Siebenter Brief.

An den Herrn Commerzienrath Rath Müller, in Cassell.

[91] Amsterdam den 10ten November 1769.


Ich bekam gestern, mein lieber Mann! Deinen Brief und die Nachricht von Deiner weiteren Reise. Du kannst leicht denken, wie sehr mich jede Erzählung von einem neuen mislungenen Plane beunruhigt, da unsre und der armen Kinder Hofnung Tag und Nacht auf Deine Ausrichtungen ruht. Gott gebe Dir gute Aussichten in Cassell. Ich denke, wenn Du es nur recht anfängst; so müßte es doch irgendwo gelingen. Nur kann ich nicht begreifen, wie Du es noch mit den Reisekosten und der Zehrung machst. Die Ringe und die goldene Uhr werden nun auch wohl fort seyn, die ich Dir in den guten Zeiten schenkte, wie ich noch für nichts zu sorgen[91] hatte, und fröhlige Tage erlebte. Ja! die Zeiten sind aus, und ich schäme mich, vor die Thür zu gehen, daß die Leute, die mich im Wohlstande gesehen haben, nicht meiner spotten. Doch, ich will von diesen verdrießlichen Dingen schweigen, und Dir von unsren Kindern Nachricht geben. Der Aelteste wird Dir wohl geschrieben haben. Sein Patron ist sehr von ihm zufrieden. Ach ja! Fritz soll sich wohl durchhelfen, wenn er einmal nur auch, wie sein Vater, eine Frau mit etwas Gelde heyrathen könnte, und die ein eigenes großes Haus hätte! Er würde ja alsdann wohl aus unsrem Beyspiele lernen, besser Rath halten mit dem Seinigen. Es liegt alles daran, daß man den Handel versteht, sonst muß es freylich schief gehen, doch, den lernt er ja, wo er jetzt ist. An Ludwig werden wir wohl nicht so viel Freude erleben, der läuft den ganzen Tag herum, und geht in alle Commödien. Wo der Junge das Geld herkriegt, das weiß der Himmel. Mein Bruder lobt ihn indessen doch, und sagt, daß seine Lehrer[92] von ihm zufrieden wären, was nehmlich das Studieren betrift, denn um seine Aufführung kann sich mein Bruder nicht bekümmern, aber er fährt fort, alles für ihn zu bezahlen, obgleich meine Schwägerinn ihm immer Vorwürfe darüber macht. Sophie kömmt zuweilen, wenn sie abkommen kann, zu mir. Sie klagt über nichts, und ihre Herrschaft hat ja auch allgemeines Lob, aber sie ist seit einiger Zeit so niedergeschlagen und traurig, daß ich gar nicht weiß, was dem albernen Mädgen fehlt. Gestern hat sie aus Versehen einen Brief hier verlohren, den ich Dir schicke, weil ich gar nicht daraus klug werden kann. Gott verzeyhe mir meine Sünde! das ist ein Brief, den ein Mensch geschrieben haben muß, der toll ist. Ich hoffe doch nimmermehr, daß sich schon jemand in das Kind verliebt hat. Ihr will ich noch nichts darüber sagen, bis Du mir Deine Meinung geschrieben hast. Die beyden Jüngsten wachsen heran, und mir wird angst ums Herz, wenn ich sie ansehe. Von den Freymaurer-Logen und von dem[93] Herrn Grafen von Haxstädt bekomme ich noch immer das Geld richtig geschickt. Du großer Gott! wovon wollte ich auch sonst mit den armen Kindern leben? Das fühlst Du so nicht, weil Du immer herumreisest, aber ich empfinde es genug. Es kömmt auch kein Mensch mehr zu mir. Das ist mir nun recht lieb, ich mag mich vor niemand mehr sehen lassen. Ich werde wohl aufhören müssen; Angenehmes kann ich ohnehin nichts schreiben. Der liebe Gott gebe uns bald besseres Glück! Ich bin ewig


Deine

treue Frau,

Christine Müller.[94]

Quelle:
Adolph Freiherr von Knigge: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 1, Riga 1781–1783, S. 91-95.
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