Der 4. Absatz.

Von dem Beeren und Wildschwein.

[312] Der Beer ist ein grosses / starck- und zorniges Thier /hält sich gern in grossen dicken Wälderen auf / auch hin und wieder in Teutschland / als Böhmen / Steurmarckt und Schweitzer-Gebürgen etc. die meiste und gröste aber gibt es in Pohlen und Moscau etc. deren einige wohl 12. oder 15. Schuhe lang seyn sollen.45 Dem Kayser Maximiliano solle einstens eine Beeren-Haut præsentirt worden seyn / die wohl 20. Schuhe lang gewesen / und in der Breite die gröste Ochsen-Haut übertroffen habe. Sonsten aber seynd die / so insgemein bey uns gesehen werden / nicht halb so groß. Der Beer hat am gantzen Leib lauter zottende Haar / braun oder schwartz an der Farb / an gewissen Orten auch weisse. Sie fressen alles / was sie zur Nahrung bekommen / absonderlich seynd sie dem Hönig gefähr / welches ihnen auch über ein verdeckte Grub gesetzt wird / wann mans fangen will: Wann sie hungerig seynd / greiffen sie Menschen und Vieh an: ihre Stärcke haben sie im Drucken / indem sie ein Thier oder Menschen umbfangen und also drucken /daß ihm die Seel ausgehet / doch können sie auch durch Schläg und Hunger zahm gemacht und abgerichtet werden. Die Beeren seynd einer gar kalten und flüßigen Natur: Sie richten sich zu Zeiten gantz auf /und gehen auf den hinteren Füssen allein: sie haben starcke Klauen und Zähn / kurtze Ohren und Schweiff. Wann sie gebohren werden / gemeiniglich 4. oder 5. miteinander / seynd sie nicht nur blind /sondern schier ein lauteres unförmliches Stuck Fleisch (sie ligen nur 30. Tag in Mutterleib) also daß man kein Glied / weder Kopff noch Fuß etc. recht an ihnen erkennen oder unterscheiden kan / biß daß durch lang-und vieles Lecken der Alten / vermittelst der Zungen ihr Leib besser gestaltet wird / und sie an der Brust der Mutter gleichsam erst recht ausgebrutet werden /Der Beer hat einen schwachen Kopff und langen Rüssel / schier wie ein Schwein / ein brummlende Stimm / kurtzen Halß und blöde Augen. Ihre Bratzen seynd den Händen der Menschen nicht gar ungleich / massen sie gleichsam in 5. Finger gespalten seynd. Wann der Beer von einem verwundet wird / geht er gleich auf ihne loß / so bald aber ein anderer ihme eins versetzt / da verlaßt er den ersten / und setzt dem anderen nach: Er steigt auch auf die Bäum / das Obs oder Honig / so die Immen offt in den hohlen Bäumen anlegen / zu erhaschen / oder an seinem Feind sich zu rächen / wann er dahin geflohen ist: den Schaafställen und dem Vieh auf der Wald in den Alpen seynd die Beeren gar gefähr.

Es haben die Beeren vil schlimme und tadelhaffte Eigenschafften an ihnen / die mit unterschiedlichen bösen Sitten und Lasteren der Menschen[312] mögen verglichen werden.46 Dann erstlich ihre Geburt belangend / gleichwie der Beer / wann er auf die Welt kommt / nichts als ein unförmliches Stuck Fleisch seyn / und noch keinem Beeren gleich sehen solle /und auch absonderlich / wann er noch jung / schandlich / plump und dölpelhafft ist / also ist an einem neugebohrnen Kind in seinen Sitten noch nichts menschliches zu sehen / es thut nichts / kan nichts /weißt nichts / und verstehet nichts / sondern es muß erst vermittelst der Zeit / viler Mühe und Fleiß von den Elteren und Lehrmeisteren in allem unterwiesen werden / es kan ihm selber nicht helffen und nicht rathen / ist auch in der Kindheit gantz unflätig und ungeschickt etc. deßwegen sagt der weise Sprach: Lehre deinen Sohn / und biege seinen Halß in der Jugend etc.47

Wiederum / gleichwie der Beer / wann er beschädiget worden / gleich Rach suchet / also ein zorniger Mensch / wann er beleidiget wird / will er sich gleich rächen: Er bemühet sich auf die Bäum oder in die Höhe zu steigen / das ist / zu Würden und Ehren zu gelangen / theils damit er / wie der Beer / das Honig /die Süßigkeit der Ehren und Wollüsten geniessen möge / theils ihren Gegneren überlegen zu seyn / und sich an ihnen rächen zu können.

Ferners / die Beeren zeugen ihre Junge von Anfang des Winters / und alsdann verbergen sie sich vor allen anderen Thieren: ihre Grub oder Höhle aber bedecken sie mit Laub von Baum-Aesten / also daß kein Regen zukommen kan: alsdann werden sie eine lange Zeit mit einem so tieffen Schlaff überfallen / daß man sie auch mit Schlägen nicht aufwecken kan (ja die mehriste Zeit des Winters bringen sie mit Schlaffen zu) und werden faißt darbey / dann sie seynd mit überflüßiger Feuchtigkeit wegen des vorhergangnen Frasses erfüllt / die sie im Winter nach und nach verzehren.

Also machen es auch die den fleischlichen Wollüsten nachgehen / die Ehebrecher / und die / so Hurerey treiben / sie verbergen sich vor den Leuthen / und suchen finstere Schlupffwinckel / Irr-Gruben oder Höhle / ich verstehe / ihre Hertzen decken und vermachen /sie mit grünem Laub und Kräuteren / das ist / sie überschüttens und überhäuffens mit Wollüsten und sinnlichen Ergötzlichkeiten / also daß kein heilsamer Regen oder himmlisches Thau der Göttlichen Gnaden bey ihnen eindringen kan. Da schlaffen sie so tieff ein in dem Schlaff der Sünden und Unempfindlichkeit zu allem Guten / daß sie auch von Streichen nicht erwachen / das ist / weder durch die Göttliche Bedrohungen / weder durch das Zusprechen der Prediger und Beichtvätter / noch durch den Untergang und das Verderben anderer Sünder erwachen / und von ihrem verdammlichen Sünden-Schlaff aufstehen / das ist / zur Buß und Besserung gebracht werden. Ja wann die Beeren schon wachen / so sehen sie doch nicht vil /sie haben blöde Augen / weilen ihr Kopff voller Flüß und Feuchtigkeiten ist. Eben also die den fleischlichen Wollüsten ergeben seynd / sehen gar nicht wohl / nemlich die grosse Gefahr ihrer Seelen / die Häßlichkeit der Sünd / die Schwere der Straff etc. sie haben gar blöde Augen / das ist / einen gar schwachen Verstand / weil ihr Sinn voll böser Feuchtigkeiten oder Eitelkeiten ist.

Wann der Beer sich überfressen und den Magen beschwehret hat / da legt er sich auf den Weeg / wo die Ameisen häuffig hin und wieder lauffen / strecket seine vom süssen Käder feuchte schleimige Zungen aus / und stellt sich / als wann er todt seye: da lauffen die Ameisen hinzu / hängen sich häuffig an seiner Zungen an / und suchen ihre Nahrung: aber wann die Zung voller Ameisen / und mit selben gleichsam dick angesäet ist / da zieht der Beer die Zung gählingen an sich / und verschluckt sie alle auf einmahl / dann sie taugen ihm für eine Artzney / und raumen ihm den Magen aus: dann obwohl der Beer plump und dölpelhafft ist / so ist er doch tückisch oder listig / und versetzt dem Menschen oder Thier gähling[313] eins / wo er sich dessen am wenigsten versiehet.

Also machen es auch die mächtige reiche Geitzhälß und Wucherer / sie stellen sich gantz ruhig und friedlich.48 Sie strecken ihre schlipfferige Zungen aus /das ist / sie geben gute Wort den Schwachen / Einfältig- und Arbeitsamen / welche durch die Ameisen zu verstehen seynd / biß sie sich bey ihnen versammlen und anhängig machen / in Hoffnung / von ihrem Uberfluß und Reichthum etwas zu geniessen: aber es geschieht da gerad das Widerspihl / die verstellte Beeren / die Mächtige / Reiche und Geitzige verschlucken die kleine und schwache Ameisen mit Haut und Haar / das ist / sie bringen sie um ihr Haab und Gut.

Man sagt / es greiffen die Beeren keinen Todten-Cörper an (ausser wann sie selbst allererst einen Menschen umgebracht haben) deßwegen soll man sich nur geschwind auf den Boden niderlegen und todt stellen /auf alle Weiß verhütend / daß man sich nicht rühre /und keinen Athem von sich lasse / wann man in Gefahr ist von einem Beeren angegriffen zu werden. Es hat es einer also gemacht / den Athem best-möglich verhebt / und sich nicht gerührt: der Beer ist kommen / und hat ihn fleißig visitirt / ob er nicht lebe / er hat an ihm geschmecket / und ihn hin und wieder gekehret: und als er kein Lebens-Zeichen an ihm gefunden /da hat er ihn unverletzt gelassen / und ist wiederum abgezogen. Dessen Reiß-Gespan aber hat sich gleich Anfangs / da er die Gefahr vermerckte / in Eil mit der Flucht darvon gemacht / diesen seinen Cameraden allein in dem Stich gelassen. Als aber die Gefahr vorbey ware / und sie wieder zusammen kommen / fragte er den anderen / was ihm doch der Beer so heimlich in das Ohr gesagt habe? Er hat mir gesagt / antwortete dieser / ich soll mein Lebtag keinem falschen Freund mehr trauen / wie du einer bist / dann zur Zeit der Gefahr gehen sie durch / und lassen ein alleinig in dem Stich.

Die Beeren / sage ich / greiffen die Todte nicht an: die Geitzhälß aber verschonen auch den Todten nicht / sie ziehen mit Gewalt und Unrecht ihre hinterlassene Güter an sich / sie stossen um die pia Legata, und berauben die rechtmäßige Successores ihres Erbtheils etc. und also seynd sie dißfalls ärger als die Beeren.

Endlichen / gleichwie die Beeren nicht nur den Immen das Hönig stehlen / welches sie von den Blumen und Kräuteren mühesam gesammlet haben / sondern auch die Immen-Körb selbst zerreissen / also stehlen die ungerechte Geitzhälß / wann sie mächtig genug seynd / zu Zeiten den Ordens-Geistlichen / welche durch die Immen zu verstehen seynd / nicht nur das Hönig / das ist / die zeitliche Mittel und Einkünfften ab / die sie von der Freygebigkeit ihrer Stiffter und Gutthäter eingebracht haben / sondern sie greiffen auch die Immen-Körb / das ist / die ligende Güter /Clöster und Mayerhöff selber an / sie zerreissen und verstöhren diese Immen-Körb durch unbefugte und gewaltsame An- und Eingriff dero Rechten und Eigenthum / durch Umstossung der gemachten Contract und Verglichen / durch allerhand untüchtige Prætext und Vorwänd etc. O wie wurde der Socrates nicht lachen / wann er jetziger Zeit solte von Todten auferstehen: dann als er einstens gefragt wurde / was er also lache / da gab er zur Antwort: Video magnos latrones ducentes parvum latronem ad suspendium:49 Es kame ihm so närrisch vor / daß die grosse Dieb die kleine hencken lassen. Hingegen hat es Plinius schmertzlich bedauret / da er gesehen hat / wie die müßige Wespen den arbeitsamen Immlein das Honig wegfressen / das für sie nicht ist gemacht worden. Der H. Basilius aber klagt und sagt: ut feræ mutuo laniatu vivunt, ita quisquis potentior malo inferioris ditescit & crescit: der Mächtigere wird reich und faißt durch den Schaden des Schwächeren. Und das ist ein so alter Brauch / daß schon der Prophet Almos darüber lamentirt hat / sprechend: Nescierunt facere rectum, thesaurizantes iniquitatem & rapinas in ædibus[314] suis:50 Sie haben nicht gewußt recht zu thun / sie häuffen in ihren Häuseren Ungerechtigkeit und Raub.

Wil milder und mitleidiger als dise / hat sich ein Beer gegen dem Hertzogen Reinhard von Lotharingen erwisen / dann als dieser um das Jahr 1476. von dem Hertzogen Carl aus Burgund zum zweytenmahl aus seinem Land vertrieben wurde / und kein zulängliche Hülff wußte / ihm genugsam Widerstand zu thun / da kame dieser vertriebne Fürst nacher Bern in die Schweitz / und nahm zu diesem mächtigen Canton seine Zuflucht / Hülffs-Völcker von ihm zu erhalten /durch welche er wiederum in sein Land möchte eingesetzt werden: Und als er auf die bestimmte Zeit vor dem gesamten Rath / seine Angelegenheit vorzutragen / auf das Rathhauß sich begabe / da folgte ihm ein zahmer Beer / welcher frey in der Stadt herum zu gehen pflegte / auf dem Fuß nach biß in die Rath-Stuben / stellte sich dem bedrangten Hertzog an die Seiten / und indem dieser sein antringende Noth wehemüthig klagte / und inständig um Hülffs-Völcker anhielte / da setzte sich der Beer auf die hintere Füß nieder / und hube die vordere Datzen auf / nicht anderst als wie ein Mensch / der in grosser Noth um eine Hülff oder Gnad bittet.51 Aus diesem nahme der Hertzog Gelegenheit seine Bitt zu treiben und fortzusetzen / sprechend: Nun sehet ihr Herren / daß auch dieses unvernünfftige Thier sich über mein Unglück erbarmet und für mich bittet / nun werden hoffentlich eure Hertzen nicht härter seyn / sondern auch sich meiner erbarmen / und mir Hülff leisten. Es ist auch geschehen / sie haben ihm willfahret / und die nothwendige Kriegs-Völcker angeschafft. Es wolte sich der Hertzog deßwegen auch gegen dem Beeren / der ihm so trefflich an die Hand gegangen ist / danckbar erzeigen / und hat ein Stifftung gemacht / oder ein Capital angelegt / aus dessen jährlichem Zinß zu ewigen Zeiten in der Stadt Bern ein Paar Beeren solten unterhalten werden. Es solle auch diese Stadt ihr Wappen und Namen darum von den Beeren haben / weilen zur Zeit ihrer Erbauung der Hertzog Berchtold von Zeringen ihm vorgenommen hat / die Stadt nach dem Namen des jenigen Thiers zu nennen / welches ihm zum ersten begegnen wurde: dieses aber war ein Beer.

Ein Beer hat dem H. Corbiniano auf der Reiß an statt seines Esels / den er ihm umgebracht / den Pack getragen. Ein anderer Beer hat in einem Closter Holtz und Wasser getragen. Ein gottseeliger Abbt hat mit einem grimmigen und grausamen Beeren / der in der Nachbarschafft vil Menschen und Vieh umgebracht /einen Contract gemacht / und ihm versprochen die nothwendige Nahrung zu verschaffen / mit dem Beding / daß er bey leib keinem Menschen noch Thier mehr schaden thue: Der Beer hat es mit Darreichung seiner Bratzen und Neigung des Kopffs versprochen /und auch fleißig gehalten. Mithin seynd auch die Beeren nicht gar so böß / daß nicht auch der Mensch etwas Gutes von ihnen lernen möge.

Ubrigens liebet die Beerin ihre Junge hefftig / und wann ihr eines entrissen wird / da wütet sie gewaltig /wie die H. Schrifft selber bezeuget: aber wann sie vermercket / daß der Jäger ihr nachstelle / da treibt sie ihre Junge voran / und ermahnet sie zu fliehen (also solten die Christliche Elteren ihre Kinder vor dem höllischen Jäger durch Vermeidung der Sünden fliehen lernen) der Beer weiß wohl / daß er einen gar blöden Kopff hat / deßwegen / wann man einen Streich darauf führt / fangt er den Brügel mit den Datzen auf /und wann er über einen Berg abwallet / da beschützt er auch den Kopff mit Vorhaltung der Datzen.52 Er hat einen so schlimm- und schädlichen Athem / daß /wann er etwas ankauchet / selbes nicht mehr zur Speiß anderen Thieren tauget. Hingegen ist das Beeren-Schmaltz / auch die Gall für vil unterschiedliche Anligen und Gepresten gut.[315]

Die Beeren werden auf unterschiedliche Weiß gefangen / da man ihnen etwas von Fleisch oder Hönig auf verdeckte Graben legt / oder nur unter einen Baum / worauf Obs ist / und worauf sie steigen / dergleichen Gruben macht / oder eisene Halß-Ring leget / daß sie mit dem Kopff darem kommen / oder grosse starcke Fallen richten von Balcken und Bretter etc.

