Siebenter Auftritt


[89] Die Gräfin – Eulalia.


GRÄFIN. Nun, liebe Madam Müller, wie gefällt Ihnen der Mann, der eben von uns ging?

EULALIA. Wer?

GRÄFIN. Meine brüderliche Liebe.

EULALIA. Er verdient, Ihr Bruder zu sein.

GRÄFIN verneigt sich tief. Untertänige Dienerin! Das schreib ich in mein Taschenbuch.

EULALIA. Ohne Schmeichelei, gnädige Frau, ich halte ihn für einen wackern Mann.

GRÄFIN. Und für einen schönen Mann.

EULALIA gleichgültig. O ja.

GRÄFIN. O ja? Das klang beinahe wie: o nein! Aber ich muß Ihnen sagen, daß er Sie für eine schöne Frau hält. Eulalia lächelt. Sie sagen nichts dazu?

EULALIA. Was soll ich sagen? Spott kann nicht aus Ihrem Munde kommen; also Scherz war es; und ich bin sowenig dazu gemacht, einen Scherz zu unterhalten. –

GRÄFIN. Ebensowenig, als ihn zu veranlassen. Nein, es war Ernst. – Nun?

EULALIA. Sie setzen mich in Verlegenheit. Nun ja, ich will mich nicht zieren. Es war eine Zeit, wo ich mich selbst für schön hielt; aber der Kummer hat an meiner Gestalt genagt. – Ach! die Herzensruhe ist es, die den schönsten Zauber über ein weibliches Gesicht gießt. Der Blick, der brave Männer[89] fesselt, ist nur der Abglanz einer schönen Seele.

GRÄFIN. Nun, Gott gebe mir immer ein so reines Herz, als aus Ihren Augen leuchtet.

EULALIA wild und rasch. Ach! Gott behüte Sie dafür.

GRÄFIN erstaunend. Wie?

EULALIA mit verhaltenen Tränen. Verschonen Sie mich! – Ich bin eine Unglückliche. – Dreijährige Leiden geben mir zwar keine Ansprüche auf Freundschaft einer edlen Seele, – aber auf Mitleid! – Verschonen sie mich! Sie will gehen.

GRÄFIN sehr liebreich. Bleiben Sie, liebe Madam Müller! Wirklich, Sie müssen bleiben. Was ich Ihnen zu sagen habe, ist vielleicht des Anhörens wert. Ihre Selbstanklage schreckt mich nicht ab. Mich dünkt, Sie sehen, wie der gute Pascal, neben Ihrem Stuhl eine Hölle; aber die Teufelchen existieren nur in Ihrer Einbildung.

EULALIA. Wollte Gott, ich sähe die Hölle nur neben meinem Sessel! – Ach! ich trage sie rastlos im Herzen mit mir herum.

GRÄFIN. Freundschaft hat Balsam für manche Wunde. Ich bitte zum ersten Male um Ihr Vertrauen. Sie wissen, ob ich in diesen drei Jahren unserer Bekanntschaft Ihnen je durch unbefugte Neugier lästig wurde. Heute treibt mich ein edleres Interesse. Ich bitte mit Schwesterliebe um Ihr Vertrauen. Mein Bruder liebt Sie.

EULALIA fährt zusammen, und sieht der Gräfin ernsthaft ins Gesicht. Für Scherz zu viel – für Ernst zu traurig!

GRÄFIN. Ehe ich weiter in Sie dringe, erlauben Sie mir, Ihnen den Charakter meines Bruders zu schildern, und ich gebe Ihnen mein Wort: nicht die Hand der Schwester soll den Pinsel führen. – Sie möchten ihn leicht für einen Leichtsinnigen halten; denn sah' er Sie nicht heute zum ersten Male? und schon Liebe? – Aber, liebe Freundin! er ist ein ernster Mann, von geprüften Grundsätzen. Schon zählten ihn die Damen unsers Hofs unter die Klasse der Hagestolze; denn unter ihnen fand er nicht, was er suchte; verzweifelte oft daran, es je zu finden. Nicht Gestalt, nicht Reichtum und Rang sollten seine Wahl bestimmen; er wollte ein Herz, von der Natur, einen Geist, durch Erziehung gebildet. Von beiden gaben Sie ihm Proben. Ihre geheime Wohltätigkeit blieb unverborgen, und Ihr Verstand – ich ehre diese bescheidene Schamröte – genug, mein Bruder ist ein Kenner in diesem Punkt. – Hier haben Sie mein Kreditiv. Entscheiden[90] Sie, ob ich berechtigt bin, um Ihr Zutrauen zu bitten. Entdecken Sie sich mir! Sie wagen nichts. Schütten Sie Ihren Kummer in den verschwiegenen Busen einer Schwester aus!

