Dritter Brief.

An den Freyherrn von Leidthal, in Urfstädt.

[48] Cassell den 10ten October 1769.


Theuerster, bester Pflegevater!


Ich schreibe Ihnen diese Zeilen aus einer Stadt, ach! aus einer Stadt, die so schön ist, daß ich wohl schwerlich viel lernen würde, wenn ich, statt in Göttingen zu studieren, unter der Menge von Zerstreuungen, hier arbeiten sollte. Alles athmet nur Freude hier. Herrliche Gebäude, Palläste, bezaubernde Gärten, Music, Malerey, Schauspielkunst, das alles scheint hier zu Hause zu seyn. Und Soldaten, die wie Kinder Einer schönen Familie aussehen, und deren äusseres Ansehn das Gepräge von Wohlstand, Zucht und Fröhligkeit hat –[48] Lachen Sie nicht, theuerster Vater! weil ich armer Junge, der noch wenig gesehen hat, alles hier so schön finde! Aber ich denke doch auch, Cassell hat würklich viel aufzuweisen, welches man in wenig Städten Deutschlands vereinigt antrift.

Wir haben, so viel es die Zeit verstattete, alles Merkwürdige gesehen, aber man wird gar nicht fertig damit.

Den sechsten früh reiseten wir aus Göttingen, und hielten uns, auf des Herrn Müllers Anrathen, in Münden ein Paar Stunden auf, weil in der That dieses Städtgen eine so allerliebste romantische Lage hat, daß ich mich wundern muß, warum so wenig freye Menschen aus Liebhaberey dahin ziehen. Da, wo sich die Fulda und Werra vereinigen, der kleine Hafen voll Fahrzeuge; einzelne Gartenhäuser, die hie und da zerstreuet liegen; und dann zu beyden Seiten die majestädtischen Berge und Wälder; die[49] große Straße, welche mitten durch die Stadt läuft; Diese würklich großen Gegenstände müssen nothwendig auf ein malerisches Auge (ich sollte wohl sagen auf ein romantisches Herz, welches Sie mir zuweilen Schuld geben) würken. Allein es scheint nicht, als wenn die Einwohner sich hierum bekümmern. Man wird aber gewöhnlich undankbar gegen eine schöne Gegend, wenn man sie täglich sieht, obgleich ich das nicht loben kann, doch mag davon unser beständiger Hang nach Neuheit der Grund seyn. Kurz! ich mögte in Münden wohnen – Aber noch nicht, sondern erst dann, wenn mich einst, wie Sie mir das immer vorher prophezeyet haben, einmal ein unruhiges leidendes Herz aus der großen Welt heraustreiben wird, zur Abkühlung, zur Versöhnung mit der wohlthätigen Natur – Doch mögte es wohl noch etwas Weile bis dahin haben –

Etwas weniger lebhaft als gewöhnlich fanden wir Cassell, weil der Hof, eine kleine[50] Stunde von da, auf dem Lustschlosse Weissenstein war. Als wir hörten, daß dort Commödie seyn würde; so fuhren wir gleich hin. Wir kamen noch zu rechter Zeit an, um ein französisches Lustspiel und eine Operette zu sehen. Beydes wurde, so viel ich davon verstehe, gut gegeben. In den Messen und zur Zeit des Carnavals hat man auch in Cassel große italienische und französische Oper, große heroische und andre Ballets, Mascaraden – mit einem Worte alles, was nur Vergnügen erwecken kann.

Wir blieben die Nacht in dem Gasthofe auf dem Weissenstein, und erstiegen dann früh Morgens den prächtigen Carlsberg, ein Werk, welches, in dem größten Styl gebauet, das Ansehen hat, als wenn Riesen diese künstlich aufeinander gekitteten Felsenstücke aufgethürmt hätten. Es war ein Schweizer mit uns in Gesellschaft, der, um etwas zu sagen, das schweizerisch klingen sollte, ausrief: »Mein Gott! wozu nützt das alles?[51] Es ist doch nur eine Wasserkunst zum Vergnügen, und kostet so ungeheure Summen. Wahrlich! die unten gelegenen schmutzigen Bauerhütten sind mir zehnmal lieber.« Das Ding kann etwas wahres enthalten, aber nach dieser Lehre wäre ein Nachttopf viel besser als ein Punschnapf. Und wie viel Menschen haben nicht bey dieser herculischen Arbeit ihren Unterhalt gefunden!

