Der 1. Absatz.

Von dem Löwen.

[295] Rex Leo quadrupedum est, Aquila est Regina Volucrum.


Im Wald der starcke Löw regiert /

Im Lufft der Adler Scepter führt.


Also singt der Poet / und also schreibt der H. Hieronymus: Utì leo inter bestias, ita aquila inter aves regnum tenent:2 Dann der Löw ist das stärckiste und hertzhafftigste unter den vierfüßigen Thieren / ein Forcht und Schröcken der Menschen und Thier / wie die H. Schrifft selbst ausdrucklich bezeuget / sprechend: Leo fortissimus bestiarum, ad nullius pavebit occursum:3 Der Löw ist der mächtigste unter den Thieren / und verschrickt vor niemand. Und wiederum: Leo rugiet, quis non timebit?4 Wann der Löw brüllet / wer ist / der sich nicht förchten wird? dann er hat eine erschröckliche Stimm. Nichts förchtet der Löw / als das Feur / mit dem kan man ihn verjagen: und auch des Hahnen Krähen kan er nicht leiden.[295]

Der Löw befindet sich mehrentheils in dem hitzigen Welt-Theil Africa und anderen heissen Länderen /als Indien / Arabien / Syrien etc. dann er liebet die Wärme.5 In dem Tartarischen Reich soll es die schönste und gröste Löwen geben / und selbe zur Jagd der Hirschen und Wildschwein gebraucht werden. Er ist ein sehr großmüthiges / starckes / stoltz-und freches Thier / das keine Gefahr / keine Verletzung oder Wunden achtet / und wann er gejagt und verfolgt wird / da laufft er nicht / sondern geht nur /damit es nicht das Ansehen habe / als hätte er aus Forcht die Flucht genommen. Seine Leibs-Gestalt belangend / so ist der Löw einer ansehnlichen Statur /mittelmäßiger Grösse / gelb-braun- oder dunckelrother Farb: an dem Kopff und Halß hat er lange zottete / und etwas krause Haar / ist mit einem starcken Biß und Klauen bewaffnet / sein Schweiff (in dem er ein grosse Stärcke hat) ist so lang / daß er ihn auf dem Boden nachschleifft. Er ist mit einem scharpffen Gesicht und Geruch begabet / und schlafft mit offnen Augen / ja er hat keine Augen-Lider: gehet langsam und gravitätisch / und thut mit dem Schweiff seine Fußstapffen in dem Sand wiederum verstreuen / auf daß man nicht sehen möge / wo er hingegangen seye: doch wann er einem anderen Thier nachjaget / thut er wohl auch springen.

Die Löwen werden auf unterschiedliche Weiß gefangen / in Gruben gefällt / oder mit Feur-Facklen in Strick und Garn getrieben etc. Die Löwen thun dem Menschen keinen sonderlichen Schaden / wann sie nicht der Hunger oder Zorn darzu antreibet. Sie fressen kein todt-gelegnes Fleisch / sondern nur / was sie selber erjagt und getödtet haben: sie werden alt / und fressen vil auf einmahl / hernach aber fasten sie wiederum / biß die vorige Speiß verdäuet ist. Der Löw verschluckt die Speiß gantz hinunter / und was er das erstemahl überlaßt / berührt er nicht mehr / sondern hauchet es an mit einem so bösen stinckenden Athem / daß es verfaulet / und von keinem anderen Thier kan genossen werden.

Wann der Löw alt wird / da ist er grimmiger und gefährlicher als in der Jugend / und wann er dem Gewild in den Bergen nicht mehr nachjagen kan / da näheret er sich den Städten und Dörfferen / und greifft die Wandersleuth an; dann Graß oder Kräuter frißt er nicht wie andere Thier / ausgenommen wann er kranck ist / doch werden die alte und schwache Löwen auch von ihren Jungen gespeißt und ernähret /aus welchem ja die Kinder die Treu und Danckbarkeit gegen ihren alten Elteren lernen solten: Die Löwen werden alt / aber ihr Athem / die Biß und Krätz seynd sehr schädlich und gifftig / fast eben als wie eines wütigen Hunds.

