Dritter Abschnitt

Anwendung dieser Sätze auf die französische Revolution

Lasset uns nun, was ich von den großen Staatsumwälzungen überhaupt gesagt habe, auf die französische Revolution anwenden! Unvermeidlich war sie, vorauszusehn war sie, mit allen ihren fürchterlichen Folgen; das wird jetzt jeder Geschichtsforscher und Philosoph zugestehn müssen; aber dergleichen mit klaren Worten voraus zu verkündigen, das ist eine kitzlige Sache, besonders in despotischen Staaten.

Seit Jahrhunderten seufzte Frankreich unter dem Drucke des fürchterlichsten orientalischen Despotismus. Bekannt genug sind die greulichen Schandtaten, die verheerenden Kriege und die innerlichen Unruhen, durch welche die Regierung der mehrsten Könige aus dem Hause Valois, besonders die des blutdürstigen Ludwig des Eilften und des verächtlichen Karls des Neunten, sich auszeichnete.

Der große, edle Heinrich genoß der ruhigen Tage zu wenige, um seinem armen Volke wieder aufzuhelfen; aber er lebte lange genug, um dies Volk mit der Glückseligkeit, einen guten und weisen König zu haben, bekannt zu machen, damit es desto lebhafter den Kontrast dieser Zeiten mit den vorigen und nachherigen Regierungen fühlen möchte; und so gab er selbst der Nation den Unterricht, was sie von ihren Königen einst fordern, das Beispiel, worauf sie ihre Monarchen einst hinverweisen könnte.

Die männlichen und weiblichen Vormünder des bis zu seinem Tode minderjährigen, schwachen Ludwig des Dreizehnten verschafften Frankreich Ansehn von außen und Armut, Sklaverei und Zerstörung aller Moralität von innen.

Auf die tiefste Stufe der Erniedrigung aber wurde die Nation durch den Monarchen Mazarin und nachher durch den kindisch eiteln Tyrannen, der sich den Beinamen des großen Ludwigs geben ließ, herabgestürzt. Die Regierung dieses abscheulichen Menschen war eine ununterbrochene Reihe von glänzenden Niederträchtigkeiten, Grausamkeiten und Verwüstungen. Er spielte mit dem Leben, dem Eigentume, der Ehre, der Freiheit, der ganzen bürgerlichen, physischen, moralischen und intellektuellen Existenz seiner Mitbürger. Kaum hatte der magre Aachensche Frieden dem Blutvergießen eine Ende gemacht, so fing er, ohne alle andre Ursache, als weil er seinem Nebenbuhler um Ruhm, Wilhelm von Oranien, die Größe beneidete, welche er nicht erreichen konnte, einen neuen Krieg an, der mit dem für Frankreich ebenso nachteiligen Ryswickischen Frieden geschlossen wurde. Jeder Staat, der seinem niedrigen Hochmute ein Opfer versagte, wurde von ihm geneckt, angegriffen und von seinen Räuber- und Banditenheeren zu einem Schauplatze grausamer Ermordungen, Verheerungen und Mordbrennereien gemacht. Das nannte er dann Siege und ließ sich dafür von feilen Dichtern lobpreisen und von Malern und Bildhauern der Verachtung der freien Nachwelt ausstellen. Indes Hunderttausende in seinem Namen erwürgt wurden, bauete er asiatische Paläste, in denen er mit Histrionen, Schranzen und geilen Weibern Ballette tanzte und Unzucht trieb. Ihm waren beschworne Verträge und das königliche Ehrenwort Kinderpossen, und gleich als wenn ihm die weltlichen Händel nicht Gelegenheit genug gegeben hätten, wie ein reißendes Tier unter friedlichen Menschen herumzufahren, riß er den grausamen und heuchlerischen Pfaffen den Dolch und die Fackel des Fanatismus aus der Hand und stürzte damit unter seine treuesten und fleißigsten Untertanen, von denen indes der fünfte Teil doch seiner Mordlust glücklich entwischte, auswanderte und Wohlstand und Segen mit sich fort in fremde Provinzen trug. Allein seine Lieblingswaffen waren unredliche Politik, Kabale, Ränke und Bestechungen; mit diesen verbreitete er Mißtrauen und Zwist an auswärtigen Höfen und tötete edle Gesinnungen und große Gefühle in den Herzen seiner Untertanen. Noch galt er für einen eminenten, glänzenden, gefürchteten Bösewicht; aber auch diesen Schimmer von Größe nahm das Glück ihm im Spanischen Sukzessionskriege, in welchem seine nur für seine Eitelkeit fechtenden Heere fast immer geschlagen, seine Provinzen entvölkert und die Schulden gehäuft wurden. Am Ende seiner Tage blieb dem Elenden keine andre Wonne übrig, als, umgeben von Bettlern, mit der alten Vettel, die er sich hatte zum Eheweibe aufschwätzen lassen, die Sünden, die er gern noch länger begangen hätte, am Rosenkranze abzubeten. Sprechet, was hatte dieser Bösewicht vor den Vitellien, Diokletiane und Heliogabeln voraus? Oh! er stand tief unter ihnen. Diese schwachen Tyrannen konnten doch noch einen Teil ihrer Schuld auf das Glück und die Verblendung eines Volks schieben, das sich vergriffen hatte, als es ihnen ein Los zuteilte, dessen sie sich so unwürdig zeigten; auch war die Stimmung des damaligen Zeitalters rauher; aber Ludwig, mit den herrlichsten Anlagen, wenigstens zum Privatmanne, von der Natur ausgerüstet, unter einer Nation und in einer Periode geboren, die sich durch mildere Sitten auszeichneten, ein Liebhaber und Kenner der schönen Künste – nein! von ihm kann nichts den Fluch abwenden, den soviel Millionen Menschen seinem Andenken nachschicken.