Sonsten hat GOtt zu Zeiten auch die Menschen durch die Beeren gestrafft. Absonderlich / als der glatzkopffete Prophet Elisäus nacher Bethel hinauf gienge / da lieffen ihm böse Buben nach / sie lachten ihn aus und schryen: ascende calve,53 komme herauf du Kahlkopff / komme herauf du Kahlkopff / und sihe / alsobald lieffen 2. grimmige Beeren aus dem Wald daher / und zerrissen 42. dieser Knaben. O wann jetziger Zeit alle unerzogne Kinder / die unehrenbietig gegen den Geistlichen seynd / also hart von GOTT solten gestrafft werden / wie wurde es manchesmahl hin und wieder ein grausames Würgen und Metzgen abgeben.

Was endlich den Wohn der gemeinen Leuthen /oder die so genannte Bauren-Regul anbelangt / daß /wann der Beer zu Anfang des Februarii wiederum in seine Höhle / von der er ausgegangen ist / zuruck gehet / solches ein noch bevorstehende grosse Kälte bedeute / so ist meines Erachtens nicht vil darauf zu halten: inmassen es glaubwürdig daher kommt / daß der Beer / nachdem er so lang in der finsteren Höhle gelegen ist / und geschlaffen hat / hernach aber gähling an des Tags Liecht und hellen Sonnenschein kommt / da thut ihm die Helle wehe / seine blöde Augen könnens nicht erdulten (wie auch der Mensch /wann er gähling aus der Finstere in die Helle kommt /da blendet ihn die Sonn) deßwegen gehet er wieder eine Weil zuruck in die Finstere / biß er die Helle nach und nach wieder gewohnt.54 Also machen es auch im sittlichen Verstand die sündige Menschen /welche lange Zeit in der Finsternuß des Irrthums und der Unwissenheit gestecket / und in dem Schlaff der Sünden gelegen seynd / wann ihnen gähling ein Strahl des Göttlichen Liechts aufgehet / oder das Liecht der Wahrheit hell in die Augen leuchtet / da kan oder will es die Blödigkeit ihres Gemüths nicht ertragen: sie gehen wiederum zuruck in ihre finstere Schlupffwinckel / in welchen sie bißhero ungehinderet gesündiget haben: es wird an ihnen erfüllt / was geschrieben stehet: Homines dilexerunt tenebras magis quàm lucem:55 Die Menschen lieben die Finsternuß mehr denn das Liecht. Die Ursach wird in dem Evangelio dise beygesetzt: Erant enim mala opera eorum: dann ihre Werck waren böß: Ein jeder der Böses thut / haßet das Liecht / und kommt nicht an das Liecht / daß seine Werck nicht gestrafft werden.