Der Löw liebt seine Junge überaus starck / traget grosse Sorg für sie / und bedauret höchstens dero Schaden oder Untergang (wolte GOtt / daß auch die Christliche Elteren allzeit solche Lieb und Sorg gegen ihren Kinderen trugen / als wie der grimmige Löw gegen seinen Jungen!)6 Ælianus erzehlt / daß / als ein Beer in einer Löwen-Grub die Junge alleinig angetroffen hatte / tödtete er selbe / und frasse sie; alsdann machte er sich eilends darvon / und stiege auf einen hohen Baum / dem Zorn und der Rach der alten Löwen zu entgehen.7 Als nun die abwesende alte Löwen zu ihrer Grub zuruck kommen / und den Raub und Mord ihrer Jungen sehr schmertzlich empfunden haben / da giengen sie dem Thäter fleißig auf dem Gespuhr nach / und fanden ihn auch auf einem Baum sitzend: weilen sie aber ihm mit Klimmen nicht kunten zukommen / so ist die Löwin bey dem Baum nidergelegen / und hat Wacht gehalten / daß ihr der Beer nicht entrinne. Der Löw aber ist hin und wieder in dem Wald umgeloffen / und Hülff oder Mittel gesucht / sich an dem Beeren zu rächen: und als er einen Bauren mit der Axt angetroffen / hat er sich diesem zugenäheret / gantz freundlich geschmeichlet /[296] und durch deuten gleichsam eingeladen / er solle mit ihm gehen. Der Baur / obwohlen von Anfang erschrocken / hat es gewagt / und ist ihme nachgefolgt: der Löw aber hat ihn erstlich zu seiner Grub geführt / allwo die Junge zerrissen worden / hernach aber zu dem Baum / auf welchem der Thäter / der Beer gesessen / allda deutet er dem Bauren auf die Axt und auf den Baum / gleichsam bittend / er solle ihn umhauen / damit der Beer herab müsse: und so bald dieses geschehen / haben die 2. Löwen den herabgestürtzten Beeren angegriffen und zerrissen / und also den Mord ihrer Jungen gerochen. Worauf der Löw den Bauren wiederum durch die Wildnuß begleitet / und sicher an sein Orth gelieferet hat.

Wann dieses Thier verletzt oder beleidiget wird /so dencket es lang daran / und versaumt die Zeit oder Gelegenheit sich zu rächen nicht: wie es wohl erfahren hat ein gewisser Jüngling / der einen Löwen mit einem Pfeil verletzet hat / dieser aber nach einem gantzen Jahr den Jüngling unter einer grossen Menge Volck ersehen / gekennet und angegriffen hat. Weil man einen gewachsenen Löwen nicht schlagen darff /so schlaget man einen Hund in seiner Gegenwart /und macht ihn schreyend / oder eines seiner Jungen /und also jaget man ihm eine Forcht ein / und macht /daß er pariren thut.

Man sagt zwar von dem Löwen insgemein / daß er sich besänfftigen lasse und verschone / wann man sich vor ihm niederwirfft / weinet / oder mit Gebärden demüthiget (gewiß ist es / daß er den Weiberen mehr als den Männeren / den Kinderen aber gäntzlich verschonet) laut jenes Sprüchleins des Poeten:


Corpora magnanimo satis est prostrasse leoni:


Der Löw sein Wuth und Grimm inhalt /

Wann man vor ihm zur Erden fallt.


Doch ist diese Regul nicht so gar unfehlbar und allgemein / daß sich nicht auch das Widerspiel begeben habe / wie es mit seinem Schaden wohl erfahren hat jener Löwen-Meister in Holland / so lange Zeit mit einem zahmen Löwen gantz sicher / als wie mit einem Hauß-Hund umgegangen und umgezogen ist.8 Endlich aber / weiß nicht aus was Ursach / wurde der Löw erzürnet und ergrimmet / ergriffe seinen Meister / und warffe ihn zu Boden: und obwohl dieser voller Todts-Angst zitterend vor ihm dagelegen / und mit wehemüthigen Gebärden sich gedemüthiget / und gleichsam um Pardon gebetten hat / wolte sich doch der Löw nicht besänfftigen oder erweichen lassen /sondern liesse seine Augen wie feurige Pfeil auf ihn schiessen / er thate sein vorhin trutzige türmische Stirn noch mehr runtzlen und rumpfen / seinen Schweiff schwingen / die Mine aufrichten / und die Klauen herfür strecken / als wolte er ihn alle Augenblick zerreissen. Dieses armseelige Spectacul daurete eine lange Zeit: es warffen entzwischen die Zuschauende häuffiges Kalb- und Schaaf-Fleisch von der Höhe hinab dem Löwen zu / willens ihn zu besänfftigen / und des Menschens vergessend zu machen: aber alles umsonst / es schiene der Löw für dißmahl keinen anderen Appetit, als nach dem Menschen-Fleisch zu haben / also unbeweglich verblieb er in seinem grimmigen Anblick und Bedrohung. Endlich / weil kein anderes Mittel ware / den Löwen-Meister von dem Todt zu erlösen / befahle die Obrigkeit / man solle schnell mit der Kugel-Büchs einen starcken Schuß auf den Löwen thun / und ihn erlegen / ehe er den Menschen umbringe. Man hat es auch gethan: aber der Löw wolte nicht alleinig sterben / sondern seinen geweßten Meister im Todt zum Gefährten haben. Deßwegen in dem Augenblick / als er den Schuß empfangen hat / ergriffe und zerrisse er auch den Menschen /mit dessen Blut er das seinige vermischet hat.

