Der 1. Absatz.

Von der Nachtigall / und dem Canari-Vogel.

[440] Unter allen singenden Vöglen gebührt der Vorzug ohne Wider-Red der Nachtigall / die wegen Zärte und Lieblichkeit der Stimm ein weltberühmtes Vögelein ist / von ihr hat längst der Poët gesungen.1


Tu Philomela potes vocum discrimina mille

Mille potes varios ipsa referre sonos.

Nam quamvis aliæ volucres modilamina tentent,

Nulla potest modulis æquivalere tuis.


Du edle Nachtigall allein

Vil Arten hast und Stimmen /

Gar künstlich du schlagest und rein /

Kein Vogel kan so singen.


Es ist gewißlich zuverwunderen / wie von einem so klein und schwachen Thierlein ein so helle lieblich-und durchdringende Stimm könne ausgehen / wie es einen so langen Athem habe / und so künstlich die Stimm zu moduliren wisse / bald in einem Thon so lang aushalten / bald mit unterbrochnem Gesang so vil zierliche Arten exprimiren / bald hoch bald nieder singen könne etc. ohne das es müd werde. Man hat beobachtet / daß zu Zeiten sich 2. Nachtigallen gegeneinander setzen und mit Singen in die Wett streiten / eine will es der anderen vorthun / und höher treiben / und solten sie sich auch todt singen / welches dann auch nicht selten geschiehet. Die Zeiten ihres Gesang betreffend / so fangen sie es an / wann die Bäum mit frischem Laub sich bekleiden / und treiben es sowohl zu Abend spath / als am Morgen in der höchsten Frühe vor der Sonnen-Aufgang / und vor allen anderen Vöglen. Der H. Bonaventura hat ein solches Wohlgefallen / ab der Nachtigall / daß er auch selbst ihr zu Ehren ein schönes Gesang componirt hat / welches er die geistliche Nachtigall titulirt / und fanget an: Philomela nuncia temporis amæni etc. O Nachtigall dein edler Schall ist ein gewisses Zeichen /daß der Sommer bald einfalle / der Winter muß abweichen etc. deßwegen ist es kein Wunder / daß vil Menschen so grosse Freud und Lust haben der Nachtigall zuzuhören / und vil darauf spendiren. Unter solchen Liebhaberen ware ein gewisser König in Pohlen / der bey einer gar kühlen Nacht so lang und begierig einer Nachtigall hat zugehört / daß er sich darbey verkältet hat / deßwegen ein Fieber bekommen / und daran gestorben ist. Die Römer hielten vor Zeiten auch so vil auf die Nachtigallen / daß sie ein solches Vögelein eben in dem Preiß als wie einen Sclaven /das ist / einen leibeignen Menschen gekaufft und verkaufft haben.

Aber nicht weniger thun auch sie / die Nachtigallen selber / ihr eignes Gesang[440] lieben und hoch schätzen. Ja sie seynd also darein verliebt / daß sie schier die gantze Zeit mit singen zu bringen / und ihnen kaum der Weil nehmen etwas Weniges zu essen / oder die Nahrung zu suchen / und ein kurtze Zeit zu schlaffen. Sie befleißen sich und dichten oder studiren gleichsam auf das Singen / damit sie allerley neue und schöne Manieren erfinden und auf die Bahn bringen mögen / deßwegen haben sie nicht einerley Gesang /sondern die eine singt so / die andere anderst / ja einige wollen / daß die Music aus Gelegenheit des Gesangs der Nachtigallen seye erfunden worden.

Die Nachtigall liebet auch und höret gern andere Music / das menschliche Gesang und klingende Instrumenten oder Saitenspihl: Sie lassen sich leicht darmit fangen und hinlocken / wo man will.

In sittlichem Verstand können füglich die gottseelig- und andächtige Seelen durch die Nachtigall verstanden / und mit selben verglichen werden.2 Dann die Nachtigall wird auf Lateinisch genennet / Luscinia, quasi ante lucem, das ist / vor Tag / und widerum Philomela, das heißt so vil als amans cantûs, ein Liebhaberin des Gesangs. Nun aber lieben und üben die gottseelig- und andächtige Seelen nichts mehrers als das Gesang / das Lob GOttes / welches sie immerdar absingen vor Tag in aller Frühe und auch bey Mitternacht / wie es in unterschiedlichen Religionen und wohlgeordneten GOtts-Häusseren zu sehen und zu hören ist. Dise geistliche Nachtigallen haben nicht einerley / sondern unterschidliche Stimmen und Melodeyen / das ist / unterschiedliche Gebett und Gesänger / unterschidliche Ceremonien oder Gebräuch bey ihrem Gottsdienst. Wann die Nachtigallen nicht würcklich singen / so dichten sie doch bey ihnen selber auf neue Gesänger: Eben also die fromme Seelen /wann sie nicht würcklich und äusserlich singen oder betten mit dem Mund / so thun sie es doch innerlich mit dem Hertzen: Und gleichwie die Nachtigallen kurtz oder wenig essen und schlaffen / und sich gleich widerum auf das Singen begeben / das Singen ist ihnen über alles. Also die fromme Seelen wenden nicht mehr Zeit auf das Schlaffen / Essen und Trincken / als die Nothdurfft erforderet / die Leibs-Kräfften widerum zu ergäntzen oder zu erhalten / im Ubrigen aber seynd sie immerdar mit dem Dienst und Lob GOttes beschäfftiget.

Ein solche GOtt-lobende Nachtigall ist gewesen der königliche Prophet David / der mit seinem Psalmen-Gesang und Harpfen-Klang bey Tag und bey Nacht GOtt Lob gesungen und gepriesen hat / wie er von sich selber bezeugt: Septies in die laudem dixi tibi. Media nocte surgebam ad confitendum tibi:3 Sibenmal des Tags hab ich dich gelobt. Zu Mitternacht bin ich aufgestanden dich zu loben.

Aber gleichwie die Nachtigallen nicht nur für sich selber schön und gern singen / sondern auch gern singen hören / und die Music lieben / und sich bey derselben mit Lust einfinden: also auch die fromme und andächtige Seelen thun nicht nur für sich selber GOtt loben und ehren / sondern sie wollen haben /daß es auch andere thun / und wo das geschihet / da finden sie sich gern ein / und halten sich mit Freuden auf. Deßwegen haben jene 3. Nachtigallen die 3. Knaben in dem babylonischen Feur-Ofen nicht nur für sich selber GOtt Lob gesungen / sondern auch alle Creaturen nach einander in ihrem Benedicite darzu eingeladen und aufgemunderet. Die Nachtigallen streiten mit einander in die Wett / welche besser und höher singen oder schlagen könne / und die eyferige Diener GOttes streiten auch gleichsam in die Wett /welcher GOTT mehr dienen und ehren möge. Ja in disem übertreffen sie noch die Nachtigallen / daß dise Vögelein nur im Sommer singen / ja so bald der Tag abnimmt / da lassen sie schon nach / und im Winter suchen sie warme Orth / und verbergen sich / sie können die Kälte nicht leyden. Aber die sittliche Nachtigallen / die fromme und gottseelige Seelen die singen[441] und loben GOTT das gantze Jahr / im Sommer und Winter / das ist / in Freud und Leyd / in Trost und Trübsal / Glück und Unglück / es mag der Tag der zeitlichen Wohlfahrt zu- oder abnehmen / es ist ihnen alles gleich. Ein solche beständig-singende Nachtigall ist gewesen der gedultige Job / welcher mitten in dem kältisten Winter / das ist / mitten in der grösten Trübsal / Schmertzen und Beraubung aller Gütter GOTT freudiges Lob gesungen hat / sprechend: Der HERR hats geben / der HERR hats genommen / der Nam des HErren sey gesegnet.4 Und widerum: Haben wir Guts empfangen von GOTT: warum sollen wir das Bös nicht auch leiden? Und solches Gesänglein diser sittlichen Nachtigall hat GOtt also wohl gefallen / daß er dem Job alles / was er durch zeitliches Unglück verlohren / wiederum häufig ersetzet hat.

