Der 4. Absatz.

Von denen Sternen.

[14] Was die Blumen in dem Garten / was die Edelgestein in einem guldenen Gefäß / und was die Augen in dem Angesicht / das seynd die Sternen an dem Himmel /nehmlich ein Lust / ein Zierd und Glantz.60 Sie bestehen in einer reinen / vesten / durchscheinenden und unverweßlichen Materi. Es seynd derselben zweyerley Gattungen / die eine und zwar die meiste werden von denen Astrologis stellæ fixæ genannt / das ist / unbeweglich / und gleichsam angeheffte Sternen / andere aber stellæ errantes, das ist / bewegliche / oder fahrende Irr-Sternen / welche zu unterschiedlichen Zeiten / ihren unterschiedlichen / doch gewisen und richtigen Lauff haben: nehmlich die[14] siben Planeten / das ist der Mond / so der unterste Planet ist / der Mercurius, die Venus, die Sonn / der Mars, Jupiter und Saturnus, welches der höchste ist. Diser Planeten wird glaublich ein jeder von einem besondern Engel dirigirt, oder in seinem Lauff gelaitet. Was aber die Zahl oder Menge der Sternen insgemein betrifft / da sag ich nichts anders / als was GOTT selber vor längsten zu dem Abraham gesprochen hat / nehmlichen: Suspice Cœlum & numera stellas, si potes.61 Schaue an den Himmel / und zehle die Sternen / wann du es kanst. Sie seynd unzahlbar / und GOtt allein bekannt / Qui numerat multitudinem stellarum, & omnibus eis nomina vocat.62 Er zehlet die Menge der Sternen / und nennet sie alle mit Nahmen.

Die Grösse der Sternen betreffend so seynd die meiste gar viel und weit grösser als die gantze Welt /oder der gantze Erdboden: obwohlen sie uns / wegen der unbeschreiblichen Höhe sehr klein vorkommen. Ubrigens empfangen die Sternen ihr meistes Liecht von der Sonnen / dasselbige theilen sie der Erden mit / und haben ein grosse Krafft oder Würckung in die Cörperliche Ding / die sich auf und in der Erden befinden.

Aber sittliche und geistliche Stern seynd sowohl die Heilige in dem Himmel / als die vollkommene und gelehrte Männer auf der Erden: Dann Qui ad justitiam erudiunt multos, fulgebunt quasi stellæ in perpetuas æternitates.63 Die, so viel zur Gerechtigkeit gewiesen oder gelehrt haben / werden wie die Sternen scheinen immer und ewiglich. Sternen seynd sie / und zwar lauter stellæ fixæ, beständige /unbewegliche Sternen / sie weichen niemahl ab von dem Weeg der Tugend und Gerechtigkeit / sie lassen weder durch das Liebkosen der betrüglichen Welt /weder durch Trübsal und Widerwärtigkeit / weder durch den List und Gewalt des bösen Feinds von dem Guten sich abwendig machen. Das Liecht und den Glantz ihrer Weißheit u. Heiligkeit empfangen sie von der Göttlichen Gnaden-Sonn / und was sie empfangen haben / das thun sie vertreulich und ohne Vergelt andern mittheilen. Sie seynd zwar an sich selber groß und ansehnlich vor GOtt und seinen Engeln /und dannoch kommen sie ihnen selbst aus Demuth gantz klein / und gering vor: ja auch vor den Augen der verblendten Welt-Menschen scheinen sie klein und schlecht / eben darum / weil sie durch ihr Leben und Lehr so weit über all das irrdische und eitle erhöcht seynd. Den Einfluß und kräfftige Würckung /so dise sittliche Sternen in die Welt haben / belangend / so ist es gewiß / daß offtermahl gantze Reich und Länder zu grund giengen / wann sie nicht durch ihre allmögende Fürbitt und Verdienst der so Gottseeligen und GOtt-geliebten Seelen erhalten wurden: wann nicht durch sie das Ubel und Unheyl abgewendt / und hingegen Glück und Seegen vom Himmel erbetten wurde.


Die natürliche Sternen reinigen und erleuchten den Lufft durch die Bewegung ihrer Strahlen / sie mäßigen und vereinigen die wider einander streitende Elementen in denen Cörperlichen Geschöpffen. etc. Auch die sittliche Sternen erleuchten und reinigen die Welt durch ihr Lehr / Correction und Exempel von der schädlichen Finsternuß der Irrthum und Unwissenheit / von den gifftigen Dämpffen der Sünd und Laster. Die widerwärtige Elementen / das ist / die uneinig-und streitende Partheyen vereinigen und versöhnen sie durch freundliches Zusprechen / und friedliche Unterhandlung: die Sünder aber / die GOTT dem HERRN so sehr zuwider seynd / versöhnen sie mit ihm durch ihr eyfriges Gebett und Fürbitt.


