Der 8. (23.) Kühlpsalm

[67] Über des vermaledeiten Romes untergang in dem Französischen Rom gegen Oranien über, Avignon, wo siben Päbste nacheinander bei 74. Jahren, von 1305. bis 1378. auf dem sibenköpfichten Thire sassen: und wo ihm auch zum Vorspile der Saulseigenweissagung, di Kühlpropheten, Kühlweisen, Kühlschriftgelährten, und alle seine Handschrifften mit dem Frantzen und Pabstessigel zu seiner Freiheit durchs gantze Pabstgebite, in rechtschaffener blindheit aus Gottestribe versigelt worden: zum gedächtnis den 18. Apr. 1678. gesungen.


1.

Di Zeiten sind erschinen,

Da Warheit sol hergrünen,

Di bisher niderlag:

Dann alle sind geblendet,

Weil wir von Gott gesendet,

Wi er vor alters pflag.


2.

Si können nicht erkennen,

Das wir so eilends rennen,

Zu ihres Babels fall:

Wi solt er nicht geschehen,

Weil Gott erhöhrt mein flehen,

Und ides seufftzens hall?


3.

Ob mich hält Rom umschlossen,

Das von dem Rhon beflossen,

Und einst des Pabstes stuhl:

Doch sing ich voller freuden,

Eh ich von dar wil scheiden,

Von Romes Schwefelpfuhl.


4.

Dis Rom wolt Rom zerbrechen,

Und durch vil Jahre schwächen,[67]

Des alten Romes pracht:

Es hat (triumff!) bezeichet,

Wi Rom durch Rom erbleichet,

Und sinkt durch eigne Macht.


5.

Von Rom mus ich abreisen,

Um allem Volk zuweisen,

In Rom des Romes trug:

Gott wird mir dargewehren

Des Morgenroms bekehren

Durch seines segens pflug.


6.

Du Mittagsrom wirst schrekken;

Furcht wird dich rings umdekken,

Wann du dis hast gemerkt:

Wi wirstdu nicht verzagen,

Und dein Gewissen nagen,

Das Rom in Rom mich stärkt?


7.

Rom ist in Rom verlohren,

Rom ist in Rom gebohren,

Rom ist in Rom beweint:

Rom mus aus Rom vernehmen,

Was Rom in Rom wird grämen,

Wann Rom in Rom verscheint.


8.

Ich schau in Rom zerschmettern

Des Romes sein vergöttern,

Und was den Kreis verführt!

Ich schau (O Lust!) ein feuer!

Es lodert ungeheuer,

Bis Rom aus Rom berührt.


9.

Wi fället Rom mit krachen

Dem Teufel in den Rachen,

Den es stat Gottes ehrt?

Di Völker stehn durchleuchtet,

Vom Lammesquell befeuchtet,

Vom Satan unverstöhrt!


10.

Wo ist nunmehr der Treiber?

Des heilgen Volks aufreiber?

Der Länder Höllenschlund?

Er ist zum Satan gangen,[68]

Hat seinen Lohn empfangen

Im abgrund sonder grund.


11.

Wi ist so strakks vergessen,

Der alles wolt auffressen?

Ist er der Völkerschertz?

Der Gottes längst gespottet,

Ist nun von Gott zerrottet,

Trägt ewigst reu und schmertz.


12.

Der Pabst wolt Petrus heissen,

Auf Erd als Christus gleissen,

Und endern Christuswort:

Er nahm di Gottestittel,

Entschlos durch dises mittel

Der Welt di todespfort.


13.

Gott lis den Zorn ihm dräuen,

Doch wolt ihn nicht gereuen

Des grossen missethun:

Nun ist (Gottlob!) erfüllet,

Das Pabstthum gantz gestillet;

Er mus beim Teufel ruhn.


14.

Di hundert Jahr verronnen,

Wi eis an heister Sonnen,

Wi wachs in warmer glutt:

Di monden sind verlauffen,

Da Bus ohn geld zukauffen

Wi Rhons und Tibersflutt.


15.

Der Römsche Saul wolt schnauben,

Und noch sein zil ni glauben,

Ob Sibenbürgen weg:

Er sah in Hungarn sigen!

Des Wines Thron verflügen!

Ging noch den alten steg.


16.

Als Fridrich aufgestanden,

Nach dreier Jahre banden,

Und Böhmen ward sein sitz;[69]

Dann wolt ihn reu betreten:

Allein zu Heilgen beten,

Erwekkte Gottesblitz.


17.

Nach siben siben dreien

Wird Rom vermaledeien,

Was Rom itz selig schätzt:

Dann Gottes Grimm entglimmet,

Das Rom in Rom ergrimmet,

Auf ewigst Rom verletzt.


18.

Dis hat in Rom gesungen,

Durch Gottes Geist bezwungen,

Noch fern von Rom di Lipp:

Dein schlus, O Pabst, der eilet,

Gleich als ein Pfeil herpfeilet,

Gleich gemsen auf der klipp.


19.

Der Stab ist nun gebrochen:

Di Heilgen sind gerochen;

Es fällt, Pabst, auf dein Haupt.

Du hast dich selbst getödtet,

Davor dein Rom erröthet,

Und dich nun gar urlaubt.


20.

Drum müsse dich beloben,

Von unten und von oben,

Dreieinger, ider Geist:

So wird dich aller rühmen,

Auf ewig höchst beblümen,

Und bleibest stets bepreist.

Quelle:
Quirinus Kuhlmann: Kühlpsalter, Band 1 (Buch 1–4), Tübingen 1971, S. 67-70.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Kühlpsalter, Band 1
Der Kühlpsalter I: BD 1 (Neudrucke Deutscher Literaturwerke)
Der Kühlpsalter: Band 1

Buchempfehlung

Musset, Alfred de

Gamiani oder zwei tolle Nächte / Rolla

Gamiani oder zwei tolle Nächte / Rolla

»Fanni war noch jung und unschuldigen Herzens. Ich glaubte daher, sie würde an Gamiani nur mit Entsetzen und Abscheu zurückdenken. Ich überhäufte sie mit Liebe und Zärtlichkeit und erwies ihr verschwenderisch die süßesten und berauschendsten Liebkosungen. Zuweilen tötete ich sie fast in wollüstigen Entzückungen, in der Hoffnung, sie würde fortan von keiner anderen Leidenschaft mehr wissen wollen, als von jener natürlichen, die die beiden Geschlechter in den Wonnen der Sinne und der Seele vereint. Aber ach! ich täuschte mich. Fannis Phantasie war geweckt worden – und zur Höhe dieser Phantasie vermochten alle unsere Liebesfreuden sich nicht zu erheben. Nichts kam in Fannis Augen den Verzückungen ihrer Freundin gleich. Unsere glorreichsten Liebestaten schienen ihr kalte Liebkosungen im Vergleich mit den wilden Rasereien, die sie in jener verhängnisvollen Nacht kennen gelernt hatte.«

72 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon