Neunzehnter Brief.

An den Herrn Commerzienrath Müller in Hamburg.

[167] Berlin den 4ten Junius 1771.


Die Hofnung, welche Sie, mein bester Vater! nun immer näher erblicken, in dänische Dienste zu kommen, erfüllt, wie Sie denken können, Ihren Sohn mit warmer Freude.

Sie befehlen, daß ich Ihnen sagen soll, ob ich von meinem Stande zufrieden bin, oder ob ich denselben zu verändern wünschte; Hier ist also mein offenherziges Bekenntniß darüber:

Soll ich blos von meiner jetzigen Lage reden; so habe ich Ursache damit vergnügter zu seyn, als in Sachsen, wo ich manche kleine Unannehmlichkeit hatte. Die Gesellschaft,[167] bey der ich stehe, ist ausgesucht gut gewählt und aus verträglichen, sittlichen Leuten zusammengesetzt. Das berliner Publicum beehrt mein Spiel mit Beyfall, ich habe einen mässigen Unterhalt, Zeit genug übrig, meine Kenntnisse zu erweitern, und Gelegenheit, Fortschritte in allerley nützlichen Wissenschaften zu machen.

Betrifft aber die Frage im Ganzen meinen jetzigen Stand, bester Vater! so gestehe ich Ihnen gern, daß ich denselben mit irgend einem andern zu vertauschen wünschte – Nicht als ob ich glaubte, dieser Stand sey nicht geehrt, nicht belohnt genug – Im Gegentheil! mich dünkt, Dichter und Künstler werden bey uns nur zu sehr verzogen. Man schmeichelt dem mittelmäßigen Talente nur zu leicht in unserm Vaterlande. Die Ursache aber, warum ich mich in eine andre Lage wünsche, ist, um eine gewissere, sicherere Aussicht zur Versorgung im Alter, und einen bleibenden Aufenthalt haben.[168]

Uebrigens trete ich gar nicht denen bey, die immer klagen: Deutschland sey das Land nicht, wo Dichter und Schauspieler ihr Glück machten; Ueberhaupt sey unser jetziges Zeitalter nicht so gestimmt, daß der Staat für nöthig zu halten scheine, diesem Theile der Erziehung seine Aufmerksamkeit zu widmen. Ich glaube vielmehr, daß das alles recht gut so ist, daß es zuweilen nicht schaden kann, wenn das Genie mit Schwürigkeiten kämpfen, durch Schicksale weicher, empfindlicher, und wärmer für die Rechte der Menschheit werden muß, daß endlich kein Künstler noch Dichter, so wenig wie ein Philosoph, mit Gelde zu bezahlen ist, daß es das Talent erniedrigen heißt, welches sich immer selbst belohnt, wenn man es in die Classe der Zünfte setzt, wenn man glaubt, so wie ich ein Paar Schuhe, einen libellum in caussa Caji contra Titium, mit einem Worte! alle Producte des Fleisses, den jemand meinen Bedürfnissen widmet, bezahle, eben so könne ich auch die Fantasie eines Dichters, das Werk seiner,[169] für das Glück und die Aufklärung der Welt im Ganzen arbeitenden Seele, mit Gelde belohnen.

Die Erfahrung ist hier auf meiner Seite. Die größsten Talente haben sich in jedem Zeitalter, auch im Drucke, in der Armuth, und mitten unter tausend Schwierigkeiten offenbahrt. Der heilige Funken des Genies läßt sich weder auslöschen noch anblasen. Ja! wir haben täglich Beyspiele, daß Dichter, die vortreflich schrieben, solange sie durch das Ringen nach Ruhm, durch die Begierde sich, aus einer dunkeln Lebensart hervor, bekannt zu machen, getrieben wurden, nachher, wenn sie durch irgend einen Mäcenaten in eine bequemere Lage gebracht, so stolz auf ihre Nahmen wurden, daß sie, wenig bekümmert um das Bedürfniß der Menschheit, entweder gar nichts mehr, oder die mittelmäßigsten Sachen in die Welt schickten.[170]

