Die Stunden der Weihe

Euch Stunden, grüß ich, welche der Abendstern

Still in der Dämmrung mir zur Erfindung bringt,

O geht nicht, ohne mich zu segnen,

Nicht ohne große Gedanken weiter!


Im Tor des Himmels sprach ein Unsterblicher:

»Eilt, heilge Stunden, die ihr die Unterwelt

Aus diesen hohen Pforten Gottes

Selten besuchet, zu jenem Jüngling,


Der Gott, den Mittler, Adams Geschlechte singt!

Deckt ihn mit dieser schattigen kühlen Nacht

Der goldnen Flügel, daß er einsam

Unter dem himmlischen Schatten dichte.
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Was ihr gebaret, Stunden, das werden einst,

Weissaget Salem, ferne Jahrhunderte

Vernehmen, werden Gott, den Mittler

Ernster betrachten, und heilig leben.«


Er sprachs. Ein Nachklang von dem Unsterblichen

Fuhr mir gewaltig durch mein Gebein dahin;

Ich stand, als ging' in Donnerwettern

Über mir Gott, und erstaunte freudig.


Daß diesem Ort kein schwatzender Prediger,

Kein wandelloser Christ, der Propheten selbst

Nicht fühlt, sich nahe! Jeder Laut, der

Göttliche Dinge nicht tönt, verstumme!


Deckt, heilge Stunden, decket mit eurer Nacht

Den stillen Eingang, daß ihn kein Sterblicher

Betrete, winkt selbst meiner Freunde

Gerne gehorchten, geliebten Fuß weg!


Nur nicht, wenn Schmidt will aus den Versammlungen

Der Musen Sions zu mir herübergehn;

Doch, daß du nur vom Weltgerichte,

Oder von deiner erhabnen Schwester,


Dich unterredest! Auch wenn sie richtet, ist

Sie liebenswürdig. Was ihr empfindend Herz

In unsern Liedern nicht empfunden,

Sei nicht mehr! was sie empfand, sei ewig!


Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Ausgewählte Werke. München 1962, S. 21-22,30-31.
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