Aber kein Nachtigall hat jemahl schöner und lieblicher gesungen in dem Himmel und auf Erden / als die seeligste Jungfrau Maria / bevorab als sie das so kräfftige und demüthige Ecce Ancilla Domini etc.5 Siehe ich bin ein Dienerin des HErrn etc. und wiederum / das Magnificat etc. angestimmet hat. Die Stimm / die Andacht / und Liebs-Seuftzer diser marianischen Nachtigall haben GOtt also wohl gefallen / daß er sich von dem hohen Himmel in ihr Schoos herab begeben hat: Dann gleichwie die Nachtigall alle Vögel gar weit übertrifft in der Stimm und in dem Singen /also übertrifft Maria alle Heilige und Engel in der Tugend und Vollkommenheit. Dise Nachtigall hat uns /wie der Heil. Bernardus anmercket / mit ihrem Gesang den wahren Tag angekündet / den Tag des Heyls und der Gnaden / das ist / die Ankunfft des Sohns GOTTES auf diese Welt.

Wie Plinius und andere Naturkündige anmercken /so pflegen die alte Nachtigallen ihre Junge mit grossem Fleiß in dem Singen zu unterrichten: es ist ihnen nicht genug selbe zu erzogen haben / sondern sie wollen / daß sie auch vor der Welt als gute Musicanten sich dapfer hören lassen.6 Es thun auch die Junge emsig sich darauf begeben / fleißig zu hören / wie ihnen die Alte vorsingen / und sich bemühen selbes nach zu machen. Wann sie es aber nicht recht machen / so werden sie von den Alten corrigirt / biß daß sie es ergreiffen. Ein schöne Lehr / so wohl für die Kinder als Elteren ist hieraus zu schöpfen: Den Elteren soll es nicht genug seyn / ihre Kinder erzeugt zu haben / sonderen sie sollen auch beflissen seyn / selbige gute Sitten und Wissenschafften nach Stands-Gebühr zu lehren. Absonderlich aber sollen sie ihnen fleißig vorsingen / oder vilmehr vor betten / die Christliche Lehr vortragen / und mit gutem Exempel vorgehen / zu der Tugend und Forcht GOttes sie anweisen / und nicht nachlassen / biß daß sie es recht nachmachen. Die Kinder aber sollen gleich den jungen Nachtigallen ihre Elteren gern und willig anhören / die vorgetragene gute Lehr zu ergreiffen / und im Werck selbe zu vollziehen sich befleissen.

Man sagt / so man wissen wolle / wo die Nachtigallen ihre Nester und Junge haben / da dörffe man nur Achtung geben / wo sie singen und sitzen / oder wo sie auf- und abfliegen / dann da wird man gemeiniglich auch ihre Junge finden / als welche sie fleißig hüten / und nicht leichter Dings verlassen. Das stehet abermahl den Elteren sehr wohl an / daß man ihre noch unerzogne Kinder bey ihnen suchen und finden möge. Aber wann der Vatter die mehriste Zeit des Tags in dem Wirths-Haus zu bringt / und die Mutter bey dem Schwätz-Marckt auf der Gassen / da wäre es nicht gut / wann man auch ihre Kinder allzeit bey ihnen finden thäte.

Es hat die Nachtigall auch von Natur dises an sich / daß wann sie vermercket / daß jemand verhanden seye / der ihr mit Lust zuhöret / da befleißt sie sich /und singet vil besser / als wann sie alleinig daraussen in der Wildnus wäre: ja je mehr Leuth um sie seynd /[442] je eyferiger und munterer singet sie: wann man aber ihr kein Achtung gebe / oder ihr nicht zu hören thue /da thue sie sich nicht mehr befleissen und bemühen /sie lasse nach vom Gesang. Fast eben also ergehet es zu Zeiten einem Christlichen Prediger: Wann ein Prediger oder Pfarrherr sihet / daß seine Pfarr-Kinder gern in die Predig gehen / selbe willig und aufmercksam anhören / da spahrt er kein Fleiß noch Mühe / er spannt alle Kräfften an / seinen Zuhöreren ein Vergnügen zu thun / gute und nützliche Lehren vor zu tragen / und ein zu flösen.7 Wann er aber sehen muß /daß es nicht angewendet ist / daß alle Mühe und Arbeit umsonst / weilen nemlich die laue und liederliche Pfarrkinder nicht in die Predig kommen / oder wann sie kommen / doch nicht aufmercken / sondern nur schwätzen und lachen etc. Da ist es ja kein Wunder /wann ihm der Eyfer vergeht / wann er den Lust zum Predigen verliehret: dann es ist ein altes Sprüchwort bey den Lateinern: Ubi non est auditusfrustra funditur sermo, wo man kein Gehör gibt / da ist das Reden umsonst. Doch soll sich der Prediger nicht zu vil um die Menge der Zuhörer besorgen (es heißt auch in disem Fall: Wenig und gut) massen Christus dem Cananœischen Weiblein bey dem Bronnen allein eben so wohl geprediget hat / als einer gantzen Menge Volcks in dem Tempel zu Jerusalem.