Hingegen aber ist der Löw auch der Gutthaten / so ihm der Mensch erweiset (massen er in seinen Gepresten und Anligen bey dem Menschen Hülff zu suchen pflegt) fleißig ingedenck und[297] danckbar darfür.9 Androclus, ein Leibeigner zu Rom / wurde von seinem Herrn gar streng und unbarmhertzig gehalten / deßwegen er sich mit der Flucht darvon gemacht / und gleichwohl in die Wildnuß hinauß entloffen ist / allwo er wegen der Grösse der Forcht in eine Höle sich begeben hat / in welcher ein Löw wohnete / aber damahls abwesend war. Als dieser Löw zuruck kommen / und diesen Gast in seiner Herberg antraffe / thate er ihm kein Leyd / sondern zeigte und streckte ihm wehmüthig seinen Fuß oder Bratzen dar / an welchem er eben einen grossen Dorn eingetretten hatte / und Schmertzen litte / gleichsam bittend ihme zu helffen. Androclus zieht ihm den Dorn aus / und verbindet ihm gleichwohl die Wunden mit einem Fetzen von seinem Kleid / so gut er kunte. Welche Gutthat der wilde Löw so danckbarlich erkennet hat / daß er disen Menschen lange Zeit nicht nur unverletzt in seiner Höle bey ihm hat wohnen lassen / sondern auch mit seinem Raub / mit dem Fleisch der wilden Thieren gespeiset und ernähret hat.

Nun wurde nach 3. Jahren dieser Mensch der Wildnuß überdrüßig / und begab sich wiederum gegen der Stadt Rom hinauß: er wurde aber von seinem alten Herrn ertappet / und zur Straff / daß er ihm entflohen /auf den offentlichen Schauplatz gelieferet / allwo er nach Gewohnheit derselbigen Zeit mit den wilden Thieren kämpffen / oder von ihnen zerrissen werden solte. Es ist aber inzwischen auch der obgemeldte Löw gefangen / und in das Their-Hauß nacher Rom gebracht worden / und eben dieser ist in Gegenwart einer grossen Menge des zuschauenden Volcks / auf dem Kampff-Platz wider den Androclum geführt und angehetzt worden. Dieser lieffe zwar grimmig auf ihn zu / und wolte ihn zerreissen: aber so bald er ihn in der Nähe gesehen und gerochen hat / erkennete er /daß dieses sein alter Gutthäter seye / der ihm einstens in der Wildnuß den Dorn aus dem Fuß gezogen hatte / da legte er augenblicklich allen Wuth und Grimmen ab / leckte ihm Händ und Füß / als wie ein zahmes Hündlein: und als das Volck dieses mit grosser Verwunderung gesehen / und die Ursach dessen vernommen hatte / da erhube sich ein allgemeines Freuden-Geschrey / es wurde dem leibeignen Androclo, wie auch dem Löwen zugleich mit einander die Freyheit ertheilet. Aus welcher Begebenheit die Menschen sich theils zu schämen haben / daß sie zu Zeiten grausamer seynd / als die wilde Thier / theils aber den schuldigen Danck und Erkanntlichkeit für die empfangene Gutthaten zu erlernen haben.

Dem H. Abbt Gerasimo hat auch ein Löw / dem er einen Dorn aus dem Fuß gezogen / in seinem Closter für einen Esel gedienet / und Wasser getragen.