Man könnte sich wundern, daß nicht schon damals die französische Nation aus dem fürchterlichen Schlafe erwachte, in welchen der Despotismus sie hineinmanipuliert hatte, daß sie nicht schon damals aufsprang und die unnatürlichen Fesseln abschüttelte, wenn man nicht Rücksicht nehmen müßte auf ihren herrschenden Charakter und auf das Zusammentreffen vieler Umstände. Sie war von jeher gewöhnt, einem einzelnen Beherrscher zu gehorchen, hielt dies für die Ordnung der Natur, liebte enthusiastisch die monarchische Verfassung und ihre Könige; der äußere Glanz der Taten, wodurch sie sich, obgleich als Maschine eines hochmütigen, eiteln Toren, in den ersten glücklichen Kriegen verherrlichte und andre Völker demütigte, kitzelte den Nationalstolz; der Leichtsinn, der den Franzosen so eigen ist, ließ sie das Elend nicht wahrnehmen, in welches sie nach und nach hineingezogen wurden. Der Prunk der Schauspiele und Feste blendete ihre Augen, wirkte auf ihre Sinnlichkeit, riß die Bürger aller Klassen in einen Strudel von Zerstreuungen hinein. Sie sangen, witzelten und tanzten den Hunger weg. Noch herrschte in dem an Hülfsquellen so reichen Frankreich keine so allgemeine Not, die nicht irgendeine komische Seite gehabt hätte, auf welche ein lustiger Franzose ein Epigramm machen konnte; und dann lachte das ganze Volk mit. Die ärgsten Räsoneurs schwiegen auch oder wurden gar in Lobredner verwandelt, wenn sie einen Brocken von der allgemeinen Beute erhaschten, sich durch Kreaturen von Kreaturen ein Ämtchen oder ein Jahrgeld erbetteln konnten; ein großer Teil der Nation vergaß das Murren unter dem Geräusche der Waffen – und, kurz, die ärgsten Wirkungen des despotischen Unfugs wurden erst unter den folgenden Regierungen recht, sichtbar.

Die Regentenschaft des Herzogs von Orleans vollendete den Ruin und die Korruption des französischen Volks, und seine Administration zeichnete sich durch Bubenstücke und Laster aller Art aus, obgleich er selbst mehr ein schwacher Wollüstling als ein unternehmender Bösewicht war.

Ludwig des Funfzehnten Zeiten sind uns noch so nahe; die Inkonsequenzen und Abscheulichkeiten dieser Regierung, die Diebstähle aller öffentlichen Staatsbedienten, die in den gesegnetesten Jahren durch die königlichen Getreidepächter künstlich erregte Hungersnot, die greuliche Finanzverwaltung, die höllische Wirtschaft der raubgierigen und ränkevollen Mätressen, die mutwillig verlornen Schlachten, in welchen tapfre Krieger von unbärtigen Knaben, von unwissenden Kreaturen der Dame Pompadour und von erkauften Schurken auf die Schlachtbank geliefert wurden, die heimlichen Einkerkerungen und Ermordungen edler Männer, die das Unglück hatten, den Haß der verschwornen Rotte auf sich zu laden, die lettres de cachet, die heillosen Verschwendungen – das alles ist uns noch in frischem Andenken.

Und so erbte dann der arme, gutmütige Ludwig der Sechzehnte den Thron, auf welchem er ein Volk beherrschen sollte, das in Not, Armut und Verzweiflung schmachtete; der Staat war mit Schulden belastet, das tiefste Verderbnis der Sitten in allen Ständen verbreitet, die wichtigsten Ämter im Reiche hatte man an Bösewichte verhandelt, die tausendmal des Galgens wert waren, an welchem einige von ihrer Bande nachher ihre rühmliche Laufbahn geendigt haben; der Adel übte ungestraft die ärgste Tyrannei gegen den unglücklichen Bauernstand; aus Mangel an Geld und Kredit ruheten die mehrsten Nahrungszweige, die dem Bürger hätten aufhelfen können, bei welchem noch obendrein der verheerende Luxus die unnützen Bedürfnisse vervielfältigt hatte; nur der verächtlichste Teil derselben, der sich in den Hauptstädten von diesem Luxus nährte, erschwang sich so viel, daß er den Großen in ihrer Verschwendung nachahmen konnte; die Erpressungen aller Art gingen indessen fort; die Auflagen waren unerträglich und unnatürlich; die Geistlichkeit steuerte nichts und verschwelgte in sittenloser Üppigkeit, was der unglückselige Landmann im Schweiße seines Angesichts und mit heißen Tränen herbeischaffte. Der Frieden gab der Nation Muße, diesem allen nachzudenken; das Volk durch Feste zu übertäuben, dazu fehlte es auch an Mitteln; was aber vollends die fürchterlichsten Folgen prophezeiete, war die durch den Despotismus selbst beförderte, nun täglich allgemeiner sich ausbreitende Aufklärung. Eine gewisse räsonierende Philosophie, die, wenn sie, unter weniger unglücklichen äußern Umständen, von Einfalt der Sitten begleitet ist, die Menschen lehrt, mit ihrem Zustande zufrieden zu sein, unvermeidliche Widerwärtigkeiten zu ertragen, den Mangel an Wohlstand durch verdoppelte Mäßigkeit zu ersetzen und ihre innere Gemütsruhe nicht durch gefährliche Plane auf eine ungewisse Zukunft zu stören, diese Philosophie, sage ich, hatte einen Anstrich von Bitterkeit angenommen. Sie öffnete dem Volke die Augen über seinen verzweifelten Zustand, erweckte in ihm das Gefühl, nicht länger mehr die schändlichsten Mißhandlungen ertragen zu können; man fing an, über ursprüngliche Menschenrechte, über den Beruf der Könige, über die Gültigkeit der Privilegien des Adels und über Pfafferei und Hierarchie laut zu reden und zu schreiben.

Indessen hofft man immer alles von jeder neuen Regierung; also erwartete man auch von Ludwig dem Sechzehnten Milderung des allgemeinen Elendes, Abschaffung der Mißbräuche – aber man wartete lange vergebens. Was er hätte tun können und sollen, was die Königin zum Besten gewirkt hat oder nicht gewirkt hat, ob man die Finanzen besser verwalten, den unnützen Aufwand einschränken, redlicher und offner hätte verfahren können, darüber lasset uns jetzt nicht räsonieren! – genug! dem Jammer wurde nicht abgeholfen, und die Unruhe und die Gärung nahmen zu. Nun berief man denn endlich die Stände des Reichs; allein von der einen Seite waren schon die Forderungen der lange Zeit mißhandelten, oft getäuschten sogenannten untern Stände zu hochgespannt, von der andern schienen Adel und Geistlichkeit gar nicht zu ahnden, daß die Zeit, Übermut zu zeigen, ererbte Verdienste gelten zu machen und durch Verjährung geheiligte Mißbräuche aufrechtzuerhalten, verstrichen wäre. Man sprach wohl von freiwilligen, ansehnlichen Beiträgen, von großmütigen Aufopferungen, aber der tiers état fand diese Sprache nicht mehr passend.