Man sagt / daß wann die Nachtigall zu singen anfange / da schweigen alle andere Vögel / die in der Nähe seynd / alsobald still / gleichsam aus Respect lassen sie ihr die Ehr allein / und bekennen / daß sie weit besser als all andere Vögel singen könne / deßwegen heißt es in dem Vogel-Gesang:


O Nachtigall dein edler Schall

Bringt uns sehr grosse Freud:

Dein Stimm durchdringet Berg und Thal

Bey schöner Frühlings-Zeit.

Wann du anfangst zuschlagen

All Vögel schweigen still:

Keiner darff es mehr wagen /

Keiner mehr singen will etc.


Aber O Schand! die Vögel in dem Wald aus natürlichem Antrib schweigen still / seynd ruhig und hören zu / wann die Nachtigall ein Gesänglein singet / und die Catholische Christen in der Kirchen hören offt nicht zu / sonder schwätzen und lachen / wann der Priester auf dem Altar das Lob GOttes singt / oder der Prediger auf der Cantzel das Wort GOttes verkündt. Ja sie hören die himmlische die göttliche Nachtigall Christum selber nit an; dann er sagt von denen Prediger und Priesteren: Qui vos audit, me audit, wer euch hört / hört mich / und folgends auch hingegen: wer euch nit anhört / hört mich nit an.

Ausser der Stimm ist an der Nachtigall weiter nichts sonderlichs zurühmen / sie ist nicht groß noch sonderlich schön / einer Graßmucken nicht vil ungleich: wohl geredt hat deßwegen und ihr Lob in wenig Wort begriffen der Lacon, wie Plutarchus von ihm schreibt / welcher da er ein Nachtigall gerupfft /und einen so schlechten Leib an ihr gefunden / gesprochen hat: Vox prætereáque nihil.


Ein Stimm und Melodey

Sonst weiter nichts darbey.


Deßwegen wo die Stimm oder das Gesang nicht æstimiret wird / da ist die Nachtigall nicht werth / und wird wenig geachtet / wie sie es wohl erfahren hat /als einstens der liederliche Guggu (ist ein Raub-Vogel dem Habich nicht vil ungleich den Schnabel und die Füß ausgenommen / mit welchen er einer Tauben gleichet) also sage ich / der Guggu ihr wegen des Singens hat dörffen die Præcedenz strittig machen / und sie heraus forderen / welches aus ihnen beyden besser singen könne.8 Die Nachtigall war wohl zufrieden; dann sie getraute ihr den Handel / auf ihre schöne Stimm sich verlassend / leicht zugewinnen. Nun wäre es um das zuthun / daß sie beyde einen unpartheyischen Richter oder Schidt-Mann erwähleten / der hierinn den Ausspruch thäte: sie sahen aber auf der nächsten Wieß einen Esel waiden / und weilen sie wahr nahmen / daß er so grosse lange Ohren hatte /glaubten sie / er[443] werde nicht übel von der Stimm und von dem Gesang urtheilen können; sie reden ihn also deßwegen an / und bestellen ihn vor ihren Richter. Dem ungeschickten Lang-Ohr gefiel es wohl / daß er solte zwischen den Vöglen ein Richter abgeben / und verlangt so wohl von dem Guggu als der Nachtigall ein Prob-Stuck des Gesangs zuvernehmen. Der Gugger macht den Anfang / und schreyt mit vollem Halß ein paar Tutzent Guggu herab / dann sonsten kann er nichts / und dieses hat dem Esel wohlgefallen. Hernach aber fangt auch die Nachtigall an ein und anderes zierlich- und liebliches Stücklein nach aller Kunst zusingen: daß aber war dem Esel vil zu hoch / verstunde es nicht: und deßwegen hat er den Ausspruch gethan: der Guggu singe schöner und besser als die Nachtigall. O du ungeschickter Esel / was sagest du? wo gedenckest du hin? es erscheint ja freylich wohl /daß du so lange Ohren hast / als kurtzen Verstand. Also geht es nemlich / wann der Blinde von der Farb thut urtheilen. Daß ungerechte Urtheil hat die Nachtigall billich verdrossen (sie hat auch deßwegen zu dem Menschen appellirt) der Guggu aber ist darbey hoffärtig worden.

