Der 1. Absatz.

Von dem Menschen und dem Leben des Menschens.

[150] Von dem Macrocosmo schreite ich zu den Microcosmum, von der grossen Welt (dero fürnehmste Theil ich bißhero beschrieben und erklärt hab) zu der kleinen Welt / das ist / dem Menschen / den ich jetzund gleichsam zu anatomiren oder zu zergliederen anfange. Es wird aber der Mensch von denen Gelehrten darumen Microcosmus, das ist / ein kleine Welt betitlet / weilen er gleichsam ein Compendium / oder kurtzer Begriff der gantzen Welt und aller Creaturen ist; inmassen er / wie der Heil. Gregorius anmercket / mit allen Geschöpffen etwas gemeinschafftliches hat: Esse cum lapidibus, sagt diser Heil. Vatter / vivere cum plantis, sentire cum brutis, intelligere cum Angelis.1 Mit den Steinen und anderen leblosen Dingen hat er das Wesen / oder die Wesenheit gemein / mit den Kräutern und Pflantzen aber das Wachsen / mit denen unvernünfftigen Thieren die Empfindlichkeit /und den Verstand mit denen Englen.

Der Mensch ist zum Theil ein sehr edel und fürtreffliche / zum Theil aber ein elende und armseelige Creatur: Edel und fürtrefflich ist er wegen der herrlichen Gaben und Eigenschafften der unsterblichen Seel: Elend und armseelig aber wegen Schwachheit-und Gepresten des sterblichen Leibs.2 Der weltweise Plato vermeinte es wohlgetroffen zu haben / da er gesagt hat / der Mensch seye Animal implume bipes, ein zweyfüßiges Thier ohne Federn: aber ein anderer Philosophus hat ihne gleich corrigirt und beschimpff (also ist das Fehlen menschlich und[150] allgemein) indem er einen Goggel-Hanen genommen hat / denselben sauber abgerupfft / vorgewiesen und gesprochen: Ecce homo Platonicus, sihe ein Platonischer Mensch. Besser hat ihne Aristoteles definirt / daß er seye Animal rationale, ein vernünfftiges Thier / welches Prædicat allen und jeden Menschen allein eigenthumlich ist.

Sonsten werden dem Menschen von unterschiedlichen viel herrliche Lob-Sprüch gegeben.3 Die alte Egyptische Priester haben ihn animal admirabile & adorandum, das ist / ein wunderbarliches und anbettens-würdiges Thier genennet. Vast eben also Mercurius Trismegistus nennet ihn ein grosses Wunderwerck / einen Dollmetscher der Götter / und ein Thier / welches allerdings GOtt ähnlich und gleichförmig ist. Pytagoras heißt den Menschen mensuram rerum omnium: Ein Maas aller Dingen. Theophrastes ein Exemplar und Spiegel der gantzen Welt. Cicero aber der Römische Redner sagt / der Mensch seye ein göttliches mit Verstand und Rath erfülltes Thier. Plinius endlich nennet ihn Epitomen, ein kurtzen Begriff der Welt / ein Lust und Freud der Natur. Insgemein aber /wie schon gemeldt / wird er Microcosmus, oder die kleine Welt benahmset; dann er begreifft mit seinem Leib die Krafft aller Leiber / und mit seiner Seel die Krafft aller lebendigen Dingen in sich.

Als jener barbarische Abdalas befragt wurde / was das Allerwunderbarlichste in der gantzen Welt seye? gab er zur Antwort: Homo unus est, qui omnem admirationem superat: der Mensch allein übertrifft alle Verwunderung. Gleichfalls hielte Favorinus darfür /daß auf der Erden nichts rechts Grosses seye / als eben der Mensch. Unsere Theologi aber nennen den Menschen Augustum Templum & simulachrum Dei. Einen herrlichen Tempel und Bildnuß GOttes: auch ein End aller erschaffenen Dingen / deme alles dienet / was auf der Welt ist. Billich derowegen hat David in Betrachtung der Menschlichen Hoch- und Fürtrefflichkeit Wundervoll zu GOtt aufgeschryen: Minuisti eum paulò minus ab Angelis, gloria & honore coronasti eum etc.4 Du hast ihne / den Menschen / ein wenig geringer gemacht / dann die Engel / mit Ehren und Geschmuck hast du ihn gekrönet /und hast ihne gesetzt über die Werck deiner Händen: alles hast du ihme unterworffen.