Er war nicht mehr zu überzeugen, daß er, der größere, wichtigere und arbeitsame Teil der Nation, geboren sein könnte, länger die untergeordnete Rolle zu spielen, sich taxieren, sich im Blinden führen, sich nicht nach bestimmten Gesetzen, sondern nach Willkür regieren zu lassen. Alles Zutrauen, aller guter Wille war verschwunden – mögen immerhin bösgesinnte Stürmer das Feuer angeblasen haben! Genug, dies Feuer war da, glimmte in allen Ecken, mußte unvermeidlich einmal mit Ungestüm ausbrechen.

Was für Auftritte nachher erfolgt sind, das ist bekannt genug – noch einmal! ich vermesse mich nicht, darüber zu urteilen, und glaube nicht, daß irgend jemand, bei der Lage der Sachen, sagen dürfe, »das hätte man tun, das unterlassen sollen«. Ich glaube, daß die Anarchie kein Werk einzelner Aufrührer, sondern die unvermeidliche Folge der abscheulichen Behandlung ist, durch welche man das Volk aufs äußerste getrieben hatte. Ich glaube endlich, daß die Deputierten zwar ihre Vollmachten überschritten sind, daß sie aber dem Geiste des größten Teils der Nation gemäß gehandelt haben und daß, wenn sie weniger getan hätten, neue Empörungen gefolgt sein würden, bis doch alles endlich auf diesen Punkt des allgemeinen Umsturzes alles dessen, was irgend mit der ehemaligen Staatsverwaltung zusammenhing, gekommen sein würde. Dies alles wird schon dadurch bestätigt, daß das Volk freiwillig zu Deputierten der zweiten Versammlung noch eifrigere, kühnere Männer (oder vielmehr, leider! Jünglinge) gewählt hat, welche die Einschränkungen der königlichen Gewalt noch viel weiter treiben. Schwerlich hätte man zum Beispiel, bei der jetzigen Stimmung, die Einrichtung von zwei Kammern, wie in England, zustande gebracht; und wäre es geschehn, so würden bald die dem Despotismus und den vorigen Mißbräuchen ergebnen höhern Stände neue Trennungen bewirkt haben – so glaube ich; aber ich verlange nicht, irgend jemand zu meinem Glauben zu bekehren.

Über diese Revolution, über die neue Konstitution und über die Schritte der Nationalversammlung muß man jetzt so manche widersprechende Urteile hören und lesen, daß man in der Tat immer vorsichtiger in seinen Entscheidungen werden sollte. Von einer Seite schildert man uns diese große Begebenheit als das Werk der verachtungswürdigsten, eigennützigsten Bösewichte, Aufrührer und Königsmörder, verschworen, das ganze Reich in Elend und Verwirrung zu stürzen, um im trüben zu fischen. Man schildert uns die Beschlüsse der Deputierten als ein Gemische von schreienden Ungerechtigkeiten und törichten Hirngespinsten und die Ausschweifungen des Pöbels als unerhörte, nie gesehene Greuel, planmäßig von den Verschwornen veranstaltet. Endlich prophezeiet man dem armen Frankreich den gänzlichen Ruin oder eine nahe bevorstehende Umkehrung der Dinge durch eine Contre-Revolution und die Einmischung der übrigen europäischen Mächte. Von der andern Seite erheben die Freunde der Revolution dieselbe, mit allen ihren schon erlebten und noch zu erlebenden Folgen, bis in den Himmel. Sollen wir ihnen glauben, so ist, solange die Welt steht, noch keine größere, der Menschheit wichtigere und wohltätigere Begebenheit vorgefallen. Sie lassen uns alle dabei verübten Gewalttätigkeiten als notwendige, durch die Größe des Zwecks geheiligte Mittel ansehn. Sie schildern uns die Männer, wel che bei diesen Unternehmungen vorangegangen sind, als die edelsten, weisesten, uneigennützigsten, kraftvollsten Helden und Philosophen und verkündigen nicht nur der französischen Nation von jetzt an die ruhigste, glücklichste Periode, ein Goldnes Zeitalter, sondern allen übrigen europäischen Staaten eine baldige Nachfolge. Die gemäßigtere Partei billigt den Zweck, tadelt aber die Mittel oder findet, daß man im ganzen zu weit gegangen sei, oder hofft, daß diese allgemeine Gärung nach und nach alle Gemüter zum Frieden geneigt machen, daß man von beiden Parteien die Saiten herabstimmen und am Ende eine monarchische Staatsverfassung wieder herstellen werde, doch also, daß die Gewalt des Königs und der Minister, durch die Mitwirkung gewisser Volksrepräsentanten, beschränkt sei. Nur wenige sind weise genug, sich aller entscheidenden Urteile zu enthalten, das, was geschehn ist, wie unvermeidliche Folge vorhergegangener Mißbräuche zu betrachten und die beste Entwicklung von der gütigen und weisen Vorsehung zu erwarten.

