taten ihrer künftigen Empörung ein und freue dich deines strengen Richteramts!

Wahnsinniger, auf dein Geheiß mußt ich das Schloß des wilden Rauhgrafs mit allen Bewohnern, seinem Weibe und dem Säugling verbrennen. Was haben diese Unschuldigen verbrochen? Es war ein Augenblick der Wonne für mich! – dein Werk ist es, daß der Säugling auf dem Busen der Mutter zu Asche brannte, dein Werk, daß der Rauhgraf einen benachbarten Edelmann als den Urheber des Brandes überfiel, des Unschuldigen Schloß der Flamme übergab, ihn erschlug und die Fehde, die meine Tat veranlaßte, noch in diesem Teile Teutschlands wütet. Tausende sind schon unter dem Schwerte der wechselseitigen Rache hingesunken, und es wird nicht eher ruhen, bis sich die streitenden Familien gänzlich erschöpft und vertilgt haben. So warst du, Wurm, der sich in der Wollust herumwälzte, in die Hölle drangst, um deine Lüsternheit zu sättigen, der Rächer des Unrechts. Heule und stöhne, ich ziehe der Schrecken mehr aus dem Dunkel.

Die Tochter des Geizigen in Frankreich, die du zur H – e gemacht und in ihrem Busen die Lust nach der Sünde erweckt hast, ergab sich bald hierauf dem jungen König als Mätresse. Sie beherrschte ihn, reizte ihn, daß er sie mit einem neuen Buhler nicht stören möchte, zu dem unsinnigen Zuge nach Italien und zog ein Elend über Frankreich, das viele künftige Regierungen nicht heilen werden. Die Blüte der französischen Jugend, die Helden des Reichs faulen in Italien, und der König kehrte beschämt und ohne Vorteil heim. So hast du, wohin du dich wandtest, den Samen des Unglücks ausgestreut, und er fruchtet zum Unheil die Ewigkeit durch.

Ich hoffe, nun begreifst du den Fingerzeig, den ich dir damals gab, als ich das Haus über die Naturkündiger zusammenstürzte. Ich sagte dir, so wie diese in das Fleisch der Lebenden schneiden, um unergründliche Geheimnisse zu erforschen, so wütest du in der moralischen Welt durch meine zerstörende Hand. Du hast dieses Winks nicht geachtet. Fühle ihn nun tiefer. Sie verdienten,[197] unter den Ruinen ihrer Schlachtbank begraben zu werden, aber was hatten die Unschuldigen im Unterstock verbrochen, die nicht wußten, welche Greuel über ihrem Haupte vorgingen? Warum mußten auch sie mit begraben werden? Warum mußte, deine schnelle Rache zu befriedigen, eine schuldlose, glückliche Familie mit aufgeopfert werden? Richter und Rächer, dieses hast du nicht bedacht. Fasse nun die Folgen deines Wahnsinns zu sammen, durchlaufe sie und sinke vor der scheußlichen Vorstellung hin. Sagt ich dir nicht, der Mensch ist rascher in seinem Urteil und in seiner Rache als der Teufel in der Vollziehung des Bösen? Auf deinen Befehl mußt ich den Zunder der Wollust an das Herz der himmlischen Angelika legen, die die Zierde ihres Geschlechts und der Welt war. Du hast sie im wilden Rausche deiner Sinne genossen, und die Unglückliche wußte nicht, was ihr geschah. Schaudre vor den Folgen – diese Angelika – ich, der Gefallen an der Sünde und der Zerstörung hat, könnte mitleidig auf ihr Ende blicken! Sie floh auf das Land, und das Gefühl der Scham zwang sie, den Zustand zu verbergen, in den du sie gesetzt hattest. Sie gebar unter Todesangst in der Einsamkeit, ohne Hülfe, das Kind entfiel dem Schoß der Unvermögenden und starb in dem Augenblick, da es das Licht der Welt erblickte. Sie, das unglückliche Opfer deiner augenblicklichen Lust, ward eingezogen und öffentlich als Kindermörderin hingerichtet. Du hättest sie sehen sollen im letzten Augenblick ihres Lebens – sehen sollen, wie ihr reines Blut den weißen Talar befleckte –

Faust öffnete seine starre Augen und sah gen Himmel.