Ueberhaupt ist nicht jedes Alter zum Dichten geschickt, auch drehet sich der Mensch in einem gewissen Circul von Ideen, Einfällen und Bildern herum, welcher Circul freylich bey Einem größer als bey dem Andern, aber nie unbeschränkt ist; Und wenn ein Mann denselben in viel Bänden durchgelaufen; so wäre es unbillig, hernach in einem Alter, wo die Fantasie kühler geworden ist, trotzend auf den erworbenen großen Nahmen, dem Publicum seine, aus eigenen Werken ausgeschriebenen Wiederholungen, in einer andern Form aufzudringen, und zu verlangen, wir sollten dasselbe Gericht, welches er im ersten Gange aufgetragen hatte, noch einmal bewundern, wenn er nur eine andre Sauce darüber gegossen hat, und es am Ende der Malzeit wieder hinsetzt.

Ich kenne solche Schriftsteller, die dies aus bloßem Geize thun: die aus ihren alten Papieren halb fertig gewordene, äusserst mittelmäßige, nicht ausgefeilte Producte hervorsuchen,[171] dabey zu stolz sind, von andern guten Köpfen, ihre Clienten ausgenommen, Beyträge anzunehmen, und also das Publicum, ganz aus eigener Küche, mit Fastenspeisen bewirthen, die uns zuletzt ekeln und vergessen machen, welchen herrlichen Schmaus uns der Mann ehemals gab.


Abends 6 Uhr.


Eben, bester Vater! bekomme ich Ihren gewogenen Brief. Es ist kindliche Pflicht Ihren Befehl zu erfüllen, und Ihnen von des Herrn von Hohenau jetzigen Aufführung eine treue Schilderung zu machen, obgleich ich bis dahin Bedenken getragen hatte, dies ohne Geheiß zu thun.

Doch vielleicht steht es in Ihrer Macht, von meinen Nachrichten einen solchen Gebrauch zu machen, daß der würdige Baron Leidthal Mittel finde, seinen sonst so liebenswürdigen Pflegesohn auf den besseren Weg zurückzuführen. Hier ist alles, was ich von[172] ihm weiß und, seitdem ich ihn kenne, erfahren habe.

Als der Herr von Hohenau die Nachricht von seiner Geliebten vermeintlichen Untreue erhalten hatte, war auch grade sein rechtschaffener Wohlthäter, der Obrist, gestorben. Er war über diesen doppelten Verlust anfangs, wie es die Heftigkeit seines Temperaments sehr begreiflich macht, ausschweifend traurig, entzog sich allem Umgange, und lebte ganz einsam vor sich.

Nun hatte er aber unter den jungen Officieren der Garnison viel Bekannte, die er täglich im Dienste sah, und welche sich bemüheten, ihm, was sie nannten, die Grillen aus dem Kopfe zu sprechen. Zuerst gab er den Eindrücken dieser Reden keinen Raum; Aber nach und nach fruchteten sie doch so viel, daß er wieder anfieng in Gesellschaften zu gehen.[173]

Er sahe nun aller Orten Verderbniß der Sitten, coquette Mädgen, untreue Weiber. Diese üblen Beyspiele und eigene Erfahrung, machten ihn mistrauisch gegen das schöne Geschlecht, und dies Mistrauen, welches er oft gegen seine leichtfertigen Freunde äusserte, wurde von denselben auf die, allen ausschweifenden Leuten gemeine Art, commentirt. Man erlaubt sich gern alles gegen die Weiber, und gegen seine Pflichten, ist dann aber unbillig genug, die armen Geschöpfe zu verachten, wenn sie unsern Verführungen und den Trieben des Temperaments zu wiederstehen nicht stark genug sind.