Wundern wir uns nicht über die große Verschiedenheit dieser Meinungen! Selbst zwei gleich unparteiische, gleich einsichtsvolle Reisende können, was sie während dieser Unruhen in Frankreich sehen, aus sehr verschiednen Gesichtspunkten betrachten. Der eine, wie zum Beispiel der Herr Rat Campe, durchreist, ehe er den französischen Boden betritt, Gegenden, in welchen von allen Seiten der Anblick der Not, der Niedergeschlagenheit, der Sklaverei, welche des armen Landmanns Erbteil in so manchen Provinzen sind, und des Übermuts und der willkürlichen Anmaßungen der höhern Stände sein moralisches Gefühl empört hat; und nun wird er auf einmal auf einen Schauplatz versetzt, wo ein von der eben mühsam errungnen (wahren oder, wäre das auch, eingebildeten) Freiheit wonnetrunkenes Volk ihm entgegenjubelt; wo er, im Geräusche dieser allgemeinen Trunkenheit, keinen Seufzer, keine Klage hört, wo die ganze Nation, zu einem herrlichen Feste vereinigt, in dem Augenblicke der Berauschung alle Privatuneinigkeiten und allen Parteigeist vergißt, wo Freund und Feind Hand in Hand um den Altar der Freiheit den Reihen tanzen und wo er, in diesem ungeheuren Gewühle, doch auch nicht eine einzige Szene von Unordnung oder Gewalttätigkeit wahrnimmt, ohne welche in monarchischen Staaten selten das Geburtsfest irgendeines der Menschheit sehr unwichtigen und unnützen Großen gefeiert werden kann – wen kann es befremden, wenn dieser Mann, bezaubert von dem vorher noch nie genossenen einzigen Anblicke in seiner Art, von einem Anblicke bezaubert, der den gefühllosesten Menschenfeind mit Wonne und Bewunderung erfüllen müßte, wenn dieser Mann, sage ich, sein Herz sich er weitern fühlt und diese Empfindung sich in ihm erneuert, indem er die Szenen schildert, wobei er ein Zeuge gewesen, wenn er dann mit Wärme einer Revolution das Wort redet, die wenigstens nach dem, was er gesehn und gehört hat, soviel Millionen Menschen glücklich und froh macht? – Wehe dem verächtlichen Sklaven, der deswegen von dem Kopfe oder von dem Herzen dieses Mannes nachteilig urteilen oder gar es versuchen wollte, ihn, wegen einiger kühnen Ausdrücke oder einiger vielleicht (doch nur vielleicht) übertriebnen Deklamationen, verdächtig oder lächerlich zu machen!1

Ein andrer, nicht weniger hellsehender Reisender kömmt in eine französische Stadt, wo grade der noch nicht beruhigte Pöbel sich gegen wahre oder vermeintliche Unterdrücker Grausamkeiten aller Art erlaubt, den Gesetzen und der Polizei trotzt, die jugendliche Kraft und die ihm noch neue Freiheit mißbraucht, wie Jünglinge, die eben dem Schulzwange entkommen sind, ihre Unabhängigkeit zu mißbrauchen pflegen; er eilt erschüttert hinweg von diesem Schauplatze blutiger Gewalttätigkeiten; auf der Rückreise schließt sich einer von denen an ihn, die bei der Revolution, vielleicht ohne alle Schuld, Vermögen, bürgerliche Ehre und Sicherheit eingebüßt haben. Dieser unterhält ihn mit den schrecklichen Auftritten, die in seiner Provinz vorgehen; mit Tränen in den Augen schildert er ihm die Not seiner verlassenen, ehemals wohlhabenden, nun dürftigen, unglücklichen, flüchtigen Familie, die zerstörten Paläste, die Wohnungen, wo sonst Frieden und häusliches Glück zu Hause waren, jetzt in Steinhaufen verwandelt, auf denen man unschuldige Bürger mordet – befremdet es euch, wenn dieser Reisende ein Bild von der französischen Revolution entwirft, das jenem wie die Hölle dem Himmel ähnlich sieht?

Allein nicht nur in der Verschiedenheit der einzelnen Szenen, die ein Fremder in Frankreich wahrnehmen kann, je nachdem er zu dieser oder zu einer andern Zeit, in dieser oder einer andern Provinz seine Bemerkungen sammelt, liegt der Grund des Widerspruchs in den Urteilen über die französische Staatsumwälzung, sondern auch in den Verhältnissen, Stimmungen und herrschenden Ideen der Menschen selbst, die darüber reden und schreiben.

Wer bis dahin eine Herrschersrolle gespielt hat und nicht ganz gewiß ist, daß, sobald es auf freiwillige Wahl ankäme, die Untergebnen lieber ihm als einem andern gehorchen würden, der zittert vor der Möglichkeit, daß man ihm, wenn der Revolutionsgeist allgemein würde, diese Hauptrolle abnehmen und eine untergeordnete anweisen könnte. Deswegen gibt es unter den großen und kleinen Monarchen so wenige, die auf die neue Ordnung der Dinge gut zu sprechen sind – vom Länder- und Völkerbeherrscher und Zepterführer an bis auf den Schulmonarchen herab, der fürchtet, die Discipuli möchten ihm den Baculum aus der Hand winden. Fast alle bei den alten Einrichtungen interessierte, an empfangne Huldigung und passiven blinden Gehorsam gewöhnte Personen reden der willkürlichen Gewalt das Wort.

Personen, die in solchen Ämtern und Würden stehen, welche man in freien Staaten für unbedeutend, unnütz oder gar für verächtlich und schädlich hält, Hofschranzen und andre besoldete, pensionierte und bepfründete Müßiggänger, können den Gedanken nicht ertragen, daß ein System Anhänger finden möchte, das ihre ganze Existenz vernichtet, indem es nur dem Fleiße und dem wahren Verdienste Achtung, Vorrechte und Vorteile einräumt:

Solche Fürsten und Edelleute, die sich bewußt sind, daß sie gar nichts mehr sein würden, wenn sie aufhören sollten, Fürsten und Edelleute zu sein; Auch manche bessere, verdienstvollere Männer unter diesen, die aber von Jugend auf mit den Vorurteilen ihres Standes aufgewachsen und gewöhnt sind, Dinge, deren Wert jetzt in Frankreich gänzlich verrufen ist, wo nicht wie Schätze voll inneren, echten Gehalts, wenigstens wie eine durch den Stempel der Konvention gewürdigte, nützliche Ware zu betrachten; Geadelte Bürger und alle solche Personen, die es sich haben Mühe und Geld kosten lassen, in eine Klasse hinaufzurücken, mit Ständen in Verbindung zu kommen, die sie außer dem vielleicht verachten würden; Hohe und niedre Geistliche aller Bekenntnisse, die so gern Religion und Gottesverehrung, Theologie, Dogmatik, Kirchensystem und Christuslehre miteinander verwechseln, ihr Amt zu einem besondern Stande im Staate erheben und ihre Sache zur Sache Gottes machen; Solche Menschen, die überhaupt gegen jede Neuerung eingenommen sind und es gern beim alten lassen; Schmeichler, feile, kriechende Schriftsteller, wie der elende Professor Hoffmann in Wien einer ist, und alle solche Insekten, die unbemerkt herumkriechen und sich fürchten müßten, zertreten zu werden, wenn sie sich nicht in das Unterfutter der Großen dieser Erde einnisteten; an Leib und Seele arme Schlucker, die sich von den Brosamen nähren, welche von der Herren Tische fallen; Gutmütige, furchtsame, mitleidige, gefühlvolle und sanguinische Menschen, welche durch die Schilderung der verübten Gewalttätigkeiten erschüttert und empört werden; Untertanen guter Fürsten, besonders in dem nördlichen Teile von Teutschland, die, unter milden Regierungen, bei dem ruhigen Genusse ihres Eigentums und ihrer Freiheit, gar keinen Begriff vom Despotendrucke haben und – oh! der glücklichen Unwissenheit! – das Bedürfnis einer andern Verfassung nicht kennen.

Alle diese stimmen mehr oder weniger lebhaft die allgemeine Meinung gegen die französische Revolution. Man kann ihnen, was die nachteiligen Eindrücke betrifft, welche sie bewirken, noch diejenigen zugesellen, die aus unvernünftigem Eifer, ohne Kenntnis der Sache, aus unbändigem Freiheitssinne, aus ungerechter Unzufriedenheit mit den Regierungen, welche nicht so hohe Begriffe wie sie selbst von ihren Verdiensten haben, sich unberufen zu ungeschickten Verteidigern aufwerfen.

Man sollte meinen, die neue Verfassung müßte in republikanischen Staaten die eifrigsten Verfechter finden; allein es zeigt sich fast allgemein das Gegenteil. In England affektierte man anfangs, dieser großen Begebenheit gar keine Aufmerksamkeit zu widmen. Erst in der Folge hat man mehr Wärme für die Sache besonders unter denen wahrgenommen, die mit den jetzt in England einreißenden Mißbräuchen in der Verfassung unzufrieden sind. Dagegen hat sich der Sophist Burke durch eine Schmähschrift, in welcher er seine großen Talente zu falscher Darstellung und Verdrehung offenbarer Tatsachen mißbraucht, die Gunst des Ministers erbettelt, um ein Jahrgeld zu erlangen, das er zu teuer mit der allgemeinen Verachtung erkauft. Die Widerlegung, womit der edle Paine ihn zu Boden geschlagen hat, verdient von Freunden und Feinden der Revolution gelesen zu werden.

Was man in Holland über diese Gegenstände urteilt, kann kaum hierher gehören; denn die Vereinigten Niederlande haben jetzt weniger als jemals eine republikanische Verfassung.

In der Schweiz sind die großen aristokratischen Kantons, wie sich's begreifen läßt, gegen die Sache, und die kleinern, glücklichen freien, halten sich wenig mit politischen Räsonnements über fremde Verfassungen auf. In den italienischen Freistaaten herrscht ein Ton in der Staatsverwaltung, der zu den in Frankreich angenommenen Grundsätzen gar nicht passen will.

Unter den teutschen kleinen Freistaaten ist vielleicht Hamburg der einzige, wo man sehr viel warme Bewundrer der neuen französischen Verfassung findet.

Im ganzen scheint der Nationalstolz der Republiken, bei dem Genusse ihrer errungnen Freiheit, andern Ländern eben auf die Weise den Besitz dieses Guts zu mißgönnen, wie ein Kavalier von alter Familie dem Parvenü und dem geadelten Bürger nicht gewogen zu sein pflegt.

Diese Bemerkungen treffen aber auf keine Weise die Vereinigten Staaten von Nordamerika; denn dort herrscht allgemeine Wärme für die französische Revolution. Gegenseitige Dankbarkeit knüpfen beide Nationen aneinander – edle Gefühle, die in despotischen Staaten von Eigennutz und Politik erstickt, aber da heiliggehalten werden, wo wahre Tugend allein Anspruch auf Achtung und Ehrerbietung geben kann! In Amerika haben die Franzosen den Wert der Freiheit kennengelernt, und dort hat sich einer ihrer ersten Männer, ja, gewiß einer der edelsten Männer in der Welt, Fayette, ausgebildet. Von der andern Seite verdanken die nordamerikanischen Staaten größtenteils den Franzosen ihre errungene Unabhängigkeit.

Gegen die Menge derer nun, die wir als nicht unparteiische Gegner der französischen neuen Verfassung angeführt haben, kann der Haufen derer, die in Europa davor eingenommen sind, freilich nur sehr klein sein, und selbst unter diesen können wir die nicht für kompetente Richter gelten lassen, welche, ohne eigentliche Überlegung und ohne Kenntnis der Sache, aus blindem Feuerreifer für alles Neue und Außerordentliche, die Partei jeder Umkehrung der Dinge nehmen. Solche Menschen schaden auch der besten Sache durch ihr Lob. Wie unbeträchtlich bleibt daher nicht die Anzahl der unparteiischen und gründlichen Beurteiler jener wichtigen Begebenheit, und wie wenig beweist die größere oder kleinere Anzahl der Tadler oder Verteidiger vor oder gegen dieselbe?

Es bleibt noch eine dritte Klasse von Menschen übrig, nämlich die, welche ihre Meinung darüber gar nicht sagt. Sie besteht teils aus Furchtsamen, die es mit keiner Partei verderben wollen, teils aus solchen, die sich über nichts bestimmt zu erklären pflegen, sondern die schafsköpfige Gewohnheit haben, es immer erst abzulauern, wie eine Sache ausfallen wird, und dann hintennach zu versichern, das hätten sie gleich also vorausgesehn.

Ich glaube nun hinlänglich erwiesen zu haben, daß jetzt noch jedes bestimmte Urteil über das, was in Frankreich geschehn und was davon zu erwarten ist, übereilt sein würde. Man wende dagegen nicht ein, daß wir offenbare Tatsachen vor uns haben, nach denen wir unsre Meinung berichtigen können! Diese Tatsachen werden uns von Zeitungsschreibern, Journalisten und andern Schriftstellern oft äußerst unvollständig, verstümmelt und entstellt vorgetragen. Nicht jeder will, nicht jeder darf schreiben, wie und was er gern schreiben möchte. Vielen von diesen Nachrichten fehlt es durchaus an historischer Glaubwürdigkeit; durch die Art der Darstellung kann jedes Faktum eine ganz andre Gestalt gewinnen. In Frankreich kann jetzt fast nicht ein einziger Mensch für einen unbefangenen Zuschauer gehalten werden; der Reisende sieht die größern Wirkungen, aber selten die kleinen Triebfedern; und wenn er uns diese so schildert, wo er sie sich denkt oder wie ihm andre Leute die Sache vorgestellt haben, uns aber den Beweis schuldig bleibt – ein Fehler, den einige Schriftsteller bei Erzählung der merkwürdigen Vorfälle vom fünften und sechsten Oktober begangen haben! –, so darf man wohl auf alle Weise vor zuviel Leichtgläubigkeit und voreiliger Beurteilung warnen.

