Die Glückseligkeit Aller

[166] Ich legte meine Hand auf den Mund, und schwieg

Vor Gott!

Jetzt nehm' ich die Harfe wieder aus dem Staub' auf,

Und lasse vor Gott, vor Gott sie erschallen!


Wenn dem Tage der Garben zu reifen,

Gesät ist meine Saat;

Wenn gepflanzt in dem Himmel ist meine Seele,

Zu wachsen zur Zeder Gottes;


Wenn ich erkenne,

Wie ich erkennet werde!

Schwinge dich über diese Höhe, mein Flug, empor!

Wenn ich liebe, wie ich geliebet werde!


Von Gott geliebet!

Anbetung, Anbetung, von Gott!

Ach dann! allein wie vermag ich es hier

Nur fern zu empfinden!
[167]

Was ist es in mir, dass ich so endlich bin?

Und dennoch weniger endlich zu seyn!

Dürste mit diesem heissen Durste?

Das ist es in mir: Einst werd' ich weniger endlich seyn.


Wie herlich sind, Gott, vor mir deine Gedanken!

Wie zahllos sind sie! Wollt' ich sie zählen;

Ach ihrer würde mehr, wie des Sandes am Meere seyn!

Einer von ihnen ist: Einst bin ich weniger endlich!


O Hofnung, Hofnung, den Himmel nah,

Vorschmack der künftigen Welt!

Hier schon hebest du meine Seele

Über ihrer jetzigen Endlichkeit Sehranken!


Du Durst, du heisses Verlangen meines müden Herzens,

Mein Herr und mein Gott!

Preisen, preisen will ich deinen herlichen Namen!

Lobsingen, lobsingen deinem herlichen Namen!


Wenn begann er? und wo ist er?

Der, wie Gott, würdig meiner Liebe sey!

Die Ewigkeiten, die Welten all' herunter

Ist keiner!
[168]

Quell des Heils! ewiger Quell ewiges Heils!

Welcher Entwurf von Seligkeiten,

Für alle, welche nicht fielen!

Und für alle, die fielen!


Tausendarmiger Strom, der herab durch das grosse Labyrinth strömt:

Reicher Geber der Seligkeiten!

Sie gebären Seligkeiten!

Einst gebiert das Elend auch!


Pfeiler, auf dem einst Freuden ohne Zahl ruhn,

Du stehst auf der Erd', o Elend!

Und reichest bis in den Himmel!

Auch um dich strömet der ewige Strom!


Gott, du bist Vater der Wesen

Nicht nur, dass sie wären;

Du bist es, dass sie auf ewig

Glückselig wären!


Welche Reihen ohn' Ende! Wenn meine reifere Seele

Jahrtausende noch gewachsen wird seyn,

Wie wenige werd' ich selbst dann von euch,

Ihr Mitgeschafnen, kennen!
[169]

Schaaren Gottes! ihr Mitanbeter! ach wenn dereinst auch ich,

Neben euren Kronen, eine Krone niederlege!

Gott, mein Vater! ... Aber darf ich noch länger mich unterwinden

Mit dir zu reden, der ich Erde bin?


Vergieb, vergieb, o Vater!

Dem künftigen Todten

Seine Sünden! seine Wünsche!

Seinen Lobgesang!


Wesen der Wesen!

Du warest von Ewigkeit!

Dieses vermag ich nicht zu denken!

In diesen Fluten versink' ich!


Wesen der Wesen! du bist! ach Wonne, du bist!

Was wär' ich, wenn du nicht wärest!

Du wirst seyn! auch ich werde durch dich seyn,

O du der Geister Geist! Wesen der Wesen!


Erster! ein ganz Anderer,

Als die Geister alle!

Obgleich sie der wunderbare Schatten

Deiner Herlichkeit sind.
[170]

Warum, da allein du dir genung warst, Erster, schufst du?

Zahllosen Schaaren Seliger

Wolltest du der unerschöpfliche Quell

Ihrer Seligkeit seyn!


Wurdest dadurch du seliger, dass du Seligkeit gabst?

Eine der äussersten Schranken des Endlichen ist hier.

Schwindeln kann ich an diesem Hange des Abgrunds,

Aber nichts in seinen Tiefen sehn.


Heilige Nacht, an der ich stehe,

Vielleicht sinket mir,

Nach Jahrtausenden,

Dein geheimnissverhüllender Vorhang.


Vielleicht schaft Gott Erkentniss in mir,

Die meine Kraft, und was sie entflamt,

Wie viel es auch ist, und wie gross,

Die ganze Schöpfung mir nicht zu geben vermag!


Du mein künftiges Seyn, wie jauchz' ich dir entgegen!

Wie fühl' ichs in mir, wie klein ich bin!

Aber wie fühl' ich es auch,

Wie gross ich werde seyn!
[171]

O du, die steigt zu dem Himmel hinauf,

Hofnung gegeben von Gott!

Ein kurzer, schneller, geflügelter Augenblick,

Er heisset Tod! dann werd' ich es seyn!


Von diesem Nun an, schwing ich mich

Selbst über die höchste der Hofnungen auf!

Denn selig sind von diesem Nun an,

Die Todten, die dem Herrn entschlafen!


Er ist der Sünde Lohn, der Augenblick, der Tod heisst!

Aber seine gefürchtete Nacht

Zeigt auch heller das himlische Licht,

Welches dicht hinter ihr strahlt!


Lass den fliegenden Augenblick,

Du, der mit ihm in das wahre Leben führt,

In einer Stunde deiner Gnaden,

Herr des Lebens, mich tödten!


Er komm' in sanfterem Säuseln,

Oder er komme mit Donnertritt,

Lass nur in einer Stunde deiner Gnaden

Ihn zu der Auferstehung mich aussän!
[172]

Welch ein Anschaun, welcher Triumph wird es meiner Seele seyn,

Wenn sie mit Einem Blicke nur auf der Erde noch weilt,

Mit diesem Einem, zu sehn,

Dass ihre Saat gesät wird!


Welcher Gedank' ist der

Dem, der ihn zu denken vermag,

Welcher höhere Triumphgedanke:

Jesus Christus starb auch! ward auch begraben!


Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Oden, Band 1, Leipzig 1798, S. 166-173.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Das neue Lied und andere Erzählungen 1905-1909

Das neue Lied und andere Erzählungen 1905-1909

Die Sängerin Marie Ladenbauer erblindet nach einer Krankheit. Ihr Freund Karl Breiteneder scheitert mit dem Versuch einer Wiederannäherung nach ihrem ersten öffentlichen Auftritt seit der Erblindung. »Das neue Lied« und vier weitere Erzählungen aus den Jahren 1905 bis 1911. »Geschichte eines Genies«, »Der Tod des Junggesellen«, »Der tote Gabriel«, und »Das Tagebuch der Redegonda«.

48 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon