Der 3. Absatz.

Von etlich anderen Erd-Früchten oder Gewächsen.

[611] Im Abgang und Ermanglung des Weitzens-Kerns pflegt man an unterschidlichen Orten für die gemeine und arme Leuth / auch aus anderen Erd-Früchten ein Brod zu bachen / oder aufs wenigst gewisse / dem rechten Brod etwas gleichende / und selbes ersetzende Kuchen oder Zelten zu machen.24 Dergleichen Früchten seynd erstlich der Rocken / es ist der Haber / die Gersten / Reiß / auch Hirsch und Bonen / welche Früchten mehrentheils in unseren Landen genugsam bekandt seynd / und deßwegen kein weitere Beschreibung brauchen.

Gleichwie aber dise Früchten unterschidlich seynd /also ist auch das Brod / so daraus gemacht wird / unterschidlich / weisser oder schwärtzer / räuher oder zärter / geschmacker oder ungeschmacker / leichter oder härter zuverdauen. Anderst ist beschaffen (neben dem Weitzen-Brod von dem ich schon oben gemeld) das Rocken-Brod / anderst das Haber-Brod / und wiederum anderst das Gersten-Brod / doch ist endlich alles ein Brod / das sich gleichwohl essen lasset / den Hunger stillet / ersättiget und ernähret / obwohlen das eine disem / und jenes einem anderen besser anschlagt und gedäulicher ist / nachdem nemlich der Gustus und der Magen des Essenden beschaffen und gewohnt ist.

Ein solche Beschaffenheit hat es auch einiger massen mit der göttlichen H. Schrifft / und denen darin enthaltenen Stellen / Lehren und Wahrheiten / welche zwar gar unterschidlich beschaffen seynd.25 Die eine ist klar / die ander dünckel / die eine leicht / die andere schwer zu verstehen / die eine glimpfig und tröstlich / die andere scharpf[611] und schröckbar: die eine lehrt oder unterweiset / die andere straffet / die dritte warnet und erwahnet / doch seynd es lauter unfehlbare Wahrheiten / die als ein sittliches Brod dem Menschen zur geistlichen Nahrung dienen / ihn bey dem Leben des Geists erhalten / wachsen machen oder stärcken / und so wohl den Verstand durch die Erkanntnuß der Wahrheit / als den Willen durch Erwählung des Guten ersättiget. Es geschicht aber dises nit auf gleiche / sondern unterschidliche Weiß: nit alle Stellen oder Wahrheiten der H. Schrifft taugen für alle / sondern es muß ein Unterschid gemacht / und grosse Bescheidenheit gebraucht werden. Man muß die unterschidliche Beschaffenheit der Menschen in obacht nehmen; dann ein anders Brod hat vonnöthen der Krancke / und ein anders der Gesunde: ich will sagen / ein andere Stell / Lehr oder Wahrheit der H. Schrifft tauget für den Sünder / und ein andere für den Gerechten / ein andere für den Frech- und Verwegenen /ein andere für den Trostloß- und Angsthafftigen. Was der eine Magen leichtlich verdäuen thät / das kan der andere gar nit verkochen: ich will sagen / was der eine Willen gern annimbt / zu dem kan sich der andere nit entschliessen. Mit einem Wort / was dem einen nutzlich ist / das kan dem andern schaden.

Aus disem erscheinet klar / wie so weißlich und billich die Catholische Kirch (wider den Irrwahn deren Lutheraner und anderer Irrglaubigen) gethan habe / daß sie denen Layen und Ungelehrten den Gebrauch oder das Lesen der heiligen Schrifft verbotten habe / weilen es nemlich gar leicht geschehen kunt /daß sie die Sach unrecht verstunden / übel auslegten /und folgends so wohl ihnen selbst / als anderen vil Schaden thäten.

Deßwegen / gleichwie ein gescheider und sorgfältiger Hauß-Vatter seinen Kindern und Dienstbotten das Brod vorschneidet / und nach Nothdurfft austheilt /dem einen mehr / dem anderen weniger / ein andere Portion einem arbeitsamen Mann / und ein andere einem schwachen Kind: (nit aber einem jeden den gantzen Leib vorlegt / und selbs zu nehmen / oder selben zu mißbrauchen gestattet). Also soll ein Predidiger oder Seelsorger das Brod der H. Schrifft seinen Zuhörern oder geistlichen Kinderen vorschneiden und austheilen / nach proportion ihrer Nothdurfft / Beschaffenheit und Fähigkeit. Sonsten wurd er eben das jenige thun / was ein Leib-Artzt thäte / wann er zweyen an einer gantz unterschidlichen Kranckheit ligendē Patienten einerley Medicin vorschreiben und eingeben thäte / welches ja freylich vilmehr schaden als nutzen wurde / wie es die leidige Erfahrnus bey den Irrglaubigen / auch jetziger Zeit nur gar zu klar und vilfältig erweiset.

