Neunzehnter Brief.

An den Herrn von Hohenau, in Göttingen.

[224] Münden den 13ten Januar 1770,

Mittags 12 Uhr.


Ich will Ihnen, mein lieber Freund! aus jedem Orte, wo ich mich aufhalten werde, ein Paar Zeilen schreiben. So bin ich denn hier angekommen, aber wie, das wissen die Götter, denn man hat mich auf den schönen Wegen in meiner Kutsche so zerstoßen, daß man meine Rippen, ohne sie zu klopfen, als Corteletten um Spinat legen könnte – Aber ich werde zu Tisch gerufen –


Um 1 Uhr.


Ich habe in Gesellschaft einiger hannöverischen Officiere gespeiset. Diesen Leuten blickt Wohlstand und gute Bezahlung aus den[224] Augen, auch sind sie Alle, schon vom Fähndrich an, dick und fett. Mein Wagen steht angespannt vor der Thür; Leben Sie wohl!


Cassell, Abends 10 Uhr.


Ich werde mich diesmal hier gar nicht aufhalten, vielleicht aber auf meiner Rückreise. Diesen Nachmittag, als ich ankam, schickte ich zu meinen alten Freund, den Ritmeister von C ... Er hat mich besucht, und geht eben itzt fort. Morgen früh reise ich weiter.


Wabern den 14ten.


Ich kann Ihnen itzt wahrhaftig nichts Neues sagen, als daß hier ein sehr kleines Lustschloß des Landgrafen und eine Falken-Jagt ist, und daß mich in diesem rauen Lande entsetzlich friert.


[225] Jesberg – Holzdorf – Marburg,

Abends 11 Uhr.


Endlich bin ich so weit, und mich verlangt nach Ruhe. Man trägt mir eine kleine Abendmalzeit auf. Wollen Sie mein Gast seyn? Auf der Gasse ist noch alles lustig, und die wenigen Studenten, die hier sind, machen Lerm genug für ihr Geld. Wäre es möglich, Marburg, Rinteln und Giessen in Eins zu schmelzen, was könnte daraus nicht werden?

Wahrhaftig eine närrische Stadt ist diese! Es giebt hier Straßen, in welche man mit geraden Schritten aus den Boden-Fenstern treten kann. Dennoch wird hier viel in Schlitten gefahren – Klink! klink! da ist schon wieder einer! – Doch, ich bin schläfrig; gute Nacht!


Giessen den 15ten, Mittags.


Schon wieder eine hessische Universität! und wieder ein ganz anderer Schnitt von Studenten!


[226] Nauheim, Nachmittags.


Ah! Nun fängt schon eine heitrere Gegend an. Dieser Ort gefällt mir sehr, und man findet hier eines von den beträchtlichsten Salzwerken in Deutschland, von der Anlage des würdigen Ministers Waitz in Cassell.

Ohnfern Nauheim liegt das kleine Städtgen Friedberg, eine kleine Hauptstadt eines kleinen freyen deutschen ritterschaftlichen Staats.


Hanau, im Gasthofe zum Riesen,

den 19ten Januar 1770.


Da bin ich seit einigen Tagen in diesem wahrhaftig niedlichen Städtgen! Ich bin den 16ten zum erstenmal an den Hof gegangen, und wenn ich je einen Hof gesehen habe, wo mir alles so wohl gefallen hat, so war es dieser. So viel ungezwungene Höflichkeit gegen Fremde; so ein guter nicht geschraubter Ton; so eine gute, gnädige Herrschaft; so[227] viel Häuslichkeit und Einigkeit! Man glaubt ein wohlgeordnetes Privathaus zu sehen, und doch fehlt es gewiß in keinem Stücke am Anständigen. Die Frau Landgräfinn Mutter hat einen eigenen Hofstaat, und an diesem ist jeder verständige gute Mann willkommen. Sie kennt ihre Menschen, und weiß diejenigen auszuzeichnen, die wahre Vorzüge des Verstandes und Herzens haben.

Sie finden in Hanau eine Seltenheit, nemlich eine Kirche, in welcher in holländischer Sprache gepredigt wird. Nebenan ist eine französische Kirche, und die Hälfte der Stadt ist von fremden Colonisten bewohnt, die sehr beträchtliche Fabriken und Manufacturen angelegt haben. Es ist unglaublich, welcher ausgebreitete Handel aus dieser kleinen Stadt sich in ganz Europa verbreitet. Wollen-Manufacturen, seidene Zeuge und Gold-Arbeiten sind die Hauptartikel desselben.[228]

Die Gegend um Hanau ist allerliebst. Philippsruhe am Mayn hat eine romantische Lage. Rund um die Stadt her sind schöne Alleen gepflanzt – Kurz! ich bliebe wohl vier Wochen hier, wenn ich nicht andere Plane hätte. So aber werde ich nicht eher als auf dem Rückwege zu meinen Oheim gehen, und nur geradesweges in das Elsaß rennen. Morgen beurlaube ich mich hier.


