Anhang.

Zu der Hennen. Von dem Ey.

[473] Das Hennen-Ey ist gewißlich zugleich ein edle Gab GOttes / und ein sonderbares Kunst-Stuck der Natur. In 10. Tägen beyläuffig / wie Doctor Gesnerus schreibt / werden die Eyer in der Hennen vollkommen zeitig: das Ey aber ist Anfangs gar klein und weiß /hernach wird es bald roth und blutig / dann ferners gantz gelb / endlich aber wird es unterschieden / also daß der innere Theil gelb / der äussere aber weiß ist. Wann es nun vollkommen worden / bekommt es ein Häutlein / welches an ihm selber noch weich ist / so bald es aber heraus kommt / zu einer Schalen erhartet.

Der Vogel oder das Hünlein wird aus dem Dotter auf folgende Weiß formirt oder gestaltet: Wann die Henn bruthet / da wird das Ey darvon erwärmet / und das Innwendige beweget: das Ey aber ist also dinn und zart / daß die innerliche Wärme von der äusserlichen Kälte / die etwas durchdringt / temperirt oder gemäßiget wird: Mithin fangt der Vogel oder das Hünlein an zu erwachsen / bekommt seine formliche Gliedlein / nach Proportion als wie das Kind in Mutter-Leib. Aus dem Dotter erwachst es / und von dem Eyer-Klar hat es sein Nahrung / wann ihm aber die Nahrung zu ermanglen anfangt / da erwegt es sich starck seine Nothdurfft zu suchen / und dardurch wird das Häutlein zerbrochen / und wann die Mutter / die Henn dises vermerckt / da kratzt und bickt sie die Eyer-Schal[473] auf / und das junge Hünlein schlieft heraus / dises alles aber mag in 20. Tägen geschehen. Also lehret Galenus und Hypocrates, deme zwar andere / wie auch Aristoteles widersprechen / und behaupten / das Hünlein thue nicht aus dem Dotter /sondern aus dem Eyer-Klar erwachsen / welches ferner zu untersuchen ich den Natur-Kündiger überlasse.

Das Ey hat 3. Häutlein inner der Schalen: Das erste beschirmet und sönderet ab das linde Ey von der harten Schalen: Unter disem ist ein anderes / welches das Klar umgibt: Unter dem Klar aber hat der Dotter wiederum sein besonderes Häutlein / von welchem es umgeben wird. Die gute Eyer fallen im Wasser zu Boden / die Schlimme aber schwimmen oben her: und die Eyer-Schalen seynd gleichwohl so starck / daß wann man selbe mit beyden Händen an den zwey Ecken zusammen drucket / und auf kein Seiten schwencket / da kan mans mit allem Gewalt und Stärcke nicht verdrucken; das Ey widersteht mit seinem Winckel oder Ecken / dann die Ecken befestigen einen jeden Bau / nicht also die Seiten. Wann man ein frisches Ey mit Faden umwindt / und über ein brinnende Kertzen halt / da wird der Faden ein gute Weil unversehrt bleiben; dann die Feuchtigkeit des Eys schlagt heraus und widersteht der Hitz. Das Eyer-Klar und der Dotter seynd ungleicher Art / nicht nur die Farb belangend / sondern auch in anderem. Der Dotter wird von einer kleiner oder mäßigen Wärme dünn und zerflüßt / hingegen dick von der Kälte / das Klar aber wird von keiner Kälte hart. etc.

Sonsten ist das Hennen-Ey nicht nur in der Artzney zu vilen Dingen gar nutzlich zu gebrauchen / sondern auch gut und gesund zu essen.102 Wie dann auch vor Zeiten die Alte bey ihren Mahlzeiten gemeiniglich zu ersten Eyer / zu letzt aber Aepfel auf zu setzen pflegten / woher auch bey den Lateineren das Sprichwort entstanden ist / ab ovo ad mala, und will so vil sagen / als vom Anfang biß zum End. Ja es ist / das liebe Brod ausgenommen / fast kein Speiß / die für jedermänniglich so wohl taugt und anständig ist / als eben das Ey. Es ist für Jung und Alte gut / für Gesund und Krancke / für Starcke und Schwache / für Reich und Arme / Herren und Bauren. Es ist gleichsam der Kern oder das Marckt / und also das Beste von der Hennen. Die Eyer seynd angenehm in dem Geschmack / leicht in der Däuung / kräfftig in der Nahrung / und gesund in der Würckung. Man kan sie auch leicht oder um einen geringen Preiß haben / und noch ringer ohne Kosten præpariren oder kochen.