Alles, was ein unparteiischer Mann sich daher erlauben darf, diese große Begebenheit zu sagen, wird, meiner Meinung nach, sich ungefähr auf folgendes einschränken müssen: Die französische Revolution wurde unvermeidlich herbeigeführt durch eine Kettenreihe von Begebenheiten und durch die Fortschritte der Kultur und Aufklärung.

So, wie die vorige Regierungsverfassung war, konnte sie, bei dermaliger Stimmung der Nation, nicht bleiben, Verkehrte Maßregeln, welche die Hofpartei gleich anfangs nahm, erbitterten das Volk, vermehrten das Mißtraun und bewirkten Gewalttätigkeit.

Die Lebhaftigkeit des Nationalcharakters ließ voraussehn, daß nun schnelle und rasche Schritte folgen müßten, und es würde albern sein, bei allen diesen Umständen von Franzosen etwas anders zu erwarten.

Alle Gewalttätigkeiten aber, die vorgegangen sind, alle Ermordungen, alle Plünderungen, Mordbrennereien, Ausschweifungen und überhaupt alle gesetzlose Handlungen sind, in Vergleichung mit den Unordnungen und Greueln, womit von jeher ähnliche, ja, viel geringre Vorfälle bezeichnet gewesen, für nichts zu rechnen. Diese Revolution ist eine große, beispiellose und, sie falle aus, wie sie wolle, sie sei rechtmäßig oder widerrechtlich unternommen worden, der ganzen Menschheit wichtige Begebenheit. Ein Krieg, den irgendein ehrgeiziger Despot zu Befriedigung seiner kleinen Leidenschaften führt, ein Krieg von der Art, wie der war, zu welchem Louvois seinen Herrn aufhetzte, damit er den Grad von Wichtigkeit wieder erlangen möchte, den er durch einen Fehler in der Baukunst verloren hatte – so ein Krieg kostet tausendmal mehr Blut und unschuldiges Blut, und zu welchem Zwecke? Ob Gibraltar den Engländern oder Spaniern gehört, das ist gewiß für die Welt, und vielleicht für das wahre Glück der beiden streitenden Nationen selbst, ein ziemlich unbedeutender Umstand; und dennoch hat der Kampf um diesen Felsen in einigen Stunden mehr Menschen, die gar nicht dabei interessiert waren, das Leben geraubt als ein jahrlanger Kampf um Freiheit und Gesetze in Frankreich. Alle Gewalttätigkeiten, über die man so unbändig schreiet, übertreffen wenigstens nicht die Greuel, die man im Jahre 1790, mitten im Frieden, bei dem Matrosenpressen in England im Namen der Regierung verübte. In den Zeiten der Ligue und während der unglücklichen Religions- oder vielmehr Pfaffereikriege (denn es gibt keine Religionskriege) war Frankreich ein Schauplatz viel größerer Unordnungen – und über dies alles empört sich das Gefühl der vorgeblichen Menschenfreunde nicht. Daß ein Landesvater Tausende seiner Kinder (daß es Gott erbarme!), das heißt seiner Untertanen, stückweise verhandle, um sie irgendwo, fern von ihrem Vaterlande, totschießen zu lassen, wenn damit Geld zu verdienen ist, wovon nachher Buhlerinnen und Müßiggänger unterhalten werden, das erlauben ihm die Menschenfreunde; aber wenn bei so einer allgemeinen Gärung der unbändige Pöbel unter zehn Schelmen auch vielleicht, in der blinden Wut, ein paar ehrliche Leute, gegen welche man Verdacht hat, aufhenkt, so wird davon ein Lärm gemacht, als wenn kein Mensch in Frankreich seines Lebens sicher wäre.

Untersuchen wir unparteiisch die Grundsätze, auf welchen die neue Konstitution beruht, so ist es unmöglich, zu leugnen, daß sie den Stempel der gesundesten, reinsten Vernunft tragen. Was die hellsten Köpfe aller Zeitalter einzeln über Menschenrechte, Menschenverhältnisse und über die reinen Zwecke aller gesellschaftlichen Verträge gesagt haben, das findet man hier in der einfachsten, deutlichsten Ordnung dargestellt und zum Fundament einer Gesetzgebung hingelegt, wie es noch nie eine natürlichere, gerechtere in irgendeinem Lande der Welt gegeben hat. Ob sie in der Ausübung möglich und ob die französische Nation dazu reif ist, das gehört zu den Dingen, worüber uns nur die Zeit aufklären kann; aber das behaupte ich, daß es keinen glücklichern Menschen auf Erden geben könne als einen König, den ein nach diesen Grundsätzen regiertes, diesen Gesetzen gehorchendes, nach diesen Begriffen von Recht und Billigkeit handelndes Volk würdig gefunden hat, ihn freiwillig an die Spitze des Ganzen zu stellen. Der erste von vierundzwanzig Millionen freien Menschen zu sein, die keinen andern Vorzug anerkennen, als den Tugend, Weisheit und Fleiß gewähren; dabei die Ausübung alles Guten in Händen zu haben, ohne Verantwortung und ohne die Furcht, durch seine Leidenschaften irgendeines Bürgers Unglück bauen zu können, und endlich und in dieser Lage alle Gemächlichkeiten des Lebens und alle äußere Ehre, die irgendein König fordern kann – wer diesen Zustand gegen den eines nach Willkür herrschenden Gebieters sklavischer Menschen vertauschen möchte, der ist der tiefsten Verachtung wert, und zitterte auch der halbe Erdboden, wenn er seinen eisernen Zepter schwingt.

