Anhang

Von dem sittlichen Leib Christi und der Kirchen.

[163] Noch von einem anderen sittlichen oder geistlichen Leib meldet viles der Heil. Apostel Paulus / dessen unsichtbarliches Haupt Christus / u. das sichtbarliche sein Statthalter auf Erden der Römische Papst ist /desselben Glieder aber die Catholische Christen seynd.42 Ipse est caput corporis Ecclesiæ,43 sagt er erstlich / Christus ist das Haupt des Leibs der Kirchen. Hernach / sicut in uno corpore multa membra habemus, omnia autem membra non eundem actum habent: ita multi unum corpus sumus in Christo, singuli autem alter alterius membrum.44 Gleichwie ein natürlicher Leib in viel Gliedern bestehet /aber nicht alle Glieder einerley Geschäfft oder Würckungen haben / also seynd wir viel ein Leib in Christo / ein jeglicher aber ist des anderen Glied / die Ursach setzt er bey: weilen wir alle in einem Geist zu einem Leib gekaufft seynd. Alle empfangen unterschiedliche Gnaden und Einflüß von Christo ihrem Haupt / der eine dise / der andere jene /der eine mehr / der andere weniger. Eben so klar und austrucklich seynd bie die Wort: Vos autem estis corpus Christi & membra de membro.45 Ihr aber seyd der Leib Christi / und Glieder untereinander. Deßwegen sagt und erkennt auch Christus im Evangelio: Quod uni ex minimis meis fecistis, mihi fecistis.46 Was ihr einem Geringsten aus den Meinigen gethan / das habt ihr mir gethan.

Nun aber die Glieder des menschlichen Leibs tragen aus natürlichem Antrieb ein grosse Lieb / Hochschätz- und Ehrenbietung gegen dem Haupt: wann das Haupt einen Streich oder Hieb empfangen soll /da thut sich der Arm eilends darwider setzen / das Haupt beschirmen / und viel lieber sich selber schlagen und verwunden lassen: und dises geschicht darum / dieweil ihnen die Natur eingibt / daß ihr Erhaltung /Leben und Wohlstand von Erhaltung des Haupts dependire / und an ihm gelegen seye.47 Eben eine solche Lieb / Neigung und Hochschätzen sollen wir / als getreue Glieder / zu unserem sittlichen Haupt / zu Christo tragen / sein Ehr und Glory beschützen / und unserem eignen Interesse, Nutzen und Kommlichkeit vorziehen / weilen er es höchst würdig ist / und auch /weil all unser Heyl und Wohlfahrt von ihme herkommt und abhanget.

Ferners / die Glieder eines Leibs lieben / ehren /und helffen einander.48 Non est schisma in corpore, sed idipsum pro invicem solicita sunt membra: si gloriatur unum, congaudent omnia, si patitur unum compatiuntur omnia,49 sagt abermahl der H. Apostel Paulus: Es ist kein Spaltung oder Zweytracht in dem Leib / sondern die Glieder tragen für einander Sorg: wanns einem wohlgehet / da erfreuen sich alle / und wann eines leidet / da leiden alle mit ihm. Zum Exempel / wann der Fuß einen Dorn eingetretten hat / und Schmertzen[163] leidet / da buckt sich geschwind der Rucken / die Augen schauen auf /die Händ ziehen ihn heraus / die Ohren hören an / wie zu helffen seye / der Mund seufftzet / die Zungen klaget etc. Wann den Leib ein Kranckdeit anstosset / da thut sich der Magen willig aushungern / und nimmt Artzney zu sich / der Arm lasset ihme ein Ader schlagen / der Fuß ein Fontanell setzen zur Gesundheit eines anderen Glieds etc.

Eben also die geistliche Glieder des sittlichen Leibs / einer Communität / einer Christlichen Gemeind / sollen einander nicht beneiden und hassen /sondern lieben / ehren und helffen: jeglicher Mensch soll sich ob dem Wohlstand seines Nächsten erfreuen / und sein Unglück bedauren / sein Bestes befördern /seinen Schaden wenden. Die Glieder des menschlichen Leibs seynd nicht eigennutzig / keines arbeitet für sich selbst allein / sondern für den Wohlstand des gantzen Leibs: auch die sittliche Glieder einer Communität sollen so viel auf ihren eignen Nutzen / als auf den Wohlstand des gemeinen Weesens bedacht und befliessen seyn. Keines aus den Gliedern des Leibs erzürnet sich über das andere / oder verfolgt das andere / sondern beschützt es wider alles / was ihme schädlich ist: Wann schon der eine Fuß an den andern stoßt / oder ein Hand auf die andere schlagt / so stoßt oder schlagt diese nicht hinwiderum zuruck / sie thut sich nicht rächen. Eben so wenig soll ein Neben-Mensch über den andern sich erzürnen / selben anfeinden / und verfolgen / sondern beschützen und verthädigen helffen: nicht sich eigenmäßig rächen / oder Böses mit Bösem vergelten.

