23.

[394] Vergebens erwartest du von Leuten, die du von Elend oder Gefahr errettet hast, sobald das Gefühl der Dankbarkeit in ihren Herzen erstickt und die Wohlthat vergessen ist, daß einst, wenn du nicht mehr bist, dein Weib und deine Kinder an ihnen Beschützer, Rathgeber, Helfer finden werden. Kannst du ihnen kein sichrers Vermögen hinterlassen, als die Forderungen auf fremde[394] Dankbarkeit; so sind sie schlecht gegen Elend und Dürftigkeit geschützt.

Am empfindlichsten aber schmerzt der Undank, womit Menschen uns kränken, in denen wir die Gefühle treuer, inniger Freundschaft und Liebe erweckt zu haben, die wir für uns geschaffen glaubten, denen wir uns ganz hingaben, ihnen ein ungetheiltes Herz darboten, denen wir mehr aufopferten, als wir vielleicht vor dem Richtstuhle der strengern Vernunft rechtfertigen können, und die das Alles so hinnahmen, uns Gegenliebe heuchelten, um den eiteln Triumpf zu schmecken, uns ganz verstrickt, ganz abhängig von sich gemacht zu haben; und die dann die Larve abziehen, zurücktreten und noch wohl uns höhnen, unsrer Schwäche spotten. Wer je auf diese Weise in die Hände eines Egoisten oder einer Coquette gefallen ist, der wird die Härte eines so niederbeugenden Zustandes kennen.

Quelle:
Adolph Freiherr von Knigge: Ueber Eigennutz und Undank. Leipzig 1796, S. 394-395.
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