Achter Brief.

(in dem vorhergehenden eingeschlossen.)

[95] Hamburg den 1sten November 1769.

Abends 11 Uhr.


Meine ewig theure Sophie!


Warum kann ich nicht mit diesem Briefe zu Dir hinfliegen, Dich an mein treues Herz drücken, und Dir sagen, wie viel dies arme Herz seit unserer Trennung leidet! Ach Sophie! Es ist erstaunlich hart, von dem besten Mädgen getrennt zu werden – Und wenn werde ich Dich wiedersehen? Mein Oncle rechnet darauf, mich wenigstens ein Paar Jahre bey sich zu haben – Aber, Gott weiß, ich kann das nicht. Wenn ich so einsam auf meinem Zimmerchen sitze, und nach Deinem Bilde, das immer vor meinen Augen schwebt, voll süßer Schwärmerey, die Arme ausstrecken will, und dann der Gedanke,[95] daß die Freundinn meiner Seele fern von mir ist, mit seiner ganzen Last auf mich zurückfällt; o! dann bin ich oft im Begriff, fortzulaufen, mit dem ersten Schiffe zurück nach Amsterdam zu fahren, mich meinem Vater zu Füßen zu werfen, und ihn um seine Einwilligung zu bitten. Sophie! himlische Sophie! ich kann nicht länger ohne Dich leben. Meine unschuldige, treue, heilige Liebe zu Dir ist ein Theil meines Wesens geworden. Wo Du nicht bist, da ist mir alles geschmacklos und leer. Mein Oncle bemüht sich vergebens, mich aufzumuntern. Hamburg könnte mir gefallen, aber ohne Dich ist mir's eine Einöde. Mein erster Gedanke in einem fremden Hause ist, zu wissen, nach welcher Gegend hin Amsterdam liegt, und wenn ich ein Mädgen sehe; so frage ich mich selbst, ob sie nicht Einen Zug, nicht einen einzigen lieben Zug, von Dir hat.

Der Mond scheint so schön durch mein Fenster. Ich will es öfnen – Ach! vielleicht[96] stehst Du itzt auch da, und siehst dem tröstenden Freunde aller Bedrängten in sein liebevolles, sanftes Gesicht –

Indem ich vom Stuhl aufgestanden war, und meine nassen Blicke auf den kleinen Garten heftete, der unter meinem Fenster liegt (denn ich wohne im Hinterhause); sahe ich quer über ein Kätzgen zu ihrem Freunde schleichen – Glückliches Kätzgen! – Sophie! lache nicht über mich! Liebe, Liebe schallt unaufhörlich in jeder meiner Nerven. Alles, was ich sehe, giebt dieser schönen Leidenschaft Nahrung. Gute Nacht!


Den 2ten November Morgens 7 Uhr.


Ich stehe eben auf, und mein erster Gedanke ist, mit meiner Freundinn zu plaudern. Noch immer habe ich Nacht und Tag den Kern von der eingemachten Kirsche im Munde, den Du mir aus Scherz gabst, als ich, zwey Tage vor meiner Abreise, bey Deinen Hausleuten speisete.[97]

Es ist innige Wonne für mein Herz, daß nur Gott allein das Geheimniß unserer schuldlosen Liebe weiß –

Erinnerst Du Dich noch, meine Sophie! wo wir uns zum erstenmal sahen? Als Du mit Deiner Mutter in Mastricht warst, da besuchte ich Euch im Gasthofe. Ich war erst vierzehn Jahr alt, und bey dem Secretair Agtstädt in Pension – Es sind nun acht Jahre – Weißt Du es noch? Wir waren in einer grünen Eckstube. Deine Mutter verließ uns auf kurze Zeit, um mit einem Geschäftsmanne zu reden; ich blieb allein bey Dir. Ach! bestes Mädgen! Von dem Augenblicke an pochte mein Herz lauter. Wenn Du Deine lieben sanften Augen auf mich heftetest; so konnte ich nicht Ein zusammenhängendes Wort hervorbringen – O Sophie! Du mußt mein werden, Du bist ewig mein. Der Himmel schuf uns für einander. Wie oft hat uns, bey den kleinsten Begebenheiten, die Aehnlichkeit unserer Gefühle[98] überrascht! Welche unerklärbare Sympathie war stets in unsren Temperamenten, in unserm ganzen Wesen! Nur, wie auf feinem Papiere jede Zeichnung weicher, heller, reiner aussieht, als auf gröberem; so herrscht auch in Deinem feineren Gewebe mehr Milde, als in meinem männlichen Character. Aber seitdem ich Dich liebe, hat ewiger Friede mit allem, was mich umgiebt, in meiner Seele Platz genommen; Ich tödte keinen Wurm, keine Fliege. Der Gedanke, daß eine Creatur über mich seufzen könnte, kann mir Thränen auspressen. Auch dünkt mich, als betrachteten die guten Geschöpfe mich als ihren Freund; Ich kann mitten unter sie treten, keine Taube, kein Vögelchen fliegt vor mir weg, und wenn ein armer Hund seinen Herrn sucht; so bin ich der Erste, an den er sich wendet.

Nie habe ich so den hohen Werth der Musik gefühlt, als itzt. Wenn mein schweres Herz, in trüben Augenblicken, sich nach Dir[99] sehnt, und rund umher einen Freund sucht, mit dem ich wenigstens von meiner Sophie reden könnte, und den nicht findet, in dessen Schoos ich meine Klagen ausschütten dürfte; dann ist das treue Clavier mein süßestes Labsal.

Als ich Abschied von Dir nahm, da senktest Du Dein liebes Haupt auf meine Schulter. Es war Puder aus Deinen Haaren auf mein braunes Kleid gekommen. Gestern nun hat mein unempfindlicher Kerl von Bedienten all den lieben Puder abgebürstet; Ich hätte vergehen mögen, als ich sah, daß es geschehen war.

Ich muß schliessen. Mein Oncle läßt mich rufen, und in ein Paar Stunden geht die Post ab. Vielleicht bekomme ich morgen ein Briefgen von Dir. Du weißt doch noch, wohin Du die Briefe addressiren sollst, und zwar mußt Du dabey setzen: »Am Jungfern-Stie ge bey dem Herrn Prinzhausen abzugeben,[100] und daselbst bis zur Abholung liegen zu lassen.«

Was für Nachricht hast Du von Deinem unglücklichen Vater? Ich armer Junge! daß ich nicht Herr über mein elendes Vermögen bin! – Doch, was hilft das Schwätzen? –

Lebe wohl, mein Engel! meine süße theure Sophie! Ich bin ewig


Dein

treuester

Gustav.[101]

Quelle:
Adolph Freiherr von Knigge: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 1, Riga 1781–1783, S. 95-102.
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