67. Die weiße Frau auf dem Räuberberg.
Mündlich.

[66] Auf dem genannten Räuberberg bei Feeben ist es nicht recht geheuer, denn oft, wenn die Fischer aus Göttin, das unweit davon liegt, in seine Nähe gekommen sind, haben sie gehört, daß es gewaltig hinter den Kahn herrauschte, und gesehen, wie sich etwas Weißes im Wasser, das wie ein Schwan aussah, hob, als wolle es noch schnell in den Kahn hineinspringen. – Oft läßt sich auf dem Berge auch eine weiße Frau mit einem Schlüsselbunde sehen, und so zeigte sie sich namentlich einmal einem Fischer, der dort seine Netze auswarf, denn wie er eben ans Ufer kommt, sieht er sie plötzlich vor sich stehen. Da sagt sie ihm, seine Frau sei daheim eben mit einem Knaben in Wochen gekommen, und bittet ihn, er möge doch nach Hause gehen, das Kind holen und ihr bringen, damit sie es küsse, dann werde sie erlöst werden. Der Fischer fuhr auch sogleich nach Hause, wo er alles fand, wie es ihm die weiße Frau gesagt hatte. Nun wollte er sie wohl gern erlösen, wußte aber doch nicht, ob er es wohl thun dürfe und ob es wohl nicht gar etwa seinem Kinde Schaden oder Tod bringen möchte; er ging daher zu den Nachbarsleuten umher, allein die konnten ihm eben so wenig rathen, wie er sich selber. Da ging er denn zuletzt zum[66] Prediger, der sagte dann, er dürfe es wohl thun, aber das Kind müsse zuerst getauft werden; da ließ er es denn schnell taufen und fuhr nun mit dem Knaben hinüber nach dem Räuberberg. Wie er jedoch da ankam, fand er die weiße Frau weinend und wehklagend, denn das war eine der Bedingungen, die ihr gesetzt waren, daß das Kind, durch welches sie erlöst werden sollte, nicht getauft sein dürfte. Und so erscheint sie immer noch je zuweilen auf dem Räuberberg und harrt, daß der Erlöser kommen solle.

Quelle:
Adalbert Kuhn: Märkische Sagen und Märchen nebst einem Anhange von Gebräuchen und Aberglauben. Berlin 1843, S. 66-67.
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