Eilfter Brief.

An den Freyherrn von Leidthal in Hamburg.

[118] Dresden den 10ten Junius 1771.


Mein theuerster Herr!


Unbeschreiblich habe ich mich gefreuet – so gefreuet, als vielleicht noch nie in meinem Leben. Unsern Carl gerettet, und einen längst verlohrengegebenen Freund gesund und glücklich zu wissen; das war mehr, als ich zu hoffen gewagt hätte. Ich will nun ein heiliges Gelübde thun, nie wieder im Unglücke zu verzweifeln, immer zu hoffen, und fest auf die Vorsehung zu bauen, die mit unbegreiflicher Kunst die Knoten unserer Schicksale auflöset, wenn sie auch noch so verwickelt scheinen.[118]

Doch, ich will Ihnen nun auch einen kurzen Auszug aus der Erzählung mittheilen, die mir der gute Obrist von seinen Begebenheiten, in dem Briefe, den er mir geschrieben hat, macht.

Sie wissen, mein gnädiger Herr! daß, vor etwa fünf Jahren, eine unglückliche Catastrophe uns trennte. Der arme Adjudant wurde gefangen gesetzt, und ich nach Berlin geschickt, wo ich Sie anzutreffen das Glück hatte, und mit Ihnen nach Urfstädt reisete, ohne daß ich wieder etwas von meinem Freunde erfahren konnte. Das gieng auch sehr natürlich zu, denn obgleich er kaum ein halbes Jahr lang gefangen gesessen hat; so wußte er doch hernach nicht, wo er mich, noch ich, wo ich ihn suchen sollte.

Er wurde in seinem Gefängnisse scharf bewacht, durfte sich auch mit niemand, weder mündlich noch schriftlich unterreden, bis der Tod des Fürsten auf einmal der Sache[119] eine andere Wendung gab. Die Gemahlinn gieng in ihr Vaterland zurück, und da das Ländgen an ein anderes fürstliches Haus fiel; so war es nun leichter, die Entlassung des Adjudanten des vorigen Herrn zu bewürken.

Er hatte in der Residenz noch einen Freund, der den Zusammenhang seiner Begebenheiten wußte; Ausserdem war die ganze Geschichte ein Geheimniß geblieben. Dieser ehrliche Mann nun verwendete sich für ihn. Der neue Fürst war ein Liebhaber von raren Thieren; Der Mann, der für meinen Freund bath, hatte eine ganz besondere Art von Hünern; Damit machte er dem Landesherrn, zum Behuf seiner Menagerie, ein Geschenk, und dies erleichterte um ein beträchtliches die Loslassung des Gefangenen. Die Hauptsache war aber, daß sich durchaus keine Nachrichten von Verbrechen fanden, die ihm zur Last fallen konnten; Man sagte dem Fürsten: er sey nur eines leichten Dienstfehlers wegen hingesetzt worden; Privatcabalen gegen ihn[120] fielen weg; der Unterhalt eines Staatsgefangenen kostet denn auch immer Geld; und also war es nicht schwer zu erlangen, daß ihn der jetzige Fürst aus seiner Gefangenschaft befreyete, da er denn das Land verließ, und zu einem Verwandten in Schlesien gieng.

Vorher aber erhielt er von dem Fürsten den Abschied als Obristlieutenant; Wie denn überhaupt manche neue Regenten gern, zu Anfang ihrer Regierung, einige Beyspiele ihrer fürstlichen Huld geben, um in den Zeitungsblättern ausposaunt zu werden, und ein vortheilhaftes Licht auf ihre folgende Regierung zu werfen, welches sie aber bald wieder auszulöschen pflegen.

Jetzt bemühete sich sein Vetter, der vom Könige von Preussen, dem er ehemals als Gesandter wichtige Dienste geleistet hat, geliebt wird, ihm eine Laufbahn in dessen Diensten zu eröfnen. Es gelung; Man stellte ihn dem Könige, der wahres Verdienst zu[121] schätzen, und Talente zu ermuntern weiß, vor. Er wurde bey der Armee angesetzt, und hat seit einem Jahre das Regiment, worunter jetzt unser Carl dient, und welches in Berlin in Garnison liegt.