In sittlichem Verstand kan Christus mit einem Löwen verglichen werden / was dessen löbliche Eigenschafften anbelangt; dann von ihm ist gesagt wor den: Ecce vicit Leo de tribu Juda: Sihe / es hat überwunden der Löw von dem Geschlecht Juda.10 Gleichwie der Löw das stärckiste und hertzhafftiste / ja ein König unter allen Thieren ist / keinen Feind / keine Gefahr noch Wunden förchtet / auch für seine Junge streitet biß in den Tod / also ist Christus ein König und HErr aller Menschen / Rex Regum, & Dominus Dominantium, der sich freywillig in den Streit begeben hat / seinen Feinden / den Juden an dem Oelberg gantz unerschrocken entgegen gegangen ist / sprechend: Wen suchet ihr? und fast unzahlbare Wunden für das Heyl der Menschen williglich empfangen /ja den Todt selber ausgestanden hat: Hingegen ihn sollen alle Menschen förchten / als wie den Löwen alle Thier / wie geschrieben stehet: Domine DEus omnipotens Rex sæculorum, quis non timebit te?11 HErr allmächtiger GOtt / du König der Heiligen /gerecht seynd deine Werck / wer soll dich nicht förchten?

Der Löw ist gar hitziger Natur / und befindet sich nur in hitzigen Länderen:[298] Er schlafft wenig / und mit offen Augen: wann er verletzt oder beleidiget wird /da strafft er zwar seinen Beleidiger / doch nicht mehr als ihn nothwendig geduncket / er laßt sich besänfftigen und vergnügen mit dem / daß er seinen Gegner zur Erden demüthige und erschröcke. Unser sittliche Löw Christus ist nicht nur hitzig / sondern selbst ein lauteres Feur / ignis consumens, und haltet sich mit seiner Gnad am liebsten auf in den hitzigen / und mit der Liebe GOttes entzündeten Hertzen: Er thut auch weder schlaffen noch schlummeren / non dormitabit neque dormiet, sondern oculi ejus semper sunt aperti: die Augen seiner Allwissenheit stehen allzeit offen / und das Ubel straffet er zwar / doch will er nicht den Todt des Sünders / sondern vilmehr / daß er sich bekehre und lebe: Ein bereutes und demüthiges Hertz wird er nicht verachten.12

Wann der Löw hungerig ist / da begibt er sich auf einen Berg / schauet und trachtet seinem Raub / dem Gewild nach / und wann er selben ersihet / da brüllet er gewaltig / und erschröckt die andere Thier dermassen / daß sie gantz entseelet und verstaunend dastehen / vor Forcht nicht wissend / was sie thun oder wo sie hin sollen: alsdann fangt und verzehrt er sie. Doch ist er auch freygebig / er verzehrt seinen Raub nicht allein / sondern theilt auch anderen Thieren mit. Auch der sittliche Löw Christus / als es ihn so starck nach dem Heil der Seelen gehungeret / da hat er sich in die Hohe auf den Calvari-Berg begeben / er ist an das Creutz gestiegen / und hat die sündige Menschen betrachtet / und als seinem bestimmten Raub clamore valido, mit einem starcken Geschrey einen heilsamen Schröcken eingejagt / und also das Hertz berührt /daß ihrer vil gestanden seynd in dem Lauff der Sünd und Laster / und sich diesem unüberwindlichen Löwen gäntzlich ergeben haben: mithin hat er sie gefangen geführt in vinculis Charitatis, in den Banden der Liebe / nicht zu dem Todt oder Verderben / sondern zu dem Heil und dem Leben: dann er ist gleich jenem Löwen / in dessen Maul der Samson das Honig gefunden hat: ex forti dulcedo,13 lauter Lieb und Süßigkeit. Es hat auch dieser gütige und sanfftmüthige Löw den Honig-Fladen seiner Glori und Glückseeligkeit nicht allein geessen / Buccellam gloriæ non comedi solus: sondern zu erst seinen Apostlen / hernach allen / die sich dessen fähig gemacht / getreulich und reichlich mitgetheilt. Wie man sagt / wann der junge Löw zur Welt gebohren wird / da liegt er 3. Tag lang als todt da / gantz unbeweglich und ohne Sinn: aber am dritten Tag thut ihn der alte Löw mit einem so hefftigen Geschrey / von dem gleichsam die Höhle erzitteret / aufwecken / und erst recht lebendig machen. Auch Christus ist dem Leib nach in die 3. Tag lang wahrhafftig todt in dem Grab da gelegen: aber am dritten Tag hat ihn sein himmlischer Vatter von den Todten auferwecket / und das vollkommne Leben der Glori ertheilt / mit einem so hefftigen Gewalt und Thon / daß die Höhle / das Grab darvon erbedmet oder gezitteret hat. Terræ motus sactus est magnus:14 es ward ein grosser Erdbedem.

