Der Erobrungskrieg

[166] Wie sich der Liebende freut, wenn nun die Geliebte, der hohen

Todeswog' entflohn, wieder das Ufer betritt;

Oft schon hatt' er hinunter geschaut an dem Marmor des Strandes,

Immer, neuen Gram, Scheiter und Leichen gesehn;

Endlich sinket sie ihm aus einem Nachen, der antreibt,

An das schlagende Herz, siehet den lebenden! lebt!

Oder wie die Mutter, die harrend und stumm an dem Thor lag

Einer durchpesteten Stadt, welche den einzigen Sohn

Mit zahllosen Sterbenden ihr, und Begrabenen einschloss,

Und in der noch stets klagte das Todtengeläut,[167]

Wie sie sich freuet, wenn nun der rufende Jüngling herausstürzt,

Und die Botschaft selbst, dass er entronnen sey, bringt.

Wie der trübe, bange, der tieferschütterte Zweifler,

(Lastende Jahre lang trof ihm die Wunde schon fort)

Bey noch Einmal ergrifner, itzt festgehaltener Wagschal,

Sehend das Übergewicht, sich der Unsterblichkeit freut!

Also freut' ich mich, dass ein grosses, mächtiges Volk sich

Nie Eroberungskrieg wieder zu kriegen entschloss;

Und dass dieser Donner, durch sein Verstummen, den Donnern

Anderer Völker, dereinst auch zu verstummen, gebot.

Jetzo lag an der Kette das Ungeheuer, der Greuel

Greuel! itzt war der Mensch über sich selber erhöht!

Aber, weh uns! sie selbst, die das Unthier zähmten, vernichten

Ihr hochheilig Gesetz, schlagen Erobererschlacht.[168]

Hast du Verwünschung, allein wie du nie vernahmst, so verwünsche!

Diesem Gesetz glich keins! aber es sey auch kein Fluch

Gleich dem schrecklichen, der die Hochverräther der Menschheit,

Welche das hehre Gesetz übertraten, verflucht.

Sprechet den Fluch mit aus, ihr blutigen Thränen, die jetzo

Weint, wer voraussieht; einst, wen das Gesehene trift.

Wir lebt nun die Geliebte nicht mehr: der einzige Sohn nicht!

Und der Zweifler glaubt mir die Unsterblichkeit nicht!


Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Oden, Band 2, Leipzig 1798, S. 166-169.
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