Also geht es / sage ich / wann der Blinde von den Farben urtheilt / wann man nicht den Vernunfft und Billichkeit sondern nur der Sinnlichkeit oder eignem Nutzen nachgehet. Wehe dem der einem unverständigen Richter unter die Hand kommt. Judex ineptus peste pejor pessima, sagt Achilles Bocchius. Ein ungeschickter Richter ist ärger als die ärgste Pest; dann was hat man von einem solchen anders zugewarten als ein thorrechtes Urtheil: Er ist auch um so vil schädlicher / weilen sein Fehler von niemand gestrafft noch gebessert / sondern vilmehr durch das offentliche Ansehen des Richters beschönt und bekräfftiget wird.

Aber über den närrischen Ausspruch oder das Urthel / so der Esel da gefällt hat / dürffen wir uns nicht so starck verwunderen und erzürnen; dann es gibt wohl öffter dergleichen torrichte Meynungen auch bey den Menschen / wann sie nehmlich das Pley dem Gold / das Glaß dem Diemant / die Nacht dem Tag und die Erden dem Himmel vorziehen / das ist / die schnöde Freuden und zeitliche Wollust höher schätzen / als die ewige himmlische Güter etc.

Den Nachtigallen thuen meines Erachtens die Canari-Vögel mit der Stimm am nechsten beykommen /diese seynd in der Grösse und Farb den Zeißlein nicht vil ungleich / doch seynd einige gantz weiß / oder schweffel-gelb.9 Sie werden Canari-Vögel genennt von den Canarischen Insulen / die zur Lincken des Mauritanischen Meers gelegen seynd / aus welchen sie ursprunglich herkommen / obwohlen sie jetziger Zeit auch in unseren Landen vilfältig gezüglet / und in den Häußlein auferzogen / und zum Singen gewöhnt werden / man muß ihnen aber fleißig abwarten / dann sie seynd subtil und heicklich: Sie haben ein hoch-und zarte doch starck- und sehr durchdringende Stimm (auch einen langen Athem) die sie auf vil unterschiedliche Weiß zu moduliren wissen. Je kleiner ihr Leib / und je länger der Schwaif ist / je besser seynd sie zum Singen. Sie seynd Liebhaber des Zuckers / als welcher in den Canarischen Insulen fürtrefflich und häuffig ist. Diese Vögelein stellen uns einen von der Natur ausgemachten Musicanten vor / einen guten Vocalisten / als welche nicht nur mit der Schönheit der Stimm das Gehör erfüllen / sondern auch wegen so vil unterschiedlichen Expressionen Art- und Maniren zusingen verwunderlich seynd.10 Aber es heist bey dem Canari-Vogel eben auch wie bey der Nachtigell / vox prætereáque nihil; ein schöne Stimm und Melodey sonst weiters nicht dabey: Man will sich eben mit der Stimm allein nicht abspeisen lassen: wie es sich wohl gewiesen hat / als ein solches wohlklingendes Vögelein einem Raub-Vogel in die Klauen gerathen ist / der es aufzufressen sich bereit hat. Da hat es gebetten / ihm das Leben zuschencken / es wolle ihm dafür singen so[444] schön es könne / und so lang er wolle. Aber der Raub-Vogel hat geantwortet: nein /nein / non mihi aures pruriunt, sed stomachus latrat, du magst mir wohl mit deinem Singen die Ohren füllen / aber nicht den Hunger stillen. Also nemlich werden die Künsten und Wissenschafften von denen Ungelehrt- und Unverständigen wenig geliebt und æstimirt. Eben so wenig in den jenigen / welche nur den sinnlichen Wollüsten nachtrachten / und wenig achten / was den Verstand schärffet / und den Geist erhebt und erleuchtet.

Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738, S. 440-445.
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