Jener obgemeldte Löw hat es seinem Gutthäter / so ihme einen Dorn aus dem Fuß gezogen / getreulich vergolten / und deßwegen beym Leben erhalten: aber noch vil reichlicher wird es uns mit dem ewigen Leben vergelten und belohnen der sittliche Löw Christus / wann wir ihm durch andächtige Betrachtung und danckbares Mitleiden die Dörner aus dem Haupt / und die Nägel aus den Händ- und Füssen ziehen /mit welchen er wegen unseren Sünden ist durchstochen worden.

Man schreibt / das Blut von dem Löwen gedörret und zum Pulver gemacht / heile den Krebs / wann mans darauf streuet: das Schmaltz oder die Fette von dem Löwen mit Rosen-Wasser gemischt und angestrichen / vertreibe die Fleck und Mackel in dem Angesicht / und seye ein kräfftiges Mittel wider die gifftige Schlangen-Biß etc.15 Auch seine Gall mache helle Augen / und etwas darvon eingenommen / seye[299] gut für die hinfallende Kranckheit und das 4tägige Fieber. Noch vil grössere Krafft hat das Blut des sittlichen Löwens / der Christus ist / dann es waschet ab das Angesicht der Seelen / und reiniget sie von den Macklen der Sünden / es erleuchtet die Augen des Verstands / und ist sehr kräfftig wider die tödtliche Biß der höllischen Schlangen. Auch die Gall dieses Löwen / das ist / die Straff und Bedrohung ist ein Mittel für das Hinfallen oder Wiederfallen in die vorige Sünd und Laster / und wider das Fieber des Geitzes / der Hoffart / der Geilheit etc.

Aber die Löwin ist von Natur ein geiles Thier / sie vergnügt sich nicht mit dem Löwen / sondern vermischet sich zu Zeiten mit dem Panterthier: wann aber der Löw aus dem Geruch diese Untreu und gleichsam begangnen Ehebruch der Löwin vermercket / da erzürnet er sich hefftig / und thut sich gewaltig an ihr rächen.16

Durch die Löwin wird angedeutet ein Christliche Seel / die an ihrem himmlischen Bräutigam / mit dem sie in dem H. Tauff ist vermählet worden / untreu wird / und einen geistlichen Ehebruch begehet / so offt sie mit dem bösen Feind zu thun hat / und sich mit ihm durch die Sünd vermischt / über welche grosse Untreu sich der Löw von dem Geschlecht Juda /der himmlische Bräutigam billich erzürnet / und selbe mit dem ewigen Todt straffet. Aber die Löwin / wann sie sich wegen begangner Untreu schuldig weißt / befleißt sich dem Zorn und der Straff des Löwens vorzukommen / und schaut / daß sie sich alsobald in frischem Wasser baden oder waschen thue / alsdann vermerckt es der Löw nicht / was sie gethan hat / und sie bleibt ungestrafft. Also soll es auch ein sündige Seel machen / nach begangener Missethat und verübter Untreu gegen ihrem himmlischen Bräutigam / soll sie sich alsobald waschen und reinigen in dem Heil-Bad der Buß / der reumüthigen Buß-Zäher / so wird er ihr verzeyhen / und ihr die Schuld nachlassen / gemäß dem Versprechen: Wann sich der Ungerechte von seinen Sünden bekehrt / und thut Buß / so will ich seiner Sünden allesamt / die er begangen hat /nicht mehr gedencken etc.17 Derowegen heißt es da: lavamini, mundi estote:18 Waschet euch / seyd rein etc.