Es ist ferners das Hennen-Ey die reiniste / säuberste und sicherste Speiß: andere Speißen können alle verderbt / verunreiniget / ja auch vergifftet werden /nicht aber das Ey / so lang es gantz ist / hat es gleichsam einen Harnisch an / und ist wider alles / was schädlich oder unrein / bestens beschützet und verwahret.

Gleichwie nun Christus mit einer Hennen ist verglichen worden / also kan eben recht sein Heil. Wort und Evangelische Lehr mit dem Ey verglichen werden.103 Dann gleichwie das Hennen-Ey jedermann gut / gesund / und nutzlich zu essen ist / also ist das Wort GOttes / das heilige Evangelium jedermänniglich nutzlich / heylsam / ja nothwendig zu hören. Es stärckt das Hertz oder den Willen / und erleuchtet den Verstand: Es ist geschmack und angenehm / wer kein bösen oder verderbten Magen oder Willen hat / es ist auch leicht zu verdauen / das ist / mit der Gnad GOttes leicht zu vollziehen. Jugum meum suave est, & onus meum leve.104 Mein Joch ist süß / und mein Bürde leicht / sagt Christus im Evangelio. Das Wort GOttes / das Heil. Evangelium ist die allersauberste und reiniste Lehr / gleichwie das Ey die reiniste Speiß. Man kan dise sittliche Eyer leicht haben ohne Mühe und ohne Kosten / der Zehr-Gaden oder das Speiß-Gewölb / worinnen sie aufbehalten werden / ist die Bibel /[474] oder die Heil. Schrifft und andere geistliche Bücher: sie brauchen auch nicht vil zu præpariren / kein anderes Gewürtz oder Spezereyen / als nur ein wenig Saltz / ich will sagen / das Wort GOttes soll man vortragen ohne Zierad / oder Ausschmuckung zierlicher Worten / nur cum grano salis mit ein wenig Saltz / das ist / mit Bescheiden- und Behutsamkeit. Die Eyer seynd ein guter Vorrath in einer Haußhaltung: wann gehling ein Noth auskommt / daß man solt etwas zuessen haben / da nimt der Hauß-Wirth nur geschwind etliche Eyer daher / und macht ein Essen daraus. Eben also soll ein Seelsorger / ein Pfarr-Herr oder geistlicher Oberer allzeit mit den sittlichen Eyeren des Wort GOttes versehen seyn / und selbe in Bereitschafft haben / damit im Fall / wann seine Untergebne oder geistliche Kinder der Speiß bedürfftig seynd / das ist / ein geistlichen Trost / Unterweissung oder Bestraffung vonnöthen haben / er selbe ihnen alsbald darreichen möge.

Die sittliche Eyer des Wort GOttes hat der Königliche Prophet David gar hochgeschätzt / sie haben ihm überaus geschmäcket.105 Quam dulcia faucibus meis eloquia tua, sagt er / super mel ori meo. Wie süß seynd deine Reden meinem Rachen mehr dann Honig meinem Mund. Und wiederum: Desiderabilia super aurum & lapidem pretiosum, sie seynd köstlicher als Gold und Edelgestein / auch süsser dann Zucker und Honig. Aber nicht nur stattlich und süß / sondern auch gesund und nützlich hat David diese mehr gemeldte sittliche Eyer / das ist /die Lehr und Satzungen GOttes befunden: dann er sagt abermahl: Lex Domini immaculata convertens animas etc. Justitiæ Domini rectæ lætificantes corda etc. Das Gesetz des HErren ist ohne Mackel / es bekehrt die Seelen etc. die Recht des HErren seynd richtig / und erfreuen das Hertz / seine Gebot seynd lauter / und erleichten die Augen etc. O wohl herrliche und fütrefliche Würckungen!

Aber wann das Wort GOttes so grosse Krafft gehabt hat in dem alten Testament / da es doch nicht von seinem Mund ohnmittelbar / sondern von den Propheten und Patriarchen ausgangen ist / wie vil mehr Krafft und Hochschätzung soll es haben in dem neuen Testament / da es GOtt selbst mit seinem Mund geredt / und mit seinem Exempel gelehrt hat? und dannoch O Schand! und dannoch gibt es so manche laue Christen / welche das Wort GOttes in der Predig entweders gar nicht / oder nur mit Unlust anhören.

