Schön Hedchen

[169] 1781.


Schön Hedchen, ein Fräulein aus edlem Geblüt,

Noch edler durch Schönheit und hohes Gemüth,

Schön Hedchen, das lieblichste Blümchen der Au',

War züchtig und duftig wie Röschen im Thau.


Auch blüht im Lande zur selbigen Zeit

Ein stattlicher Jüngling, ein Wetter im Streit.

Wie flog um die Schultern sein bräunliches Haar!

Wie rollt' ihm der Augen schwarzfunkelndes Paar!


Wild schwärmte der Jüngling manch freudiges Jahr.

Da sah er schön Hedchen mit goldigem Haar.

Wie wurde dem Schwärmer im Herzen so warm.

Doch wärmer noch ward ihm das Mädchen im Arm.
[170]

Viel Thränen hat Liebe. Doch Freuden noch mehr.

Sie streiten ums Herz sich, ein brüderlich Heer.

Sie streiten und fallen sich friedlich zu Arm.

Da weinet die Freude, dann lächelt der Harm!


Bald flocht man die schmeidige Myrte zum Kranz.

Schon übten sich Jüngling und Mädchen zum Tanz.

Bald graute der Abend der kommenden Nacht,

Der letzten vom einsamen Jüngling durchwacht!


Der Abend war lieblich und kühlig und frisch,

Die Nachtigall flötet im Maiengebüsch.

Da wallten die Treuen den Garten entlang,

Und horchten der Nachtigall Klagegesang.


»Wie ist dir, lieb Hedchen, wie fühlt sich dein Herz?

Ach! schwimmt es noch immer in Wehmuth und Schmerz?[171]

Das Thränchen, das blinkend die Wangen dir näßt –

Ach! sprich, ob der Schmerz dir das Thränchen entpreßt?« –


»Die Thräne, die über die Wange mir rollt.

Wird von dem Entzücken der Liebe gezollt.

Es klingt mir im Herzen so himmlischen Klang,

Mir tönts um die Seele, wie Harfengesang.


Der Becher der Liebe hält köstlichen Wein,

Ich weinte viel bittere Thränen hinein.

Nun trink' ich des Weins, mit Thränen vermengt,

Das macht, daß die Wonne mir Thränen entdrängt!


Ich ruf' der Vergangenheit Tage zurück.

Mir bebet die Seele. Mir schwindelt der Blick.

Da war mir so nächtlich der sonnigste Tag

Wie daß ich dem lastenden Gram nicht erlag!
[172]

Ich wende den Blick aus den Nächten voll Graus,

Und schau' in die selige Zukunft hinaus.

Da seh' ich der nächtigen Freuden so viel!

Wie fass' ich, wie trag ich dich, Wonnegefühl!


Der Stärke, zu stehn in den Stürmen, mir gab,

Der stütze mich ferner mit freundlichem Stab!

Doch führe mich, Liebster – es wehet so frisch –

Komm, führe mich heim aus dem Maiengebüsch.« –


Jetzt trat aus der Wolke der Vollmond hervor.

Dem Abend entrollte sein hüllender Flor.

Wie glänzten der Garten, der Busch und der Quell

Im schwimmenden Monde, so silbern! so hell!


Still blickte der Jüngling, im zweifelnden Licht

Des Mondes, schön Hedchen ins Rosengesicht.

Sie lächelte Wehe, sie lächelte Ruh'

Aus Thränen umschimmerten Augen ihm zu.
[173]

Er sandt' ihr noch einmal den sorglichen Blick

Ins Antlitz, und bebt' – o Wehe! – zurück.

Ihr rosiges Antlitz – die Rose verschwand –

War bleich, wie ein linnenes Todtengewand.


Es rann ihm, wie Regen, den Rücken entlang,

Die Nachtigall flötet' ihm Todtengesang.

Es hauchten die Blüthen ihm Moder und Graus,

Und grauenvoll führt' er schön Hedchen nach Haus.


Und bald, als schön Hedchen im Lager sich barg,

Da rollt' ihr die Krankheit durch Adern und Mark.

Wie neigte die Blum' ihr trauerndes Haupt,

Des lebenden Glanzes und Duftes beraubt.