Dises seynd ja freylich groß- und herrliche Lobsprüch: aber alles thut weit übertreffen / was GOtt selbsten gleich in seiner Erschaffung gesprochen hat: Faciamus hominem ad imaginem & similitudinem nostram etc.5 Wir wollen den Menschen machen nach unserer Bildnus und Gleichnus / der da herrsche über die Fisch im Meer / und über die Vögel unter dem Himmel / über das Vieh / und über die gantze Erd / und über alles / was auf der Erden kriechet. Dann zu wissen ist / daß alle uvernünfftige Thier dem Menschen gehorsam und unterthänig gewesen wären / wann er auch selbsten GOtt gehorsam verblieben / und nicht gesündiget hätte.

Aber leider! homo, cum in honore esset, non intellexit etc.6 als der Mensch in solchen Ehren / und Ansehen ware / hat ers nicht erkennt und nicht betrachtet / er ist dem unvernünfftigen Vieh gleich worden / und hat viehisch gelebt. Eben dieses ist die Ursach / daß obwohlen er einerseits so edel und fürtrefflich ist /dannoch anderter Seits / nemlich wegen dem sterblich- und müheseeligen Leben auch so elend und Armseelig ist.7

Die Armseeligkeit des menschlichen Lebens hat gar wohl erkennt / und mit lebhafften Farben entworffen / der gedultige Job / wann er gesagt: homo natus de muliere brevi vivens tempore repletur multis miseriis etc.8 Der Mensch gebohren von dem Weib /lebt ein kurtze Zeit / und wird erfüllt mit vielen Betrübnussen / oder Trangsalen. Er gehet auf wie ein Blum / und fallt ab / und fleicht dahin wie ein Schatten / er bleibt nimmer in seinem Stand. Und widerum sagt er: Das menschliche Leben ist ein immerwährender [151] Streit auf dieser Erden / seine Täg seynd mühesam / als wie eines Taglöhners.

Ja auch die heydnische Weltweise haben diese Wahrheit wohl erkennt: Aristoteles als er befragt wurde / was der Mensch seye? gab er zur Antwort: Ein Beyspiel der Schwachheit / ein Raub der Zeit / ein Gespött des Glücks / ein Abbildung der Unbeständigkeit / und ein Gegensatz des Neids und der Müheseeligkeit. Democritus, als er befragt wurde / was er von dem Zustand des Menschen halte / hat geantwortet: Er seye armseelig / dann das Gute / das er suche / finde er schwerlich und mit grosser Mühe: das Böse aber komme für sich selber ohngesucht / ja auch wann mans fliehen thue. Solon als man ihn fragte / was der Mensch seye? sagte er / der Mensch ist ein Unflath in seiner Geburt / ein Vieh in seinem Leben / und ein Speiß der Würmen in seinem Tod. Silenus, als er von Mida gefangen war / gab auf die Frag / was dem Menschen am besten seye / die Antwort: nie gebohren werden / oder doch bald widerum sterben.

Ja nicht nur ein Heydnischer Silenus sonder der weise Ecclesiastes sagt selber austrucklich: Melior est dies mortis, die nativitatis,9 der Tag des Tods ist besser / als der Tag der Geburt: weilen nehmlich die Geburt des Menschen ein Anfang und Eingang ist zu tausenderley Mühe / Elend und Gefahren /da hingegen ein seeliger Tod disem allem ein End macht.10 Deßwegen pflegten vor Zeiten die Thraces /Causianer und andere Völcker mehr ihrer Kinder Geburts-Täg mit weinen und trauren / hingegen dero Absterben mit Lust und Freuden zu begehen. Ja also ist es / das menschliche Leben / welches in Vereinigung des Leibs und der Seelen bestehet / und durch die Influenz des Himmels-Gestirns / durch Speiß und Tranck / Kleyder und Wohnung muß erhalten werden / dises / sage ich / ist in seinem Anfang und Eingang in diese Welt gar armseelig / schändlich und verächtlich / kein Thier wird so unflätig gebohren als eben der Mensch / der mit Unreinigkeit besudlet von Mutterleib ausgehet / gantz nackend und bloß / aller schwach und krafftloß / er kan ihme selber im geringsten nicht helffen / weder essen noch trincken / weder gehen noch stehen / weder deuten noch reden / alle Nothdurfft muß er von fremder Hülff empfangen /sonst muß er alsobald wiederum sterben und verderben.