TEUFEL: Er ist taub gegen dich! Sei stolz auf den Gedanken, einen Augenblick gelebt zu haben, der das Vergehen der Teufel leicht machen könnte, wenn das Gericht über sie nicht geschlossen wäre! Noch rauscht er in den düstern Gefilden der Ewigkeit. Ich rede von jenem, da du mich zwingen wolltest, den Schleier zu heben, der euch den Ewigen verbirgt. Der Engel, der euer Schuldbuch führt, erbebte auf seinem glänzenden Sitze und strich deinen Namen mit weggewandtem Angesicht aus dem Buche des Lebens.

FAUST sprang auf: Verflucht seist du! Verflucht ich! die Stunde[198] meiner Geburt! der, der mich gezeugt, die Brust, die ich gesogen!

TEUFEL: Ha des herrlichen Augenblicks! des köstlichen Lohns meiner Mühe! Die Hölle freut sich deiner Flüche und erwartet einen noch schrecklichern von dir. Tor, warst du nicht frei geschaffen? Trugst, empfandest du nicht wie alle, die im Fleische leben, den Trieb zum Guten wie zum Bösen in deiner Brust? Warum tratst du verwegen aus dem Gleise, das dir so bestimmt vorgezeichnet war? Warum wagtest du deine Kräfte an dem und gegen den zu versuchen, der nicht zu erreichen ist? Warum wolltest du mit dem richten und rechten, den du nicht fassen und denken kannst? Warum trieb Stolz die Pflanze aufwärts, die nur an der Erde hinkriechen soll? Hat er dich nicht so geschaffen, daß du über den Teufel wie über die Tiere der Erde erhaben stundest? Dir verlieh er den unterscheidenden Sinn des Guten und Bösen: frei war dein Wille, frei deine Wahl. Wir sind Sklaven des Bösen und der eisernen Notwendigkeit ohne Wahl und Willen; gezwungen, von Ewigkeit dazu verdammt, wollen wir nur das Böse und sind Werkzeuge der Rache und der Strafe an euch. Ihr seid Könige der Schöpfung, freie Geschöpfe, Meister eures Schicksals, das ihr selbst bestimmt, Herren der Zukunft, die von eurem Tun abhängt; um diese Vorzüge hassen wir euch und frohlocken, wenn ihr durch Torheit und Laster die Herrschaft verwürkt.11 Wohl uns, daß ihr diese Vorzüge selbst vernichtet,[199] daß ihr alles mißbraucht, alle die Fähigkeiten zum Guten, die euch der Ewige verliehen hat. Tritt auch ein Weiserer unter euch auf und schreibt euch Regeln zu eurem Besten vor, so zernichtet ihr sein Werk in dem Augenblick der Entstehung. Mißbrauch eurer moralischen und physischen Kräfte läuft durch die Kette, die das Menschengeschlecht verbinden soll; und nie gefallt ihr euch besser, als wenn ihr zerstört, was andere zu eurem Glück und Heil aufgebauet haben. So arten unter euren Händen, in eurem Geiste Religion, Wissenschaften und Regierung zu Unsinn, Verzerrung und Tyrannei aus, und du hast das deinige redlich dazu beigetragen. Faust, nur in der Beschränktheit liegt euer Glück, wärst du geblieben, was du warst, hätten dich Dünkel, Stolz, Wahn und Wollust nicht aus der glücklichen, beschränkten Sphäre gerissen, wozu du geboren warst, so hättest du still dein Gewerbe getrieben, dein Weib und deine Kinder ernährt, und deine Familie, die nun in Kot der Menschheit gesunken ist, würde blühen. Von ihr beweint, würdest du ruhig auf deinem Bette gestorben sein, und dein Beispiel würde deine Hinterlaßnen auf dem dornigten Pfad des Lebens leiten.

FAUST: Ha, wohl mag dies die größte Qual der Verdammten sein, wenn der Teufel ihnen Buße predigt!

TEUFEL: Es ist lustig genug, daß ihr es dazu kommen laßt. Elender, und wenn die Stimme der Wahrheit und Buße laut vom Himmel selbst erschallte, ihr würdet ihr euer Ohr verschließen.

FAUST: Erwürge mich und töte mich nicht mit deinem Geschwätze, das mein Herz zerreißt, ohne meinen Geist zu überzeugen. Willst du, daß ich dein Gift Tropfen für Tropfen einschlürfen soll, gieße ein! deine Vorstellungen laufen im Ungeheuren zusammen und verlieren ihre Kraft an mir. Sieh, meine Augen sind starr und trocken, nenne meine Stumpfheit Verzweiflung – noch kann ich ihrer spotten, und mein Geist kämpft mit der peinlichen Wallung meines Herzens. Nur dieser da und die ich eben gesehen liegen wie eine ungeheure Last auf mir und zerknirschen meine sich noch empörende Kraft. Um der guten Tat willen muß er hier henken! Um der guten Tat willen müssen sie im Elend verschmachten und eine Reihe niederträchtiger[200] Sünder fortpflanzen! Sah ich was an ders als Morden, Vergiften und Greuel in der Welt? Sah ich nicht überall den Gerechten zertreten und den Lasterhaften glücklich und belohnt?

TEUFEL: Das kann nun wohl sein und beweist nur, was für Kerle ihr seid; aber was prahlst du mir immer von deiner guten Tat vor? Wodurch verdient sie diesen Namen? Etwa dadurch, daß du mir den Wink dazu gegeben, der dich wahrlich nicht viel gekostet haben kann? Um es zu einer edlen Handlung zu machen, hättest du dich in das Wasser werfen und den jungen Mann auf Gefahr deines Lebens retten müssen. Darauf deutete ich, als ich dir sagte: vermutlich kannst du nicht schwimmen. Ich warf ihn an das Ufer und verschwand. Dich selbst würde er erkannt haben, und von Dankbarkeit gerührt, hätte der Zerstörer deiner Familie ihr Beschützer und Verteidiger werden können.

FAUST: Quälen kannst du mich, Teufel, aber die Zweifel des Menschen kannst du aus Stumpfheit nicht lösen oder willst es aus Bosheit nicht tun. Nie drangen sie giftiger in mein Herz als in dieser Stunde, da ich den Jammer meines Lebens, meiner Zukunft überblicke. Ist das menschliche Leben etwas anders als ein Gewebe von Pein, Laster, Qual, Heuchelei, Widersprüchen und schielender Tugend? Was ist Freiheit, Wahl, Wille, der gerühmte Sinn, Böses und Gutes zu unterscheiden, wenn die Leidenschaften die schwache Vernunft überbrüllen, wie das tosende Meer die Stimme des Steuermanns, dessen Schiff gegen die Klippen treibt? Wozu das Böse? Warum das Böse? Er wollte es so; kann der Mensch den Samen des Bösen aus der ungeheuren Masse herausreißen, den er mit Willen hineingelegt hat? Noch wütender hasse ich nun die Welt, den Menschen und mich. Warum gab man mir, der zum Leiden geboren ist, den Drang nach Glück? Warum dem zur Finsternis Gebornen den Wunsch nach Licht? Warum dem Sklaven den Durst nach Freiheit? Warum dem Wurme das Verlangen zu fliegen? Wozu eine unbeschränkte Einbildungskraft, die immer gebärende Mutter kühner Begierden, verwegner Wünsche und Gedanken? Freiheit dem Menschen! in dieser verzweifelnden Stunde kann ich noch bei diesem sinnlosen Worte hämisch lachen. Ja, den Durst nach ihr, den kenne[201] ich, und darum stehe ich nun in diesem verdammten Kreise. Frei der, auf dessen Nacken das eiserne Joch der Notwendigkeit von der Wiege bis zu dem Grabe drückt? Wahrlich, wenn er es umwunden hat, wie man das Joch des Pflugochsens umwindet, so geschah es nicht darum, daß er unsers Nackens schonte, sondern darum, daß wir die mühsame Furche des Lebens ganz durchackern sollten und entkräftet an dem Ziele hinsänken. Nun labe ihn mein Stöhnen, ich habe es erreicht. Zerschlage das Fleisch, das meine dunkle zweifelvolle Seele umhüllt, nimm ihr das Erinnern, daß sie einen menschlichen Leib zum Sünder gemacht hat, dann will ich einer der Eurigen werden und nur im Wunsche des Bösen leben. O der herrlichen Welt, worin der blinde unterjochte Mensch weise Zwecke aus den Martern, die ihn zerreißen, dem ihn umheulenden Jammergeschrei der Elenden, dem Siegesgesang der Unterdrücker, der ihn umgebenden Verwüstung und Zerstörung zusammenlesen soll; worin er nichts fühlt und sieht als eine unwiderstehliche Tyrannei, die ihn hier und dort vor Gericht fodert, wenn er laut zu murren wagt. Ha, Teufel, reiße meine Brust auf und schreibe mit dem kochenden Blut meines Herzens deine schöne Theodizee, die du mir eben vorgesagt, in jene dunkle Wolke. Mag sie ein Philosoph kopieren und die Menschen damit narren. Verherrlicht sich nicht der Ewige in Zerstörung und im Schaffen zur Zerstörung? So rauche dann mein Blut an dem Altar des Furchtbaren wie das Blut eines Opfertiers, das der Unsinn dem Götzen schlachtet! Daß ich's mit beiden Händen fassen, gegen den dunkeln Himmel schleudern könnte, damit es dort glühe, wie es nun in meinen Adern glüht, und zu seinem Thron aufschreie!

