Mein zwanzigstes Jahr

[95] 1777.


Sey mir, sterbendes Jahr, sey mir zum letztenmal,

Eh' du stirbest, und eh' die Zeit

Auf die Bahre dich wirft, die in das Leichenfeld

Der Vergangenheit tief verscharrt –

Sey mir einmal nur noch heute gegrüßt, und nimm

Meines Herzens Ergießung an.

Zwar du hast mir das Herz öfter gequält, doch auch

Oefter mit stürmischer Lust durchbebt.

Oft wiegtest du mich Abends am Weidenbach

In schwermüthige Ruh', und oft

Hast du glühend Gefühl mir an der Mädchenbrust

Durch die Adern gejagt. Du hast,

Jahr, der Wonn' und des Weh's herrlich und wunderbar

Mich geführet. Drum liebet dich

Meine Seele. Darum blick' ich dir Scheidendem

Heute mit weinenden Augen nach.[96]

Weil', o scheidendes Jahr, weile ein Kleines noch,

Daß ich dir in dein Angesicht,

Dir in dein brechendes Aug' einmahl noch schau'. Dann wird

Meine Seele Erinnerung

Deiner Wonnen und Weh'n treffen. Mein Herz wird dann

Dir nachsegnen, mein Auge dir

Thränen der Dankbarkeit weih'n –


Als du geboren wardst,

Scheidendes Jahr, da fand dein Blick

Mich am Hyldagestad'. Unter den Bruderreihn

War ich herrlich. Mein Name scholl

Ihnen Freude und Ruhm. Aber mein ganzes Herz

Hing, o Jüngling mit gold'nem Haar,

Hing, o Werthing, an dir, und an dem Redlichen

Mit dem Auge voll hohen Ernst,

Edle, Liebe, mit euch hab' ich gejauchzt. Ich hab'

Mich des Schönen auf Gottes Erd'

Herzlich mit euch gefreut. Aber wir haben auch[97]

Mit einander gelitten und

Mit einander geweint. – Ueber das Rosenthal

Lag noch krystallener Schnee. Es stand

Noch die Hylda im Eis', als ich, o Ehrbegier,

Dir entbrannt'! an des Königs Fest

Aufstand, ihm mit Gesang feierte, am Altar

Uns'rer Musen ihm Weihrauch streut'!

Und da lächelte mir – herrlicher Tag! das Aug'

Uns'rer Väter. Da brannte mir

Meine Seele vom Lob meiner Geliebeten.

Aber am Abend wehten mir

Kunden über das Meer, Kunden des Grams: der Tod

Meines wellenverschlungenen

Dellwar, und ein Befehl herrischer Gönner – o

Ihre Wohlthat war mir zur Qual! –

Ein Befehl, der im Schooß meiner Geliebeten,

Im Getümmel der Freud', im Chor

Uns'rer Lieder mein Herz beugte, mein Aug' umwölkt';

Ein Befehl, der den Schnee hindurch

Und die Wetter hindurch mich an die Warne rief –

Warne, Warne, dein Silberfluß[98]

Hat mich oft mit der Freud', oft mit der wüthendsten

Qualen Becher getränkt! – Ich floh

Nun durch Wetter und Schnee zu ihr. Die Lieben sah'n

Bang'schauernd dem Pilger nach.

Dreimal ging mir der Mond über das Schneefeld auf,

Da erblickt' ich die Warnestadt.

Ha! da strahlete mir eine Gestalt, wie Blitz,

Der das Dunkel der Nacht durchbricht,

Also siegend und hell, doch auch, wie Mondenglanz,

Mild' und bleibend. Die Hochgestalt

Ahnt' ich längstens. Sie war, siehe! mein Knabentraum

Und mein Seufzer im schönen Lenz,

Meine Klag' im Gesang, meine gesungene

Wonna, golden von Haar, von Wuchs

Schlank, und blaulich von Aug', lieblich von Stimm' und Blick,

Und von Herzen so sanft und gut.

O, ich sah sie. Ich stand zitternd von Schmerz und Lust.[99]

Ihr unschuldiger Schwesterkuß

Hauchte mir Balsam und Gift. Aber ich sog den Gift,

Wie der Durst'ge den Regen, ein.

Lieblich lächelte mir Wonna. Da faßte mich

Ahndung, die hohe, berauschende,

Ihr geliebet zu seyn. Aber die Ahndung ward,

Ach! erst Empfindung nach Todesqual.