Was dann weiters den Fortgang des menschlichen Lebens betrifft / so ist es nicht genugsam zu beschreiben / wohl aber mehr als genug von der täglichen Erfahrnus bekannt / mit was Mühe / Kosten und Sorg ein Kind müsse auferzogen und erhalten werden / wie schwer und langsam es hergehe / biß man die nothwendige Künsten oder Wissenschafften erlerne / und was man ferners die gantze Lebens-Zeit für unzahlbare Müheseeligkeiten / Gefahren und Beschwerden des Leibs und der Seelen müsse ausstehen. Tædet animam meam vitæ meæ,11 hat der so sonst gedultige Job gesprochen. Mein Seel verdrießt mein Leben. Ja schon viel hat es wegen grossem Elend und Armseeligkeiten also zu leben verdrossen / daß sie den Tod nicht haben erwarten mögen / sonder lieber ihnen selbst gewaltthätiger Weiß das Leben benommen. Als Brutus vernommen / was gestalten sein guter Freund Cassius ihme selbsten den Tod angethan habe / da schrye er auf (zwar gut heydnisch) O wie glückseelig bist du Cassi, weil du dich erlöset hast aus denen Mühe und Sorgen / mit welchen wir noch Lebende verwicklet seynd.

Ja so gar haben einige in Zweifel gezogen / ob man nicht das Leben einen Tod / und den Tod hingegen das Leben nennen sollte.12 Quis novit, si vivere est mori & mori vivere pflegte Euripides zu sagen. Deßgleichen zweifelte der weise Seneca, ob das gegenwärtige Leben in der Wahrheit ein Leben zu nennen seye / und darum sagte er von einem alten Mann / der gestorben ist: nicht / er hat lang gelebt / sonder nur /er ist lang gewesen. Auch der fromme Patriarch Jacob / als er von dem König Pharaone gefraget[152] wurde / wie alt er seye / gabe er zur Antwort: dies peregrinationis meæ centum triginta annorum sunt, parvi & mali. Die Zeit meiner Wall- oder Pilger-Fahrt (nicht meines Lebens) seynd hundert und dreyßig Jahr /wenig und böß ist die Zeit meiner Wallfahrt. Ja der Heil. Apostel Paulus nennet das zeitliche Leben austrucklich einen Tod / indem er sagt: Quis me liberabit à corpore mortis hujus? Wer wird mich erlösen von dem Leib dises Tods. Xenocrates ware der Meynung / daß GOtt diejenige / denen er ein grosse Gnad erweisen will / bald von der Welt hinweg und zu sich nemme: und also seye es ergangen (sagte die alte Heydenschafft) dem Trophimo und Aganidi denen zweyen Gebrüderen; dann als sie den herrlichen Bau des Tempels des Apollinis Delphici vollendet hatten / und derowegen den Apollinem gebetten / er solle ihnen zur Vergeltung das allerbeste / was auf der Welt seye / zukommen lassen / da habe er ihnen geantwortet / ja es soll geschehen / innerhalb 7. Tagen sollen sie ihrer Bitt gewähren / darauf aber seyen sie den siebenden Tag morgens frühe beyde tod im Beth gefunden worden / und also seye nach dem Urtheil des Gott Apollinis selbst diser frühzeitige Tod das Beste gewesen.