Die Abschaffung des Adels und die Schmälerung der Einkünfte der Geistlichkeit sind freilich harte Artikel für die, welche nun auf einmal sich der Vorteile beraubt sehen, die sie, ohne Mühe und Verdienst, auf Unkosten besserer und arbeitsamerer Menschen besaßen. Um aber beurteilen zu können, ob das, was man in dieser Rücksicht getan, nützlich und gerecht war, müßte man erst einige Fragen entscheidend beantworten können, worüber bis jetzt die Stimmen wenigstens noch sehr geteilt sind, nämlich: ob nicht in dem Zustande, darin sich Frankreich bei der Revolution befand, zu völliger Ausrottung des Despotismus die gänzliche Abschaffung des Adels und die Einschränkung der Geistlichkeit notwendig war? ob die Begriffe, welche diese privilegierten Stände in die Gesellschaft brachten, und überhaupt ihre Existenz und ihr Einfluß sich mit den Grundsätzen, worauf die neue Verfassung gestützt ist, auch nur einigermaßen vereinigen lassen? ob ihre vermeintlichen Rechte auf einen vorauszusetzenden Kontrakt oder auf Usurpation beruhen? ob usurpierte Rechte, die gegen die Ordnung der Natur sind, durch Verjährung geheiligt werden können? ob des römischen Bischofs Gewalt, Fürsten ein- und abzusetzen, die Befugnis, Sündenablaß um Geld feilzubieten, die bei einigen unkultivierten Völkern üblichen Menschenopfer, Leibeigenschaft, jus primae noctis, alle Inkonsequenzen des türkischen Despotismus und überhaupt alle eingewurzelte Mißbräuche eine geringere Sanktion haben? ob Verbindlichkeiten, die nur allein das Recht des Stärkern hat einführen können, nicht auch durch das Recht des Stärkern wieder aufgehoben werden dürfen? ob alle Kontrakte, die auf unbestimmte Zeit geschlossen worden, deswegen ewig dauern müssen, Zeit, Umstände und Bedürfnisse mögen sich verändern oder nicht? ob überhaupt Menschen Kontrakte für die Ewigkeit schließen können? ob man, im Namen einer Generation, die noch nicht existiert, mit solchen Gütern schalten und walten dürfe, die eigentlich auf keine Weise der Gegenstand willkürlicher Bestimmung sein können, als da sind: Freiheit, Achtung, bürgerliche Ehre, Herrschersrecht u. dgl.?

Wenn man sagt, es seien die gewählten Repräsentanten des Volks zum Teil Menschen von äußerst zweideutigem Charakter gewesen, so kann ein unparteiischer Mann darauf nur folgendes antworten: Der moralische Privatcharakter dieser Leute kömmt bei ihrer politischen Laufbahn sehr wenig in Anschlag, wenn auch jener Vorwurf erwiesen wäre. Alle Schritte der Nationalversammlung, qua talis, geschahen, der Natur der Sache nach, öffentlich; ihre Reden, ihre Vorschläge, ihre Entschlüsse – alles ist klar den sehr strengen Augen des Publikums dargelegt. Möchten sie immerhin geheime, eigennützige oder ehrgeizige Absichten gehabt haben; möchten sie immerhin ausschweifende, ränkevolle Leute gewesen sein! – es kömmt hier auf die Sache an, die sie mit unerschrocknem Mute durchgesetzt, auf das System, das sie eingeführt haben. Ist das gut, ist es der Nation und der Menschheit überhaupt heilsam; wer ist Richter über ihr Herz und ihre Sitten? Und soviel ist denn doch gewiß, daß unter ihnen Männer genannt werden, die bei ihren Mitbürgern in allgemeiner Achtung stehen, von denen auch die boshafteste Verleumdung nicht wagen würde zu behaupten, sie hätten ihre Hände an den Plan zu einem Bubenstücke legen wollen.

»Viele von ihnen«, heißt es, »haben sich auf Unkosten des gemeinen Wesens bereichert, haben die Nationalgüter in ihren Nutzen verwendet.« Möglich, aber nicht erwiesen! Wie betrügerisch und verschwenderisch man aber mit dem öffentlichen Schatze während der vorigen Verfassung umgegangen, das ist erwiesen, ist unter andern in dem berüchtigten roten Buche nachzulesen. Soviel ist übrigens auch begreiflich, daß zwölfhundert Männer nie einen gemeinschaftlichen Komplott zum Betruge machen werden. Daß unter diesen Zwölfhunderten gewiß auch Schelme sind, darüber wundre ich mich gar nicht; aber darüber könnte man sich wundern, daß in einer so von Grund aus durch den Despotismus und dessen Gefolge korrumpierten Nation noch sechs ehrliche Leute gefunden werden. Wer ist schuld daran, wenn Diebereien und schiefe Streiche aller Art gleichsam als unzertrennlich von der öffentlichen Verwaltung angesehn werden? Hat die Revolution die Menschen so schleunig verderbt? – Die Frage beantwortet sich selbst.

Ganz verschwendet sind indessen die aus dem Verkaufe der geistlichen Güter gelöseten Summen nicht; denn man hat doch wenigstens diejenigen Personen damit entschädigt, welche ehemals Ämter im Staate gekauft hatten, die ihnen nunmehr genommen wurden; und eine Menge unnützer Ausgaben, die man vielleicht gemacht hat, fallen teils in der Folge weg, teils sind die Gelder, womit dieselben bestritten worden, in Frankreich selber geblieben und also nicht verlorengegangen, sondern in Zirkulation gekommen, wenn sie auch besser hätten verwendet werden können.

»Die Abgaben werden nicht ordentlich entrichtet; man muß also immer von jenem Kapitale zuschießen, um die nötigen Ausgaben zu bestreiten.« Das ist freilich übel, und es ist zu wünschen, daß bald die Ruhe hergestellt werden und das Volk die Gesetze respektieren lernen möge. Was schadet jedoch am Ende diese temporelle Unordnung? Wer kein Geld gibt, der behält es; folglich bleibt es im Lande; Privatleute häufen es in ihren Kasten auf, weil sie es nicht für Papier hingeben wollen; allein lasset die Ruhe auf irgendeine Weise hergestellt sein, so wird man es bald wieder zirkulieren sehn.

Den größten Geldraub an Frankreich aber begehen die Emigranten, durch die Summen, welche sie herausziehen. Schon allein der Erzdieb Calonne, den man füglich hätte aufhenken können, ohne sich zu versündigen, hat ungeheure Schätze, die er sich zusammengestohlen hatte, fortgeschleppt. Hieran ist die Nationalversammlung nicht schuld; man müßte denn ihre zu milden, nachsichtigen Grundsätze ihr zum Verbrechen machen wollen, indem sie die Auswanderungen und Exportationen nicht mit Gewalt gehindert hat.