Endlich / so wenig die Theil des Leibs ein Eyfersucht / Neid oder Mißgunst haben / wann einem besser gehet als dem andern / wann eines mehr geehrt wird als das andere: zum Exempel / wann schon die Aerm mit guldenen Ketten umgeben / und die Finger mit kostbaren Ringen gezieret seynd / so seynd doch die Füß ihnen deßwegen nicht neidig / sondern zu frieden / wann sie mit Schuhen und Leder angethan: Wann schon der Mund einen manchen guten Bissen bekommt / so mißgönnens ihme die Augen nicht /sondern sie sehen mit Freuden zu: wann schon die Ohren mit einer lieblichen Music ergötzt werden / so hat doch die Nasen deßwegen kein Eyfersucht / sie laßt sich mit einem Blümlein daran zu riechen vergnügen; ein jedes ist mit seinem Objecto oder Gegensatz / mit seinem Amt und Orth zu frieden. Dieweilen es nemlich lauter Glieder eines Leibs seynd / deren eins von GOtt und der Natur zu disem Dienst oder Geschäfft verordnet ist / und das andere zu einem anderen. Eben so wenig solle der Baur dem Edelmann /der Knecht dem Herrn / der Arme dem Reichen mißgünstig seyn / sondern ein jeder zu frieden leben mit dem Glück und Stand / in welchen ihn die Göttliche Vorsichtigkeit gesetzt hat / versicheret glaubend / daß ein grösseres Glück / ein höherer Stand oder Würde zu seiner Seelen Heyl ihme nicht nutzlich / sondern vielmehr verhinderlich und schädlich seyn wurde.

Ja / wann dise sittliche Glieder des geistlichen Leibs Christi und der Kirchen unter einander nicht friedlich und einig seynd / so können sie auch mit dem Haupt selbsten / mit Christo / keinen Frieden haben / weilen sie seinem heiligsten Willen und Befehl schnurgrad zuwider handlen / indem er so austrucklich sagt: Hoc est præceptum meum, ut diligatis invicem, sicut dilexi vos.50 Das ist mein Gebott /daß ihr einander liebet / gleichwie ich euch geliebt hab.[164]

Fußnoten

1 Hom. 29. in Evang.


2 Des Menschen Fürtrefflichkeit.


3 Herrliche Lobsprüch des Menschen.


4 Psal. 8. v. 6.


5 Gen. c. 1. v. 26.


6 Ps. 48. v. 13.


7 Armseeligkeit des Menschlichen Lebens.


8 Job. c. 14. v. 1. & 2.


9 Eccle. c. 7. v. 2.


10 Wie elend der Mensch seye / wann er gebohren wird / und forthin immerdar.


11 Job. 10. v. 1.


12 Ob das Leben oder der Tod besser seye / wird in Zweiffel gezogen.


13 Die Kürtze des menschlichen Lebens / und der zeitlichen Ehr.


14 Job. c. 9. v. 25. &. 6.


15 Lib. Machab. cap. 1.


16 Unbeständigkeit oder vielfältige Veränderung des menschlichen Lebens.


17 Das menschliche Leben ist gleich eine Comödi.


18 Eccle. c. 1. v. 2.


19 Psal. 33. v. 24.


20 Beschaffenheit und Lob der menschlichen Seel.


21 Eccli. c. 12. v. 7.


22 Marci. c. 8. v. 36.


23 Matth. c. 10. v. 28.


24 Die Seel wird mit einer Turtel-Tauben verglichen.


25 Schönheit und gute Ordnung des menschlichen Leibs und seiner Gliedmassen.


26 Die Allmacht und Weißheit GOttes erscheinet klar in der wundersamen Statur des Menschen.


27 Fernere Beschaffenheit des menschlichen Leibs wird beschrieben.


28 Die Erkantnuß seiner selbst ist sehr nothwendig.


29 Wie man darzu gelangen möge.


30 Ad Philip. c. 3. v. 20.


31 Armseeligkeit und Beschwerden des menschlichen Leibs.


32 Sap. c. 9. v. 15.


33 Ad Gal. c. 5. v. 17.


34 Der Leib ist ein Kleyd der Seel.


35 1. Cor. c. 15.


36 1. Cor. c. 9.


37 Der Leib des Menschen ist gleich dem Kürbis Jonä.

Jon. cap. 4. v. 7. &. 8.


38 Jerem. c. 1. v. 18.


39 Die Vestung des menschlichen Leibs wird von dem Tod mit Kranckheiten belägeret.


40 Psalm. 17. v. 5.


41 Der Leib ist ein Bett des Schmertzens.


42 Der sittliche Leib Christi und der Kirchen / in wem er bestehe?


43 Coloss. c. 1. v. 18.


44 ad Rom. c. 12 v. 4. & 5.


45 1. Cor. c. 12. v. 27.


46 Matth. c. 25. v. 40.


47 Die Glieder lieben und ehren das Haupt.


48 Die Glieder eines Leibs lieben / helffen und ehren einander.


49 1. Cor. c. 12. v. 25.


50 Joan. c. 15. v. 12.


Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738.
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