Fünfte Szene


[347] Adolph – Amalie.


ADOLPH. Endlich sind wir die Schwätzerin losgeworden.

AMALIE. Ehe Sie weiterreden, mein Herr, muß ich Sie durchaus um eine Erklärung bitten. Wer sind Sie, und welchen Anteil nehmen Sie an mir?

ADOLPH. Ich bin Graf Klingsberg.

AMALIE. So, höre ich, ist Ihr Name. Aber ich begreife nicht, es sind einige Worte gefallen, die mich auf dunkle Vermutungen leiten, auch die Wirtin schien sie zu verstehen –

ADOLPH. Nun ja! Sind Sie nicht dieselbe Madame Friedberg, die eine Zeitlang beim Pachter Krautmann wohnte?

AMALIE. Ja!

ADOLPH. Auf meines Vaters Gütern?

AMALIE. Ganz recht!

ADOLPH. Und die mein Vater heute nach der Stadt kommen lassen, um sie anständiger zu versorgen?

AMALIE höchst erstaunt. Davon weiß ich nichts.

ADOLPH. War nicht mein Vater vor einigen Wochen auf der Jagd zu Liliendorf?

AMALIE. Ich erinnere mich dessen.

ADOLPH. Hat er nicht mit Ihnen gesprochen?

AMALIE. O ja! Er schien sich sehr gütig für mich zu interessieren; doch von einem solchen Plan war nie die Rede.

ADOLPH. Das sieht ihm ähnlich. Er tut Gutes ohne Gepränge.

AMALIE. Der Pachter Krautmann hatte Geschäfte in der Stadt. Auch ich wünschte eine Reise hieher zu machen, und begleitete ihn.[347]

ADOLPH. Das war alles verabredet.

AMALIE. Verabredet?

ADOLPH. Ich errate. Mein Vater hat gefürchtet, Ihre Delikatesse zu beleidigen, wenn er Sie vorher mit seinem Plane bekannt machte.

AMALIE etwas ängstlich. Mit welchem Plane? – Ich bin eine Fremde, Verlassene, und hoffe nicht, daß man hier unedel an mir handeln werde.

ADOLPH. Nicht doch! Die Einwohner dieser Stadt ehren das Recht der Gastfreiheit. Mein Vater ist reich; er tut gern Gutes im verborgenen; er hat von Ihrem Unglück, von Ihrer Verlegenheit gehört, er hat diese Zimmer für Sie gemietet, wird für alle Ihre Bedürfnisse sorgen, und wünscht, daß Sie sein väterliches Wohlwollen mit kindlichem Vertrauen belohnen möchten.

AMALIE. Herr Graf! Sie setzen mich in Erstaunen. Wodurch habe ich so viel Güte verdient?

ADOLPH. Durch Ihre Schönheit, Ihre Sittsamkeit, durch alle die weiblichen Reize, die das Alter, wie die Jugend unwiderstehlich fesseln. Ich bitte Sie, Madame, sein Sie nicht verlegen um einen Dank; empfangen Sie mit eben dem Herzen, mit welchem er gibt, so werden Sie ihm den kleinen Aufwand tausendfach vergelten. Was wäre auch Reichtum, wenn man nur Diamanten, und nicht auch zuweilen eine dankbare Träne damit erkaufen könnte!

AMALIE. Herr Graf! Ich bin so bestürzt –

ADOLPH. Leben Sie ruhig! Die Zukunft mache Ihnen keine Sorge! Mein Vater ist alt, Sie können ihn verlieren; aber ich bin sein Erbe, und Sie werden nur dann erlauben, Sie als den schönsten Teil unseres Familienschmucks zu betrachten, den wir nie veräußern und vom Vater auf Sohn in Ehren halten.

AMALIE. Diese Güte gegen eine Unbekannte –

ADOLPH. Ich verstehe Sie. Wir wollen uns nicht in Ihr Geheimnis eindringen. Daß es wert sei, in einem so schönen Busen verwahrt zu liegen, dafür bürgt Ihr helles Auge, Ihr reines Gesicht. Nur nach und nach wollen wir Ihr Vertrauen zu gewinnen suchen. Erlauben Sie mir, dann und wann Ihre Einsamkeit zu teilen, gönnen Sie mir den Namen Ihres Bruders. Ich habe nie eine Schwester gehabt, und meine Einbildungskraft hat mir das trauliche Verhältnis zwischen Schwester und Bruder oft so reizend vorgestellt. Doch zwischen[348] edeln Seelen sind die Bande des Bluts überflüssig. Ich bin empfänglich für alles Gute und Schöne und hoffe darum Ihres Umgangs wert zu sein. Erlauben Sie, daß ich diese schöne Hoffnung durch einen brüderlichen Kuß auf Ihre Hand besiegle! Drückt ihre Hand feurig auf seine Lippen.


Quelle:
August von Kotzebue: Schauspiele. Frankfurt a.M. 1972, S. 347-349.
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