Als der Weltweise Socrates sahe / daß er sterben muste / sagte er zu seinen umstehenden Lehr-Jüngern / die Stund meines Tods ist nunmehr vorhanden / ich sterb dahin / und ihr bleibet noch beym Leben: aber wem es besser gehe / mir daß ich sterbe / oder euch daß ihr lebet / das weiß ich nicht / GOtt allein ist es bekandt. O wohl ein armseeliges Leben / von deme man zweiflen kan / ob es besser oder so gut seye als der Tod! aber weil dieses zeitliche Leben der Weeg ist / auf welchem wir in das Himmlische Vatterland wanderen sollen / so hat GOTT gar weißlich verordnet / daß es mit mancherley Mühe und Bitterkeit erfüllt seyn solle / auf daß wir uns nicht zu starck darein verlieben / und das Exilium für das Vatterland erwählen.

Eben der Ursachen hat GOtt gewollt / daß das menschliche Leben so kürtzlich daure und so schnell dahin lauffe.13 Von diesem sagt der weise Seneca: Respice celeritatem rapidissimi temporis, per quod citissimè currimus. Nimm wahr die Geschwindigkeit der schnellisten Zeit / die wir aufs geschwindeste durchlauffen. Der Husitische Fürst aber der Job vergleicht das menschliche Leben denen Schiffen / welche das Obst führen: Transierunt sicut naves portantes poma etc.14 Meine Täg / sagt er / das ist / mein Leben seynd schneller gewesen dann ein Lauffer /sie seynd dahin geflohen / und haben nichts guts gesehen / sie seynd vergangen wie die Schiff / die Guth oder Früchten zu verkauffen / tragen. Dann gleichwie solche Schiff sich gar nicht saumen oder aufhalten / damit das Obst nicht faule / oder die Waaren nicht verderben / sonder immer mit vollem Seegel forteylen / also eylet das menschliche Leben in schnellem Lauff immerdar fort / biß es an das Gestad der Ewigkeit gelanget.

Dieses haben vor Zeiten die Griechen wohl verstanden / indem sie im Brauch hatten / daß / wann ein Kayser bey ihnen gekrönt wurde / da trate unter der würcklichen Crönung ein Maurer mit etlichen Steinen für ihne / und sprach: Elige ex his saxis Augustissime Cæsar, quo tibi tumulum me fabricare velis. Erwähle O großmächtigster Kayser! von disen Steinen / aus welchem ich dir das Grab bauen solle. Das ist wahrhafftig ein seltsames / aber sehr nachdenckliches Compliment gewesen / welches einem den Lust zum Kayserthum zimlich benemmen möchte.

Vast eben dergleichen / wie ich erzehlen höre / geschicht noch jetziger Zeit bey der Krönung eines Römischen Pabst / da man unter anderen Ceremonien ihme eine Hand voll Hanff oder Flachs neben einer brinnenden Fackel vorhält / selben anzündt / und in einem Augenblick in der Flammen aufgehen laßt /darbey aber mit lauter Stimm spricht: En beatissime Pater! sic transit gloria mundi. Sihe Heil.[153] Vatter! also verschwindt und vergeht so geschwind der Pracht und die Herrlichkeit der Welt.

Gleichwie ein Galee oder grosses Kriegs-Schiff auf dem Meer pflegt gewaltig zu rauschen / die Wasser zu bewegen / und von einander zu schneiden / aber die Fußstapffen oder Mahlzeichen verschwinden wiederum in einem Augenblick / das Wasser wird wiederum ruhig und gehet zusammen als wie zuvor: also ein mancher König und Potentat thut zur Zeit seines Lebens das grosse Welt-Meer mit seinem Gewalt und Ansehen durchstreiffen / er macht ein grosses Geräusch / eine grosse Bewegnuß / alles muß ihme ausweichen / niemand darff sich seinem Gewalt widersetzen: wie die Heil. Schrifft selber von dem grossen Alexandro bezeuget. Siluit terra in conspectu ejus. Die Erden oder das Land / wo er durchzoge / seye gleichsam vor ihme verdatteret und erstaunet. Aber gehlingen und in Kürtze / wann der unversehene Tod einen solchen Potentaten hinraffet / ist alles wiederum aus / also daß kein Fußstapffen / kein Anzeigen von der vorigen Macht und Herrlichkeit mehr übrig ist.15 Welches alles ja billich den Menschen bewegen soll /daß er sein Hertz und Gemüth an das Zeitliche und Zergängliche nicht anheffte.