Ha, Teufel, dieses gefällt deinen Ohren nicht wie der zischende, heulende Gesang der Verzweiflung, den du erwartet hast – noch kennst du den Menschen nicht ganz. Was ist die Leitung des Himmels, wenn ein Wurm wie ich durch das Mittel eines Verworfnen, wie du bist, durch seinen eignen Willen sein Werk verpfuschen kann? Ist hier Gerechtigkeit? Mußte Faust so geboren werden, sich so entwickeln, so denken und empfinden, daß Tausende elend durch ihn würden? Warum mußten meine[202] Fähigkeiten und Leidenschaften mehr zum Mißbrauch als zu edlen Zwecken gestimmt sein? Wollte es meine Natur so, so wollte es auch der, der sie mir gegeben hat. Er muß Gefallen an diesen Verwirrungen haben, sonst hätte er mich der moralischen Notwendigkeit ebenso gewaltsam unterworfen als der physischen. Löse nur immer den Zauber, der mich in diesem Kreise fesselt, und ich werde dir nicht entfliehen, und könnte ich 's, ich wollte nicht, denn die Pein der Hölle kann nicht größer sein als das, was ich fühle.

TEUFEL: Faust, mich freut deines Muts, und ich höre das, was du sagst, noch lieber als die wilden Töne der Verzweiflung. Sei stolz darauf, deine genialische Kraft bis zum Unsinn und zur Lästerung getrieben zu haben, die Qual der Hölle erwartet dich dafür. Ich bin deines Geschwätzes und der Erde müde. Es ist Zeit zum Abfahren, deine Rolle ist hier gespielt, du beginnest eine, die nie enden wird. Tritt aus deinem Kreise und begrabe den Unglücklichen; dann will ich dich fassen, deinen bebenden, mürben Leib von deiner Seele streifen, wie man dem Aale die Haut abstreift, ihn zerstückt auf das umherliegende Feld streuen, den Vorübergehenden zum Ekel und Abscheu.


7.

Faust stieg den Galgen hinauf und löste den Strick von dem Halse seines Sohns, trug ihn auf das nahe Feld, das der Pflug frisch aufgerissen, grub mit seinen Händen unter Schluchzen und Tränen ein Grab und legte den Unglücklichen hinein. Hierauf trat er vor den Teufel und sprach mit wildem Tone:

»Das Maß meines Jammers ist voll, zerschlage das Gefäß, das ihn nicht mehr fassen kann, aber noch habe ich Mut, mit dir um mein Leben zu kämpfen; denn ich will nicht sterben wie der Sklave, der unter der Gewalt seines Herrn ohne Widerstand hinsinkt. Erscheine mir unter welcher Gestalt du willst, ich ringe mit dir. Um der Freiheit, der Unabhängigkeit zog ich dich aus der Hölle, am Rande der Hölle will ich sie behaupten, am Rande der furchtbaren Wohnung will ich noch meine Kraft gebrauchen[203] und fühlen, daß ich dich einst an meinem Zauberkreise gefesselt sah und dich zu geißeln drohte. Was du in meinen Augen siehst, sind Tränen der Verstockung, Tränen grimmigen Unwillens – Teufel, nicht du, mein eignes Herz siegt über mich!«

TEUFEL: Ekelhafter Prahler! mit diesem Fleische reiß ich dir die Maske ab, die mir Mut vorlügt, und stelle dich hin in deiner elenden, scheußlichen Nacktheit. Die Rache rauscht heran, und Ewigkeit ist ihr Name.