Damit das Brod aufgehe / leicht / schön und geschmack werde / muß der Teig ein wenig mit Höffel oder Saurteig und Saltz vermischt werden / dann sonsten wurde es keine förmliche und ansehnliche Laib /sonder nur unansehnliche und ungeschmacke Zelten abgeben. Ich sage ein wenig / dann zuvil wäre ungesund / das Brod wurde saur / und dem Magen schädlich. Eben also mag die Vortragung des Wort GOttes / oder die aus der H. Schrifft gezogene Predig wohl mit dem Saurteig und Saltz der Philosophischen Weißheit / der natürlichen Wissenschafften und historischer Erudition ein wenig vermengt oder vermischt werden / auf daß die vorgetragene Lehr und Warheiten den Zuhörern desto angenehmer seyen / und willig angehört werden / aber nit zu vil / cum grano salis mit Behutsamkeit und Bescheidenheit muß es geschehen / damit das Wort GOttes oder die H. Schrifft nit durch eitle Concept profanirt oder mißbraucht und entunehrt werde.

Ein gutes gesund- und wohlgeschmackes Brod zu bachen ist kein geringe Kunst / oder aufs wenigst kein schlechter Vortheil / es braucht ein grossen Fleiß /Bemühung und Erfahrenheit / daß es wohl ausgearbeitet /[612] und recht zubereitet werde. Wann es aber wohl und recht gemacht ist / da ist es würdig / daß es auch auf vornehmer Herren Taflen gesetzt werde / ja es ist die beste und gesündiste Speiß. Nit weniger Behutsamkeit / Fleiß und Müh braucht ein gute gesunde Lehr aus den Bücher oder Stellen der H. Schrifft heraus zu ziehen / und selbe in einer wohlgefaßten Predig oder anderen Discurs nutzlich vorzutragen. Wann aber dises also geschiht auf sein rechte Weiß und Art / mit gebührenden Umständen / alsdann ist das Predigen ein hochverdienstliches Werck.

Bey der Tafel der vornehmen Herren darf man wohl mit keinem schwartzen Rock Brod / noch weniger mit Haber- oder Gersten-Brod aufziehen / sie wollen nur immer weisse Semel / oder Brod aus Waitzen gebachen haben. Aber im sittlichen Verstand gehet das nit an / es kan nit seyn / daß der Prediger oder Beichtvatter allzeit nur lauter Waitzen-Brod aufsetze / ich will sagen / lauter glimpfige und tröstliche Text und Wort auf die Bahn bringe / sondern man muß zu Zeiten auch / wann es die Umständ / die Bestraffung der Sünden / und die Verbesserung der Sitten also erforderet / mit schwartzen Rocken-Brod / ja mit rauhem Haber- und Gersten-Brod verlieb nehmen / das ist /ernstliche Verweiß und Bedrohungen gedultig anhören.

Das liebe Brod hat vor all anderen menschlichen Speisen dise sonderbare / und recht verwunderliche Eigenschafft an sich / daß es dem Menschen (wann er je gesund ist / und keinen übel-verderbten Magen hat) niemahl verleidet / wann er schon vil 1000. mahl nach einander / vil Jahr lang alle Tag Brod isset.26 Es bilde ihm nur einer die aller-delicatiste / oder ihm angenehmste Speiß ein / wann er selbe ein gantzes Jahr lang alle Tag / oder etlich 100. mahl nach einander essen müßte / so wurde sie ihm gewißlich also verleiden / daß er sie nit mehr schmecken möchte: hingegen das Brod essen wir alleTag 2. mahl / und dannoch verleidet es uns niemahl. Zu wünschen wäre / daß ein jeglicher Christ auch ein so grossen u. beständigen Appetit zu dem sittlichen Brod der Seelen / das ist /zu dem Wort GOttes hätte / und es allezeit mit Lust u. Begird anhörte: aber es geschiht zum öfftern / daß gleichwie ein verderbter Magen eines Krancken / lieber andere ungesunde Speisen / als das Brod annimbt / also ein lauer Christ lieber eitle Gedicht und Zeitungen / als das Wort GOttes und ein Predig anhöret.

Endlichen gleichwie der Beck / wann er ein Brod bacht / wohl achtung gibt / daß nichts unrechts oder unsaubers unter den Teig komme / welches leichtlich die gantze Massam verderben / und den Essenden schaden kunte. Also muß ein Prediger fleißig achtung geben / daß er nichts unreines / das ist / kein Irrthum oder Unwahrheit in seiner Lehr oder Predig einmische / welche alles verderben / und seinen Zuhorern nit wenig schaden wurde.

Ubrigens ist da anzumercken / daß unterschidliche Erd-Früchten und Gewächs / als Haber / Gersten /Ruben / Bonen / Erbis / Linsen / Kürbis (welche als Sachen von einer geringer Consideration sonderheitlich zu beschreiben unterlasse) zur Nahrung des Menschen / und zur Fütterung des Vihs zugleich dienen; und aber gemeiniglich eben darum geringer geschätzt und weniger geachtet werden / als diejenige Frücht oder Speisen / die für die Menschen allein gewidmet und verordnet seynd. Eben also gibt es auch unterschidliche Werck und Verrichtungen / deren eine dem Menschen und den unvernünfftigen Thieren gemein seynd / als wie Essen / Trincken / Schlaffen / Arbeiten / und dises seynd die unvollkommnere Werck / sie seynd weniger zu achten. Andere aber seynd dem Menschen allein eigenthumlich / als wie Betten / Betrachten / Studiren etc. und dises seynd die vollkommnere Werck / welche höher zu schätzen seynd. Doch können und sollen so wohl die erste als letzte durch ein gute Meynung erhoben / und verdienstlich[613] gemacht werden / als zum Exempel / Essen / Trincken /Schlaffen ist ein indifferente Sach / die an sich selbsten weder gut noch böß ist: sie kan aber gut oder böß werden wegen der Meynung oder den Umständen /von welchen solche Werck begleitet werden. Wann man isset / trincket oder schlaffet mäßig zu seiner Zeit / und aus guter Intention, das Leben und die Leibs-Kräfften zu erhalten / sein Amt zu verrichten / und GOtt ferners dienen zu können / so ist es löblich und verdienstlich: wann es aber zu unzeiten und übermäßig geschiht / wann man nichts als den Wollust dabey suchet / das ist sträfflich u. sündhafft.

Die Zwiblen / Knoblauch und Rettich / seynd solche Erd-Gewächs / welche hitzig / bißig / scharpf und räß seynd also / daß sie dem Gesicht oder den Augen schaden / und einem die Zäher austreiben mögen.27 Die Krafft und Schärffe der Zwiblen steckt fürnemlich in der Wurtzel / welche wie bekannt / rund ist / vil kleine Würtzlein oder Fasen / von vil Häutlein oder Schelffen übereinander hat. Die Zwiblen seynd zur Speiß und Artzney-weiß zu gebrauchen / aber die Wunden von einem Messer / mit welchem man Zwiblen geschnitten hat / heilen nit leicht. Der Knoblauch aber / obwohlen er rauh / scharff und räß ist / so ist er doch gesund; dann er wärmet / laxirt / verzehrt / zertheilt und heilet die Wassersucht / und verfaulte Wunden. Deßwegen kan durch dise Gewächs die Reu und Buß verstanden werden / oder die Gedächtnus des Todts und der Höllen / welche scharff und räß / aber heilsam und sehr nutzlich ist. Die Reu und Buß treibet leicht die Zäher aus den Augen / sie eröffnet das Gewissen durch die Beicht / sie verzehrt die Sünden durch die Genugthuung / sie heilet die Wunden der Seel / und führet aus die überflüßige schädliche Feuchtigkeiten der bösen Begirden: dem Gesicht aber / das ist / dem Verstand / schadet sie nit / sondern thut vilmehr denselben eröffnen und schärffen.

Der Geruch des Knoblauchs ist scharff und schandlich / aber ein Mittel wider andere böse schädliche Dämpff. Also ist auch der Gestanck eines Todten-Aaß gut wider den böß- und schädlichen Gestanck der Geilheit. Dass der Knoblauch ist ein gut- und kräfftiges Mittel wider Gifft / wann man ihn mit Rauten /Saltz / Nuß und Wein vermischt / und isset / oder auf ein vergiffte Geschwulst oder Blatter leget / da vertreibt oder verzehrt er den gifftigen Humor, er heilet auch den Biß eines wütigen Hunds. Auf solchen Schlag vertreibet auch die Reu und Buß das Gifft der Sünden / und der fleischlichen Begirden / und heilet den Biß des höllischen Hunds / das ist / sie mäßiget und entkräfftet die Versuchungen des bösen Feinds /wann sie gemischt wird mit der bittern Rauten der freywilligen Mortification oder Abtödtung / mit dem Saltz der Discretion oder Bescheidenheit / mit den Nussen (aus welchen man ein Oelpresset) der Hoffnung zur göttlichen Barmhertzigkeit / und mit dem Wein der Andacht.

Was den Rettich anbelangt / so soll der Saam und ausgepreste Safft von demselben gleichfalls ein kräfftiges Mittel seyn wider das Gifft und alle gifftige Würm. Wie ich in Jo. Cœleri Oeconomia f. 232. lise / so soll einer ohne Schaden allerley gifftige Thier anrühren därffen / wann er die Händ mit Rettich-Safft bestrichen hat: hingegen wann man ein Stücklein vom Rettich auf ein Scorpion lege / da soll er davon sterben / das laß ich dahin gestellt seyn / und auf die Prob ankommen. Christus hat in dem Evangelio ein sicheres Mittel wider das Gifft vorgeschriben / indem er zu seinen Jüngern gesprochen hat / die an ihn glauben (verstehe mit einem vollkommenen lebendigen Glauben) werden die Schlangen vertreiben / und wann sie etwas tödliches getruncken haben / werde es ihnen nit schaden.28

Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738, S. 611-614.
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