Noch von einem grimmig- und grausamen Löwen sagt uns der Heil. Apostel Petrus / vor welchem wir uns fleissig hüten sollen / und dieser ist der höllische Feind / welcher die böse Eigenschafften eines grausamen Löwens an ihm hat / und herum gehet wie ein brüllender Löw / suchend wen er verschlinde.19 Diesem sollen wir starcken Widerstand thun / aber wie? In fide, sagt der Apostel-Fürst / in dem Glauben: aber nicht nur in einem lauen todten / sondern lebhafften eyfrigen / ja feurigen Glauben / der mit dem Feur der Liebe GOttes entzündet ist; dann dieses Feur der Lieb förchtet der höllische Löw gewaltig: und auch das Krähen des Hahnens / das ist / die Nüchtere und Wachtbarkeit. Darum ermahnet uns der Apostel: Sobrii estote, & vigilate: Seyd nüchter / wachet etc. Wiederum durch das Hahnen-Geschrey / das ist /durch ein andächtiges Morgen-Gebett wird der höllische Löw von uns verjagt und abgehalten.

In sensu politico, in politischem Verstand sollen Löwen seyn (die gute Eigenschafften betreffend) die König und Fürsten / alle Regenten / Richter und Obere / ja alle gerechte und rechtschaffne Männer.20 Sie sollen starck und großmüthig seyn in Ubertragung der Beschwerden / und Verrichtung ihrer Geschäfften / die sich bey hohen Ampts-Verwaltungen ereignen /keines wegs ihnen einbildend / als wären sie über andere erhoben und zu Ehren gesetzt / daß sie nur ihrer Kommlichkeit pflegen / dem Müßiggang und Wohlleben sich ergeben / und nicht vilmehr auf das Beste der Unterthanen / und auf den gemeinen Nutzen beflissen seyen.

Hertzhafft und unerschrocken sollen sie seyn in Uberwindung der Gefahren / in Bestreitung der Feinden / in Beschützung des Vatterlands / in[300] Handhabung der Unschuld und Gerechtigkeit / worvon sie sich durch keine Forcht / durch keinen menschlichen Respect oder eignes Interesse sollen abhalten oder abschröcken lassen. Doch sollen sie das Feur förchten als wie der Löw / ich verstehe das höllische Feur und das Zorn Feur GOttes. Wie auch das Krähen des Hahnens / ich verstehe die Straff-Wort und Ermahnungen der Prediger und Beichtvätter sollen sie respectiren /auf daß sie sich nicht übernemmen / und keine Ungerechtigkeit begehen. Dann obwohlen es heißt: Justus quasi leo confidens absque terrore erit:21 Der Gerechte ist getröst und sicher ohne Forcht. So stehet doch auch geschrieben: Beatus vir, qui timet Dominum, in mandatis ejus volet nimis:22 Seelig ist der Mensch / der den HErrn förchtet / er wird grossen Lust haben an seinen Gebotten.

Der Löw ist nicht so grimmig / daß er sich nicht auch besänfftigen lasse / wann er schon ist beleidiget worden / so vergnügt er sich gleichwohl / wann er nur seinen Beleidiger vor sich auf der Erden gedemüthiget und ihne förchten sihet: absonderlich thut er schwachen Weibsbilderen und jungen Kinderen verschonen / ja solche selbsten wider andere wilde Thier beschützen / und denen / die ihm einen Dienst oder Gutthat erwiesen haben / thut er sich sehr günstig und danckbar erzeigen. Auch die grosse Herrn Vorsteher und Regenten sollen sich erweichen und besänfftigen lassen / wann die Delinquenten oder Ubelthäter ihre Schuld genugsam erkennen / bereuen und abbitten /mit Versicherung einer ernstlichen Besserung.


Parcere subjectis, & debellare superbos.


Ist ein recht Königlich- und Fürstliche Tugend.

Schonen dem der sich thut ducken /

Stoltzen Hochmuth unterdrucken.


Absonderlich sollen sie sich günstig und mitleidig erweisen gegen den Schwachen und Bedrangten / die ihnen selbst nicht helffen können / die Wittwen und Waisen sollen sie beschützen wider den Gewalt der Mächtigen / welche sie oder das Ihrige unbillicher Weiß anfechten / und ihnen die Gerechtigkeit schleunig lassen angedeyen. Ferners denen getreuen Beamten / Kriegs-Leuthen / Bedienten / Künstler und Handwercksleuthen sollen sie ihren gebührenden Lohn und Besoldung ohne Aufschub und Hinterhalt fleißig entrichten / und denen bedürfftige arme Unterthanen von ihrem Reichthum und Uberfluß mittheilen / und etwas geniessen lassen / gleichwie der Löw /wann er satt ist / auch anderen Thieren von seinem Raub mittheilet. Wann sie aber dieses und dergleichen nicht thun / wann sie unerbittlich und unbarmhertzig seynd / wann sie hochmüthig und geitzig / die Arme verachten / die Unterthanen unbillich pressen und beschwehren etc. so seynd sie ärger und grimmiger als die Löwen.