So kurtz nun das menschliche Leben dauret / so unbeständig und veränderlich ist es auch in der kurtzen Zeit / da es dauret.16 Nichts veränderlichers ist als die zeitliche Wohlfahrt / nichts beweglichers und unbeständigers als das Glücks-Rad / welches schier alle Augenblick sich umwendet / also daß gar bald zu underst ligt / was kurtz zuvor zu oberst stunde / wie es viel tausend mit ihrem grösten Leidwesen erfahren haben / indem sie urplötzlich von dem Gipffel der Reichthum und Ehren in die Tieffe der Armuth und Verachtung seynd gestürtzt worden: da hingegen auch nicht wenig andere eben so geschwind von der Tieffe ihres verächtlichen Stands zu grossen Würden und Ansehen gelanget seynd.

Nachdem der Heil. Chrysostomus dises wohl und mit Fleiß betrachtet hat / sagt er: Es geduncke ihne /das menschliche Leben als wie ein Comödi zu seyn /in welcher ein jeder seine gewisse Person repræsentirt und vertritt: der eine agirt einen König / der andere einen Bauren / der dritte einen Herrn / der vierte einen Diener / der fünffte einen Soldaten / der sechste einen Kauffmann: der eine einen Doctor, der andere einen Narren etc. wer aber jetzund in der Comödi ein Herr ist / der ist bald in einem andern Act, oder in einer andern Scen ein Diener oder Bauer / und wer jetzund ein Richter / bald hernach ein Scherg oder Hencker etc.17 Eben also gehet es in dem Comödi-Hauß oder grossen Welt-Theatro zu / bald ist eben einer glückseelig / vergnügt / reich / ansehnlich und gesund / bald wieder unglückseelig / mißvergnügt /arm / verachtet und kranck. Bald gewinnt man / bald verspielt man / bald getröst / bald betrübt / bald geliebt und geehrt / bald verschimpfft und verhaßt etc.

Ja warhafftig / alle sichtbarliche Ding dieses zeitlichen Lebens seynd gleichsam nur ein eitles Schattenspiel / welches in der Dunckle / in der Nacht præsentirt und gehalten wird: wann aber das wahre Tags-Liecht / der Tag der Ewigkeit anbricht / alsdann werden allen Comödianten die Kleyder abgezogen / die eitle oder äusserliche Zierd wird hinweggenommen /der Schatten verschwindt / der Traum vergehet / und wann man die Augen des Gemüths recht eröffnet / da sihet man / was gesehen hat der Salomon auf seinem Thron / nemlichen vanitas vanitatum, & omnia vanitas,18 daß alles eitel / gantz eitel / ja ein lautere Eitelkeit.

Ein Alter aus denen Weltweisen sagte / man solle nur die Augen des Verstands aufthun / so werde man wahrnehmen / daß die Königreich und Herrschafften deren / die den Scepter und das Regiment führen / nur eine eitle und eingebildete Glückseeligkeit seye / dergleichen in denen Comödien und Tragädien sich befindet / und gleichwie / wann der / so in der Comödi die Person eines Königs vertritt / das jenige thut und redet / was das Amt oder der Stand eines[154] Königs mit sich bringt / nach vollendtem Spiel gelobt und belohnt wird / hingegen gescholten und ausgelacht oder übel abgefertiget / wann er sich ungeschickt / oder unverständig hat aufgeführt / und nicht wie ein König thun solte / sich verhalten / eben also / wann der Mensch / so in dem zeitlichen Leben ein König / ein Richter / ein Advocat / ein Beamter oder Soldat / ein Bischoff oder Prälat / ein Canonicus oder Religos etc. gewesen ist / sein Person wohl vertretten / wann er gethan und gelebt hat / was und wie ein König / ein Richter und Geistlicher etc. thun und leben / da wird er nach vollendter Comödi zur Zeit des Gerichts vor GOtt und seinen Englen / als welche Zuschauer gewesen seynd / gelobt / geehrt und belohnt werden: wann er es aber nicht gethan / sondern in diesem grossen Welt-Spiel sich übel verhalten hat / da wird er offentlich gescholten / beschimpfft und gestrafft werden.

