Verhängnisse

[11] Königen gab der Olympier Stolz, und sklavischen Pöbel

Um den gefürchteten Thron:

Weisheit gab er den Königen nicht; sonst hielten sie Menschen

Nicht für würgbares Vieh.

Philosophen gab er den Traum, da Wahrheit zu suchen,

Wo sie zu finden nicht ist:

Priestern den Wahn, die göttlichste Wahrheit durch alles zu lehren,

Nur durch Tugenden nicht.

Alles dies gab er im Zorn. Sehr wenig Könige weihen

Ihr erhabenes Amt

Durch ein Gott nachahmendes Wohltun, das über die Menschheit

Sterbliche Menschen erhöht.[11]

Wenig Philosophen erreichen die nähere Weisheit,

Die Glückseligkeit ist.

Selten wandeln Priester dem nach, der lebend sie lehrte,

Und viel weniger sprach.

Tugend gab er nicht Menschen, die gab er Engeln. Ihr Bildnis

Ließ er den Sterblichen nur.

Mir gab er die singende Leier, und redliche Freunde.

Wollt ich, was größer noch ist,

Wollt ich der Himmlischen Glück, die selige Liebe noch bitten,

O so bät ich zu viel!

O so bät ich auch Tugend! Die gab er Engeln! Ihr Bildnis

Ließ er den Sterblichen nur.

Ist die Leier der Weisheit nicht heilig, und singet sie jemals

Was Geringers als sie;

Lieb ich die Freunde nicht treu, die so voll Freundschaft mich lieben,

O so sind mir von ihm,

Alles was er mir gab, auch die unvergeltbarsten Gaben,

Auch im Zorne verliehn.


Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Ausgewählte Werke. München 1962, S. 11-12.
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