Er stund in Riesengestalt vor ihm. Seine Augen glühten wie vollgefüllte Sturmwolken, auf denen sich die untergehende Sonne spiegelt. Der Gang seines Atems glich dem Schnauben des zornigen Löwens. Der Boden ächzte unter seinem ehernen Fuße, der Sturm sauste in seinen fliegenden Haaren, die um sein Haupt schwebten wie der Schweif um den drohenden Kometen. Faust lag vor ihm wie ein Wurm, der fürchterliche Anblick hatte seine Sinne gelähmt und alle Kraft seines Geists gebrochen. Dann faßte ihn Leviathan mit einem Hohngelächter, das über die Fläche der Erde hinzischte, zerriß den Bebenden, wie der mutwillige Knabe eine Fliege zerreißt, streute den Rumpf und die blutenden Glieder mit Ekel und Unwillen auf das Feld und fuhr mit seiner Seele zur Hölle.




8.

Die Teufel waren um den Satan versammelt, der mit den Fürsten zu Rate saß, um auszumachen, mit was für Strafen man den Papst Alexander den Sechsten peinigen müßte. Seine Verbrechen und der letzte Augenblick seines Lebens waren so einzig, daß auch die boshaftigsten Teufel in Verlegenheit waren, die Pein zu bestimmen, die er verdiente. Der Papst stund vor seinen Richtern, die ihn so spöttisch und übermütig behandelten, als nur immer ein fürstliches Gericht einen Angeklagten behandelt, der weiter nichts vor sich hat als das Unglück, ein Mensch zu sein. Auf einmal fuhr Leviathan triumphierend in ihre Mitte, hielt die Seele Fausts am Schopfe und schleuderte ihn hin:

»Da habt ihr den Faust!«

Die Hölle empfing ihn mit einem so lauten Freudengebrülle, daß[204] die Verdammten in ihren Pfühlen erbebten: »Willkommen, Fürst Leviathan! da ist der Faust! da ist der Faust!«

SATAN: Willkommen, Fürst der Hölle! Willkommen, Faust, wir haben hier genug von dir gehört.

LEVIATHAN: Da hast du ihn nun, Satan! Sieh selbst, was an ihm ist. Er hat mich nicht wenig geplagt, aber seine Torheit hat der Hölle gewuchert, und ich hoffe, du bist mit meinem Aufenthalt auf Erden zufrieden. Zum Lohn bitte ich dich, mich für Jahrhunderte mit solchen Aufträgen zu verschonen, ich bin des Menschengeschlechts übersatt, ob ich gleich gestehen muß, daß dieser hier den letzten Augenblick seines Lebens, so bitter er auch war, nicht übel bestanden hat; aber dies kommt daher, daß er sich in frühern Jahren mit jener Philosophie abgegeben, die du die Menschen gelehrt hast.

SATAN: Ich danke dir, Fürst Leviathan, und verspreche dir, du sollst lange mit mir im Dampf der Hölle verweilen und die Schatten der größten Fürsten der Erde zum Zeitvertreib reiten und geißeln! – Hm! ein ganzer Kerl, und scheint mir den Menschen völlig ausgezogen zu haben. Verzweiflung, Vermessenheit, Haß, Groll, Schmerz und Wahnsinn haben tiefe Furchen in seine Seele gerissen. Er sieht selbst uns und die Hölle ohne Beben an. Faust, bist du auf einmal stumm?

FAUST: Nicht aus Furcht, ich war gegen einen Mächtigern kühn, und darum bin ich hier.

SATAN: He, führt doch den Trotzigen ein wenig nach dem Pfuhl der Verdammten und nehmt eine Legion meiner mutwilligen Hofjungens mit, daß sie sie zusammengeißeln, damit dieser Biedermann mit der Wirtschaft der Hölle bekannt werde.

Ein Teufel riß ihn nach dem Pfuhl der Verdammten. Die Legion schwärmte nach.

LEVIATHAN der den Papst wahrnimmt: Ha, willkommen in der Hölle, Papst Alexander. Ich hoffe, der Kitzel ist Euch nun vergangen, den Teufel zum Ganymed machen zu wollen.

PAPST seufzend: Leider!