Der Löw thut zwar öffters die andere Thier mit seiner gewaltigen Stimm erschröcken / aber darum nicht allzeit beissen und reissen: auch der Himmel pflegt offt und lang zu donneren / aber nicht gleich einzuschlagen: also auch ein geistlich- und weltliche Obrigkeit mag wohl zum öffteren mit ernstlichen Drohworten den Untergebnen ein heilsame Forcht einjagen / sie im Zaum und in den Schrancken der Gebühr zu halten / aber sie soll nicht zu offt und zu gäh zu der würcklichen Straff greiffen nach dem Exempel des höchsten Richters und Regenten / nemlich GOttes /von welchem David der sanfftmüthige König und kluge Regent in Israel gesprochen hat: Dedisti metuentibus te significationem, ut fugiant à facie arcûs:23 Er deutet an denen die ihn förchten /damit sie fliehen vor seinem Pfeil und Bogen / dardurch klärlich anzuzeigen / daß er niemand zu verletzen / sondern nur die Schuldige zu verbesseren begehre. Es solle nemlich an dem Schiff des gemeinen Weesens die Strengheit und Güte / die Forcht und Liebe zugleich das Steur-Ruder führen / auf daß nicht die allzugrosse Güte den Weg zu der schädlichen Freyheit und[301] den Lasteren bahne / noch die allzugrosse Strengheit die Unterthanen zur Aufruhr und in die Verzweifflung bringe.

Der Löw / wie gemeldet worden / schlaffet selten oder wenig / und zwar mit offnen Augen / und deßwegen wird er auch schlaffend von den anderen Thieren geforchten / welche ihm deßwegen nicht trauen / weil sie nicht wissen / ob er schlaffe oder wache. Eben also sollen es auch die politische Löwen / die Fürsten / Richter und Regenten machen / sie sollen nicht offt und lang schlaffen / das ist / nicht zu vil der Ruhe pflegen und sich ergötzen: und wann sie auch ruhen oder sich erlustigen / da sollen sie gleichwohl ein offnes oder wachtbares Aug haben / die Geschäfft und Obsorg nicht gäntzlich auf die Seiten legen / und ausser Acht lassen / auf daß nicht ihre Feind oder untreue und hinläßige Uuterthanen Zeit finden und Gelegenheit nemmen / ihre böse Anschläg und Vorhaben auszuführen / sondern allzeit ihnen förchten müssen /daß / wann sie unrecht thun / erdappet und zur Straff gezogen werden.

Aber es gibt leyder vil böse Regenten / ungerechte Richter und Wucherer / die weder die Hertzhafftigkeit / Stärcke oder Wachtsamkeit / wohl aber die Grausamkeit eines zornigen oder hungerigen Löwens haben / und also Blut- oder Geld-gierig seynd / daß sie alles angreiffen / und niemand verschonen sie.24 Der Löw ist ein so gefrässiges Thier / daß er die Speiß gar nicht verkäuet / sondern gantz hinunter schlucket: er frisset auch auf einmal so vil / daß er gantz schwermüthig wird / und darauf etliche Täg lang fasten muß. Wann er aber von den Jägeren verfolgt wird / alsdann / damit er desto besser entlauffen möge / wann er ihnen aus dem Gesicht ist (dann sonsten / wie schon gemeldet worden / nimmt er kein eilfertige Flucht) da wirfft er die überflüßige Speiß wiederum aus / oder zieht sie mit den Bratzen aus dem Rachen herauß / nemlich das Fleisch von den Thieren / die er erwürget und gefressen hat: wann ihm der Hunger aber wieder kommt / da frißt ers von neuem hinein.