Darmstadt den 22ten.


Ich wünschte, daß der Herr Landgraf der Schaarwache verböthe, nicht immer um Mitternacht zu trommeln und zu pfeifen, damit nicht ein armer unschuldiger Fremder aus dem besten Schlafe mit Schrecken aufgeweckt würde.

Wüst und todt ist diese Stadt; Wollen Sie aber darinn eine Seltenheit sehen; so lassen Sie Sich das Exer cier-Haus zeigen[229] welches freylich, in künstlicher Bauart, vielleicht das Einzige in seiner Art ist.

Einen Schatz hat Darmstadt, und der ist seine Fürstinn, eine der vortreflichsten und klügsten Frauen ihres Standes.

Der Landgraf ist selten da. Der fürstlichen Familie habe ich meine Cour gemacht, nun reise ich weiter.

Denken Sie an! Als ich vorgestern in Frankfurt einen Augenblick mich im rothen Hause aufhielt, traf ich den niederträchtigen italienischen Grafen B ... an. Er trägt itzt weltliche Kleider, und sucht einen Hof, wo er ein wenig Uneinigkeit und Teufeley stiften könnte. Er spielt noch immer mit seinen zwey großen Ringen und Schnupftabaks-Dosen, und ist kürzlich wieder irgendwo fortgejagt worden, als seine Geschichte mit der Vergiftung ruchtbar wurde.


[230] Manheim den 23ten.


Ein kluger Herr, ein glänzender Hof, und eine prächtige heitre Stadt, in welcher schöne Künste und alle Arten von Wissenschaften blühen!

Sie sehen, mein Lieber! daß ich Ihnen nur sehr kurz und abgebrochen schreibe. Allein, da ich mich an jedem Orte nur wenig Tage aufhalte, und doch gern alle Seltenheiten und Merkwürdigkeiten sehen mag; so bleibt mir nicht viel Zeit zum Schreiben übrig. Unterdessen zeichne ich mir alles punctweise in der Kürze auf, und einst sollen Sie eine weitläuftige Beschreibung davon lesen, wenn Sie wollen. Glauben Sie ja nur, daß mir auch auf dieser Reise manches lächerliche Original aufstößt, und daß ich gewiß schon so viel Bilder gesammlet habe, womit ich bis zu einer andern Reise mein Gedächtniß tapezieren kann. Aber ich behalte alles in petto.


[231] Carlsruhe den 27sten.


Eine Stadt, in der Form wie ein Rad gebauet, ist eine ganz artige Sache für den curiösen Liebhaber. Aus dem Schloßthurme sieht man in alle Querstraßen der Stadt, und von der andern Seite in mehr als dreyssig Alleen. Schade, daß man wenig Menschen sieht!

Ich bin auch hier am Hofe gewesen, der aus Leuten besteht, deren Auswahl einem der weisesten Fürsten Deutschlands Ehre macht. Aber, wie gesagt, die Stadt ist mir zu öde.


Rastatt, um 1 Uhr Nachmittag.


Aber dies ist wahrhaftig ein heiterer schöner Ort, und es ist mir unbegreiflich, warum der Markgraf sich nicht hier aufhält.


Straßburg den 3ten Februar.


Als ich im Raben abtrat, traf ich einen Freund, den Herrn von Z ... an, der im[232] Begriff war, nach Paris zu reisen. Ich entschloß mich kurz, ihn bis Nancy (oder, wie das hiesige Zwitter-Geschlecht von Halbdeutschen sagt: Nanzig) zu begleiten, woher ich eben zurückkomme.

Lüneville und Nancy sind schöne Städte, aber seit des Königs Stanislaus Tode äusserst leer.

Hier habe ich zwey Schauspiele besucht, die gleich schlecht waren.

Uebermorgen reise ich zurück, und zwar durch die herrliche Bergstraße über Heidelberg. Schade, daß die Jahrszeit eine Decke über so viel mannigfaltige Schönheiten der Natur gebreitet hat!

Sobald ich bey meinem Oncle in Ruhe bin, will ich Ihnen weitläuftiger schreiben, und Ihnen sagen, wie oft ich mir Ihre angenehme Gesellschaft gewünscht habe,[233] und wie sehr ich mich darauf freue, Ihnen in sechs Wochen mündlich wiederholen zu können, daß ich stets seyn werde


Ihr

treuester Freund,

von Weckel.[234]

Quelle:
Adolph Freiherr von Knigge: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 1, Riga 1781–1783, S. 224-235.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Reuter, Christian

Der ehrlichen Frau Schlampampe Krankheit und Tod

Der ehrlichen Frau Schlampampe Krankheit und Tod

Die Fortsetzung der Spottschrift »L'Honnête Femme Oder die Ehrliche Frau zu Plissline« widmet sich in neuen Episoden dem kleinbürgerlichen Leben der Wirtin vom »Göldenen Maulaffen«.

46 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon