Der 8. Absatz.

Von dem Pelican.

[509] Es ist schon ein alte Gewohnheit und gemeiner Brauch / daß uns die Mahler unter dem Namen des Pelicanen / weiß nicht / was vor einen frembden Vogel vorstellen / der ihm selber mit dem Schnabel die Brust aufpicket / und das Blut heraus lasset / welches seine Junge mit ausgestreckten Schnäblen begierig auffangen.52

Aber villeicht hat diese Sach kein andern Grund /als daß es einer dem andern nach sagt / nach schreibt /und nach mahlet: Gesnerus, und Aldrovandus etc. halten auch nicht viel darauf / es heißt eben offtermahl:


Pictoribus atque Poëtis

Quælibet audendi semper fuit æqua potestas.


Den Mahleren / und Poeterey

Stehet alles zu erdichten frey.


Villeicht hat diser Wahn daher seinen Anlaß genommen / weilen / wie Orus meldet / die Egyptier von einem gewissen Geyer-Geschlecht vorgeben / daß ein solcher Vogel in Ermanglung aller anderer Speiß /und Wiederauferweckung ihrer Jungen / sich selber an der Dicke des Fuß blutrißig beisse / und seine Junge mit dem Blut erquicke. Noch mehr- und seltzsamers wird von solchem Blutvergiessen der Pelicanen / und Wiederauferweckung ihrer Jungen erzehlt / aber mit diesem Anhang beschlossen / daß es von berühmten Scribenten / benanntlich von Alberto mehr vor ein Gedicht / als Wahrheit gehalten werde: S. Augustinus setzt es in Zweiffel / Hieronymus / und Epiphanius aber geben es für ein Wahrheit aus / wie zu sehen ist bey dem hochgelehrten le Blanck s. 9. in Psal. 101. v. 7.

Einige wollen / daß der Pelican nichts anders / als der so genannte Löffler / oder die Löffel-Ganß seye /also genannt / von dem Schnabel / so vornen her rund und hol ist / wie ein Löffel.

Das richtigste scheint zu seyn / daß der wahre Pelican / oder Onocrotalus, wie ihn Aristoteles nennt / in Egypten an dem Fluß Nilo sich befinde / und ein weisser / der Ganß / oder dem Schwanen zimlich gleichender Vogel seye / daß aber diser Vogel von dem David in den Psalmen Pelicanus solitudinis, ein Pelican der Wüste / oder Einöde genennt wird / das laufft nicht wider dise Meynung / inmassen durch die Wüste wohl das Ufer des Flusses Nili, und moßächtige Orth in Egypten können verstanden werden / obwohlen einige behaupten / daß der Pelican auch bey- oder auf dem Meer sich befinde etc.

Von dem Pelicanen wird auch geschrieben / daß er Eyer in ein Gruben auf der Erden lege: da pflegen nun die Jäger ringsum ein Feuer aufzumachen / welches der Pelican ersehend / und die Gefahr vermerckend /mit seinen Flüglen selbes auszulöschen sich bemühet / mithin aber seine Flügel verbrenne / und also gefangen werde. Es wollen zwar einige / auch aus denen heiligen Vätteren / daß es zweyerley Pelicanen gebe /die eine fliegen auf dem Land / die andere schwimmen auf dem Wasser / und jene seyen eines mit denen Onocrotalis, welches andere hingegen widerum verneinen.

Disem seye nun wie ihm wolle / so wird[509] doch gemeiniglich von den heiligen Vätteren / und Lehreren Christus der HErr mit einem Pelicanen verglichen: und dieses zwar wegen der ungemeinen Lieb / so dieser Vogel zu seinen Jungen / das ist / Christus aber zu den menschlichen Seelen traget: dann der Sohn Gottes hat wahrhafftig ihm selber nicht nur die Seiten / sondern auch die Händ und Füß mit der Lantzen und Näglen durchstechen lassen / und durch sein vergossenes heiligstes Blut / die von der höllischen Schlang getödtete Seelen wiederum / als wie der Pelican seine Junge lebendig gemacht.53 Ein Pelican ist Christus / und zwar ein Pelican der Einöde / immassen er jederzeit die Einöde / oder Einsamkeit / wo es immer die Umständ gelitten haben / geliebt hat.

Erstlich zwar hat er erwählt die Einsamkeit in dem jungfräulichen Leib Mariæ vor seiner Geburth / in dem Stall zu Bethlehem nach seiner Geburth / in dem Hauß seines heiligen Nähr-Vatters Joseph / und absonderlich in der Wüste zur Zeit seiner viertzigtägigen Fasten.

Wann des Pelicanen seine Junge anfangen aufzuwachsen / da schlagen und beissen sie nach ihren Elteren um (wie unterschiedliche von ihnen berichten) diese aber erzürnen sich darüber / und schlagen die Junge hinwiederum mit den Flüglen / bißweilen gar zu Tod: es reuet sie aber / und die Mutter / nachdem sie ein / und andern Tag den Todschlag bedauret hat /verwundet sie sich selber mit dem Schnabel an der Brust / und last das warme Blut über die Todte ablauffen / und also werden sie wieder lebendig (vielleicht seynd sie nur in Ohnmacht gelegen) hiervon mag der geneigte Leser glauben oder nicht glauben /was ihm beliebt / indessen aber ist es gewiß / daß GOtt der Allmächtige / als ein himmlischer Pelican die Menschen gleichsam als seine Junge / wie ich schon zum Theil gemeldt habe / über die Massen liebe: diese aber waren undanckbar / und widerspennig / gleich in der Persohn ihrer ersten Elteren haben sie durch die Erb-Sünd nach GOtt gleichsam umgeschlagen: dieser zum billigen Zorn beweget / hat sie hingegen wiederum mit dem zeitlich- und ewigen Tod geschlagen.

Aber der himmlische Pelican / der Sohn GOttes hat sie gleichsam 3. Täg lang bedauret / so lang nemlich das Gesatz der Natur / und das geschriebene Gesatz Moysis gewehret hatte: am dritten Tag aber / als das Evangelische Gesatz angefangen hat / da hat er die geistlicher Weiß Tods-verstorbene Seelen wiederum zum Leben der Gnaden auferweckt / indem er selbst freywillig an dem Stammen des heiligen Creutzes mit der Lantzen sein Seiten ihm hat eröffnen lassen / und für sie sein Blut so reichlich vergossen. Er hat auch den Leib des Menschen an dem dritten Tag nach seinem Leiden in seiner Persohn oder H. Menschheit wieder auferstehend gemacht. Und dises ist / was der Prophet längsten hat vorgesagt: Ipse cepit, & sanabit nos, percutiet, & curabit nos. Er hat uns gefangen /er wird uns auch wiederum heilen: er hat uns geschlagen / und wird uns wieder verbinden / er wird uns in zweyen Tägen wieder lebendig machen / aber am dritten Tag wird er uns auferwecken.54

Es solle auch in Egypten viele Schlangen geben /die den jungen Pelicanen in dem Nest zusetzen / sie vergifften und tödten: aber sie werden / sagen einige /auf schon gemeldte Weiß wieder lebendig gemacht: aber wegen des ausgelassenen Bluts werde der alte Pelican so schwach / daß er der Nahrung nicht mehr nachkommen kan. In diesem Zufall erbarmen sich etliche Junge über den Vatter / oder Mutter / erzeigen sich danckbar / und bemühen sich die Alte zu ernähren: andere hingegen seynd undanckbar / und fragen ihren Elteren nichts nach / aber zu seiner Zeit / wann diese wieder gesund werden / trencken sie es den Jungen auch wieder ein: denen die ihnen guts gethan haben / und in ihrer Schwachheit gedient / thun sie auch wieder guts / und foviren sie in dem Nest: die aber so grob / und undanckbar gewesen[510] seynd / verstossen sie / und jagens fort. Auf solchen Schlag hat auch die höllische Schlang die Junge des himmlischen Pelicanen / das ist / die Kinder GOttes durch die Sünd vergifft / und getödtet: Christus aber durch sein Blut wieder lebendig gemacht. Welche nun erkantlich /und danckbar sich einstellen für sein Leiden und Blut / oder ihne in der Person der Armen speisen und träncken: diesen thut er es zu seiner Zeit vergelten / und nimt sie auf in das Himmelreich: die es aber nicht thun / und der unendlichen Gnad der Erlösung vergessen / die thut er verlassen / und verwerffen. Dieser Unterschied / welchen GOtt zwischen beyden machet / wird sich absonderlich zeigen an dem letzten Gerichts-Tag / wann es wird heissen. Ite maledicti etc. venite benedicti etc. Gehet hin ihr vermaledeyte etc. kommet her ihr Gebenedeyte etc.

Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738, S. 509-511.
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