Aber je jünger und frischer die Hennen-Eyer seynd / je besser und gesünder seynd sie zu essen / die alte faulen gern / und stincken / seynd nichts mehr nutz: Hingegen mit den sittlichen Eyern des Wort GOttes /oder der heiligen Schrifft hat es ein gantz andere Beschaffenheit: die alte und erste Schrifft allein ist gut und gerecht / und ein gutes gesundes Ey: die neue aber von den Novatoribus, und denen Irrglaubigen verderbte / und verfälschte Schrifft ist nichts nutz / sie ist ein faules stinckendes Ey / höchst schädlich und ungesund.

Die andere und sonderbare Nutzbarkeit ist der Eyeren / das die Hünlein daraus erzeugt werden / daß weiß ein jeder / aber auf wie vil unterschiedliche Weiß und Manier sie können ausgebrütet werden /daß weiß nicht ein jeder / sie können herausgebracht werden / auch ohne Bruten / an der Sonnen / oder hinter dem Ofen / wie es in Egypten starck im Brauch ist / ein gantz fremde / und unerhörte Manier hat Livia des Kaysers Tiberii Mutter erdacht: dann als sie mit ihm schwanger gieng / war sie fürwitzig / und begierig zu wissen / was sie unter ihren Brüsten trage / und was aus ihrem Kind werden möchte / sie nahm also ein Ey in die Händ / dieses erwärmete sie / und hilt es unabläßlich mit gröster Gedult / Tag und Nacht in der Hand / oder wann sie je die Hand ein wenig sonst brauchen / oder sonst öffnen muste / gabe sie es unterdessen einer Kammer-Jungfrauen in der warmen Hand zuhalten / also[475] daß es nie erkaltete / und dieses triebe sie so lang / biß ein Hünlein daraus geschloffen / und zwar ein Hänlein mit einem Kammen.106 Sie consulirte die Wahrsager deßwegen / was es bedeute / diese sagten ihr / sie werde einen Printzen gebähren / und selbiger Kayser werden. Sie haben es auch verrathen /obwohlen sonsten nichts darauf zugehen.

Der gedachten Liviæ sollen wir nachfolgen / und auch in sittlichem Verstand die Eyer / das ist / das Wort GOttes mit den Händen ausbruten / ich will sagen / mit dem Werck erfüllen / wie uns der Apostel Jacobus ermahnet / Estote Factores verbi & non Auditores tantum.107 Seyed aber Thätter des Worts /und nicht allein Zuhörer / damit ihr euch nicht selbst betrügt. Wann wir diese sittliche Eyer / nehmlich die Wort Christi des HErren / die Betrohungen und Verheissungen / die Ermahnungen und Gebot /zuerst in dem Hertzen durch den Glauben / Hofnung und Liebe tragen / hernach aber in den Händen durch Vollziehung derselben / alsdann werden wir in sittlichem Verstand bald vil junge Hünlein glücklich ausbrütten / das ist / vil gute / und des Himmels verdienstliche Werck herfürbringen; das in der Hand ausgebrütete Hennen-Ey soll Liviæ einen Printzen / und einen künfftigen Kayser bedütten haben: aber das sittliche Ey / das Wort GOttes / wann es von uns im Hertzen / und in Händen getragen / oder im Werck erfüllet wird / da thut es uns nicht nur ein irrdisches sondern das Himmelreich unfehlbar vorbedeuten.

