35.

[425] Es würde ein garstiger Flecken in dem teutschen National-Charakter seyn, wenn[426] es sich beweisen ließe, daß wir undankbarer gegen die Verdienste unserer lebenden und[427] verstorbenen großen Männer und geneigter wären, Schwachheiten und Untugenden an ihnen aufzusuchen, um sie von der Höhe herabzuziehn, auf welcher ungern der Neid sie über sich hervorragen sieht. Allein dieses Sträuben gegen die Anerkennung eines Uebergewichts, das dem mindern Verdienste einen Vorwurf aus seiner Mittelmäßigkeit zu machen scheint, ist wohl unter allen Himmelsstrichen so einheimisch, daß Verunglimpfungen und Verfolgungen fast immer die[428] Begleiterinnen und zugleich die Kennzeichen des höhern Werths sind. Es ist wahr, daß diese Unart bey uns sehr weit getrieben wird. Hat ein Feldherr sich durch eine lange Reihe glänzender Thaten ausgezeichnet, die man nicht auf die Rechnung des blinden Glücks schreiben kann; befördert ein Fürst, durch weise Anordnungen und wahrhaftig väterliche Sorgfalt, die Wohlfahrt und Ruhe seines Volks, den Flor des Landes, und erweckt dadurch die Scheelsucht der Nachbarn; so fehlt es nicht an Leuten, die sich ein Geschäfte daraus machen, seinen Privat-Charakter anzugreifen, seine kleinen Schwachheiten an das Licht zu ziehn, und, wenn sie sonst nichts wissen, das Verdienst seiner Thaten auf kluge Rathgeber im Felde und im Cabinette schieben – gleich als wenn es nicht schon einen hohen Grad von Weisheit verriethe, wenn man die besten Rathgeber[429] auszuwählen versteht und guten Rath anzunehmen, zu nützen und zu befolgen weiß! Auch Schriftsteller von Bedeutung werden, zum Danke für das Vergnügen, das sie dem Publiko gewährt und für den Nutzen, den sie gestiftet haben, nicht selten, von Seiten ihrer Talente und ihres moralischen Charakters, verlästert. Man weiß, wie der arme Rousseau von seinen Zeitgenossen und von der Nachkommenschaft ist behandelt worden. Welche schändliche Angriffe sich kürzlich ein Paar nichtswürdiger Menschen gegen die Ehre des verstorbenen verdienstvollen Bode erlaubt hat; das ist auch bekannt genug. Sterne-Yorick galt lange Zeit hindurch mit Recht für eines der vorzüglichsten Original-Genies; seine unerreichbare, herrliche Laune, sein Scharfblick, sein feiner Takt und sein unvergleichlicher Witz waren der Gegenstand der allgemeinen Bewunderung. Nun aber[430] hat kürzlich ein gewisser Engländer, Herr Ferriar, die schöne Entdeckung gemacht, daß Sterne nichts weiter, als ein Ausschreiber, Plünderer und Nachahmer, besonders der alten Schriftsteller Rabelais und Burton, gewesen sey – Wir wollen dem Herrn Ferriar, zur Dankbarkeit für die Mittheilung dieser Entdeckung, das Talent wünschen, mit so viel Geschicklichkeit, wie Yorick, zu stehlen.

Quelle:
Adolph Freiherr von Knigge: Ueber Eigennutz und Undank. Leipzig 1796, S. 425-431.
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