SATAN: Ha! ha! ha! das ist mir ein guter Schlag von Menschen, die jetzt auf der Erde wirtschaften! Laß nur erst den Geist der[205] Reformation über sie kommen und sie nach der neuen Welt hinziehen, einen neuen Tummelplatz ihrer Greuel und Laster zu entdecken, so wird es noch toller hergehen.

PAPST: Schade, daß ich nicht dabei sein kann.

SATAN: Ein sehr päpstlicher Wunsch, doch tröste dich nur, deine Landsleute werden schon die Millionen um ihr Gold erwürgen.

PAPST: Was tut man nicht ums Gold! Wißt Ihr wohl, Herr Satan, daß ich diese neue Welt zwischen Spanien und Portugal geteilt habe? Nun käme mir wenigstens der dritte Teil des Golds zu! Oime!

Faust kam mit der teuflischen Begleitung zurück.

SATAN: Nun, Faust, wie gefällt dir das Bad und die, welche sie dort abreiben?

FAUST: Unsinniger, rasender Gedanke, daß der edle Teil des Menschen für die Sünden des aus Kot geschaffnen leiden und büßen soll.

Die Teufel lachten, daß es durch die unendliche Hölle ertönte.

SATAN: Bravo, Faust, das, was du sagst und wie du dich benimmst, zeigt mir, daß du für einen Menschen zu gut bist. Auch bin ich dir einen besondern Lohn für die schöne, der Hölle so nützliche Erfindung der Buchdruckerei schuldig.

PAPST: Was? ein Buchdrucker, und hat sich an meinem Hofe für einen Edelmann ausgegeben und bei meiner Tochter Lucretia geschlafen?

FAUST: Schweig, stolzer Spanier, ich habe sie reichlich dafür bezahlt, und du hättest dich mir für eine gleiche Summe prostituiert, wenn ich eine Bestie gewesen wäre wie du. Wisse, meine große Erfindung wird mehr Gutes stiften und dem Menschengeschlecht mehr nützen als alle Päpste, vom heiligen Peter bis auf dich Scheusal!

SATAN: Faust, darin irrst du dich. Erstens werden dir die Menschen den Ruhm der Erfindung dieser Kunst rauben –

FAUST: Dieses ist noch mehr als Verdammnis!

SATAN: Merkt mir doch auf den Menschen, er steht vor mir, dem Satan, hat den Pfuhl der Verdammten gesehen und hält die[206] Qual der Hölle für nichts gegen seine Hirngespinste, Ruhm und Wahn. Seht mir doch, was aus diesen Ebenbildern des Höchsten geworden ist, seitdem sie sich in Gesellschaften gesammelt, Könige über ihren Leib und ihre Seele gewählt haben, Bücher lesen und ein erkünsteltes Ding ihres eignen, eitlen, stolzen, unruhigen und wahnsinnigen Geistes geworden sind. –

Zweitens, Faust, werden die Schatten zu Hunderttausenden herunterfahren, über dich herfallen, dich mit ihren Flüchen ängstigen, daß du die kleine Quelle des Gifts des menschlichen Verstandes in einen ungeheuren Strom verwandelt hast. Fühlst du denn nicht aus eigner Erfahrung, was euch die Wissenschaften sind und was sie aus euch machen; doch hiervon soll dich dein ehemaliger Begleiter Leviathan unterhalten und dir eröffnen, daß das Unheil, das du über die Menschen gebracht hast, deine sonstige Frevel noch weit übertrifft. Ich, der Herrscher der Hölle, der dadurch gewinnt, bin dir Lohn dafür schuldig, und wenn du dem Ewigen fluchen willst, der dich entweder nicht besser machen konnte oder wollte, so sollst du der Pein der Hölle entfliehen und einer unsersgleichen werden.

PAPST: Satan, laßt mich der erste sein, als Papst muß ich wenigstens den Rang über ihm haben.

SATAN: Merkt mir doch diese Menschen, ihr Teufel, und seht, wie sie euch beschämen! Papst, du hast es getan, da du meinem Leviathan zu Füßen fielst. Faust, wähle –

Faust trat hervor – die rasende Verzweiflung rollte sich in scheußlichen Zügen auf seiner Schattengestalt – er – wer kann den Frevel ausdrücken?