Möge man indessen auch alles bare Geld aus Frankreich wegnehmen, so wird das Reich doch darum noch nicht zugrunde gerichtet, solange man nicht den fruchtbaren Boden, die Industrie, den Handel, die Fabriken und Manufakturen mit fortreißen kann. Im Grunde ist das Geld doch nur das Repräsentative und nicht die Sache selbst. Lasset die armen, verführten Flüchtlinge zurückkehren (ihre schelmischen Aufrührer mögen bleiben, wo sie wollen!), lasset Frieden hergestellt sein, Treue und Glauben und Kredit wieder Wurzel fassen, die Gesetze respektiert, Fleiß, guten Mut und Tätigkeit wieder erweckt werden – und Frankreich im ganzen wird durch alle diese Verwirrungen um nichts ärmer geworden sein.

Ob aber wohl Hoffnung da sei, die Ruhe bald wieder hergestellt zu sehn, das ist unmöglich vorauszusagen; nur das läßt sich ohne Vermessenheit behaupten, daß, wenn auch, durch eine Gegenrevolution oder auf andre Weise, alles wieder niedergerissen werden sollte, was die Nationalversammlung aufgebauet hat, die ganze Verfassung doch nie wieder auf den alten Fuß kommen kann. Die Begriffe von den Verhältnissen des Volks zu der Regierung haben zu tiefe Wurzel gefaßt; so etwas wieder auszurotten, dazu würde ein großer Zeitraum gehören, währenddessen Kultur und Aufklärung gänzlich zurückgingen und die Nation wieder in einen solchen Zustand von Kindheit versetzt würde, in welchem man sich, gegen sein eignes Interesse, blindlings führen läßt. Der größere und stärkere Teil der Nation hat nun einmal die Fesseln abgeschüttelt, hat seine Kräfte kennengelernt und sich von der Möglichkeit der Ausführung überzeugt. Sie mit Gewalt aufs neue zu unterjochen, dazu würden sehr große Anstalten erforderlich sein. Das Reich ist nicht in so schlechtem Verteidigungsstande, die Nationalgarden sind nicht so schlecht diszipliniert, als uns die Freunde der aristokratischen Partei glauben machen wollen. Die innern Zwistigkeiten und Gärungen würden sehr wahrscheinlich aufhören, sobald Frankreich von außen her angegriffen und die Verteidigung des Vaterlandes der gemeinschaftliche Punkt würde, in welchem sich die lebhafte französische Regsamkeit konzentrierte. Und wer sollte sie angreifen? Das Aristokratenhäuflein macht zwar, nach alter französischer Manier, ungemein viel Lärm, rennt am Rheine durcheinander, wie ein Ameisennest, droht und schimpft gewaltig; allein es fehlt ihm noch an einigen Kleinigkeiten, um die Sache in Ausführung zu bringen. Generale, Offiziers, Köche, Friseurs, Wundärzte und Apotheker, auch Marchands parfumeurs und Marketender sind wirklich da; allein das macht doch nur den état-major einer französischen Armee aus. Zwar haben sie auch ein paar hübsche Gardekompanien, zu welchen kürzlich ein teutscher Reichsfürst seine losgelaßnen Karrengefangnen als Rekruten geliefert hat; nur was man gewöhnlich ein Kriegsheer zu nennen pflegt, das fehlt, nebst allem Zubehör, als da ist: argent content, Kredit, Festungen, Magazine, ja sogar der Platz, auf welchem sie sich zuerst formieren könnten; denn des in der Chronik von Frankreich so berühmten Kardinals von Rohan Besitzungen, auf welchen jetzt, im Januar 1792, da ich dies schreibe, das ganze ausgewanderte Frankreich sich niedergelassen hat, sind kaum groß genug, um einen Antirevolutionsklub darauf zu halten. Zählen sie aber auf den Beistand der europäischen Mächte, so fürchte ich, sie werden sich verrechnen. Warum sollten diese Frankreich angreifen? Um einer Nation die Befugnis streitig zu machen, ihre Regierungsform, mit unbezweifelter Einstimmung ihres Königs, zu verändern? Um eine Konstitution über den Haufen zu werfen, die Vernunft, Recht, Treue und Glauben und Frieden mit den Nachbarn zu Grundpfeilern hat? Dazu sind sie zu gerecht. Um die teutschen Reichsfürsten, die in den französischen Staaten Güter haben, mit Gewalt in den Besitz der Rechte zu setzen, welche sie durch die Revolution verloren haben? Davon würde doch nur dann die Rede sein können, wenn erst alle gütliche Mittel umsonst wären versucht worden. Es hat sich ja aber die Nation zu einer Entschädigung erboten; man muß nur ihre Vorschläge gemeinschaftlich anhören; man muß die ausschweifenden Forderungen der Aristokraten nicht damit vermengen wollen; man muß nicht vergessen, daß jene Reichsfürsten, solange sie sich bei der Abhängigkeit von Frankreich wohl zu befinden glaubten, von ihren französischen Besitzungen dem teutschen Reiche keine Prästanda geleistet, folglich sich auf gewisse Weise von dem Staatskörper losgerissen haben, dessen Schutz sie nun auf einmal reklamieren. Sehr wahrscheinlich werden die übrigen europäischen Mächte der vorsichtigen Politik folgen, welche der weise Leopold bei dieser Gelegenheit zur Richtschnur nimmt. Sie werden ja wohl auch überlegen, daß es bei jetzigen Zeiten nicht ratsam sei, mit den Kriegsvölkern, die hie und da noch zu Hause ein Stückchen Arbeit finden, um Ruhe zu erhalten, in fremde Länder einzufallen, wo die fatale Freiheitsluft weht, die so leicht ansteckt. Sie werden überlegen, daß, bei dem ersten Ausbruche des Krieges, die schönen fruchtbaren teutschen Provinzen, welche unmittelbar an Frankreich grenzen, das Opfer dieses übereilten Schritts, der Schauplatz gräßlicher Verheerungen werden würden.

Und das sei denn genug über die französische Revolution! Reden wir jetzt davon, ob andern europäischen Staatsverfassungen, der Wahrscheinlichkeit nach, ähnliche Umwälzungen bevorstehen und ob zu vermuten ist, daß die Vorfälle jenseits des Rheins dazu Anlaß geben werden.

Quelle:
Adolph Freiherr von Knigge: Der Traum des Herrn Brick. Berlin 1979.
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