EULALIA. Ach! ich fühl' es: das höchste Opfer, welches wahre Reue zu bringen vermag, ist freiwilliger Verzicht auf die Hochachtung einer schönen Seele. Ich will dieses Opfer bringen – und hab' ich dann genug gebüßt? Stockend. Hörten Sie nie – verzeihen Sie mir! – hörten Sie nie – o, es ist sehr schwer, eine Täuschung zu zerstören, welcher allein ich bis jetzt ihre Güte verdankte. – Aber es muß sein; – Pfui Eulalia! Ziemt Stolz dir? – Hörten Sie nie von einer gewissen Baronesse Meinau reden?

GRÄFIN. Am benachbarten Hofe? Mich dünkt, ich hörte von einer solchen Kreatur. Sie soll einen sehr braven Mann höchst elend gemacht haben.

EULALIA. O Gott! – Ja, einen sehr braven Mann.

GRÄFIN. Sie lief mit einem Landstreicher davon.

EULALIA. Ja, das tat sie. – – Sie stürzt außer sich zu den Füßen der Gräfin. Verstoßen Sie mich nicht! – Nur ein Plätzchen, auf welchem ich sterben kann! –

GRÄFIN. Um Gottes willen! Sie sind –

EULALIA. Ich bin diese Kreatur.

GRÄFIN sich unwillig wegwendend. Ha! Sie geht einige Schritte, ihr Herz zieht sie zurück. – Aber sie ist unglücklich – sie büßt streng – weg mit dem Kopfe, der immer bereit ist, ein Verdammungsurteil zu sprechen! – Sie blickt wehmütig nach ihr. Ach! sie ist so unglücklich! – Stehn Sie auf! ich bitte Sie, stehn Sie auf! Mein Mann und mein Bruder sind nicht weit. Diese Szene leidet keine Zeugen. Ich gelobe Ihnen Verschwiegenheit. Sie hebt sie auf.

EULALIA. Ach mein Gewissen! mein Gewissen! das wird nie schweigen. Mit beiden Händen die Hand der Gräfin ergreifend. Verstoßen Sie mich nicht!

GRÄFIN. Nein, ich verstoße Sie nicht. Ihr Betragen in den letzten drei Jahren, Ihr stiller Kummer, Ihre Reue, tilgen freilich nicht Ihr Verbrechen; aber eine Freistatt wird mein Herz Ihnen nie versagen; eine Freistatt, wo Sie ungestört um den Verlust Ihres Gemahls weinen dürfen. – Ach! ich fürchte, ein unersetzlicher Verlust!

EULALIA mit der Kälte der Verzweiflung. Unersetzlich!

GRÄFIN. Armes Weib![91]

EULALIA immer im nämlichen Ton. Ich hatte auch Kinder.

GRÄFIN. Genug!

EULALIA. Gott weiß, ob sie leben oder tot sind.

GRÄFIN. Arme Mutter!

EULALIA. Ich hatte einen liebenswürdigen Gemahl.

GRÄFIN. Fassen Sie sich!

EULALIA. Gott weiß, ob er lebt oder tot ist.

GRÄFIN. Ihr Blick wird gräßlich.

EULALIA. Für mich ist er tot.

GRÄFIN. Sie büßt strenge.

EULALIA. Ich hatte einen alten Vater.

GRÄFIN. O, um Gottes willen! Hören Sie auf!

EULALIA. Der Gram um mich hat ihn gemordet.

GRÄFIN. Wie schrecklich rächt sich die beleidigte Tugend!

EULALIA endlich in laute Tränen ausbrechend, und mit den Händen ihr Gesicht verhüllend. Und ich lebe noch!

GRÄFIN. Wer könnte diese Büßende hassen? Eulalien in ihre Arme schließend. Nein, Sie sind nicht lasterhaft. Der Augenblick Ihrer Verirrung war ein Traum, ein Rausch, ein Wahnsinn.