Bald zu voll des Gefühls, ihr der Empfindung Drang

Länger zu bergen, nicht stark genug

Kam ich, stammelt' und sprach: Mädchen, ich liebe dich;

Meine Seele ist ewig dein!

Da bewölkete sich meiner Geliebten Aug',

Und ihr zärtlicher Busen stieg

Gleich der schwellenden Fluth. Jüngling, ich kann dich nicht

Lieben! sprach sie. Zerreiße mir

Nicht mit Klagen mein Herz. Weinend und wehmuthvoll[100]

Sprach sie's, wandte sich bebend weg.

Und ich stand erstummt, starr, mit dem Seelendolch

Tief im Busen. Kein Seufzerlaut,

Keine Klage entscholl. Düster und höchst betrübt

Wandelt' ich Wonna drei Tage noch

Stumm vorüber. Ihr Blick sahe mir thränend nach.

Aber ich floh mit dem Seelendolch

Tief im Busen, mit Harm, der an Verzweiflung grenzt,

An das Hyldegestad' zurück.


Und das Hyldegestad' sahe mich, freute sich

Seines Sängers. Sein Sänger, ach!

Sang nicht Freuden hinfort. Eisern und schwer gebeugt

Wandelt' er längs dem Ufer hin,

Schrie im Sturmwind, und klagt' unter dem Fluthgeräusch.

Seine Klagen, die hat die Welt

Angehört, und er hat öfter des Fühlenden

Glänzend Auge geseh'n und hat[101]

Oft des Edlen Geseufz über sein Weh gehört.

Darum kümmert des Eisernen

Sauergesicht, und des Hohns Rümpfen ihn nicht. Er sang

Trost den Freunden und sich ins Herz.


Und die steigende Sonn' schmelzte den Schnee. Die Luft

Wehte milder. Des Lenzgefühls

Süße Ahndung beschlich heimlich den Wanderer.

Aber tieferes Wehe fuhr

Mir ins Herz. Uns verließ Zamor, der liebliche

Minnesänger, und Selino

Mit dem freundlichen Blick, und der tief denkende

Ernste Baldor. Ihm hatte Gott

Flammenden Scharfsinn verlieh'n. O, wie im Mondenlicht,

Wie bei dämmerndem Lampenschein,

Wenn im trauten Gespräch Zukunft und Ewigkeit

Unsre Seelen erschütterte,

O, wie glänzte ihm da öfter sein braunes Aug'!

Wie, beim Strahl, der von oben her[102]

Seine Denkkraft durchfuhr, hellte sein Antlitz sich!

Aber, nun ging er auch dahin

Mit den andern. Ich hab' ihren Verlust geklagt,

Habe ihnen beim Lebewohl

Heiß am Busen geweint. Nun sind sie fern. Ich werd'

Ueber den Sternen sie wieder seh'n.


Zwar es blieben mir noch Geldar, der Redliche,

Und Rhysollhall mit Flammengeist,

Und mein Liebling, mein Freund, dem ich auf Erden nie

Einen gleichen geliebet hab',

Werthing blieb mir. Doch, ach! Werthing war selbst wie Nacht

Dunkel. Sein Blick war Verzweifelung.

Oftmal hab' ich den Stahl, wider sich selbst gezückt,

Schwerarbeitend der Mörderfaust

Abgerungen. Ich hab' oftmal die Nacht hindurch

Ihm zur Seiten geweint, gebebt.

Und des lautersten Glücks Quelle, die Zärtlichkeit,

Quoll mir Kummer und heiße Angst.[103]

Itzund lachte der Mai über die Flur herauf.

Durch die Weiden am Hyldabach

Strömten freudige Reih'n Mädchen und Jünglinge.

Aber die heilende Frühlingsluft

Und der Hylde Gestad' rauschte mir Tröstung zu.

Meine Lieben umringten mich

Mit der Freude Gejauchz. Freiheit und alter Stolz

Faßten wieder mein Herz. Ich stand

Glühenden Auges, begann unter den Freundereih'n

Mitzujauchzen. Der Freiheitruf

Und das Freudengetös, und die Ermunterung

Meiner Getreuen, die heilten mich

Mit dem Balsam der Zeit. Oder betäubten sie,

Nur den blutenden Schmerz? Denn oft

Riß die Narbe. So oft, als ich des Taumels satt

Einsam Abends im Felde stand,

Und der Mond und der Stern blinkt', und die Nachtigall

Flöt'te ferne. Mich däuchte dann,

Liebe blinke der Mond, Liebe der Abendstern,

Liebe flöte die Nachtigall.