Noch eines muß ich vor dem Beschluß dieser Materi von dem Beeren erinneren: nemlich / daß man doch die Haut nicht verkauffe / ehe man den Beeren hat / man soll den Triumph vor dem Sieg nicht halten.56 Zwey arme Schlucker hatten ein Stücklein Geld vonnöthen / sie giengen zu dem Kirschner / und botten ihm ein schöne Beeren-Haut / die (wie sie fälschlich vorgaben) zu Hauß aufgehenckt ware / zu kauffen an / sie empfiengen auch würcklich von dem Kirschner etwas Gelds vorhinein auf Abschlag: alsdann sprachen sie zu einander / jetzt müssen wir noth wendig um einen Beeren schauen / daß wir dem Kirschner die versprochne Haut liferen können / sonst werden wir selbst für Bernheiter gehalten werden. Sie giengen also auf die Beeren-Jagd in den Wald hinauß / und traffen auch bald einen grossen Beeren an / aber der ihnen so bang gemacht / und sie also in die Enge getrieben hat / daß sie schier selbsten ihr eigne Haut hätten eingebüßt / und und kümmerlich mit dem Leben darvon kommen seynd. Als nun der Kirschner den Betrug vermerckte / hat er sie mit Hülff seiner Gesellen wacker abgebrüglet. Sie protestirten zwar gewaltig wider dieses knospete Urtheil / welches ohne allen vorhergegangnen [316] Process so plötzlich auf ihren Buckel ist gefällt worden / mit Vermelden / es seye wider allen Handwercks-Brauch / daß man die Haut lideren thue / ehe sie vor getrucknet und aufgehenckt worden. Eben recht / sagte der Kirschner / drum will ich euch mit dem Brügel wohl abtrucknenen; dann es wird gewiß / wann ihr also zu betrügen fortfahret /euer Haut und Haar bald miteinander aufgehenckt werden: es wird sich aber kein Gerber darum reissen; dann die Schelmen- und Diebs-Häut / wie die Gerber zu sagen pflegen / lassen sich nicht schmirben. O /sagte der eine / das ist wohl nicht wahr: man hat unseren Richter im Dorff schon mehr als hundertmahl geschmirbt / er hat doch nicht einmahl gezuckt oder dergleichen gethan / als wann es ihm wehe thäte / er liesse sich den gantzen Tag schmirben / und lachte darzu. Dieses erzehle ich zwar nur für ein Mährlein /aber für ein Wahrheit sage ich / daß man offt den Balg verkaufft / ehe man den Fuchs gefangen hat. Offt heißt es: Capra nondum peperit, & jam saltat hircus, man macht die Zech ohne den Wirth / und theilt die Erbschafft / ehe der andere gestorben ist: da man /weiß nicht was für groß- und aber leere Concept und Anschläg führet / und Schlösser in den Lufft bauet /die keinen Grund haben. Was man mit GOTT nicht anfanget / das kan sich nicht wohl enden. Homo proponit, DEus autem disponit, ist ein alt- und wahres Sprüchwort bey den Lateineren / der Mensch nimmt ihm offt etwas vor / und vermeinet / es müsse durch aus dieses oder jenes geschehen / aber es wird in der Cantzley des Himmels nicht unterschrieben / GOtt macht einen Strich dardurch: und dieses geschiehet täglich so wohl in klein- als grossen Sachen. Ein Baurenknecht sagte am Sambstag Abend: Morgen will ich ins nächste Dorff auf die Kirchweyh und zum Tantz gehen / sag auch wills GOtt / sprach die Magd zu ihm: der Knecht vermeinte / es seye dieses nicht vonnöthen / und sagte halt noch einmahl / morgen gehe ich gewiß zum Tantz: aber den Augenblick fallet er über den Wagen ab / und bricht einen Fuß: Jetzt gehe / und tantze.

Was das Wildschwein anbelanget / so ist selbes ein so zornig-hitzig- und wütendes Thier / daß es niemahl kan zahm gemacht werden: es ist so hitzig und grimmig / daß es die Todts-Gefahr nicht achtet / ja selbst /wann es angeschryen wird / in der Furi dem Jäger entgegen laufft / und sich rächen will / ehe daß es beschädiget worden.57 Sein gröste Wehr und Stärcke bestehet in den langen Zähnen / die ihm vor dem Rüssel im unteren Kifer herauß stehen / und Waffen genennet werden / mit welchen es gewaltig um sich hauet / und im Augenblick einem Hund oder Menschen den Bauch aufreissen kan. In der Grösse übertrifft es ins gemein etwas weniges die heimische Schwein: sein Nahrung seynd Wurtzlen und Früchten / wann es bey nächtlicher Weil in ein Acker-Feld kommt / da thut es grossen Schaden / weilen es in kurtzer Zeit alles umnuhelet / und das Getraidt und Wurtzel ausreisset / welches der arme Baursman manchesmahl mit seinem grösten Schaden erfahret und wehmüthig beklaget / wann sein unmilde Herrschafft mit gar zu grosser Strengheit ihr Jagd-Recht behaupten- und diese schädliche Thier aus denen Felderen nicht einmahl zu vertreiben und noch weniger zu schiessen gestatten will.

