Scena VI.

[102] Christophorus, Raphael, Gabriel, Satan.


CHRISTOPHORUS.

Herr Jesu Christ, war mensch und Got,

der du leidst marter, angst und spot,

für mich am kreuz auch endlich starbst

und mir deins vatern huld erwarbst,

ich bitt durchs bitter leiden dein,

du wölst mir sünder gnedig sein;

weil ich alhie gesündigt vil

in diser welt on maß und zil,

und solchs der teufel nun verfaßt

in seinem buch, ber arge gast,

beim vater als zu zeigen an,

und drüber laßen urteil gan,

wölstu, herr Jesu Christ, allein

in diser sach mein fürsprech sein.

bei deinem vater decken zu

all meine sünd, das ich mit ru

fürm teufel bleiben mög allzeit

und bei dir lebn in ewigkeit.

RAPHAEL zum Satan.

Ho, seltsam gast, wo komstu her?

sags uns, was ist hie dein beger?

SATAN.

Zu Got dem vater wil ich recht,

und klagen übers menschlich gschlecht,

im auch ir große sünd anzeigen,

dann ichs nicht lenger kan verschweigen,

das sie einmal gestrafet werden;

es ist kein gutes mer auf erden.[103]

hie hab ich alle sünd zu hauf,

ei, lieber, laß mich zu im hnauf.

RAPHAEL.

Die türen seind gar wol verschloßen,

da wirstu nicht hinein gelaßen,

du habst dann Christum, seinen son,

der deine sachen bringet an;

sonst kanstu gar nicht für im kommen.

SATAN.

Ei, Christus schafft mir keinen frommen,

er unterdrückt all menschen sünd.

wann ich selbst zu im kommen künd,

wolt ich die sachen recht anzeigen.

RAPHAEL.

Du magst darvon wol stille schweigen.

zum vater komt sonst keiner nicht,

es muß als werden ausgericht

durch Jesum Christum, seinen son.

SATAN.

Er bringt mein sache nicht recht an;

wann ichs im geb in seine hand,

so muß ich doch besten mit schand.

RAPHAEL.

Laß uns doch dein register sehn.

was ist dann neues da geschehn?

SATAN.

Schaut hie, wies zuget in der welt;

da ist es alles fein erzelt.


Da nemen die engel das register und zerreißen dasselbig.


RAPHAEL.

Was wiltu daraus machen doch?

sih, dein register hat ein loch,

ist ganz cassiert, zerrißen ser;

darfst nun darauf nicht pochen mer,[104]

es gilt dir nicht ein pfifferling.

zeuch hin, man schetzt hie gar gering,

was nicht geschicht durch Jesum Christ,

beim vater als verworfen ist.

SATAN.

Pfui dich! so get mirs oftermal,

das Christus unterdrucket all

der christen sünde in gemein,

ob sie schon groß und schrecklich sein.

wolan, es komt einmal die zeit,

ob ich gleich nichts geworben heut,

das ich sie bring zu meinem joch,

und straf sie meinem willen nach.

pfui dich, pfui dich, umbsunst, umbsunst,

vergebens hab ich gbraucht mein kunst!

GABRIEL zum Christophoro.

Sih, Jesus Christus, Gottes son,

Christophore, schickt dir die kron,

die du recht wol gewonnen heut

durch deinen ritterlichen streit.


Setzen im die engel die kron auf.


CHRISTOPHORUS.

Des dank ich Got durch Jesum Christ,

der alle zeit mein mitler ist

und stet mir bei in aller not.

ein feste burg ist unser Got

helft singen, lieben kinderlein,

zu lobe Got, dem herren mein, etc.


Hie wirds gesungen choral oder figural.


Quelle:
Schauspiele aus dem sechzehnten Jahrhundert. Leipzig 1868, S. 102-105.
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