Dann ergriff mich mein Schmerz wieder. Verzweifelung[104]

Schütterte mich mit dem Frost der Nacht.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Itzund strömte der Sirius

Neue wildere Gluth mir in die Brust hinein.

Ich besuchte die Strahlenstadt,

Fand ein Mädchen in ihr. Sanft war ihr Aug'. Ihr Blick

Still und schüchtern. Ihr Busen stieg

Von Empfindung und Geist unter dem Flor empor.

Damal ahnt' ich, es sey mein Herz

Nicht auf ewig betäubt. Mächtig und wonnelaut

Neigt' es sich zu Majora hin.

Und Majora empfand es ähnlich. Mir blickete

Mehr als Freundschaft ihr sanftes Aug'.

O, Majora, vergib, wenn du dich täuschtest,

Wenn mein Auge, wie Liebe, dir

Freundschaft blickte. Mein Herz war dir geneigt. Doch blieb

Seine Leere unausgefüllt.

Heißer brannte mein Herz, heißer und zärtlicher

Dir, o Mädchen am Trebelbach,

Dir, o Hulda! Du warst, Ossians Fräulein gleich,[105]

Hold und edel und stolz gebaut,

Rein und züchtig und gut, und unaussprechlich sanft.

Sanfter hab' ich des Schöpferhauchs

Töchter nimmer geseh'n. O, ich erkannte bald

Deinen Werth, und dein blaues Aug'

Glänzte auch von Gefühl mehr denn vorhin. Ich ging

Früh mit jeglichem Morgenroth

In die Gärten, und brach Rosen voll Thau für dich,

Und du trugst sie den Tag hindurch;

Dein hochklopfendes Herz trieb auf der hohen Brust

Oft noch höher die Ros' empor.

O, Geliebte, entsinnst du dich des Abends noch,

Als der Himmel in Wolken stand?

Als wir draußen am Thor unter der duftenden

Linde saßen, als deine Hand

Sanft die meinige nahm, sanfter sie drückete.

Unschuldstochter, mein ganzes Herz

Brannt' und bebete da, und mich umsäuselte[106]

Liebeswonne. Mit inniger

Sanftschwermüthiger Ruh', mit dem Gefühl, das nur

Reine Liebe und Tugend schafft,

Saß ich neben dir, sah sinnig den goldnen Mond,

Wie er sich durch die Wolken brach.

Eine Ros' an der Brust, welche mir Hulda gab,

Und im Herzen ihr theures Bild,

Also kehrt' ich getrost wieder zur Hylde um.

Ruhiger öffnete hier mein Herz

Sich der Weisheit aufs neu'. An den Kathedern zwar

Saß ich selten. Die Weisheit trägt

Da den Stämpel der Kunst, schleppt der Profession

Sklavenfessel, betäubt den Kopf,

Nährt nicht Herz, noch Verstand. Sklavinn, mein ganzes Herz

Ist dir gram und verachtet dich.

Du, die im Rosengewand lächelt, mit offener

Honigtriefender Brust uns winkt,

Tochter der freien Natur, offen und mild wie die;

Die du mit allen vernehmlicher[107]

Stimme durch der Natur blumiges Buch, durchs Licht

Unverrückter Vernunft, und durch

Das, was deutlich und klar Seher uns kündeten,

Sprichst, und Worte des Lebens sprichst,

Die du durchs Haines Gesaus' und durch des Abendsternes

Blinken, und durch der Gewitternacht

Rauschen Liebe und Kraft predigst, und weis' und gut

Uns zu wandeln gebeutst; du bist's,

Echte Weisheit. Dir schwor Huld'gung und ew'ge Treu'

Meine Seele. Heißdurstend hab'

Ich dich immer gesucht. Oft auch im einsamen

Nachtspaziergang umwehte mich

Deines Sternengewands heiliger Saum. Dann hab'

Ich ihn berührt und geküßt. Was mir

Ward, das theilte ich gern meinen Geliebten mit,

Die es fühlten, und freute dann

Mich des Strahls, der ihr Aug' hellte, ihr Herz durchfuhr.

Als der Schnitter die reife Saat[108]

Niedermäht' und das Feld golden in Garben stand,

Da besucht' ich das herrliche

Meerumdonnerte Land, wo sich der Sturm sein Haus

Zwischen Wald und Gebirg' erbaut.

Dorten fand ich ein Volk, gastfrei und deutsch und gut,

Unverdorben vom Narrentand,

Der mit steifem Gepräng' aller Geselligkeit

Freuden bannt, dem mein Vaterland –

O des Blöden! – nun auch knechtischen Weihrauch streut.

Dorten sah' ich das strömende

Volle Herz der Natur, das sie in wildem Pomp

Ueber Wald und Gebirg' ergeußt.

Hoch vom Rugard herab faßt' ich das Wasserland

Mit weitschauendem Aug' und ging,

Sah' Arkona's Gestad', sahe den Herthawald,

Und die Mahle der Drudenburg,

Und das Wundergestad', welches vom Königsstuhl

Tief hinab in das Weltmeer schaut,

Weiß und furchtbar. Ich stand dorten im Sonnenstrahl,[109]

Und begrüßte mein Vaterland,

Mein geliebtes, von dem hier die entfernteste

Oestliche Klippe mein Fuß betrat.

Itzund tanzte der Herbst, röthlich, und weinberauscht,

Ueber die welkende Flur her.

Da entbot mich ein Ruf meines Erzeugenden

In mein heimisches Feld. Ich zog

Bald in brüllendem Sturm unter dem Schutzgeleit

Meiner Lieben den Weg hinan –

Itzt im Feiergeweh' einer wildrauschenden

Eich' umarmten wir uns – Es blieb

Nur mein Geldar bei mir. Und wir beschleunigten

Unsre Schritte – Uns dämmerte

Schon mit des zweiten Tags Frühroth die Rosenstadt.


Muthig sah' ich die Siegerinn

Meines Herzens zuerst. Aber ihr Angesicht

War erblichen. Ihr Auge schien

Ausgeweinet. Ihr Blick trüblich und dunkelschön

Blickte öfter unsägliche[110]

Wehmuth mir in mein Herz. Aber ich wandte mich

Dann und floh die Gefährliche –

Ach, ich floh sie umsonst. Wüthend und reißend stand

Bald die erwachete Leidenschaft

Mir im Busen – Wohl mir, daß sie erwachete!

Ihr Erwachen war Seligkeit.

Selig ward ich, viel mehr, als die schwelgende

Muse jemal in Bildern sah,

Sel'ger, denn daß mein Gesang hier die unendliche

Wonne priese. Es faßt sie doch

Keiner, der nicht des Kelches selber getrunken hat.


Ueber Erdglück und Erdenweh

Weit erhaben, mit Ruh', welche mein ganzes Seyn

Sanft durchströmte, veredelte,

Also selig und groß, reist' ich hinweg, um nun

Meine Freunde daheim zu seh'n.

Dreimal stieg mir die Sonn' über dem Weg' ins Meer,

Und nun trat ich den Wald heraus

Auf den traulichen Berg, drauf ich, als Knabe, mich[111]

Täglich sonnte. Da lag im Glanz

Der verschwindenden Sonn' meine geliebte Stadt

Ferne von mir. Der Himmel stand

Brennend, blaulich der Wald, feurig und roth der See,

Sanft geröthet der alte Thurm

Voller Glocken und Moos. Ha! da erschütterte

Mich mein Knabengefühl. Ich stand,

Rief die Jahre des Traums mir in den Sinn, verglich

Nun die Kenntniß des Jünglinges

Mit des Knaben Begriff, der in die Welt hinaus

Heiß sich sehnte – Ich fand dich nicht,

Gleißnerinn, wie ich dich wähnt', als ich ein Knabe noch

Sinnend auf das Gebirge stieg,

Um mich sah, und das Land, und das entfernte Meer

Abmaß, bis es in Dämmerung

Sich verlor, und nach dir weinte. Wie wenig, ach!

Bist du der sehnenden Thräne werth!

Warm von Feiergefühl, sinnig und heimlich still,[112]

Kam ich nun an den trauten Ort,

Der mich gezeugt und genährt. Meine Geliebtesten,

Die mir die Stärke des Bluts verbindt,

Sah'n mich, freu'ten sich mein, weinten an meiner Brust,

Und ich weint' an der ihrigen;

Ging zum Tempel, und dort weiht' ich der kalten Gruft

Meiner Mutter den Thränendank;

Ging zum Altar, und dort, wo ich als Knabe einst

Rang und bebte und betete,

Rang und bebt ich aufs neu', schwur der Religion

Und der Tugend von neuem Treu'.


Einmal sah' ich den Mond wachsend und voll im Schooß

Meiner Lieben. Dann kehrte ich

Durch die Nebel des Herbst wieder mit meinem Freund

Zu den Ufern der Hylde um.

