An Odalia

[18] 1785.


Unser Leben verwallt, meine Odalia!

Unser Jubel erstummt, unser Gejammer schweigt,

Wie ein Lächeln im Antlitz,

Wie ein Aechzen in weiter Luft.


Tage schmelzen wie Schnee, Monden wie Schloßen hin.

Jahre schwinden wie Hauch. Wieder verrollt ist eins,

Eins der schönsten, Geliebte,

Die mir schwanden im Schwung der Zeit.


Dich, Odalia, dich führte das freundliche

Schon verscheidende Jahr mir in den heißen Arm,

Dich, du Reine und Milde,

Dich, du holde Vertrauliche!
[19]

Manches selige mal sah es mich frei und froh

Dir und Minnen am Arm wandeln auf stiller Flur,

Zwischen Blumen des Frühlings,

Zwischen Herbstes Verwelkungen.


Manches leise Gefühl färbte die Wange dir.

Manches dämmernde Weh trübte dein blaues Aug'.

Säusel faßten dich, Milde!

Stürme Gottes mich Wilderen!


Selten haucht' ich es aus, was mir den Busen hob.

Selten riß es sich los, was mir im Herzen rang.

Denn ich hass', es zu sagen,

Was der Rede zu mächtig ist.


Ohne Red' und Gesang faßt uns der Edlere.

Auch mit Red' und Gesang faßt uns der Laue nicht.

Gleichbesaitete Herzen

Ahnden, suchen, erkennen sich.
[20]

Schweigend saß ich bei dir, meine Odalia,

Stumm und staunend bei dir unter dem Bogengang,

Im Gedämmer des Abends,

Im wehmüthigen Mondenschein.


Schweigend stand ich bei dir unter den grausigen

Burggewölben. Ihr wart, grausige Trümmer, mir

An Odaliens Busen

Ein kristallenes Feienschloß.


Schweigend sahst du mich einst, moosiger Golchaberg

– Durch den herbstlichen Flor weinte die bleiche Sonn' –

Sahst mich glühend und schweigend

An Odaliens Seiten ruhn – –


Denk, Odalia, mein, wenn du auf Fluren wallst,

Wo ich wallte mit dir, unter dem Bogengang,

Durch die Flieder des Schlosses,

Auf dem heiligen Golchaberg.
[21]

Denk, Odalia, mein, bis du dich selbst verlierst,

Bis der Räuber dein Herz raubet, dem keins entrann –

Dann vergiß mich, Geliebte;

Denn ich hass' es, der Zweite seyn!


Mehr denn starrenden Frost, hass' ich den lauen Sinn.

Warm und weich ist mein Herz, trotzig und stolz dabei,

Tauscht nur Flammen um Flammen,

Wechselt Freundschaft um Freundschaft nur!


Innig giebt es sich hin, wo man sich wiedergiebt,

Schauert jähling zurück, fühlt es die Gluth verkühlt,

Bricht demantene Ketten,

Wie du Fäden versengst und brichst.


Dennoch will ich an dich denken, und bist du gleich

Längst erkaltet, noch lang' deiner Vortrefflichkeit,

Deiner Tugend und Schöne

Mich erinnern, Odalia! – –
[22]

Sey glückselig! Was ist wahre Glückseligkeit?

Reines Herzens zu seyn, schauen mit Ruheblick

In die Tage, die waren,

Und in jene, die künftig sind.


Sey glückselig! Was ist Menschenglückseligkeit?

Vollen Herzens zu seyn, off'ner und treuer Brust,

Thränen tauschen um Thränen,

Lieb' um Lieben, und Gluth um Gluth.


Sey glückselig! Was ist Wonne des Edleren?

Die glückselig zu sehn, welche ihm theuer sind. – –

Dis- und jenseit der Urne

Sey glückselig, Odalia!


Quelle:
Ludwig Gotthard Kosegarten: Dichtungen. Band 7, Greifswald 1824, S. 18-23.
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Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
Anthologie aus den Gedichten von Ludwig Theobul Kosegarten

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