Alle Teufel bebten bei seinen Worten und erstaunten über seine Vermessenheit. Seit der Entstehung der Hölle herrschte keine solche Stille in dem dunklen furchtbaren Reiche, der Wohnung ewigen Jammers, ewigen Geheuls. Faust unterbrach sie und forderte den Satan zur Erfüllung seines Versprechens auf.

SATAN: Tor, wie kannst du von mir erwarten, daß ich, der Herrscher der Hölle, dir mein Wort halten sollte, da man kein Beispiel hat, daß ein Fürst der Erde je sein Wort gehalten hätte, wenn er nichts dabei gewann. Wenn du vergessen kannst, daß du[207] ein Mensch bist, so vergiß nicht, daß du vor dem Teufel stehst. Meine Teufel erblaßten bei deiner Verwegenheit, mein fester, unerschütterlicher Thron erbebte bei deinen vermeßnen Worten, und ich glaubte einen Seigerschlag, ich hätte zu viel gewagt. Fort, deine Gegenwart macht mich unruhig, und du beweisest, daß der Mensch mehr tun kann, als der Teufel ertragen mag. Zerrt ihn in den schrecklichsten Winkel der Hölle, dort schmachte er in düstrer Einsamkeit und starre hin vor der Betrachtung seiner Taten und dieses Augenblicks, der nie zu versühnen ist. Daß ihm kein Schatten nahe! Geh und schwebe allein und verloren im Lande, wo keine Hoffnung, kein Trost und kein Schlaf wohnen. Nur im Vergangenen, im Bewußtsein deines Wahnsinns und deines Frevels sollst du leben. Die Zukunft, die eure Eitelkeit und euer Stolz so gern ausschmücken, sei für dich nichts als der schreckenvolle Gedanke, dein Dasein sei eine ewig fortlaufende Reihe einer unveränderlichen Qual, eines unveränderlichen, peinlichen Gefühls deines Selbsts. Nur ein einziges peinvolles Gefühl sollst du fühlen, nur einen einzigen peinvollen Gedanken denken. Es soll dir Genuß zu sein scheinen, diesen endlosen Schmerz nur mit einem andern wechseln zu können. An deiner Seele sollen ewig die Zweifel nagen, die dich in deinem Leben gequält haben, und nie soll sich dir eins der Rätsel enthüllen, um deren Auflösung du hier bist. Dies ist die peinlichste Strafe für einen Philosophen deiner Art, und ich habe sie vorzüglich meinen Schülern vorbehalten. Die Hölle ist voll von ihnen, und du hast den Samen zu größrer Bevölkerung meines Reichs ausgestreut. Reißt ihn weg, martert ihn! Faßt diesen Papst und werft ihn in einen andern Winkel, in der Hölle ist ihresgleichen nicht.

Nach den Worten Satans ward Fausts Gestalt immer schwärzer und schwärzer. Die Züge der Menschheit verloschen. Ein düstres, gestaltloses, scheußliches, schwimmendes Gewebe umschlang seine Seele. Noch wütete er, die Wut schoß glühende Funken aus dem gestaltlosen Gewebe und erleuchtete es. Zum letztenmal wütete er. Leviathan brüllte: »Ich will ihn ergreifen und mich nochmal an dem rächen, der mich gezwungen hat, die mir verhaßte Erde, das[208] mir noch verhaßtere Teutschland zu betreten.« Und er ergriff mit eiserner Faust das düstre verzerrte Gewebe samt der Seele Fausts. Da goß sich die gedrohte Qual über ihn aus, und ein Stöhnen erscholl aus dem Gewebe, daß, hätten es Menschen mit Ohren, aus Fleische gebildet, vernommen, ihr Herz wäre bei dem Stöhnen erstarrt und die Quelle ihres Lebens versunken. Noch stöhnte Faust aus dem düstren Gewebe unter Leviathans eiserner Faust. Als er mit ihm bei den heulenden Verdammten vorüberfuhr, fühlten sie bei dem schrecklichen Stöhnen zum erstenmal Mitleid mit einem ihresgleichen und vergaßen das Geheul über ihren eignen Jammer. Noch schwebte das Gewebe und verlor sich nun tiefer und tiefer in der unendlichen Ferne. Dann schleifte es Leviathan über die verbrannten Felsen hin, daß die noch glühende Asche unter ihm aufloderte – schwung sich mit ihm empor bis zu der ehernen Wölbung der Hölle, schleuderte ihn herunter, und er sank in den einsamen Abgrund. So erhebt sich die kühne Seele des Forschers verwegen bis zu dem Begriff des Unfaßlichen, Unbegreiflichen in die Höhe, bis das Gefühl des menschlichen Unvermögens ihre Flügel lahmt und sie wirbelnd, schwindelnd in ihr Dunkel zurücksinkt, um in Verzweiflung zu erwachen.