EULALIA. O verschonen Sie mich! Wenn Sie wüßten, daß jede Milderung meiner Verbrechen mir ein Dolchstich ist – daß mein Gewissen nie mich heftiger martert, als wenn mein Kopf nach Entschuldigungen grübelt. – Nein, ich kann mich mit gar nichts entschuldigen! und die einzige, traurige Beruhigung meines Herzens ist die, mich ohne alle Einschränkung strafbar zu bekennen.

GRÄFIN. Dieser Zug ist echte Reue.

EULALIA. O wenn Sie ihn gekannt hätten! – als ich ihn zum ersten Male sah, den schönen, den edlen Mann – ich war damals kaum vierzehn Jahr alt –

GRÄFIN. Und Ihre Verbindung?

EULALIA. Wenig Monden nachher.

GRÄFIN. Und Ihre Flucht?

EULALIA. Zwei Jahre war ich seine Gattin.

GRÄFIN. O meine Liebe! dann lassen Sie Ihre Jugend büßen, was nicht Ihr Herz verbrach.

EULALIA. Das ist die Sprache meines Kopfes in Stunden, wo Sehnsucht und Liebe den Sieg über die Reue davontragen. – Nein, meine Jugend entschuldigt mich nicht. Den Blick gen Himmel. Alter, ehrwürdiger Vater! Das hieße dich anklagen! Du hattest mir Grundsätze der Ehre und Tugend ins Herz[92] gepflanzt. Du hattest mich gewarnt vor dem Gift der Schmeichelei und Verführung. –

GRÄFIN. Was vermag Erziehung gegen einen Lovelace?

EULALIA. Ach! Sie stoßen da auf eine Unbegreiflichkeit in meiner Geschichte. Nein, er war kein Lovelace, dieser Mensch, in jeder Rücksicht tief, tief unter meinem Gemahl. Nur daß dieser nicht mehr tändelte, nicht mehr jeder meiner Launen und Grillen schmeichelte, mir neue Equipagen, Livreen und Schmuck versagte, wenn der Aufwand unsre Kräfte überstieg. Alles das bot mir des Verführers Schlangenzunge, und ich war Kind genug, mich an den bunten Bildern zu ergötzen; war verblendet genug, Kinder, Vater und Gemahl zu verlassen, um einem Nichtswürdigen zu folgen, der – doch genug! er steht nun vor Gott, wo meine gemordete Tugend das Maß seiner Bubenstücke bis an den Rand füllen wird.

GRÄFIN. Schrecklich! aber mit diesem Herzen konnte meine Freundin nicht lange irren.

EULALIA. Lange genug, um nie es büßen zu können. Freilich verflog der Rausch in wenig Wochen; ich rief den Namen meines biedern Gatten – vergebens! – ich horchte auf das Lallen meiner Kinder – umsonst! Ach! was ich damals empfand, als der Nebel vor meinen Augen zerfloß! –

GRÄFIN. Weg mit dieser Rückerinnerung! – Ich errate das Ende Ihrer Geschichte. Sie verließen Ihren Verführer.

EULALIA. Das tat ich – und flüchtete zu einer edlen Seele, die mir ein Plätzchen gab, auf dem ich weinen darf – und mir auch ein Plätzchen geben wird, auf dem ich sterben könne.

GRÄFIN sie in ihre Arme schließend. Hier, nur hier an meinem Busen sollen in Zukunft Ihre Tränen fließen, und möcht' es mir gelingen, dich, arme Leidende! wieder mit der Hoffnung vertraut zu machen!

EULALIA. Ach nein! ach nein!

GRÄFIN. Hörten Sie seitdem gar nichts von Ihrem Gemahl?

EULALIA. Er verließ die Stadt, niemand weiß wohin.

GRÄFIN. Und Ihre Kinder?

EULALIA. Die nahm er mit sich.

GRÄFIN. Wir müssen Erkundigungen einziehen; wir müssen – Stille! mein Mann und mein Bruder. Ach! mein armer Bruder; den hatt' ich ganz vergessen. – Geschwind, liebe Madam Müller, ein anderes Gesicht![93]


Quelle:
August von Kotzebue: Schauspiele. Frankfurt a.M. 1972, S. 89-94.
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