Der 6. Absatz.

Von dem Storchen.

[502] Der Storch / Ciconia, ist ein in Deutschland wohl bekandter Vogel (doch nicht gar über all) er ist dem Kranich / und Reiger in etlich Stucken ziemlich gleich: Er hat meistens weisse / in den Flüglen aber schwartze Federen / hoch / und dürre rothe Füß / ein langen Hals / und Schnabel / welcher roth / und hart ist / mit welchem er zu Zeiten durch zusammen schlagung des oberen / und unteren Theils[502] starck schnatteret / oder kläpperet: Kein andere Stimm ist bey ihm zu hören / er hat auch ein gar kurtze Zung.37 Nähren thut sich der Storch mehrentheils von kriechendem Ungezieffer / als Schlangen / Atteren / Krotten etc. auch Fischen / und Fröschen / und flieget sehr in die morastige / sümpffige Orth an Seen und Teichen gelegen: In gantz Engelland / wie ich höre / soll es keine Storchen geben. Sein Nest macht er in die Höhe auf den Häusern / Camin / oder Rauchfäng / Thürn /Mauern etc. Die Storchen kommen in unser Land mit anbrechendem Sommer / und begeben sich von uns wieder hinweg / wann diser zu End gehet: wohin aber / ist nicht genugsam bekannt. Der gemeine Wahn ist /sie fliegen Schaaren-weiß übers Meer in warme Länder. Doch wie Campofulgosus berichtet / so findet man zu Zeiten auch im Winter in Lothringen bey einem gewissen See vil Storchen beysammen / welche wie halb erstorben seynd / so bald man aber sie erwärmet / kommen sie wieder zu Kräfften.

Der Storch ist ein befreyter Vogel / man laßt ihn auch ohngehindert passiren / und thut ihn nicht leicht schiessen / oder fangen (es sey dann Sach / daß man in der Artzney etwas von ihm brauchen wolle) es scheint auch / als wann er das wohl verstehe: dann sonsten wurde er nicht so keck unter die Leuth / und sein Nest mitten in den Flecken und Dörfferen machen.

In Egypten soll es bey Lebens-Straff verbotten seyn / Storchen zu tödten / weilen sie nemlich das Land von den häufig-geflügleten Schlangen reinigen und befreyen. Wann der Storch fliegt / da leithet er seinen Flug mit denen nach der Läng ausgestreckten Füssen /als wie ein Schiff-Mann das Schiff mit dem Steur-Ruder / und damit ersetzt er seinen kurtzen Schweiff. Das Weiblein legt gemeiniglich 4. Eyer an Farb / und Grösse den Gänß-Eyeren gleich / welche sie beyde /eins um das andere ausbrüten / da indessen das eine die Nahrung sammlet: Die Bruth aber / wann das nasse Wetter nicht verhindert / wird in Zeit eines Monaths vollendet.

Der Storch hat in seinem Leib ein grosse Hitz /deßwegen er auch die gifftige Thier / die er gantz hinunter schluckt / ohne ihm zu schaden / so bald verzehren kan: Hingegen im Kopf vil Feuchtigkeit: deßwegen aus seinem Schnabel / sonderlich im Winter schier immerdar ein Wasser heraus tropffet.

Den Abflug der Storchen aus unserem Land über das Meer betreffend / so kommen sie vor demselben in grosser Menge in einem weiten Feld aus den umliegenden Landschafften all zusammen / da halten sie gleichsam Rath / und wann einer gar zu spath kommt / oder erdapt wird / daß er an seinen Mit-Consorten untreu gewesen / und mit einem anderen sich vermischt hat / da wird er von der gantzen Storchen Gemeind deßwegen gestrafft und getödtet / ja in Stuck zerrissen. Der würcklich und allgemeine Abzug der Storchen aus disem Land wird von niemand wahr genommen / dann wie Ælianus, und andere schreiben /so geschiehet er allzeit in der Nacht bey dem Mond-Schein / sie halten sich auf bey dem Sammel-Platz ein Weil / und warten auf ein günstigen Wind.

Gewiß ist es / daß die Storchen vil Tugenden / oder löbliche Eigenschafften an ihnen haben / und daß man vil Gutes von ihnen ersehen / und erlernen könne /sonderlich die Liebe / den Fleiß / und Sorg der Alten gegen ihren Jungen / und Auferziehung derselben /und hingegen die Treu und Danckbarkeit der Jungen gegen den Alten: Dann wann die Alte im Fliegen /und in Sammlung der Nahrung nicht mehr fort kommen können: da werden sie von den Jungen unterstützt / getragen / und gespeißet.38 Wann ein Ungewitter / ein starcker Platz-Regen / oder Hagel einfällt /da breiten die Alte ihre Flügel aus / und bedecken die Junge / daß sie nicht beschädiget werden: ja sie geben offt die Speiß wieder aus dem Magen heraus / und theilens unter den Jungen ordentlich aus / keinem mehr oder weniger als dem anderen / biß daß sie[503] sich selbsten nähren können. Diese Lieb und Mühe aber /wie schon gemeldt / thun die Junge zu seiner Zeit nach Mögligkeit wiederum vergelten. Aus welchem sowohl die Kinder / als Elteren zulernen haben: jene zwar mit was Fleiß und Sorgfalt sie die Kinder wohl auferziehen / und mit aller Nothdurfft des Leibs / und der Seel versehen sollen: diese aber mit was Danck und Erkantlichkeit sie ihren Elteren / wann sie unkräfftig und bedürfftig werden / sollen beyspringen /hingegen aber sollen auch sich billich schämen jene Sorg- und Heyllose Elteren / die sich wenig um ihre Kinder annehmen / für ihr zeitlich- und ewiges Heyl so wenig Sorg tragen / als wann sie selbe schier gar nichts angiengen / und sie GOTT deßwegen schier kein Rechenschafft zugeben hätten: schämen sollen sich auch in Ansehung der Storcken jene untreue und undanckbare Kinder / welche wann sie erwachsen /auch im Stand und Mittel seynd / dannoch ihren alten und bedürfftigen Elteren nicht beyspringen / sondern nachdem selbe alles an sie gewendet haben / in Noth und Armuth stecken lassen / und zufolg des Göttlichen Geboths nit so vil thun / als diese Vögel aus blossem Antrieb der Natur zu thun pflegen.

Auch die Klugheit / oder Behutsamkeit der Storcken ist billich zu bewunderen / und zu imitiren: sie erkennen gar wohl / wann es die rechte Zeit zu End des Sommers hinweg zufliegen / und im Frühling wieder zukommen seye.39 Der Geyer / ein Weyh im Lufft erkennt sein Zeit / ein Turtel-Taub / und die Schwalb / und der Storck halten die Zeit ihrer Zukunfft etc. In dem Abzug halten sie eine schöne Disciplin und Ordnung / daß es nach Proportion kein Feld-Obrister mit seinen Soldaten in dem Marchiren besser machen kunte / vorher probiren und exerciren sich die junge Storcken mit Fliegen / ob ihre Schwing-Federen starck genug / und ob sie im Stand seyen / ein so weite Reiß übers Meer vorzunehmen. Sie geben auch auf den Wind achtung / daß sie ihren Flug nicht beym Contrari-Wind anstellen / als welcher sie starck abmatten wurde / und leicht ihre Ordnung zertrennen möchte.

Ja wann sie auch in der Höhe auf dem Nest sitzen /wissen sie einem hefftigen Sturm-Wind vor- und nachzugeben / und sich zuschützen / daß er sie nicht fortnehme / oder herab werffe / dann sie legen sich tieff in das Nest hinein / halten sich vest mit beyden Füssen an (da sie sonst mehrentheils nur auf einem stehen und stecken / den Kopf biß an die Augen in die Federen / sie ducken und schmucken sich so gut sie können / und lassen gleichwohl den Wind über sie hergehen. Man sagt auch / daß sie halbe Astrologi seyen / und das Ungewitter wohl vor erkennen: die Augen wenden sie hin / wo das Wetter herkommt.

Als vor Zeiten die berühmte Stadt Aquilia, oder Attilia von dem König der Hunnen drey Jahr lang belägert ware / und sich nicht mehr länger halten kunte /auch es an dem ware / daß sie sich bald ergeben muste / da haben sowohl die Belägerer als Belägerte wahrgenommen / daß die Storcken auf den Häusern und Thürnen ihre Junge aus den Nesteren hinweg getragen haben / welches der Feind für ein Zeichen aufgenommen / daß die Stadt übergehen werde.40 Er thäte deßwegen ein General-Sturm darauf / nahme sie ein / und verstöhrte alles.

Man hat auch öffters beobachtet / daß wann ein alter Thurn oder Hauß bald einfallen will / die Storcken allzeit zuvor sich von dannen begeben. Zu wünschen wäre / daß der Mensch auch so grosse Klug-und Behutsamkeit brauchte in seinen Reisen / und in anderen vorhabenden wichtigen Geschäfften / daß er allzeit die rechte Zeit beobachtete / die Sach nach seinen Kräften und Mittlen abmessete / ob er es könne hinausbringen / oder nicht: daß er sich nach dem Wind und Wetter / das ist / nach Beschaffenheit der Umständen zurichten und zu schicken wuste.

Nicht geringer als die Klugheit / ist die Danckbarkeit der Storcken gegen[504] ihren Gutthäteren: diese hat sich erzeigt / wie Gesnerus erzehlt / als einem Storcken ein Fuß abgeworffen worden / und er kümmerlich mehr in das Nest / der Nahrung aber ein Zeit lang gar nicht nachkommen kunte / da haben ihm etliche Weiber guts gethan / und ihme zuessen geben. Als nun diser Storck wieder gesund worden / und mit den andern geflogen ist / da hat er der ihm von den Weibern erwiesenen Gutthat nicht vergessen / sondern hat das andere Jahr bey seiner Ruckkunfft in das alte Quartier ein schönes grosses Perlein in dem Schnabel mit sich gebracht / und selbes vor den ermeldten Weiberen / seinen Gutthäteren / die er noch gekennt / und beysammen angetroffen hat / aus dem Lufft herab fallen lassen / welches sie auch für ein Discretion wegen der ihme gereichten Nahrung angesehen / und aufgenommen haben.

Eben dergleichen etwas habe sich zugetragen in Westphalen / da ein Storch vil Jahr lang auf eines Burgers Haus sein Nest gehabt / als er einstens im Frühling wieder zuruck kommen / da habe er schöne frische Innbeer-Wurtzen zum Gruß mitgebracht / und ihm für die Füß dargelegt.

Es ist schier kein so unschuldiger Vogel / der so gar kein Schaden thut / zu unterhalten / so gar nichts koste / auch kein Mensch / noch Thier beleidiget / als wie der Storch / ausgenommen das unreine / ja gifftige Ungezieffer / das frißt er auf / reiniget dardurch die Gärten und Felder / welches ein grosse Gutthat ist / er verzehrt es in seinem hitzigen Magen also bald / ohne daß es ihm im Geringsten schade.41 Zu wünschen wäre / daß wir auch im sittlichen Verstand solche hitzige / und starcke Mägen hätten / und alle harte / und ungeschmackte Brocken so leicht verkochen / und verdäuen kunten. Oder noch mehr / daß wir solche hitzige / von der Liebe GOttes entzündete Hertzen hätten / so wurde uns kein gifftiges Unzieffer / das ist / kein Versuchung / kein böses Exempel / und kein böse Gelegenheit schaden / laut der Verheissung Christi: Serpentes tollent, Marc. c. 16. v. 17. Et si mortiferum quid biberint, non eis nocebit: Sie werden die Schlangen vertreiben / und so sie etwas Tödtliches trincken / wird es ihnen nicht schaden.

Die lange rothe Füß seynd schier die meiste Zier des Storchen / dise aber je älter der Vogel ist / je schöner und röther werden sie. Die sittliche Füß der Seelen / wie die heilige Vätter reden / seynd ihr Affect oder Anmuthungen / dise solten auch je schöner / und reiner werden / je älter der Mensch wird.

In der ehelichen (so zu reden) Pflicht und Treu / da seynd die Storchen gar genau / sie begehen nicht das geringste Unrecht darwider: oder lassen doch nicht ungestrafft / wann etwas darwider begangen wird.