Die Mitternacht kam, es entschwand ihr die Kraft.

Sie lag auf dem Lager erschöpft und erschlafft;

Her wehte der Morgen, von Rosen umglüht,

Da war ihr die Rose im Antlitz verblüht.
[174]

»Wie schmückst du dich, Morgen, in bräutlicher Pracht!

Mir winkt, mich umhüllt schon die ängstliche Tracht.

Wie schön dir die Rosen im Angesicht glühn!

O weh, daß die meinen so frühe verblüh'n!«


»O wehe, so wird mir mein bräutlicher Kranz

Zur Krone des Sarges, der festliche Tanz

Wird Leichengepräng', und Priester und Gast

Geleiten mich heim zur düsteren Rast.


Mein hochzeitlich Bette, wie enge! wie kalt!

Mein Bräutigam – Wehe! Weg Schreckengestalt!

Weg Scheusal! Die Knochen durchheult dir der Wind!

Vor Entsetzen das Blut mir in Adern gerinnt –«


So stöhnt, wie die Hindinn vom Jäger gejagt,

So klaget schön Hedchen. Fast war sie verzagt.

Da wiegt sie ihr Engel in labende Ruh'

Und lispelt im Schlummer ihr Tröstungen zu:
[175]

»Was trauerst du, Schwester, was klagst du so bang'?

Es währt ja hienieden Augenblick lang!

Hoch oben ist Wonne! hoch oben ist Licht!

Das dämmert und dunkelt in Ewigkeit nicht.«


»Die bräutliche Seide, der grünende Kranz,

Der goldene Traurig, der festliche Tanz,

Am Busen des Jünglings die liebliche Ruh',

Das lächelt auch alles hoch oben dir zu!


Es lächelt dort oben dir schöner als hier.

Komm, trauliche Schwester, komm freudig mit mir,

Was blickst du so rückwärts? Er folgt dir ja nach.

Komm, folge mir freudig. Ich hol' ihn dir nach!«


So lispelt, so singt es der Engel ihr zu,

Und wiegt ihr die zagende Seele in Ruh'.

Wie lächelt im Schlummer ihr blaßes Gesicht!

Wie umstrahlt die Erwachende himmlisches Licht!
[176]

»Was grämst du, mein Jüngling? Was zagst du so sehr?

Die Lauben der Liebe blühn oben noch mehr.

Es durchbohrt mir die Seele dein schneidendes Ach.

Ach! sieh nicht so starrend! Du folgst mir ja nach!«


»Aus Tausenden hab' ich dich ewig erwählt,

Du bist mir vor Himmel und Engeln vermählt.

Es trennen die Himmel die Liebenden nicht,

So sehn wir uns wieder im himmlischen Licht.«


»Ich sehe dich wieder. – Wie wird mir – wie wohl!

Wie weh und wie bange! wie dämmernd – leb' wohl!

Leb' wohl, mein Vertrauter – wir finden uns – ach! –«

Da schwand ihrem Auge der irdische Tag.
[177]

Die Seele, umflossen von Blüthenduft

Und schwebend auf strahlender Morgenluft,

Entwallte der Erden und schwebete rein

Zur Pforte des Gartens der Seligen ein!


Da blühen der ewigen Blumen so viel.

Da wehen die Lüfte so milde! so kühl!

Da rauscht es, da glänzt es so strömend, so hell!

Von thauigen Myrten am duftigen Quell!


Ihr Engel umschwebt sie in sonnigem Schein,

Und führt sie die stilleste Laube hinein.

Die Lüftlein, die Bächlein in leiserem Gang

Vereinen die Töne zum Schlummergesang.


»Kind Gottes, so lächelt der Engel ihr zu,

Kind Gottes, verweil' hier drei Stündlein in Ruh'.

Bald jauchzet unendliche Freude dich wach.

Ich geh' und hole den Liebling dir nach.«


Er fand den verlassenen Liebling am Sarg,

Der sorgsam schön Hedchens Verwesungen barg.

Er wiegte den Dulder in labende Ruh',

Und weht' ihm himmlische Kühlungen zu.
[178]

Und als er vom tröstenden Schlummer erwacht',

Da war es schon Abend. Es thaute die Nacht.

Schön Hedchen lag lächelnd von Kerzen umglänzt,

Und die goldigen Haare mit Myrten bekränzt.


Nun tönen die Glocken. Nun wallen beim Schein

Von wehenden Fackeln die düsteren Reih'n

Der Trauerbegleiter die Gassen hinab,

Und tragen sanftklagend schön Hedchen ins Grab.


Sie senkten sanft weinend schön Hedchen hinein.

Bald hüllet die kühlige Erde sie ein.

Bald grünet der Rasen den Hügel empor.

Bald sprossen Violen und Maßlieb hervor.


Mit jeder aufgrauenden Dämmerung ging

Der arme Verlaßne zum Hügel, und hing

Sich rund um den blühenden Hügel herum,

Bald laut wie die Winde, bald schweigend und stumm.
[179]

»Was säumst du, schön Hedchen? Was säumst du so lang'?

Und machst mich so ängstig, und machst mich so bang'?

Du wandelst wol oben im sonnigen Licht

Und denkst des verlassenen Trauernden nicht.


Wer war es, schön Hedchen, wer war es? wer sprach:

Sey ruhig, mein Trauter! du folgst mir bald nach!

Wo bleibt dein Geloben? Wie säumst du so lang'

Und machst mir's im zagenden Busen so bang'?


Ich trag' es nicht länger. Ich halt' es nicht aus.

Mir ekelt das Leben, wie Moder und Graus –

Schön Hedchen, du logst mir! wer wehrt es mir, ha!

Ich komme schon selber! – Du täuschtest mich ja –«
[180]

Er riß aus der Scheide sein funkelndes Schwert –

Da erbebte der Hügel. Da stand es verklärt,

Und sonnenhell vor ihm, und lächelt' und sprach:

»Acht Tage noch, Jüngling, so folgst du mir nach!«


Es verschwand in goldenem Wolkengesäum:

Da ging der getröstete Trauernde heim.

Der Morgen brach an. Da kam ein Gebot.

Sein König entbot ihn zu Schlachten und Tod.


Das hallte dem Jüngling, wie Stimme der Braut;

Ihm jauchzte die Seele so freudig, so laut!

Er flog zu den Streitern. Die siebente Nacht

Verrann kaum, so kam es zur donnernden Schlacht.


Wie schnoben die Rosse in schweflichtem Duft!

Wie rollten die sausenden Tod' in der Luft!

Sie saus'ten, sie rollten den Helden vorbei.

Nach Tausenden traf ihn ein freudiges Blei.
[181]

»Willkommen! Willkommen!« so rief er und sank –

»Willkommen! Willkommen!« und streckte sich lang

Auf thürmende Leichen im Felde von Graus,

Und hauchte die Seele, die ringende, aus!


Sie eilte dem Garten der Seligen zu!

Schön Hedchen war wach, und entjauchzte der Ruh'.

Sie jauchzt' ihm entgegen – »Mein Jüngling, so bald?« –

Ihr wären die Monden wie Stündlein verwallt.


Sie führt' ihn die duftige Laube hinein,

Und tränkt' ihn mit Wasser des Quells aus dem Hain.

Da schwand aus dem Herzen ein jeglicher Harm,

Da sank er ihr selig, wie selig! in Arm.


Nun schwebten die Geister des Himmels herbei,

Und freuten sich herzlich der glücklichen Zwei!

Sie stimmten die Herzen zu goldenem Klang,

Und sangen den himmlischen Treuegesang.
[182]

»Heil, Heil den Getreuen! Wie grünet ihr Kranz!

Heil, Heil den Verklärten! Wie hell ist ihr Glanz!

Die Treue währt länger als Unglück und Noth,

Siegt über des eisernen Schicksals Gebot.


Triumph! Dahinten sind Unglück und Noth!

Dahinten der eiserne grimmige Tod!

Heil! Heil den Getreuen! Nie welket ihr Kranz!

Es dunkelt sich nimmer ihr sonniger Glanz!«


Quelle:
Ludwig Gotthard Kosegarten: Dichtungen. Band 6, Greifswald 1824, S. 169-183.
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Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
Anthologie aus den Gedichten von Ludwig Theobul Kosegarten

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