Nach und nach fieng der Herr von Hohenau an, das Ding mit freyeren Augen anzusehn. Da er jung und hübsch ist, so gefiel er den Frauenzimmern; Man schmeichelte ihn; und er, der keine Achtung mehr für das Geschlecht hatte, fieng an, mit einer gewissen sorglosen Unvorsichtigkeit, in den Circuln, worinn man ihn führte, herumzuflattern,[174] sich so nach und nach aufzuheitern, sein Leiden zu vergessen – Und das that ihm wohl –

Beyspiele aller Arten von Leichtsinn, welche er unter Damen vom ersten Range fand, bewogen ihn zuletzt, eben keinen Unterschied mehr unter solchen zu machen, die nur schwach, oder coquet sind, und unter solchen, welche die grobe Coquetterie als ein Handwerk treiben. Er fand kein wahres Interesse mehr an dem andern Geschlechte, und also war es ihm auch nun ziemlich gleichgültig, welche Frauenzimmer er sahe, wenn sie nur munter und unterhaltend waren.

Zugleich verwickelte man ihn in Spielparthien. Sie wissen, theuerster Vater! welche unglückliche Leidenschaft dies ist. Sie macht ja den Menschen zu allen übrigen Lastern fähig, feuert alle Arten von unrechten Begierden an, macht denjenigen, welcher Handwerk damit treibt, zu allen übrigen nützlichen Beschäftigungen unbrauchbar, unthätig[175] und ungeschickt, und leider! wenn sie dem Menschen Vermögen, Ruhe und Gesundheit geraubt hat, ihre Sklaven gewöhnlich zu einer Beute der Armuth, der verzweiflungsvollsten Reue, und der allgemeinen Verachtung.

O! wenn doch manche edle Jünglinge, die diesen unglücklichen Weg zu wandeln im Begriff stehen, die Augen auf die traurigen Beyspiele alter Spieler werfen und, weil es noch Zeit ist, zurückkehren wollten! Wie viel Thränen würden sie ihren Eltern, wie viel Demüthigungen, wie viel Verantwortungen sich selbst ersparen, die sie einst von den Stunden Rechenschaft geben sollen, welche sie dem Dienste der Menschheit schuldig waren.

Hohenau ergriff in seinem übertäubten Gemüthszustande alles, was nur Genuß des Augenblicks gewähren kann. Also ließ er sich auch zu Hazardspielen verleiten – Er verlohr ein paarmal grosse Summen, welche er[176] gern wiedergewinnen wollte; und so wurde denn zuletzt das Spiel bey ihm zu einer Leidenschaft, welches seinen Cammeraden den Weg erleichterte, ihn in die schlechtesten Gesellschaften zu ziehen.

Es ist ein Haus unter den Linden, au pisalé genannt, wo immer sehr stark gespielt wird. Ich bedarf Ihnen nicht zu sagen, daß also dahin nicht die besten Leute kommen. Hier war er nun fast täglich, und endlich gieng er sogar auf die berüchtigten Bälle bey der Frau Corsica.

In dieser Sinnesart, auf diesem schlüpfrigen Wege, ist er noch. Ich bin nicht vertrauet genug mit ihm, auch, unserer sehr verschiedenen Verhältnisse und Verbindungen wegen, nicht genug in der Lage, mich ihm zum Freunde und Rathgeber aufdringen zu können. Ich sehe ihn selten, denn in die Häuser, welche er besucht, komme ich nicht. Vielleicht, bester Vater! können Sie, gemeinschaftlich[177] mit dem Herrn Baron, einen Plan zu seiner Rettung entwerfen; Und kann ich zu selbigem mittel- oder unmittelbar etwas beytragen; so werden Sie bereit finden, Ihre väterlichen Befehle zu vollstrecken,


Ihren

gehorsamsten Sohn,

Ludwig Müller.[178]

Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 3, Riga 1781–1783, S. 167-179.
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