Der Storch / und die Storchin / die sich einmahl zusammen gepaaret / oder gesellet haben / bleiben einander allzeit treu / und beständig beysammen biß in Todt. Wann aber je das Widerspihl geschihet / so wird es mit dem Todt gerochen. Ein seltzsame Begebenheit soll sich einstens dißfalls zugetragen haben: wie Doct. Conrad Gesner in seinem Vogel-Buch erzehlet. Ein paar Storchen hätten auf einem hohen Hauß genüstet / als aber das Männlein zu weit ausgeflogen / und etwas längers ausblieben ist / da kam zum öfftern ein frembder Storch zu seinem Weiblein /und brach die Ehe mit ihm: Nachdem aber dises geschehen / hat sich das Weiblein allzeit in einen Brunnen gestossen / und gewaschen / auf daß es sein Ehe-Mann / wann er ins Nest zuruck komm / nicht mercke / was es gethan hab / dises hat der Hauß-Wirth wahr genommen / und einstens der Störchin / nachdem sie den frembden Storchen zu ihr gelassen hat / den Brunnen versperrt / daß sie nicht nach begangenen Ehe-Bruch baden kunte. Da nun der Storch heimkommen /und die begangene Untreu an seiner Störchin vermercket / hat er zwar nichts dergleichen gethan / er ist aber den anderen Tag widerum ausgeflogen / und hat etlich[505] andere Storchen mit ihm zuruck gebracht / wel che insgesambt das ehebrecherische Weiblein / die Störchin angegriffen und getödtet haben. Ein anderer Storch / als er vermercket / daß der Knecht seines Hauß-Herren in dessen Abwesenheit ein Ehebruch begangen habe / hat er die Unbild nit ungerochen lassen wollen / sondern ist schnell auf ihn zu geflogen / und ihm die Augen ausgebickt. Solche Ding läst GOtt geschehen auch durch die unvernünfftige Thier / dem Menschen zuverstehen zugeben / wie schwer ihm das Laster mißfalle / welches wider die eheliche Pflicht und Treu begangen wird.

Obwohlen der Storck ein guter frommer Tropf ist /und niemand beleidiget / so ist er doch so gar einfältig nicht / daß er sich nicht wisse zu revangiren / wann man ihn voppet / oder beleidiget.42 Daß hat jener Fuchs wohl erfahren / welcher den Storcken vor ein Narren halten / und seiner spotten wolte: dann als er ihn zu gast geladen / und aber ihm nur lauter gantz fließige Speisen / und zwar in einer flachen breiten Schüssel hat aufgesetzt / da setzten sie sich nieder /und griffen miteinander zu / er der Fuchs zwar kunte mit der Zungen die dinne Speisen wohl auflecken /und hinein schnappen / der Storck aber mit seinem langen spitzigen Schnabel kunte so vil als nichts bekommen / der Fuchs lachte ihm heimlich die Haut voll an / und der gute Storck muste mit dem lehren Bauch hungerig wiederum von der Mahlzeit gehen. Doch weil er schon in der Fremde gewesen / so hat er so vil Politic gelehrnt / daß er den Verschmach und Affront dissimulirt / und für das Gast-Mahl sich höflich bedanckt hat. Nechster Tägen aber hat er auch den Fuchs zum Essen eingeladen / dieser kam / und vermeinte wohl zu leben / der Storck aber gedenckt ihm: Cum vulpibus vulpinandum, mit Füchsen muß man flüchslen / er war so listig / und setzte das Essen in einer Flaschen auf / die einen langen engen Halß hatte / also daß er zwar mit seinem langen Schnabel wohl hinein und die Brocken heraus langen kunte /der Fuchs aber kunte mit seinem dicken breiten Kopf nicht hinein / er kunte nichts bekommen / obwohl er rings um das Geschirr herum gienge / und ein Zugang suchte / er schämte sich deßwegen / daß er Fuchs-roth worden ist / und muste auch mit dem lehren Bauch hungerig wieder davon gehen / und also ist er von dem Storcken mit barer Müntz ausgezahlt / und ihm gleiches mit gleichem vergolten worden.

Also pflegt es auch öffters unter denen Menschen zu geschehen / daß einer es dem anderen eben macht /wie es ihm jener vorher gemacht hat. Ja Christus selbsten in dem Evangelio sagt: In qua mensura mensi fueritis, remetietur vobis.43 Mit welcherley Maaß ihr messet / wird euch wieder gemessen werden. Und der Prophet Isaias aber / Væ, qui spernis, nonne & ipse sperneris etc.44 Wehe dir du Verachter /wirst du nicht auch verachtet werden? deßwegen solle man redlich und aufrichtig handlen und umgehen / so hat man sich keiner Schand zubeförchten.

Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738, S. 502-506.
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