Es geschicht zu Zeiten / daß die Hennen monstrose oder ungewöhnliche / und wunderseltsame Eyer legen / auf welchen unterschiedliche Farben / seltsame Figuren zusehen seynd; solche Mißgeburthen bedeuten gemeiniglich nichts Gutes / man erschrickt darob /wann solche Eyer zum Vorschein kommen / die von der Art / oder Gestalt der gemeinen Eyer abweichen. Solche monstrose Eyer / und Mißgeburthen seynd die Lehr-Sätz der Abtrinnigen Kätzer / oder Irglaubigen /welche von der wahren unverfälschten heiligen Schrifft / und dem Römischen Catholischen Glauben abweichen: solche Eyer bedeutten / ja verursachen grosses Unheyl / nehmlich / Spaltung und Zertrennung der wahren Kirchen: deßwegen solle man solche schlimme Eyer bey Leib nicht aufzüglen / sondern alsobald in der Brut verstecken / das ist / falsche Lehren soll man mit gründlichen Beweißthum widerlegen /und austilgen. Ubrigens seynd die Eyer gar zerbrechlich / es ist gar bald darum geschehen / wie es sich wohl gezeigt hat in folgender Begebenheit.108 Ein hoffärtiges Bauren Mägdlein / weilen es nicht ungestalt / und auch etwas witzigers ware / bildete ihme nicht wenig ein / und glaubte von einem solchen Holtz zu seyn / aus welchem wohl mit der Zeit eine Frau könte geschnitzlet werden.109 Mit diesen Gedancken gieng es großschwanger / weilen ihm aber die Mittel ermangleten solchen Zweck zuerreichen /hat es folgende Concept, oder Anschläg geführt: es wolle jetzund erstlich ein Körblein voll Eyer zusammen sparen / und selbe verkauffen / um das Geldlein aber eine gute Leg-Henn kauffen / derselben wieder um auch Eyer unterlegen / und junge Hünlein züglen: wann es auch etliche Bruten aufgebracht / und die Hünlein verkauft habe / könne es leicht um das erlöste Geld ein Kälblein kauffen / selbes wolle es schon aufziehen: und wann es dann ein eigene Kuhe bekomm / die ihm kälbern thue / da wolle es nach und nach ein gantze Sennerey / oder Vieh-Zucht anstellen / mithin aber leicht einen guten Heyrath treffen / und den brävisten Kerl im Dorf / oder gar des Richters sein Schreiber zur Ehe bekommen: alsdann aber ein Viehe-Magd halten / und derselben eindingen / daß sie es ein Frau heissen muß. Ja es wolt nicht nachlassen zu Hausen / und mit Vieh zu handlen / biß daß sie ein Stück Geld zusammen bring / mit welchem der Mann ein Adels-Brief kauffen könne / und es gar ein gestrenge Frau werde. Alls[476] nun das Mägdlein am nechsten Wochen-Marckt in die Stadt gienge / und ein Krätlein voll Eyer zuverkauffen auf dem Kopf truge /in Gedancken aber gantz vertiefft ware / wie es sich stellen / gehen und bucken wolle / wann es ein gestrenge Frau werde / und ein Reiffrock anhabe / da ist es gestolperet nach der Länge auf die Nasen hinaus /und in ein Koth-Lachen gefallen / das Körblein aber samt den Eyern ist auf dem Pflaster umgekuglet / also daß der Totter und Klar mit dem Koth vermischet war. Da liegen jetzund die Eyer / und Hünlein / und Kälblein / Kälber und Rinder / der Edelmann / die Frau und Kinder / alles beysammen in einem Hauffen / alle Hoffnung ist in Brunn gefallen / und zu Wasser worden / also geht es / wann man die Zech / oder Rechnung ohne den Wirth machet / und Schlösser in dem Lufft bauet. Da hat es wohl geheissen / und heißt annoch öffters / Homo proponit, DEus autem disponit. Der Mensch nimmt ihm vil vor / aber GOtt macht die Verordnung / was geschehen soll. Nicht. Wie mancher führet weiß nicht was für grosse / hoch und weit aussehende Concept, wie er dieses / oder jenes wolle anstellen / seine Güter vermehren / sein Stand verhöhen / aber weilen er die Sach mit GOtt nicht angefangen / sondern nur auf eigene Kräfften / Witz und Kunst / auf Reichthum / oder auf Menschen Gunst gehofft / und sich gesteuret hat / so wird sauber nichts daraus. Ja es geschicht vilmehr das Widerspiel / sein Glücks-Gebäu hat keinen Bestand / weilen es nur auf Sand gebauet ist etc. mit einem Wort.


Auf Gunst / auf Geld / und Witz vertraut /

Ist ohne Grund in Lufft gebaut. Hingegen aber /

Wer vest auf GOTT allein vertraut /

Die eitele Geschöpf verachtet /

Der hat gantz wohl / und sicher baut /

Für ihn der Himmel wachet.

Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738, S. 473-477.
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