Die vollkommene und hocherleuchte Männer seynd jene Sternen / mit welchen das Apocalyptische Weib (welches mit der Sonn umgeben / den Mond unter den Füssen hatte) gekrönt ware / das ist / die Catholische Kirch / dero Zierd und Glori die Heilige und vollkommene Seelen seynd.[15]

Politische Sternen sollen seyn die Hoff-Herren /Räth und Beamte bey einem König oder Fürsten / und zwar lauter stellæ fixæ, beständig-unbewegliche Sternen / die sich von der Gerechtigkeit / und von der Pflicht und Treu gegen ihren Herrn auf keine Weiß lassen abwendig machen.64 Sie sollen dem Land /oder dem Gebiet / über welches sie gesetzt seynd /vorleuchten mit Klugheit und Vorsichtigkeit in ihrer Verwaltung: und gleichwie die Sternen des Himmels zwar ein hohes Ansehen und ein weites Aussehen haben / aber dannoch darneben ein liebreiche Apparenz, ein angenehmen Schein / ein austheilige Influenz, und ein zusammen haltende Vereinigung / also sollen dise politische Sternen ihr Authoritæt und hohes Ansehen zwar behaupten / aber nicht durch übermäßigen Pracht / oder strenges Verfahren mit denen armen Unterthanen / sonder durch ruhmwürdige Thaten / und auferbaulichen Lebens-Wandel. Sie sollen von sich geben ein lieblichen Schein der Freundlichkeit und Bescheidenheit. Sie sollen den Bedürfftigen gern und willig mittheilen von ihrem Reichthum und Uberfluß / und also keine stellæ attractivæ, das ist / durch den Geitz alles an sich ziehende Sternen seyn / sonder vilmehr stellæ diffusivæ, das ist / durch die Freygebigkeit austheilige Sternen: Sie sollen auch zusammen halten / oder einträchtig seyn in Beförderung deß gemeinen Bestens. Endlich gleichwie die Sternen ein jeder mit seinem Circul /mit seiner Höhe / Grösse und Glantz zufrieden ist /und die andere in ihrer Station nicht verhinderet /noch verfinsteret / also soll ein jeder Minister, Rath oder Beamte mit seinem Rang / Dienst und Besoldung zu frieden seyn / einem anderen nicht eingreiffen / nicht schaden / ihne nicht beneiden / und nicht verschwärtzen.

Fußnoten

1 Apoc. c. 21.

Beschreibung der himmlischen Stadt Jerusalem.


2 Psal. 35. v. 9.


3 Die himmlische Freuden seynd unbeschreiblich.


4 1. ad. Cor. c. 2.


5 Die Catholische Kirch ist ein sittlicher Himmel.


6 Matth. c. 16. v. 18.


7 Ad Ephes. c. 5. v. 22.


8 Geistlicher Ordens-Stand ist ein sittlicher Himmel.


9 Ein glücklicher Ehestand ist ein kleiner Himmel.


10 Job. c. 10. v. 22.


11 Lob-Sprüch und Eigenschafften der Sonnen.


12 Eccli. c. 43. v. 2.


13 Eccli. c. 11. v. 7.


14 Die Grösse / Schnelle / Hitz und Glantz der Sonnen.


15 GOtt ist die Sonn der Welt.


16 2. Paral. c. 2. v. 6.


17 1. ad Tim. c. 6. v. 16.


18 Psal. 89. v. 4.


19 ad Hebr. c. 12. v. 29.


20 Isa. c. 26. v. 12.


21 Psal. 7. v. 10.


22 Luc. c. 3. v. 8.


23 Die aufgehende Sonn stärcket die Kräfften.


24 Die zwölff Himmels-Zeichen.


25 Applicirt auf die unerschaffene Sonn.


26 Gen. c. 22. v. 13.


27 Gen. c. 25. v. 24.


28 Dan. c. 14. v. 40.


29 Jonæ c. 2. v. 2.


30 Isa. c. 40. v. 12.


31 Judic. c. 6. v. 25.


32 Lev. c. 4. v. 23.


33 4. Reg. c. 13. v. 17.


34 Matth. c. 1. v. 16.


35 2. Tim. c. 2. v. 17.


36 Luc. c. 10. v. 9.


37 Luc. c. 5. v. 21.


38 Reine Seelen seynd Spiegel der GOttheit.


39 Icarus fliegt zu nah gegen der Sonnen. Fabel.


40 Christus ein Sonn der Catholischen Kirchen.


41 Act. c. 10. v. 38.


42 Mehr Sonnen haben zugleich geschienen.


43 Joa. c. 17. v. 21.


44 Die Sonn von alten Heyden für einen GOtt gehalten.


45 Fürsten und Regenten seynd politische Sonnen.


46 Vier Sonnen-Pferdt.

Applicatio.

Prov. c. 28. v. 15. & 16.


47 Steur und Anlaag sollen mäßig gefordert werden.


48 Gute und bescheidene Beamte seynd nutzlich.


49 Maria ist ein geistlicher Mond.

Cant. c. 6. v. 9.


50 Gen. c. 1. v. 16.


51 Psal. 88. v. 38.


52 Luc. c. 1. v. 18.


53 Monds-Finsternuß wann sie sich begebe.


54 Aus dem Mond kan man die künfftige Witterung abnehmen.


55 Wird Mariä appliciert.


56 Menschen seynd veränderlich als wie der Mond.


57 Job. c. 14. v. 2.


58 Unbeständigkeit des zeitlichen Glücks.


59 in Psal. 50.


60 Beschaffenheit der Sternen.


61 Gen. c. 15. v. 5.


62 Psal. 146. v. 4.


63 Sittliche Sternen seynd vollkommene gelehrte Männer.

Dan. c. 12. v. 3.


64 Politische Sternen seynd die Räth und Beamte an einem Hof / und wie sie sollen beschaffen seyn.

Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738.
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