Belial, der Aufseher und Beherrscher der verdammten Päpste, Erzbischöfe, Bischöfe und gefürsteten Äbte, ergriff die Seele Alexanders; eine Mischung von scheußlichen, widersinnigen Gestalten hatte sie umhüllt und ein furchtbares Ungeheuer gebildet, daß die Verdammten, gewöhnt an scheußliche Gestalten, gleichwohl vor Entsetzen ihre Häupter in den glühenden stinkenden Pfuhl tauchten, da Belial mit dem Papst bei ihnen vorüberfuhr.

Nach ihrem Verschwinden sagte Satan lächelnd:

»Das sind mir Menschen, und wenn sie etwas Scheußliches vorstellen wollen, malen sie den Teufel; so laßt uns denn, wenn wir etwas Schändliches vorstellen wollen, den Menschen zur Wiedervergeltung malen, und dazu sollen mir Philosophen, Päpste, Pfaffen, Fürsten, Erobrer, Höflinge, Minister und Autoren sitzen!«[209]

9

Man glaube ja nicht, daß ich mich hier nach der Weise eines großen Teils unsrer teutschen Schriftsteller an diesem großen und einzigen Genie der alten und neuen Zeit vergehen will. Ihnen muß man diese Freude freilich wohl so lange lassen, bis wir einst selbst einen Voltaire erhalten! Ich wollte hier nur so viel sagen, daß Rousseau einiges Recht hat wenn er von Voltaire sagt: que Voltaire, en paroissant croire en Dieu, n'a réellement jamais cru, qu'au diable. Gleichwohl sag es zu viel wie gewöhnlich jeder jeder witzige Einfall, und wenn man bedenkt, daß Voltaire Geschichtschreiber war, daß er nur mit Großen, und zwar mit Großen aus den Zeiten des Regenten Ludwigs des XV., und mit Schriftstellern gelebt hat, so wird seine faustische Laune, die er hin und wieder äußert, wenigstens begreiflich.

10

Resignation.

11

Der Teufel, der, um Fausten zu plagen, seine Zweifel immer nur schärfen will, deutet hier auf folgende Theorie, die er vielleicht darum nicht bestimmt ausdrückt, weil er glaubt, sie möchte dem Stolze des Menschen zu viel schmeicheln und ihm durch eine Reihe von wahren oder falschen Schlüssen einen erhabenen Begriff von der Gottheit beibringen. Sie lautet so:

Der Mensch ist vermöge seines freien Willens und seines ihm eingedrückten innern Sinns sein eigner Herr, Schöpfer seines Schicksals und seiner Bestimmung. Er kann durch seine Taten und sein Würken den schönen Gang der moralischen Welt befördern und stören, nach seiner Lage und Denkart oft ganze Völker, ja ganze Weltteile glücklich oder unglücklich machen, und das ganze Menschengeschlecht vom Bettler bis zum König ist also, jeder nach seiner Kraft, zusammengenommen Werkmeister der sogenannten moralischen Welt. Er entwickelt also nur das einmal in ihn gelegte Streben wie jedes Ding der sichtbaren Welt, doch mit dem Unterschied, daß nur ihn sein freier Wille und sein das Böse und Gute begreifender Sinn der Strafe und Belohnung fähig machen. Diese Theorie greift die Vorsicht freilich nicht an, aber doch die mittelbare Leitung und feste Bestimmung von oben; und da sie von dem Teufel herkommt, überdem sehr untheologisch zu sein scheint und die moralische Welt so unsichern Händen anvertraut, so laß ich sie ohne weiteres da stehen, so vielen Glanz sie auch auf die Moral zurückwirft. Der Leser mache damit, was er will.

Quelle:
Friedrich Maximilian Klinger: Werke in zwei Bänden. Band 2, Berlin 1970, S. 182-210.
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