5. Der dumme Michel.
Mündlich aus Brodewin i.d. U.M.

[270] Da war einmal eine Bäuerin, die hatte einen Sohn Namens Michel, der war nie weiter als vom Tisch bis an den Kachelofen gekommen, und da dachte sie endlich, du mußt ihn doch einmal in die Welt schicken, sprach daher zu ihm: »Geh Michel, hinaus an den Teich und hole Wasser.« – Ja wohl, sagt Michel, aber wo ist denn der Teich? – »Da mußt du, wenn du aus der Hausthür trittst, den Steig im Garten grade hinunter gehen, dann wirst du ihn zur Linken finden.« Michel machte sich gleich auf den Weg, fand auch wirklich Hausthür, Garten und Steig und kam an den Teich; wie er da den Eimer herauszieht, springt ein großer Hecht heraus, der bittet ihn, er möge ihn doch wieder ins Wasser werfen, er wolle es ihm wohl vergelten. »Habe ich dich denn heißen herausspringen? sagt Michel. So springe du auch wieder hinein!« Aber der Hecht bat gar zu sehr, und versprach Micheln endlich, was er wünsche, solle geschehn, nur solle er ihn ins Wasser werfen. Da that ers denn, nahm seinen Eimer und ging wieder nach Hause. Nun hatte er aber draußen am Teich drüben in der Ferne ein Haus gesehen, das glänzte prächtig wie lauter Silber und Gold, darum fragte er seine Mutter: »Mutter, was ist das da drüben[270] für ein Haus, das man am Teich sieht?« – Sprach die Mutter »das ist des Königs Haus, da wohnt er mit der schönen Prinzessin drin.« Wie Michel hörte, daß da eine schöne Prinzessin wohne, denkt er, ich will doch einmal versuchen, ob der Hecht wahrgesprochen, ich möchte, daß die Prinzessin schwanger werde. Nicht lange danach ward die Prinzessin wirklich schwanger, und als das der König erfuhr, wurde er sehr zornig und überhäufte sie mit bittern Vorwürfen. Sie aber schwur ihm hoch und theuer, daß niemand bei ihr gewesen, es müßte denn im Schlafe gewesen sein, aber der König wollte es nicht glauben. Zuletzt kam sie nieder und gebar einen Jungen, und da man den Namen des Vaters nicht wußte, wurde er nach dem Großvater genannt. Wie nun der Junge aber größer wurde, merkte er bald, daß der Großvater nicht sein Vater sei, fragte ihn daher: »Sage mir doch, wer ist mein Vater?« – Du hast keinen Vater, antwortete ihm jener. »Wie sollte ich wohl keinen Vater haben, entgegnete der Knabe, da doch jeder Mensch einen Vater hat, du magst's nur nicht wissen!« Da mußte denn der alte König gestehen, daß er wohl einen Vater habe, daß ihn aber kein Mensch kenne, aber der Kleine sagte: »Laß nur ein großes Gastgebot ergehn, ich will ihn mir schon herausfinden.« Das that denn der König, und nun kamen alle die Minister, Generale und solcher Leute mehr, die in den Staaten des Königs waren, zusammen, der Kleine ging zu allen umher, betrachtete jeden genau, aber kam bald zum König zurück und sagte: »Darunter[271] ist mein Vater nicht, du mußt ein größeres Gastgebot erlassen!« Darauf ließ der König alle seine Offiziere und Räthe und auch einige der vornehmsten Bürger zusammenkommen, der Knabe ging wieder prüfend umher, aber auch hier fand er seinen Vater nicht, und sagte zum König: »Du mußt ein allgemeines Gastgebot erlassen, dann will ich meinen Vater schon finden!« Da kamen nun die Bürger und Bauern aus dem ganzen Lande zusammen, und als das Michels Mutter hörte, sagte sie zu ihm: »Michel, du mußt auch hin nach dem prächtigen Schlosse, der König hat ein allgemeines Aufgebot erlassen.« Nun hatte Michel zwar nur einen einzigen schmutzigen Theerrock und einen alten dreitütigen Hut, aber die Mutter stutzte ihn so gut wie möglich zu und da ging er denn nach Hofe. Wie nun alles in großen Haufen versammelt war, lief der Kleine ämsig umher und nicht lange währte es, da blieb er bei Michel im Theerrock mit dem dreitütigen Hut stehn, zog ihn an der Hand heraus vor den König, und sagte: »Das ist mein Vater!« Da wollte es der König erst nicht glauben und sagte dem Kleinen, er müsse sich irren, aber der blieb steif und fest dabei, Michel sei sein Vater, so daß der König endlich ganz außer sich vor Zorn gerieth und sagte, daß er nun weder Vater noch Mutter noch Kind bei sich behalten wolle. Er ließ sogleich eine große gläserne Kugel mit einer Schraube gießen, daß man sie öffnen und schließen konnte, ließ den Michel, seine Tochter und den Kleinen hineinbringen, alle auf das Wasser setzen und nun schwamm[272] die Kugel auf der weiten See dahin. Wie sie nun so ein ganzes Stück dahin geschwommen waren, und die Königstochter taurig da saß, daß sie einen solchen Vater zu ihrem Kinde gefunden habe und nun hier elend würde umkommen müssen, da wünschte sich Michel, daß sie doch an eine Insel kommen möchten, und augenblicklich saß auch die Kugel auf einer solchen fest, sprang aus einander und alle drei traten wohlbehalten heraus. Darauf wünschte sich Michel ein prächtiges Schloß mit der reichsten Bedienung und allen dazu gehörigen Häusern, und gleich war alles da. Nun wurde die Prinzessin auch zufriedener, Michel wünschte sich prächtige Kleider und so lebte er denn hier lange Zeit glücklich mit seiner Frau und seinem Kinde; aber endlich wuchs doch die Sehnsucht der Königstochter nach ihrem Vater und der Heimat immer mehr, und sie sagte das einst ihrem Manne, da wünschte er sich eine Brücke nach ihres Vaters Reich, sogleich stand eine da, und zwar war immer ein Balken von Gold, der andre von Silber; nun stiegen sie in eine prächtige goldene Kutsche, fuhren übers Wasser zum Schloß des alten Königs, dessen Zorn legte sich sogleich, als er erfuhr, wie gut seine Tochter noch angekommen sei, und nun lebten sie glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende.

Quelle:
Adalbert Kuhn: Märkische Sagen und Märchen nebst einem Anhange von Gebräuchen und Aberglauben. Berlin 1843, S. 270-273.
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