Wunderbar, wie der Himmel unsre Begebenheiten lenkt, in einander verwebt, Menschen vereinigt, trennt, wieder zusammenbringt – So magisch, daß wenn nur mancher, ohne alle Zusätze, die Geschichte seines Lebens schreiben wollte, wir einen sehr viel verwickeltern und interessantern Roman bekommen würden, als die mehrsten derjenigen sind, wo die Fantasie Histörchen zusammenflickt, denen man die Aengstlichkeit des Erfinders, seinen Leuten Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen, ansieht.

Warum schreiben also nicht mehr Menschen, ungeschminkt, die Geschichte ihres Lebens? Kann den Menschen etwas näher angehn, als eine mit Treue und Beobachtungsgeist[122] geschriebene Lebensgeschichte eines andern, auch noch so geringen Menschen? Oder schämt man sich, seine und anderer Leute Fehler und Thorheiten aufzudecken? – Als wenn nicht jeder wüßte, daß wir dergleichen haben! – Wird man deswegen den Mann hassen, weil man erfährt, daß er, durch Leidenschaft irregeführt, einst oder oft nicht so gehandelt hat, wie wir – bey einer Tasse Caffee glauben, daß wir handeln würden? – Und wenn auch ein Mensch in einer solchen Erzählung vorkäme, der uns als durchaus schlecht gemalt würde, (Noch habe ich zwar keinen dergleichen in der Welt gefunden) verdiente der es dann nicht, öffentlich an den Pranger, Andern zur Warnung, gestellt zu werden? Würde das nicht mehr Nutzen stiften, als manche bürgerliche Strafe, die ohnehin nicht jeden vornehmen Bösewicht erreichen kann?

Man sollte in dem einfachsten Styl erzählen: »Ich ..... bin in .... gebohren«[123] und so ferner. »Dort habe ich eine große Schwachheit begangen, hier, durch Ehrgeiz getrieben, eine sehr schlechte Handlung gethan, die mich itzt reuet. Dort hat mich ein Schurke unschuldig verfolgt, und unter die Füße getreten. Der Kerl ist jetzt Minister in .... Canzler in .... Fürst, Bischoff in .... des heiligen römischen Reichs ....« – (oder was denn der Kerl grade wäre). »Hier hat jemand recht edel an mir gehandelt. Jetzt ist der arme Mensch Senftenträger in .... oder im Hospitale .... gestorben, oder gar irgendwo allgemein miskennt, und von einem Bösewichte als ein Schelm fortgejagt worden, weil er zu ehrlich war.« Und so fort erzählt, mit Nennung aller Nahmen der guten und schlimmen Personen. Glauben Sie nicht, bester Herr! daß solche Romanen Nutzen stiften könnten, daß sie Toleranz und Menschenliebe verbreiten würden?

Aber, in aller Welt! was mag aus dem Fräulein Charlotte von Hundefeld geworden[124] seyn? Das beunruhigt mich sehr. Ich glaube, Sie müssen doch ja nicht versäumen ihren Eltern Nachricht von unsers Carls Unschuld an ihrer Entführung zu geben. Diesem aber wird man wohl nicht sagen dürfen, daß der Bösewicht, der Franzose, sie würklich fortgebracht hat, sonst vergeht er vor Schmerz.

Aber wohin kan er mit ihr gereiset seyn? Zu welchem Zwecke? – Vielleicht haben ihre Eltern schon Nachricht von ihr – Mein Herz nimt warmen Antheil an dem Schicksal des armen Mädgens; Mögte ich in Ihrem nächsten Briefe einige gute Nachricht darüber finden!


Ich verharre ehrerbiethigst,


Bester Herr! Ihr

unterthäniger Diener,

Meyer.[125]

Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 3, Riga 1781–1783, S. 118-126.
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