Eben also machen es die ungerechte Richter /Geitzhälß und Wucherer / welche sehr Geld-hungerig und begierig zum Rauben seynd: sie verschlucken und verzehren die Substanz, das Haab und Gut der Armen und Einfältigen / ohne Verkäuen / das ist / ohne Bedencken / ohne Gewissen / mit was Fug und Recht /oder wie sie es verantworten werden. Sie füllen den Bauch ihrer Häuser an mit frembdem Gut / als wie der Löw seine Grub mit dem Raub / von dem er auch seine Junge ersättiget und rauben lehret: also thun diese mit dem ungerechten Gut ihre Weib und Kinder reichlich ernähren und stattlich halten / mithin auch die Leuth betrugen und schinden lehren. Wann sie aber von frembdem Gut feißt worden / und folgends in dem Gewissen sich beschweret befinden / alsdann halten sie zu Zeiten ein wenig ein / und wann die Jäger ihnen nachsetzen / ich will sagen / wann ein schwere Kranckheit an sie kommt / wann der Todt herbey nahet / und der Beichtvatter ihnen zuspricht /da speyen diese Löwen etwan mehrers aus Forcht als wahrer Reu / etwas von dem Raub durch die Beicht und Heimstellung des ungerechten Guts herauß: aber wann sie der Todts-Gefahr wieder entrunnen / oder aufkommen / und der Geld-Hunger / der Geitz auf ein neues ankommt / da schlucken sie es wieder hinein: mithin geben sie (als wie ein Löw / wann er sich voll angefressen hat) einen sehr übelstinckenden und vergifften Athem von sich / das ist / sie haben einen üblen Ruff / und geben Aergernuß / und verursachen vil Unmuth und Fluchens bey denen / die sie beraubt und betrogen haben.

Der Löw macht nicht nur ein grosses Geschrey /sondern hat auch eine grosse Stärcke / und deßwegen förchtet man ihn schon / so bald er sich nur hören lasset: Ein anderes ist es mit dem Esel / bey deme nichts als ein läres Geschrey ist.25 Als einstens der[302] Löw den Esel liesse mit ihm spazieren gehen / da bildete ihm dieser nicht wenig ein: und deßwegen / als er von fern ein gantze Schaar Wölff beysammen gesehen / da fieng er überlaut an zu schreyen / und vermeinte / die Wölff sollen ab ihm erschröcken und darvon lauffen /das hätte ihm gefallen: aber nichts wenigers ist geschehen. Die Wölff stunden alle still / sie lachten ihn aus / und sprachen: Der gute Langohr hat zwar ein grosses Maul / aber ein kleines Hertz / lange Ohren /und einen kurtzen Verstand. Hingegen / so bald sie den Löwen nur erblicket haben / obwohlen er kein Maul aufgethan / da seynd sie ab ihm erschrocken /und alle eilends darvon geflohen. Dieses verdrosse den Esel / und er klagte dem Löwen seinen von den Wölffen erlittenen Schimpff: der Löw aber gabe ihm gar weißlich zur Antwort: Es heißt eben bey dir: vana sine viribus ira, mit leerem Thon / jagst keinen darvon. Du machst vil Geschrey / sonst nichts darbey /dann was ist das Geschrey anders / als ein ausgestoßner Thon aus einer leeren Brust / welcher um so vil stärcker ist / je leerer die Brust ist. Demnach sollest du wissen / daß / wer vil Geschrey macht / von den Weisen nicht hoch geachtet / noch weniger geforchten wird / sondern vilmehr verachtet: dann / weil ein solcher Schreyer gantz windig und leer ist / so wissen sie wohl / daß wenig Krafft in ihm stecke. Auch ein Soldat achtet nicht den Schall der Paucken und Trompeten des feindlichen Heers / auch nicht den Knall des Pulvers / wohl aber die Kuglen / Schwerdt und Degen. Nachdem der Löw dieses geredet hatte / giengen sie weiters fort / und kamen zu einem Sumpff oder Wasser-Teich / worinnen vil Frösch verborgen waren / die ein grosses Geschrey machten. Der Esel erschrack darüber / er spitzte die Ohren ein halbe Elen lang über den Kopff aus / und vermeinte / es seyen lauter grosse Thier: Der Löw aber lachte darzu /daß der Esel ein solche Lettfeigen / und das Quagzen der Fröschen fürchtete / da doch die Wölff sein Geschrey nicht geforchten haben; und als einige Frösch herauß hupfften / hebte er gemächlich den Fuß auf /und zertratte sie. Alsdann wendete er sich wieder zu dem Esel / und sprach: So lerne dann endlich / du tummes Hirn / daß man sich von der leeren Stimm oder blossen Worten nicht soll schröcken lassen /noch auch mit der Stimm oder Worten sich proglen oder prahlen / sondern vilmehr das Werck erwarten /und in der That / was man vermöge / zeigen.

Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738, S. 295-303.
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