Hylde, Hylde, ich kam itzt nicht, an deinem Strand

Mich zu freuen, mit deiner Schar[113]

Ferner zu jauchzen. Ich kam, ach! um das Lebewohl

Dir zu weinen. Mein Mißgeschick

Rief mir Trennung, und nie hab' ich der Trennung Wuth,

Wie die Trennung von dir, gefühlt.

Düster herrliche Nacht, nimmer vergess' ich dein,

Schöne, furchtbare, letzte Nacht,

Drinn die Klage der Schar meiner Getreuesten

Um mich hallte. Der Paukensturm

Und der Drommeten Gejauchz, und der hochstolze Hall

Unsrer Lieder, die stürmeten,

Jauchzten und halleten mir Weh in das Herz, ein Weh,

Wie es den sterbenden Helden faßt.

Furchtbar warst du, o Nacht! Rings an dem Himmel hing

Dicht Gewölke. Die Nacht hindurch

Hallte unser Gesang dumpfig und seufzerlaut,

Und die Thräne des Scheidens rann

In den Wein, und es hing immer der Weinenden[114]

Einer mir um die heiße Brust,

Schluchzt' und stammelte mir ewiges Lebewohl,

Ewige Liebe und Treue zu!

Aber als er nun kam, jener umdüsterte

Wetterbelastete Augenblick,

Der zum Scheiden mich rief, ha! da versank mein Herz

Immer tiefer – Ach, laßt es mich,

Laßt mich's verschweigen, wie nun unter dem Roßgeschrei,

Unter dem Rädergeroll, des Volks

Dumpfem Getös, wie ich da, siehe! zum letztenmal

Durch die hallenden Gassen fuhr.

Laßt mich's verschweigen, wie mir meine Geliebtesten

Scharenweise zu Roß und Fuß

Folgten, wie ich die Stadt aus dem Gesichte verlor,

Wie ich Mittags im Wogenlärm

Staalbrovs stand, wie sich hier meine Geliebtesten

Nah'ten, gleich Hagel und dunkler Nacht,

Wie mein stammelnder Mund ihnen das Lebewohl

Schluchzte, den kalten Abschiedskuß[115]

Ihnen weih'te, sie dann langsam das Ufer hin

Ritten, öfter zurück noch sah'n,

Ich im Fahrzeug betäubt, thränen- und seufzerlos,

Ihnen nachsah, die Arme noch

Einmal streckte, dann laut schrie und im Fluthgeräusch

Ihrem weinenden Blick entschwand. – – –


Einsam, wandl' ich nun, still und getümmelfrei,

Hier im felsigen Rugia,

Renn' im Schnee und im Sturm durch das Gefild', besteig'

Oft die Berge und schau' von dort

Nach den Thürmen der Stadt, drinnen die Freiheit jauchzt,

Strecke sehnend den Arm nach ihr,

Seufze, bis mein Gesang über die Seufzer strömt

Und mich in sanftere Schwermuth wiegt.


Dennoch blühn auch hier Blumen. Ich habe sie

Zwischen Felsen und Schnee gesucht,

Und gefunden. Mein Herz kannte die Wenigen[116]

Bald, die es liebete. Mein Geschäft

Ist ein großes Geschäft: Seelen der Ewigkeit

Auszubilden! Auch lieb' ich sie,

Die ich bilde. Mein Herz liebet, o Jüngling, dich,

Wenn dein Herz dir nach Tugend klopft,

Wenn dein durstender Geist forschend und ruhelos

Nach der Quelle der Weisheit späht.

Meine Seel' ist dir hold, Mädchen mit goldnem Haar,

Wenn dein Antlitz Empfindung glänzt,

Wenn dein himmelblau Aug', deine hochklopfende

Brust der Seufzer nach Tugend schwellt.


Freuden höherer Art schafft mir der Barden Lied,

Reine Wollust, o, Himmelschwung

Göthens, Asmus und Youngs, und die Geliebtesten

Meiner Seele, mein Ossian

Und mein Klopstock. Ihr seyd's, welche Entzückungen

Durch die trunkene Seele mir

Strömen. Eurem Gesang flieget mein Herz empor,[117]

Weint mein Auge, und durstet heiß

Meine Seele dereinst ähnlich zu seyn. O, dann

Wär' ich selig und groß. Ich stieg'

Gleich dem Phönix alsdann jauchzend und weit beklagt

In mein palmenumpflanztes Grab!

Quelle:
Ludwig Gotthard Kosegarten: Dichtungen. Band 6, Greifswald 1824, S. 95-118.
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