Dises alles hat am besten versucht und erfahren der Königliche Prophet David / welcher zu Lebens-Zeit auf dem grossen Welt-Theatro oder Schaubühne unterschidliche Personen agirt und vertretten hat: Dann erstlich zog er auf / als wie ein Hirten-Knab mit dem Stab und der Schlingen in der Hand: hernach wie ein Musicant / der vor dem König Saul gesungen und die Harpfen geschlagen hat: Uber ein Zeit liesse er sich sehen als wie ein starckmüthiger Uberwinder: hernach gabe er selbst einen König ab. Kurtz ware er widerum ein Flüchtling und Vertriebner / bald widerum erhöht und erhebt. Er hat sich aber trefflich wohl darein geschickt und stattlich wohl agirt / erat vir secundum cor Dei, Er war ein Mann nach dem Wunsch und Hertzen GOttes: er ist auch deßwegen reichlich belohnt / und mit der ewigen Glory von GOtt gekrönt worden.

Aber nicht nur David / sondern noch viel haben in der Comödi des zeitlichen Lebens gar unterschiedliche Personen (obwohlen nicht alle so gut als wie der König David) agirt und vertretten. Vitellius ware also erarmet / daß er seiner Ehefrauen Mobilien verkauffen muste / unversehens aber gelangte er zum Kayserthum / wurde Augustus genannt / und zu Rom herrlich empfangen: aber bald hernach von seinen Kriegs-Leuten gefangen genommen / auch offentlich durch die Gassen und Strassen geschleppt / und schimpfflich ums Leben gebracht. Marius repræsentirte von Anfang in der mehrgemeldten Welt-Comödi eine schlechte und verächtliche Person: bald hernach tratte er auf als ein Römischer Prætor oder Schultheiß / folgends gar als ein Consul oder Burgermeister. Er triumphirte über den Jugurtham, er überwand die Teutones, und verübte viel herrliche Thaten: endlich aber hat ihne das Glück verlassen / und in einen so armseeligen Stand gesetzt / daß er vor seinen Feinden fliehen / und sich / das Leben zu salviren / in einer Cloaca oder stinckenden Pfützen verbergen muste. Servius Tullius zoge anfangs auf als wie ein Diener / hernach wurde er als ein König auf den Thron gesetzt / gehlingen aber widerum gestürtzt / seiner Würde entsetzt /und sein todter Leib durch alle Gassen zu Rom geschleifft: auch so gar sein eigne Tochter fuhre mit der Gutschen über ihn. Ventidius ware zu Anfang ein armes gefangenes Kind: folgends muste er als ein Laquai vor dem Triumph-Wagen des Pompeji herlauffen. Uber ein Zeitlang zoge er auf als ein Tribunus, oder Zunfftmeister des Volcks. Bald darauf wurde er für einen offentlichen Feind des Reichs erklärt: hernach aber wider herfürgezogen und zu einem Burgermeister zu Rom gemacht. Mit disen allen und viel mehr anderen hat das untreue Glück als wie mit einer Ballen gespielt / jetzund sie in die Höhe geschutzt /jetzund widerum zu Boden geworffen.

Uber dises alles ist nicht nur der Eingang des Men schen in dise Welt / wie erwiesen worden / sehr armseelig und unrein / nicht nur sein Lebens-Lauff so kurtz / mühesam und unbeständig / sondern auch /und absonderlich sein Ausgang von der Welt / nemlich der Todt sehr gefährlich / schmertzhafft und beschwerlich / bevorab der Todt[155] der unbußfertigen Sünder / Mors peccatorum pessima.19 Von disem ist eigentlich zu verstehen / terribilium omnium terribilissima est mors: daß aus allen erschröcklichen Dingen der Todt das Allererschröcklichste seye / als welcher das edle und kostbare Gebäu / nemlich den Menschen / mit grossem Gewalt und Schmertzen also darnider wirfft und zerstöret / daß es von niemand als von GOtt selbsten widerum kan aufgericht werden / wann er nemlich an dem Tag des allgemeinen Gerichts die Seel wiederum mit dem Leib vereiniget.

Nun wollen wir jetzund die Seel und den Leib des Menschen insonderheit betrachten.

Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738, S. 150-156.
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