Das Wildschwein übertrifft in dem Gehör alle andere Thier / und hat dise sondere Eigenschafft / daß es keine andere Schwein mit ihm auf der Waid lasset /als die von ihm erzeuget seynd / wider andere aber thut es kämpffen / und sie verjagen. Wann die Wildschwein mit einander streiten / beissen und reissen /und gähling einen Wolff ersehen / so lassen sie gleich einander gehen / und fallen einhellig den Wolff an. Das Wildschwein / wie man von ihm schreibt /braucht wider den Angriff oder Nachstellung des Jägers diesen Vortheil / es reibt seine Lenden an einem Baum / hernach weltzt es sich in dem Koth um / und legt sich alsdann an die Sonn / damit die Haut[317] also überzogen und hart werde / und die Kugel oder Schweins-Spieß nicht so leicht eingehe. Wann es aber ein Thier oder Menschen angreiffen will / da wetzt es zuvor seine Waffen / das ist / die 2. grosse lange Zähn an einem Baum oder Stein.

Es kan mit diesem so schädlich- und wilden Thier füglich der böse Feind verglichen werden: dann dieser / wann er bey nächtlicher Weil / das ist / zur Zeit der Trägheit und Finsternuß des Gemüths in den Acker des menschlichen Hertzens sich eindringet / da hauset er gar übel / er kehret alles unter übersich / und verursachet in einem Augenblick durch die Sünd erschröcklichen Schaden: Er reißt die Früchten samt der Wurtzel aus / er beraubt die Seel der Verdienst und guten Wercken / und verursacht ein greuliche Confusion oder Unordnung.58 Das Wildschwein laßt sich nit vergnügē mit deme / was es zu seiner Nahrung nothwendig hat / als wie die andere Thier / (welche /wann sie genug gefressen haben / lassen sie gleichwohl das übrige stehen) sondern es scheint seine Freud darinnen zu haben / wann es nur vil schaden und verderben kan. Eben also der böse Feind / obwohlen er keinen Nutzen darvon hat / so verlangt er doch aus Neid und Haß dem Menschen zu schaden.

Aber unser höchste Oberherr / der allmächtige GOtt verbietet uns nicht / sondern befihlt vilmehr dieses höllische Wildschwein auf alle Weiß aus dem Acker unseres Hertzens zu verjagen / und von selbem abzuhalten. Fast eben / wie es der böse Feind in dem Acker oder Weingarten des menschlichen Hertzens machet / also machen es die Urheber der Ketzereyen in dem Acker oder Weinberg der Catholischen Kirchen. Von diesen kan in der Wahrheit gesagt werden: Exterminavit eam aper de silva, & singularis ferus depastus est eam:59 Es hat ihn zernuhlet das Wildschwein / und das sonderliche Wildthier hat ihn abgenagen.

Es kan auch durch ein solches Wildschwein der Antichrist verstanden werden / als welcher sehr grimmig und wütend seyn wird / und den Acker und Weingarten des HERRN durch seine Tyranney und Gottlosigkeit erschröcklich verwüsten.

Zweyerley Mittel seynd / sich vor der Wuth und Grimmen des Wildschweins zu schützen und unbeschädiget zu erhalten: nemlichen daß man sich eintweders auf die Erden niderwerffe (dann also kan dieses Thier mit seinen aufwärts gebognen Zähnen einem nicht zukommen) oder daß man sich geschwind in die Höhe auf einen Baum salvire. Eben also sollen wir uns schützen wider den Anfall des höllischen Wildschweins / wider die Versuchungen des höllischen Feinds / wann er uns mit Hoffart oder Eitelkeit sinnlicher Gelüsten oder Zornmuth versuchet / da sollen wir uns auf die Erden niderwerffen / das ist / demüthigen in Betrachtung unserer Sünden / unserer Schwachheit und Nichtigkeit etc. wann er aber uns zusetzt durch Zaghafftigkeit / Trägheit / Verzweifflung etc. da sollen wir durch das Gebett in die Höhe aufsteigen / zu dem Baum des Creutzes die Zuflucht nemmen / und uns mit demselben bewahren.

Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738, S. 312-318.
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