27.

[106] So traurig den Menschenfreund die Bemerkung macht, daß in die natürlichsten, einfachsten Verhältnisse, in die Bündnisse, welche Freundschaft, Liebe und Blutsverwandtschaft stiften, sich so vielfältig ein niedriger Eigennutz einmischt; so kränkend ist für ihn auch die Erfahrung, daß diese unedle Leidenschaft sich zuweilen in das Gewand eines wohlthätigen Eifers für die Bildung, den Unterricht und die Erziehung der Jugend hüllt. Ich rede hier nicht von den edeln Männern, die, indem sie ihre Kräfte und die schönsten Jahre ihres Lebens, dem mühseligen, oft so undankbaren Geschäfte[106] der Erziehung widmen, doch auf eine verhältnißmäßige Entschädigung für die Opfer, welche sie dem gemeinen Wesen bringen, Anspruch zu machen und etwas zurückzulegen suchen, damit nicht einst nach ihrem Tode Weib und Kinder von Almosen leben müssen. Auch rede ich nicht von den armen, in der That bedauernswerthen Schullehrern, besonders auf dem Lande, welche, wenn sie für die nützlichsten Dienste, die irgend ein Bürger dem Staate leisten kann, kümmerlich besoldet werden, um nicht gänzlich zu verarmen, zu allerley Neben-Erwerbmitteln ihre Zuflucht nehmen, sich von Abschreiben nähren, oder ein Handwerk treiben und darüber ihren eigentlichen Beruf versäumen, die endlich, um dem Geize der Eltern, denen es oft mehr um wohlfeilen, als treuen Unterricht für ihre Söhne und Töchter zu thun ist, zuweilen ein Geschenk zu entlocken und wenigstens ihre einträglichsten Kunden nicht zu verliehren,[107] den Kindern der Reichern und Vornehmern durch die Finger sehen und schmeicheln – Von diesen, welche die Noth treibt, den Geldgewinn zu ihrem Hauptaugenmerke zu machen, rede ich nicht; sondern von solchen Menschen, die, ohne innern und äußern Beruf zu dem wichtigen Erziehungsgeschäfte, wenn sie sich zu allen übrigen Verrichtungen des bürgerlichen Lebens ungeschickt fühlen, oder den damit unvermeidlich verbundenen Zwang der Abhängigkeit von Vorgesezten und Obern nicht ertragen können, sich eine Republik von fremden Kindern stiften, zu deren Vorsteher sie sich aufwerfen, und dafür reichliche Abgaben entrichten lassen, die sie leichtgläubigen Leuten, unter Vorspielung der menschenfreundlichsten Absichten, durch pomphafte Ankündigungen aus dem Beutel schwatzen, dies Geschäfte als Finanzsache betreiben, und, wenn sie einige Jahre hindurch reicher Leute[108] Kinder in ihren Menschenfabriken bearbeitet haben, diese, eben so unwissend und nicht selten an Leib und Seele schlechter und zu allen ernsthaften Geschäften unfähig, wieder nach Hause schicken. Am gewissenlosesten und nur auf Geldgewinn bedacht, pflegen aber leider! die mehrsten Lehrmeister in schönen Künsten, Musik, Tanz, Zeichenkunst und die Sprachmeister zu verfahren. Da wird nur daran gedacht, wie die bestimmte Stunde, für welche die Herrn eine Karte erhalten, in jedem Hause ausgefüllt werden könne. Ob der Schüler etwas lernt, oder nicht, das ist dann des Meisters geringste Sorge; im Gegentheil, je langsamer die Fortschritte sind, welche er macht, um desto sichrer ist er, die Kundschaft lange zu behalten, wenn nur von Zeit zu Zeit den leichtgläubigen, von Affenliebe für ihre Kinder eingenommenen Eltern Ueberzeugung von den großen, herrlichen Anlagen der Püppchen, durch vorgelegte[109] Proben und angestellte Prüfungen, wobey der Lehrmeister gewöhnlich das Beste thut, verschafft werden kann. Ist nun gar von dem Unterrichte erwachsener junger Frauenzimmer die Rede; so spielt nicht selten der Herr Lehrer nebenher die Rolle des Liebhabers, oder wenigstens des Brief- und Zeitungsträgers.

Quelle:
Adolph Freiherr von Knigge: Ueber Eigennutz und Undank. Leipzig 1796, S. 106-110.
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