Doch was bedarf ich Ihnen zu beschreiben, was Sie schon oft ehemals gesehen haben? Alle Anlagen des Landgrafen Carls scheinen mir groß und edel, aber sie sind noch nicht vollendet. Da indessen der jetzige Herr Geschmack und Kenntnisse hat, und mit Nutzen gereiset ist; so darf man hoffen, daß bey der weiteren Ausführung dieser Plane nichts Spielendes, Unwürdiges oder Kleinliches mit unterlaufen wird, welches sonst das Gefühl dieser Dinge schwächen könnte.[52]

Der Landgraf ist von seinen Unterthanen geliebt. Bey allen äusserlichen Vorzügen, Kenntnissen aller Art, Geschmack an schönen Künsten und feinem Witze, der jede Seite eines Dinges schnell und richtig zu fassen weiß, besitzt er ein gefühlvolles Herz. Er läßt auch den ärgsten Verbrecher keine harte, und überhaupt selten jemand irgend eine Todesart leiden. Er verzeyhet gern, wenn er beleidigt ist, und rächt sich nicht. Er hat eine Seele für die Freundschaft, und läßt sich von seinen Freunden leiten. Er liebt den Soldaten-Stand, aber weit entfernt, die kleinen Details desselben als eine hauptsächliche, eines Fürsten würdige Beschäftigung anzusehen, ist er nur in sofern Soldat, als er es dem Genie seines Landes angemessen findet, und hat die Wissenschaften vollkommen inne, welche zum Großen des Dienstes gehören. Das ist das Urtheil, welches uns jemand, der sehr unpartheyisch ist, und doch den Landgrafen gewiß kennt, von ihm fällte. Viel Menschen werden wohl anders von ihm[53] urtheilen, denn wenn ein großer Herr nicht jeden befriedigen kann; so giebt mancher Unzufriedener die unächtesten Farben zu seinem Gemälde her, und also mag wohl nichts unsicherer als der Ruf eines Fürsten seyn, so daß man nur gar zu oft, wenn man den Mann in der Nähe beobachtet, sein Urtheil wird zurücknehmen müssen. Schwachheiten mag er vermuthlich auch haben, weil er ein Mensch ist. Wie könnte sich aber Hessen je einen besseren Herrn wünschen, wenn er alle diese guten Eigenschaften besitzt?

Es wird beständig in Cassell viel gebauet, um die Stadt zu verschönern, und bey dem allen ist doch das Schloß nichts weniger als hübsch. Man muß sogar eine kleine Windeltreppe hinaufkriechen, um in die Zimmer des Fürsten zu kommen, welches, im Vorbeygehen zu sagen, bey Hofe eine gefährliche Sache ist. Denn da man schon behauptet, daß die Wände der Vorzimmer Ohren haben, wie vorsichtig muß da nicht ein Hofmann mit[54] seinen Intriguen zu Werke gehen, wenn auch die Treppen wie ein Ohr gebauet sind, wo man ganz unten hören kann, was unter dem Dache leise gesprochen wird? Uebrigens macht es dem Fürsten, denke ich, Ehre, daß er früher an Verschönerung der Stadt, zum Vergnügen andrer Menschen, als an sein eignes Haus gedacht hat.

Hier in Cassell ist alles nach französischem Schnitte. Die Hälfte der Einwohner ist auch wohl von dieser Nation, und der Ton in allen Gesellschaften und am Hofe also gestimmt.

Der Hof ist glänzend und zahlreich, und wer daran dient, wird gut, und Mancher sehr reichlich bezahlt.

Das Orangerie-Schloß und der große Park sind ein herrliches Werk; doppelt schön, weil man immer Menschen, zu Fuße, zu Pferde, und in Kutschen daselbst sieht. Denn[55] was ist ein Garten, der nicht jedem offen steht, und kann wohl ein angenehmerer Anblick für einen Menschen seyn, als der Anblick von Menschen?

Wilhelmsthal, ein Lustschloß nicht weit von hier, welches des jetzigen Landgrafen Herr Vater gebauet hat, so prächtig und artig es auch gebauet und verziert ist, gefällt mir, seiner Lage nach, und überhaupt gar nicht.

Hier haben wir aber ferner Bibliothek, Cabinet, Bildergallerie und so viel Dinge gesehen, daß ich lange darüber reden könnte, wenn ich Ihnen eine Reisebeschreibung liefern wollte, und wenn Sie nicht, mein theuerster Pflegevater! in Ihrem Leben so viel Schönes gesehen hätten, daß Ihnen dergleichen gar nicht fremd seyn kann.

Weil Sie mir erlaubt haben, über alles, was ich sehen würde, mein Jünglings-Urtheil[56] geradezu zu fällen; so muß ich noch etwas von den inwendigen Verzierungen des Schlosses sagen. Es hat mich nemlich gefreuet, wahrzunehmen, daß in allen Meubles desselben ein edler, einfacher Geschmack herrscht. Dabey fiel mir denn ein, daß ich mich immer ärgere, wenn ich sehe, daß wir in unserm Zeitalter so viel Verzierungen haben, die gar nichts bedeuten. Ist nicht schon alles, was den Nahmen Cartouschen führt, ein Unding? Indem ich nun dies schreibe, sehe ich im Zimmer dieses Gasthofs umher. Da finde ich denn eine papierne Tapete, wo Ranken von Blumen, die nie in der Natur gewesen sind, sich mit einem Streife von Gitterwerke durchkreutzen, zwischendurch in den viereckten Feldern aber ist immer ein Stück von einem verfallenen Gebäude, ruhend auf einer Muschel, und ein Papagey, der eben so groß als das Gebäude ist. Nun spotte man einmal über chinesische Malereyen! Die Stühle stehen, ohne allen Nutzen, auf krummen Beinen, welches eine[57] Idee von Krüppeley giebt. Auf dem Tische liegt ein hessischer Addreß-Calender, an welchem der Rücken des französischen Bandes auch eine Menge vergoldeter, nichts vorstellender Schnörkel enthält.

Es ist wahr, daß man anfängt die gothischen Verzierungen abzuschaffen, aber man trift, dünkt mich, noch immer nicht den geraden Weg der Natur und Schönheit. Daß man, zum Beyspiel, etwas, das den Kopf eines großen Nagels vorstellen soll, mit einer Rose verziert, lasse ich gelten, daß man aber hin und wieder Widderköpfe, die man in den Metopen der dorischen Friese an den alten Tempeln und an Opfergefäßen und Sarcophagen sehr schicklich angebracht gefunden hat, jetzt an Consol-Tischen und Theemaschinen schnitzt, das ist lächerlich und ekelhaft. Unterdessen scheint mir diese Sache nicht so unwichtig zu seyn, als man sie gewöhnlich ansieht, und ich bin überzeugt, daß jemand, der von Jugend auf nichts als richtige,[58] bedeutende, zweckmäßige, wahrhafte Gegenstände um sich her sieht, auch richtiger, treffender und genauer denken lernt.

Unsre Kleidertracht ist, leider! auch eins von den traurigen Stücken, die unsre Barbarey auf die Nachwelt verewigen werden. Wie sehr könnte man sich aber irren, wenn man in einigen Jahrhunderten, nach unsren Münzen und Kunstwerken unsre Kleidungen beurtheilen wollte! Ein fleissiger Conrector mögte alsdann über eine braunschweigische Pistolette ein schönes Werk von den Panzern des achtzehnten Jahrhunderts schreiben. Das Gemälde eines geharnischten Landjunkers und eines Gelehrten, der einen Mantel, den er nie trägt, um seinen Bauch geschlagen hat; des Landgrafen Carls Bildsäule, welche die französischen Colonisten demselben haben errichten lassen, und an welcher über ein griechisches Gewand her der dänische Elephanten-Orden hängt; das alles beleidigt Augen, welche den Sinn für Wahrheit und ächte Natur haben.[59]

Herr Meyer will seinen Brief hinter den Meinigen schreiben, also muß ich ihm wohl Platz lassen, so gern ich auch noch ein Stündgen lang meine Weisheit ausplauderte. Indessen küßt Ihnen, bester Vater! in Gedanken ehrerbiethig die Hände


Ihr

gehorsamster Pflegesohn,

Carl von Hohenau.[60]

Quelle:
Adolph Freiherr von Knigge: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 1, Riga 1781–1783, S. 48-61.
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